Entspannung fürs Konto: Erste Studierende bekommen 200 Euro

Berlin (dpa) – Ein halbes Jahr nach Ankündigung der 200-Euro-Energiepreispauschale für Studierende und Fachschüler wird ab heute für die ersten Betroffenen das Geld überwiesen. Das erfuhr die Deutsche Presse-Agentur aus dem Bundesbildungsministerium und dem Digitalministerium in Sachsen-Anhalt. «Die ersten Antragsteller werden die Einmalzahlung in Kürze auf ihrem Konto haben», sagte Bundesbildungsministerin Bettina Stark-Watzinger (FDP) der dpa.

Eine Testphase der entsprechenden Antragsplattform im Internet mit Hochschulen und Fachschulen in mehreren Bundesländern ist den Angaben zufolge erfolgreich verlaufen. «Die Testphase ist technisch geglückt», sagte Sachsen-Anhalts Digitalministerin Lydia Hüskens (FDP). Etwa 12.800 Antragsteller hätten ihre Bewilligungsbescheide erhalten. Heute werde der Bund die Energiepreispauschale anweisen. Weiterlesen

Einsamkeit kann schmerzhaft und gesundheitlich riskant sein

Von Anja Sokolow, dpa

Berlin (dpa) – Wenn der Freundeskreis schrumpft, Partner sterben, die Gesundheit nicht mehr mitmacht oder auch das Geld für Kino und Restaurantbesuche fehlt, können vor allem ältere Menschen schnell in die Einsamkeit abrutschen. Ein Gefühl, das auch Helga Müller aus Berlin-Tempelhof kennt. Ihre Tochter lebt in Athen, die Freunde sind krank, verstorben oder weggezogen. «Ich gehe zwar jeden Tag raus, kaufe ein und mache meine Gymnastik, aber zum Reden fehlt mir jemand», sagt die 85-Jährige.

Seit fast zwei Jahren kann sich die Rentnerin immerhin auf ein ausgiebiges Gespräch pro Woche freuen. Der in verschiedenen Großstädten aktive Verein «Freunde alter Menschen» hat ihr Jan Römmler, einen Besuchspaten, vermittelt. «Ich möchte meine Zeit sinnvoll nutzen und anderen schenken», sagt der 50-jährige gelernte Koch und Frührentner. Man sieht Helga Müller die Freude an. Sie strahlt, als Römmler sie zum Spaziergang abholt.

Familienministerin will Thema stärker beleuchten

Das Thema Einsamkeit rückt immer mehr in den Fokus von Politik und Wissenschaft. Im Juni 2022 gab Familienministerin Lisa Paus (Grüne) den Startschuss für eine «Strategie gegen Einsamkeit». «Ziel ist es, das Thema in Deutschland stärker zu beleuchten und Einsamkeit stärker zu begegnen», erklärt Axel Weber vom «Kompetenznetz Einsamkeit» (KNE), das das Ministerium wissenschaftlich unterstützt.

In einer Studie des KNE heißt es, dass vor der Covid-19 Pandemie rund 14 Prozent der Menschen in Deutschland einsam waren. Während der Pandemie sei der Anteil auf 42 Prozent im Jahr 2021 gