Krebsforschung: London schließt Partnerschaft mit Biontech

London (dpa) – Das Mainzer Pharmaunternehmen Biontech will in Großbritannien ein Forschungs- und Entwicklungszentrum zur Krebstherapie aufbauen. Darauf hat sich das für seinen früh verfügbaren Corona-Impfstoff bekannte Unternehmen mit dem britischen Gesundheitsministerium geeinigt, wie die Regierung in London am Freitag mitteilte. Ziel sei es, bis 2030 bis zu 10 000 Patientinnen und Patienten mit personalisierten mRNA-Krebsimmuntherapien zu behandeln. Im Rahmen klinischer Studien sei ein frühzeitiger Zugang zu solchen bisher nicht zugelassenen Therapien möglich.

Die nächsten Schritte der Zusammenarbeit sind laut Biontech die Auswahl der Produktkandidaten, der Studienstandorte und die Erstellung eines Entwicklungsplans mit dem Ziel, bereits in der zweiten Hälfte des Jahres 2023 den ersten Krebspatienten in eine Studie aufzunehmen. Bei der mehrjährigen Kooperation geht es zudem auch um Impfstoffe gegen Infektionskrankheiten, wie es von Biontech hieß. Weiterlesen

Lieferkettengesetz: Das kommt auf deutsche Unternehmen zu

Von Andreas Hoenig, David Hutzler und Robin Wille, dpa

Stuttgart/Berlin (dpa) – Renata Jungo Brüngger hatte zuletzt viel zu tun. Die Rechtsvorständin von Mercedes-Benz musste dafür sorgen, dass der Stuttgarter Autokonzern vorbereitet ist, wenn das Lieferkettengesetz in Deutschland zum 1. Januar in Kraft tritt. Denn dann tragen große Unternehmen per Gesetz Verantwortung dafür, dass Menschenrechte in ihren Lieferketten eingehalten werden.

Das Gesetz ist umstritten. Wirtschaftsvertreter beklagen den Aufwand, der damit einhergeht. Menschenrechts- und Umweltorganisationen geht das Gesetz hingegen nicht weit genug. Was steckt dahinter?

Das «Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz», wie es offiziell heißt, gilt zunächst für Unternehmen mit mehr als 3000 Mitarbeitern. Laut Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) sind davon rund 900 Unternehmen betroffen. Für sie ergeben sich unterschiedliche Anforderungen, für den eigenen Geschäftsbereich sowie für unmittelbare und mittelbare Zulieferer.

Was ändert sich nach dem Lieferkettengesetz?

Die Unternehmen müssen laut BMZ eine Reihe von Maßnahmen umsetzen. So müssen sie unter anderem eine Risikoanalyse durchführen, ein Risikomanagement sowie einen Beschwerdemechanismus aufsetzen und öffentlich darüber berichten. Bei Verletzungen im eigenen Geschäftsbereich oder bei unmittelbaren Zulieferern müssen die Unternehmen laut Gesetz unverzüglich angemessene Abhilfemaßnahmen ergreifen, «um diese Verletzung zu verhindern, zu beenden oder das Ausmaß der Verletzung zu minimieren».

«Für uns ändert sich nicht so viel, weil wir uns schon seit Jahren darauf vorbereitet haben», sagt Mercedes-Managerin Jungo Brüngger. Man könne die Kontrolle von Lieferketten nicht einfach auf Knopfdruck umsetzen. Der Konzern habe entsprechende Vertragsbedingungen, Beschaffungs-Standards und Audit-Rechte mit seinen unmittelbaren Lieferanten vereinbart.

Mercedes-Benz habe rund 40 000 Lieferanten allein im direkten Bereich. Hinzu komme ein Vielfaches davon im indirekten Bereich. «Wir können diese Lieferanten nicht jeden Tag kontrollieren. Das ist nicht machbar, auch nicht für solch ein großes Unternehmen.» Es müsse also ein risikobasierter Ansatz gewählt werden. Für die größten Risiken würden Maßnahmen definiert, die dann kontrolliert werden.

Etwa bei der Elektromobilität, die Batterien und Batteriezellen brauche. «Hier gibt es natürlich im Moment größere Risiken.» Kobalt komme zum Beispiel aus Ländern, die man mit Kinderarbeit in Verbindung bringe. «Das haben wir erkannt und schon 2018 die Lieferkette für Kobalt transparenter gemacht und bis zu den Minen kontrolliert», sagt Juno Brüngger.

Forderung nach EU-weitem Gesetz

«Das Gesetz ist in vielen Punkten sehr ambitioniert und es wird sicher eine große Herausforderung sein», sagt die Vorständin. Man könne aber auch sagen, dass das Gesetz in vielen Punkten mit Augenmaß verfasst wurde. Positiv sei, dass es eine Bemühenspflicht gebe. «Wenn wir als Unternehmen in einem konkreten Fall nachweisen können, dass wir alles in unserer Macht stehende getan haben, dann erfüllt das diese Anforderung», sagt Jungo Brüngger. «Kleine Unternehmen haben es bei der Umsetzung sicher schwerer.»

Ein im Vergleich zu Mercedes-Benz kleineres Unternehmen ist Stihl. Für den Hersteller von Kettensägen aus Waiblingen bei Stuttgart sind weltweit etwa 20.000 Menschen tätig. Das Familienunternehmen arbeite bereits seit einigen Jahren daran, dass Nachhaltigkeit im Lieferantenmanagement zu einem integralen Bestandteil wird, sagt Unternehmer Nikolas Stihl. Aber um die Vorschriften zu erfüllen, müsse erheblicher zusätzlicher Aufwand betrieben werden. Stihl sieht zudem die Gefahr von Wettbewerbsnachteilen durch das deutsche Gesetz, weshalb seiner Ansicht nach eine Ausweitung auf EU-Ebene oder sogar global einheitliche Anforderungen hilfreich wären.

Kritik kommt auch von Wirtschaftsverbänden. «Hier wird die Handlungsfähigkeit des industriellen Mittelstands aufs Spiel gesetzt», teilte Karl Haeusgen, Präsident des Verbands Deutscher Maschinen- und Anlagenbau, mit. Er kritisierte, dass Firmen Berichte für alle einsehbar machen müssten – auch für Wettbewerber. «Das wird zum Rückzug unserer Unternehmen aus ganzen Ländern führen und damit ist den Menschen vor Ort geschadet, nicht geholfen», so Haeusgen.

Kritik an zu viel Bürokratie

Dirk Jandura, Präsident des Bundesverbands Großhandel, Außenhandel, Dienstleistungen, kritisierte den Fragenkatalog zur Berichterstattung des Bundesamts für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle (Bafa). Das Bafa soll die Einhaltung des Gesetzes überprüfen. Der Fragenkatalog sei «ein rein theoretisches Konstrukt und praxisfern». Auch der Präsident des Deutschen Industrie- und Handelskammertags, Peter Adrian, kritisierte den Fragebogen. Das Bafa plage die Betriebe in der schwersten Krise seit Jahrzehnten mit 437 Datenfeldern. Das sei «ein Unding». Der Präsident des Bundesverbands der Deutschen Industrie (BDI), Siegfried Russwurm, forderte: Das Bafa müsse jetzt die Verfahren und den Fragebogen zur Berichtspflicht stark vereinfachen.

Die Zweite Vorsitzende der IG Metall, Christiane Benner, bezeichnete das Gesetz als einen guten Start ins neue Jahr. «Umso weniger ist die Verweigerungshaltung der Arbeitgeberseite nachzuvollziehen, die bis auf die letzten Meter versucht hat, das Inkrafttreten des Gesetzes zu verhindern», sagte Benner.

«Die Industrielobby hat das Gesetz extrem ausgehöhlt. Das ist zu einem zahnloser Papiertiger geworden», sagt hingegen Viola Wohlgemuth von der Umweltorganisation Greenpeace. Sie kritisiert vor allem, «dass es keine eigenständigen umweltbezogenen Sorgfaltspflichten gibt». Man könne nur dann eingreifen, wenn Menschen durch die Umweltzerstörung von Firmen gesundheitliche Schäden erleiden. «Und das ist quasi unmöglich vor Gerichten nachzuweisen, gerade für die Betroffenen in den Produktionsländern», sagt Wohlgemuth.

Beate Streicher von der Menschenrechtsorganisation Amnesty International kritisiert, dass das Gesetz nur sehr große Unternehmen erfasse. Zudem fehle eine Regelung der zivilrechtlichen Haftung. Das Gesetz sei ein Anfang, es reiche aber definitiv nicht aus. Die Schwächen müssten jetzt auf europäischer Ebene adressiert werden. Im Koalitionsvertrag stehe, dass sich die Bundesregierung für ein wirksames europäisches Lieferkettengesetz einsetzt. «An diesem Anspruch muss sie sich messen lassen», sagt Streicher.

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Biontech-Impfstoff für Deutsche in China eingetroffen

Mainz (dpa/lrs) – Der Biontech-Impfstoff gegen Corona für deutsche Staatsbürger in China ist nach Unternehmensangaben in der Volksrepublik eingetroffen. Das Mainzer Pharmaunternehmen und sein chinesischer Partner Fosun würden rund 11.500 Dosen des mRNA-Impfstoffs zur Verfügung stellen, teilte Biontech am Donnerstag mit.

«Wir danken der chinesischen und der deutschen Regierung für ihre kontinuierliche Unterstützung und ihre gemeinsamen Bemühungen bei der Versorgung der in China lebenden Deutschen mit unseren monovalenten und den an Omikron BA.4/BA.5 angepassten bivalenten mRNA-COVID-19-Impfstoffen», sagte Biontech-Vorstand Sean Marett. Er sprach von einem Meilenstein für Biontech und Fosun und auch im Kampf gegen die Pandemie. Die Impfstoffdosen werden voraussichtlich in Peking, Shanghai, Guangzhou, Shenyang und Chengdu erhältlich sein. Weiterlesen

Frankreich: Millionenstrafe für Microsoft Datenschützer

Paris (dpa) – Wegen Verstößen gegen Gesetzesregelungen über Cookies soll Microsoft in Frankreich eine Millionenstrafe zahlen.Frankreichs Datenschutzbehörde CNIL verhängte ein Bußgeld von 60 Millionen Euro gegen den Softwarehersteller, wie die CNIL am Donnerstag in Paris mitteilte.

Die Behörde wirft Microsoft Verstöße bei der Suchmaschine «bing.com» vor. Cookies zu Werbezwecken würden ohne Zustimmung erfasst. Zudem gebe es keine Schaltfläche, die das Ablehnen von Cookies eben so leicht mache wie das Zustimmen. Weiterlesen

E-Fuel-Anlage in Chile – Mit starkem Wind zu grünem Benzin

Von Denis Düttmann, dpa

Punta Arenas (dpa) – An der Südspitze von Chile bläst eine steife Brise. Der starke Wind fegt über die Weiden Patagoniens hinweg, zerrt an den Sträuchern und wühlt das Meer auf. Jetzt sollen die Böen auch ihren Beitrag im Kampf gegen den Klimawandel leisten. Siemens Energy und der Autohersteller Porsche haben am Dienstag nahe der Stadt Punta Arenas eine Fabrik für CO2-neutralen Kraftstoff (E-Fuel) eröffnet. «Das ist nur der Anfang einer neuen Ära», sagte der Porsche-Entwicklungsvorstand Michael Steiner. «Diese Fabrik ist ein Meilenstein.»

Die Anlage Haru Oni bei Punta Arenas ist nach Angaben der Unternehmen weltweit die erste Anlage zur industriellen Herstellung von E-Fuel. Beteiligt sind an der Fabrik auch die Unternehmen HIF, Exxon Mobil, Enel, Enap und Gasco.

Bei dem Projekt wird mit Windstrom CO2-neutraler Kraftstoff erzeugt. Per Elektrolyse wird mit dem erneuerbaren Strom zunächst Wasser in Sauerstoff und Wasserstoff gespalten. Anschließend wird CO2 aus der Luft gefiltert und mit dem Wasserstoff über den Zwischenschritt Methanol zu E-Fuel umgewandelt.

«Power to Fuel»-Verfahren im Einsatz

Die Grundidee ist, dass diese Kraftstoffe verglichen mit normalem Benzin, Diesel oder Autogas den Rohstoffkreislauf weniger belasten und kein neues, vorher langfristig gebundenes CO2 freisetzen sollen. «Power to Fuel»-Verfahren gewinnen den Sprit nicht aus der chemischen Veredelung von Rohöl, das Jahrmillionen im Boden lagerte und bei der Verbrennung den Kohlenstoffgehalt der Atmosphäre erhöht. Quasi umgekehrt bauen sie stattdessen Kohlenwasserstoff-Ketten etwa aus Wasserstoff (H2) und CO2 zusammen. Dafür braucht man jedoch H2 in Reinform, wozu Wasser energieintensiv gespalten werden muss. Wenn – und nur wenn – dabei Ökostrom ohne ergänzende CO2-Last zum Einsatz kommt, kann der Kunstsprit geeignete Motoren klimaneutral antreiben: Frei wird nur so viel CO2, wie aus Luft oder Biomasse geholt wurde.

In der Pilotphase in Chile werden mit einer Windturbine mit 3,4 Megawatt Leistung erst einmal nur 130.000 Liter pro Jahr hergestellt. Porsche nimmt die gesamte Menge ab und will den Treibstoff zunächst im Motorsport, bei Probefahrten mit Kunden und für die Betankung von Oldtimern einsetzen. 70 Prozent aller jemals gebauten Porsche-Fahrzeuge sind noch immer auf der Straße. «Wir wollen den Fahrern die Möglichkeit geben, ohne schlechtes Gewissen ihre Fahrzeuge weiter zu betreiben», sagte Steiner.

In den kommenden Jahren soll die Kapazität deutlich gesteigert werden. Schon in der nächsten Ausbaustufe werden 40 Windräder die Energie für die Herstellung von E-Fuel liefern. Bis 2025 sollen etwa 55 Millionen Liter jährlich hergestellt werden und bis 2027 rund 550 Millionen Liter.

Methanol als Grundstoff

Künftig könnte E-Fuel dann auch in größerem Maßstab direkt als grüner Treibstoff oder als Beimischung zu herkömmlichem Benzin zum Einsatz kommen. Ob sich das wirtschaftlich rechnet, hängt nach Einschätzung von Porsche vor allem vom Gesetzgeber ab. Sollte die Beimischung von klimaneutralem Treibstoff verpflichtend werden oder steuerlich stark begünstig werden, könnte E-Fuel trotz eines Herstellungspreises von derzeit etwa zwei US-Dollar pro Liter attraktiv werden.

Die Betreiber der Pilotanlage haben sich eine Hintertür aufgehalten, sollte die Nachfrage nach E-Fuel nicht anziehen. Die Fabrik stellt in einem ersten Schritt Methanol her, das auch anderweitig vertrieben werden kann. «Mit Methanol haben wir einen Grundstoff, den man schon direkt als Treibstoff für Schiffe nutzen kann. Außerdem kann man daraus auch Kerosin herstellen, denn gerade im Flugverkehr wird es auf lange Sicht sehr schwer, das Kerosin durch Elektrifizierung zu ersetzen», sagte Markus Speith von Siemens Energy. «Diese Flexibilität wollten wir uns erhalten.»

Die E-Fuel-Technologie steht immer wieder wegen des geringen Wirkungsgrads im Gegensatz zur direkten Elektrifizierung von Autos in der Kritik. Während in Elektroautos zwischen 70 bis 80 Prozent der Ausgangs-Energie am Rad ankommen, sind es bei E-Fuel in der industriellen Fertigung nur etwas mehr als 40 Prozent.

Wind im Überfluss

«Die Effizienz ist gar nicht so entscheidend. Ohne uns würde der Wind hier gar nicht genutzt», sagte Rolf Schumacher von der Betreibergesellschaft der Anlage, HIF Global. Im Süden von Chile ist Wind im Überfluss vorhanden, zudem laufen die Anlagen dort wesentlich häufiger unter Volllast und produzieren in etwa dreimal soviel Energie wie vergleichbare Windräder in Deutschland.

Für Porsche ist die Investition in E-Fuel keine Alternative zum Elektroauto, sondern eine Ergänzung. «Wir halten daran fest, bis 2030 rund 80 Prozent der Neufahrzeuge zu elektrifizieren», sagte die Porsche-Beschaffungs-Vorständin Barbara Frenkel. «Mit E-Fuel wollen wir zur Dekarbonisierung der Bestandsflotte beitragen.»

Im Süden von Chile hoffen die Menschen auf eine neue Wachstumsindustrie in der strukturschwachen Region. «Vor genau 77 Jahren wurde hier erstmals Öl entdeckt», sagte der Bürgermeister von Punta Arenas, Claudio Radonich. «Jetzt hat sich das Paradigma geändert. Früher stand das Öl für Wohlstand, jetzt der Wind.»

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H&M nimmt Justin-Bieber-Kollektion aus dem Verkauf

Stockholm (dpa) – Nach Kritik von Popstar Justin Bieber (28, «Sorry») hat der schwedische Modekonzern H&M eine Kollektion mit Abbildern des Musikers zurückgezogen. Man habe ordnungsgemäße Genehmigungsverfahren befolgt, die Kleidungsstücke aber «aus Respekt vor der Zusammenarbeit und vor Justin Bieber» aus dem Verkauf genommen, teilte das Unternehmen am Mittwoch auf dpa-Anfrage mit. Weiterlesen

Lichter überstrahlen Krise: Russland spürt die Sanktionen

Von André Ballin und Ulf Mauder, dpa

Moskau (dpa) – Der Einkaufsspaß ist vielen sonst besonders zum Neujahrsfest konsumfreudigen Russen durch die Folgen des Krieges in diesem Jahr vergangen. Zwar erstrahlt etwa die Millionenmetropole Moskau mit opulenten Dekorationen und der Jolka, dem Weihnachtsbaum, auf jedem größeren Platz wie zum Beweis dafür, dass Energie das geringste Problem der Rohstoffgroßmacht ist. Aber der Glanz kann kaum über die vielen Probleme hinwegtäuschen: Viele Geschäfte sind geschlossen. Die Einkaufszentren sind bisweilen menschenleer. Restaurants beklagen einen Mangel an Neujahrsfeiern.

Im Moskauer Einkaufszentrum Jewropejski am Kiewer Bahnhof stehen Boutiquen von Dior, Chanel und Swarovski leer. Tausende westliche Firmen haben ihre Repräsentanzen in Russland wegen Moskaus Krieg gegen die Ukraine abgestoßen, weil die Sanktionen der EU und der USA Geschäfte erschweren oder unmöglich machen. Zahlreiche Einkaufszentren stünden vor dem Bankrott, sagt der Wirtschaftsprofessor Kirill Kulakow. Schon durch die Schließungen während der Pandemie seien viele in die Schieflage geraten.

«Die Probleme haben sich nun nach Beginn der militärischen Spezialoperation in der Ukraine und wegen der sinkenden Kaufkraft der Bevölkerung verschärft», sagte er in einem Radiointerview. Kulakow erwartet, dass sich die Lage zuspitzt. Viele Russen haben durch den Abzug westlicher Unternehmen und Investoren ihre Jobs verloren. Aber auch bei denen, die Arbeit haben, ist wegen der Inflation von etwa 15 Prozent das Geld knapp, weil Lebensmittel und andere Waren des täglichen Bedarfs immer teurer werden.

Wie ist die Stimmung in den Großstädten?

Zwar zeigen russische Staatsmedien in Auslandsberichten immer wieder voller Häme auch aus Deutschland Demonstranten und andere Unzufriedene, die sich über Energiepreise, kalte Wohnungen und andere Härten beklagen. Das soll den Russen zeigen, dass es in der Heimat, wo viele Wohnungen überheizt sind, besser ist.

Wer aber zwischen Russland und Deutschland pendelt, merkt schnell, dass die Stimmung in Moskau und anderen Städten trotz des Lichterglanzes düster ist. Der Lebensstandard fällt. Niemand weiß, wie lange der Krieg dauert. Die Angst ist groß, dass Kremlchef Wladimir Putin noch mehr Reservisten zum Krieg einziehen und damit noch mehr heile Familienwelten zerstören könnte. Auch wenn Putin bei seinen Fernsehauftritten die Probleme weglächelt, ist die Verunsicherung der Menschen greifbar.

Viele Zahlen spiegeln das wider. Verkäufer von Möbeln, Haushaltstechnik und Elektronik klagen über Umsatzeinbrüche von 30 Prozent oder mehr. Ähnlich sieht es bei Baumaterialien, Schuhen und Kleidung sowie Kosmetik aus. Zwar ist es trotz des Abzugs von Apple in Moskau kein Problem, das neueste iPhone zu bekommen. Aber nicht zuletzt wegen des vom Staat kontrollierten Rubelkurses müssen die Menschen dafür tief in die Tasche greifen.

Importeuere umgehen die Sanktionen

Stark zugenommen haben sogenannte Parallelimporte. Dabei werden Waren durch Dritte am Hersteller vorbei nach Russland eingeführt – unter Umgehung von Sanktionen. Die Türkei und Kasachstan, die die Sanktionen des Westens nicht mittragen, sind hier wichtige Partner Russlands. Gefragt sind in Russland etwa auch Hightech-Artikel für die Industrie und Rüstung. Hier sind nicht nur die Sanktionen und speziell das Verbot von Chiplieferungen, sondern zudem ein weltweiter Mangel an diesen Bauteilen hinderlich.

Spürbar ist die Krise besonders auf dem russischen Automarkt. Nach Branchenangaben brach der Neuwagenverkauf von Januar bis November um gut 60 Prozent ein. Von den einst 60 Automarken, die in Russland verkauft wurden, sind 14 übrig: 3 russische – Lada, UAZ und GAZ – und 11 chinesische. Der von Moskauer Bürokraten bejubelte Neustart der sowjetischen Marke Moskwitsch ist eine Kopie des chinesischen Kleinwagens JAC JS4.

Während die Auswahl bescheiden ist, sind die Preise stattlich. In sozialen Netzwerken kursiert ein Video, in dem sich ein Käufer darüber aufregt, dass in einem Moskauer Autosalon das chinesische SUV-Modell Chery Exceed für umgerechnet fast 90 000 Euro verkauft wird. «Dafür kann man in den USA einen Mercedes GLE kaufen.» Hier bekomme er ein chinesisches Auto, das im Herkunftsland ein Drittel koste, schimpft der Mann.

Joguhrtbecher und die Souveränität Russlands

Wie die Auto- klagt auch die Immobilienbranche über Absatzprobleme. Es gibt ein Überangebot, weil die Menschen kein Geld für den Wohnungskauf haben. Statistiken zufolge können Bauunternehmen derzeit jede dritte Wohnung in einem Neubau verkaufen. Im kommenden Jahr droht sich die Lage zu verschärfen, weil dann die staatlich gestützten Hypotheken auslaufen, die den Markt bislang stützen. Dann droht mehreren Baufirmen der Bankrott.

Lösungen für die Probleme bieten Putin und seine Regierung bisher kaum. Der Kreml setzt vielmehr auf die krisenerprobte Genügsamkeit vieler Russen. Als Putin einmal gefragt wurde, ob es nicht schlimm sei, dass es etwa auf Joghurtbechern kaum noch Farbe gebe, erwiderte er, ob eine schöne Verpackung wichtiger sei als die Souveränität Russlands. Er meinte damit, dass Russland trotz aller Nachteile und Sanktionen seine eigene Außenpolitik und damit den Krieg in der Ukraine unbeirrt fortsetzen werde.

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Stimmung von Firmen in China auf Tiefstand

Von Jörn Petring, dpa

Peking (dpa) – Überall Lockdowns, der Konsum schwächelt, unterbrochene Lieferketten: Die chinesische Wirtschaft hat wegen der strikten Corona-Maßnahmen ein außergewöhnlich hartes Jahr hinter sich. Das raue Klima haben auch deutschen Firmen deutlich zu spüren bekommen. Die Folge: Ihr Zutrauen in den chinesischen Markt ist auf einen Tiefstand gefallen.

Wie aus einer am veröffentlichten Umfrage der Deutschen Handelskammer in China hervorgeht, gab rund jedes zweite Unternehmen (49 Prozent) an, dass die zweitgrößte Volkswirtschaft seit der letzten Befragung vor einem Jahr an Attraktivität im Vergleich zu anderen Märkten verloren habe.

Größte Herausforderung Chinas Null-Corona-Politik

Nur 51 Prozent der Firmen beabsichtigen demnach noch, ihre Investitionen in China in den nächsten zwei Jahren auszubauen, verglichen mit 71 Prozent im Vorjahr – ein Rückgang um 20 Prozentpunkte. Als größte Herausforderungen wurden Chinas Null-Corona-Politik und geopolitische Spannungen genannt.

«Dieses Jahr wurden deutsche Unternehmen von Chinas Null-Covid-Politik geplagt. Die damit einhergehenden Einschränkungen haben das Geschäftsvertrauen, die Attraktivität des Marktes und Geschäftschancen verdorben», sagte Clas Neumann, Vorsitzender der Deutschen Handelskammer in Shanghai.

Nach fast drei Jahren hatte China vergangene Woche ein abruptes Ende seiner strikten Corona-Maßnahmen verkündet. Dies sei laut Handelskammer eine «begrüßenswerte Entwicklung», die mittel- und langfristig zur Wiederherstellung des Geschäftsvertrauens beitragen werde. Doch unmittelbar dürfte sich die wirtschaftliche Lage kaum bessern.

Seit der auf Gesundheitsexperten planlos wirkenden Kehrtwende in der Corona-Politik schießen die Infektionszahlen nun in vielen chinesischen Städten in die Höhe. Nicht nur sind Krankenhäuser überlastet, viele Apotheken haben auch keine Medikamente gegen Erkältungen und Fieber mehr.

Viel hängt davon ab, wie sich die Corona-Welle im Land ausbreitet

Laut Neumann werden die deutschen Unternehmen ihre Geschäftstätigkeit rasch an die neuen Bedingungen anpassen, um die Infektionswelle zu bewältigen. «Danach werden sie optimistischer in das kommende Jahr blicken», so der Kammer-Vorstand. Neumann rechnete damit, dass ab dem zweiten Quartal des kommenden Jahres wieder mit höheren Wachstumsraten in China zu rechnen sei. Die Lage in den Wintermonaten sei dagegen schwer vorherzusehen. Viel hänge davon ab, wie sich die Corona-Welle im Land ausbreite.

Die Null-Covid-Politik hatte tiefe Spuren hinterlassen: 66 Prozent der Kammer-Mitglieder nannten die Pandemie-Maßnahmen bei der diesjährigen Befragung als ihre größte Herausforderung für das operative Geschäft. Sie ist demnach auch der Hauptgrund, Investitionen zu verringern oder den Markt ganz zu verlassen. Unter den neuen Voraussetzungen könnten Unternehmen in den kommenden Monaten ihre bisherige Zurückhaltung überdenken, so Neumann.

Der Kammer-Vorstand äußerte sich auch zuversichtlich, dass die bisher noch bestehende Hotel-Quarantäne bei Reisen nach China bald wegfallen könnte. Da es nun auch innerhalb Chinas viele Infektionen gebe, mache die Regel keinen Sinn mehr. Jedoch dürfte es zunächst noch an Flügen nach China mangeln, da die Fluggesellschaften noch Zeit brauchten, um sich an die neuen Gegebenheiten anzupassen. Derzeit müssen Besucher bei der Einreise nach China zunächst für acht Tage in Quarantäne.

Auch abseits der Pandemie gibt es weiterhin zahlreiche ungelöste Probleme für deutschen Firmen in China. So gehören laut der Kammer-Befragung etwa Rechtsunsicherheiten und unklare Cyber- und Datenschutzvorschriften zu den größten regulatorischen Herausforderungen.

Schwierigkeiten bereiten den Unternehmen auch milliardenschwere Regierungs-Initiativen wie «Made in China 2025». China strebt nach mehr Eigenständigkeit. Mit seiner Industriepolitik verschafft die Volksrepublik lokalen Wettbewerbern oft Vorteile. Ausländische Handelskammern fordern deshalb schon lange faire Wettbewerbsbedingungen.

Zahl der Unternehmensinsolvenzen steigt wieder an

Von Jörn Bender, dpa

Frankfurt/Main (dpa) – Explodierende Energiepreise, Rekordinflation, Verbraucher auf der Konsumbremse: Viele Unternehmen bangen um ihre Existenz. Ob Klopapierproduzent (Hakle), Schuhhändler (Görtz) oder Warenhauskonzern (Galeria Karstadt Kaufhof) – auf der Liste der Sanierungsfälle des Jahres 2022 findet sich mancher bekannte Name.

Eine Pleitewelle lässt sich anhand amtlich erfasster und von Experten hochgerechneter Zahlen zu Unternehmensinsolvenzen bisher nicht ausmachen. Doch dass es im laufenden Jahr erstmals seit der Wirtschaftskrise 2009 wieder mehr Firmenpleiten in Deutschland gibt, könnte der Auftakt einer Trendwende sein.

Es trifft vor allem kleine Unternehmen

Rund 14 700 Unternehmen hierzulande – überwiegend kleine Firmen mit höchstens zehn Mitarbeitern – werden nach Schätzung von Creditreform bis zum Ende des laufenden Jahres den Gang zum Insolvenzgericht angetreten haben. Das wären nach Berechnungen der Wirtschaftsauskunftei etwa vier Prozent mehr als 2021.

«Die anhaltende Inflation, die steigenden Zinsen und Energiekosten sowie eine zunehmend verschärfte Wettbewerbssituation gehen bei vielen Unternehmen an die Substanz», erläuterte der Leiter der Creditreform-Wirtschaftsforschung, Patrik-Ludwig Hantzsch, anlässlich der Vorstellung der Zahlen am Dienstag in Frankfurt. «Die mangelnde Planungssicherheit und die schwierige Wirtschaftslage treffen vor allem kleine und mittelständische Unternehmen.»

Voraussichtlich 175 000 Arbeitsplätze werden nach Berechnungen von Creditreform im laufenden Jahr infolge von Insolvenz hierzulande wegfallen. Den deutlichen Anstieg zum Vorjahr (141 000 Jobs) erklärte die Auskunftei damit, dass es 2022 mehr große Pleitefälle gab. Zugleich verringerte sich die Schadenssumme nach dem Rekordwert von 51 Milliarden Euro im Jahr 2021 auf nun 36 Milliarden Euro.

Wie viele andere Marktbeobachter rechnet auch Creditreform mit einem weiteren Anstieg der Unternehmensinsolvenzen im nächsten Jahr: Der Anstieg von 2021 auf 2022 sei moderat, «dürfte aber erst der Auftakt für eine weitere Beschleunigung des Insolvenzgeschehens sein».

Die Ausnahmeregelungen fallen nun weg

In dem noch stark von der Corona-Pandemie geprägten Jahr 2021 hatte es nach amtlichen Angaben in Deutschland mit 13 993 Fällen so wenige Firmenpleiten gegeben wie nie seit Einführung der aktuellen Insolvenzordnung im Jahr 1999. Dies erklärt sich maßgeblich durch Ausnahmeregelungen: Um eine Pleitewelle infolge der Pandemie abzuwenden, hatte der Staat die Pflicht zum Insolvenzantrag bei Eintritt von Überschuldung oder Zahlungsunfähigkeit zeitweise ausgesetzt. Später gab es noch Ausnahmen für Betriebe, die im Sommer 2021 Schäden durch Starkregen oder Überflutungen erlitten hatten.

«Die staatlichen Hilfsmaßnahmen verhinderten in den letzten Jahren einen Anstieg der Insolvenzzahlen. Und mehr noch: Sie führten zu einem paradoxen Rückgang der Fälle», analysierte Creditreform. «Die Energiekrise könnte dafür sorgen, dass sich die Zahlen wieder normalisieren.»

Steigende Insolvenzzahlen erwarten auch andere Experten. Der Informationsdienstleister Crif ging in einer Mitte November veröffentlichten Analyse davon aus, dass in Deutschland aktuell mehr als 300 000 Unternehmen finanzielle Probleme haben. Seit März 2022 habe sich die Zahl der Pleitekandidaten damit um 15,6 Prozent erhöht.

Der Kreditversicherer Allianz Trade schätzte in einer Studie im Oktober, bislang hätten staatliche Unterstützungsmaßnahmen in Deutschland 2600 Unternehmen vor der Pleite bewahrt. «Sollte sich die Energiekrise noch weiter verschärfen und die Rezession stärker ausfallen als bisher erwartet, reichen die aktuellen Maßnahmen zum Abfedern einer Pleitewelle allerdings nicht aus und es könnten deutlich mehr Insolvenzen drohen», warnte Allianz Trade.

Immerhin: Bislang behauptet sich die deutsche Wirtschaft trotz aller Probleme besser als von Volkswirten erwartet. Im dritten Quartal legte die Wirtschaftsleistung um 0,4 Prozent zum Vorquartal zu. Weil der Staat wie schon in der Corona-Pandemie Milliarden in die Hand nimmt, um Bürger sowie Unternehmen zu entlasten, und die Gasspeicher inzwischen gefüllt sind, haben sich die lange Zeit düsteren Prognosen aufgehellt. «Die Rezession verliert ihren Schrecken», stellte kürzlich Dekabank-Chefvolkswirt Ulrich Kater fest.

Eine Pleitewelle ist bislang ausgeblieben

Das mindert auch den Druck bei möglichen Pleitekandidaten. «Die Insolvenzzahlen entwickeln sich bisher verhaltener als von vielen erwartet», bilanzierte IWH-Forscher Steffen Müller im jüngsten Insolvenztrend des Leibniz-Instituts für Wirtschaftsforschung Halle. Die Insolvenzwelle sei bisher ausgeblieben.

Ähnlich wertet es der Berufsverband der Insolvenzverwalter und Sachwalter Deutschlands (VID): «Die moderate Steigerung der beantragten Unternehmensinsolvenzen in den letzten Monaten ist noch kein Indikator für einen langfristigen starken Insolvenzanstieg», erläuterte der VID-Vorsitzende Christoph Niering Anfang dieser Woche. «Im langjährigen Durchschnitt ist sie ein nicht ungewöhnlicher Anstieg zum Jahresende.»

Auch Creditreform hebt hervor: Im historischen Vergleich sei die aktuelle Zahl der Unternehmensinsolvenzen in Deutschland trotz des Anstiegs noch «auf einem sehr niedrigen Niveau». Zum Vergleich: Im Jahr 2009 gab es fast 33 000 Firmenpleiten.

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Zahl der Unternehmensinsolvenzen steigt wieder an

Von Jörn Bender, dpa

Frankfurt/Main (dpa) – Explodierende Energiepreise, Rekordinflation, Verbraucher auf der Konsumbremse: Viele Unternehmen bangen um ihre Existenz. Ob Klopapierproduzent (Hakle), Schuhhändler (Görtz) oder Warenhauskonzern (Galeria Karstadt Kaufhof) – auf der Liste der Sanierungsfälle des Jahres 2022 findet sich mancher bekannte Name.

Eine Pleitewelle lässt sich anhand amtlich erfasster und von Experten hochgerechneter Zahlen zu Unternehmensinsolvenzen bisher nicht ausmachen. Doch dass es im laufenden Jahr erstmals seit der Wirtschaftskrise 2009 wieder mehr Firmenpleiten in Deutschland gibt, könnte der Auftakt einer Trendwende sein.

Es trifft vor allem kleine Unternehmen

Rund 14 700 Unternehmen hierzulande – überwiegend kleine Firmen mit höchstens zehn Mitarbeitern – werden nach Schätzung von Creditreform bis zum Ende des laufenden Jahres den Gang zum Insolvenzgericht angetreten haben. Das wären nach Berechnungen der Wirtschaftsauskunftei etwa vier Prozent mehr als 2021.

«Die anhaltende Inflation, die steigenden Zinsen und Energiekosten sowie eine zunehmend verschärfte Wettbewerbssituation gehen bei vielen Unternehmen an die Substanz», erläuterte der Leiter der Creditreform-Wirtschaftsforschung, Patrik-Ludwig Hantzsch, anlässlich der Vorstellung der Zahlen am Dienstag in Frankfurt. «Die mangelnde Planungssicherheit und die schwierige Wirtschaftslage treffen vor allem kleine und mittelständische Unternehmen.»

Voraussichtlich 175 000 Arbeitsplätze werden nach Berechnungen von Creditreform im laufenden Jahr infolge von Insolvenz hierzulande wegfallen. Den deutlichen Anstieg zum Vorjahr (141 000 Jobs) erklärte die Auskunftei damit, dass es 2022 mehr große Pleitefälle gab. Zugleich verringerte sich die Schadenssumme nach dem Rekordwert von 51 Milliarden Euro im Jahr 2021 auf nun 36 Milliarden Euro.

Wie viele andere Marktbeobachter rechnet auch Creditreform mit einem weiteren Anstieg der Unternehmensinsolvenzen im nächsten Jahr: Der Anstieg von 2021 auf 2022 sei moderat, «dürfte aber erst der Auftakt für eine weitere Beschleunigung des Insolvenzgeschehens sein».

Die Ausnahmeregelungen fallen nun weg

In dem noch stark von der Corona-Pandemie geprägten Jahr 2021 hatte es nach amtlichen Angaben in Deutschland mit 13 993 Fällen so wenige Firmenpleiten gegeben wie nie seit Einführung der aktuellen Insolvenzordnung im Jahr 1999. Dies erklärt sich maßgeblich durch Ausnahmeregelungen: Um eine Pleitewelle infolge der Pandemie abzuwenden, hatte der Staat die Pflicht zum Insolvenzantrag bei Eintritt von Überschuldung oder Zahlungsunfähigkeit zeitweise ausgesetzt. Später gab es noch Ausnahmen für Betriebe, die im Sommer 2021 Schäden durch Starkregen oder Überflutungen erlitten hatten.

«Die staatlichen Hilfsmaßnahmen verhinderten in den letzten Jahren einen Anstieg der Insolvenzzahlen. Und mehr noch: Sie führten zu einem paradoxen Rückgang der Fälle», analysierte Creditreform. «Die Energiekrise könnte dafür sorgen, dass sich die Zahlen wieder normalisieren.»

Steigende Insolvenzzahlen erwarten auch andere Experten. Der Informationsdienstleister Crif ging in einer Mitte November veröffentlichten Analyse davon aus, dass in Deutschland aktuell mehr als 300 000 Unternehmen finanzielle Probleme haben. Seit März 2022 habe sich die Zahl der Pleitekandidaten damit um 15,6 Prozent erhöht.

Der Kreditversicherer Allianz Trade schätzte in einer Studie im Oktober, bislang hätten staatliche Unterstützungsmaßnahmen in Deutschland 2600 Unternehmen vor der Pleite bewahrt. «Sollte sich die Energiekrise noch weiter verschärfen und die Rezession stärker ausfallen als bisher erwartet, reichen die aktuellen Maßnahmen zum Abfedern einer Pleitewelle allerdings nicht aus und es könnten deutlich mehr Insolvenzen drohen», warnte Allianz Trade.

Immerhin: Bislang behauptet sich die deutsche Wirtschaft trotz aller Probleme besser als von Volkswirten erwartet. Im dritten Quartal legte die Wirtschaftsleistung um 0,4 Prozent zum Vorquartal zu. Weil der Staat wie schon in der Corona-Pandemie Milliarden in die Hand nimmt, um Bürger sowie Unternehmen zu entlasten, und die Gasspeicher inzwischen gefüllt sind, haben sich die lange Zeit düsteren Prognosen aufgehellt. «Die Rezession verliert ihren Schrecken», stellte kürzlich Dekabank-Chefvolkswirt Ulrich Kater fest.

Eine Pleitewelle ist bislang ausgeblieben

Das mindert auch den Druck bei möglichen Pleitekandidaten. «Die Insolvenzzahlen entwickeln sich bisher verhaltener als von vielen erwartet», bilanzierte IWH-Forscher Steffen Müller im jüngsten Insolvenztrend des Leibniz-Instituts für Wirtschaftsforschung Halle. Die Insolvenzwelle sei bisher ausgeblieben.

Ähnlich wertet es der Berufsverband der Insolvenzverwalter und Sachwalter Deutschlands (VID): «Die moderate Steigerung der beantragten Unternehmensinsolvenzen in den letzten Monaten ist noch kein Indikator für einen langfristigen starken Insolvenzanstieg», erläuterte der VID-Vorsitzende Christoph Niering Anfang dieser Woche. «Im langjährigen Durchschnitt ist sie ein nicht ungewöhnlicher Anstieg zum Jahresende.»

Auch Creditreform hebt hervor: Im historischen Vergleich sei die aktuelle Zahl der Unternehmensinsolvenzen in Deutschland trotz des Anstiegs noch «auf einem sehr niedrigen Niveau». Zum Vergleich: Im Jahr 2009 gab es fast 33 000 Firmenpleiten.

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Gegen Trend: Quote der Firmenpleiten im Saarland verbessert

Frankfurt/Main (dpa/lrs) – Gegen den bundesweiten Trend ist die Zahl der Firmenpleiten im Saarland im laufenden Jahr gesunken. Die Insolvenzquote, also die Zahl der Insolvenzen je 10.000 Unternehmen, ging binnen Jahresfrist von 57 auf 50 zurück, wie die Wirtschaftsauskunftei Creditreform errechnet hat.

Den am Dienstag veröffentlichten Zahlen zufolge liegt das Saarland im Vergleich der 16 Bundesländer damit im unteren Mittelfeld. Sechs Länder haben eine höhere Insolvenzquote: Berlin (86 Fälle je 10.000 Unternehmen), Bremen (82), Hamburg (62), Nordrhein-Westfalen (61), Sachsen-Anhalt (55) und Hessen (54). Am niedrigsten ist die Quote in Bayern (35). Rheinland-Pfalz gehört trotz eines Anstiegs von 36 auf 43 zu den Bundesländern mit den niedrigsten Insolvenzquoten. Weiterlesen

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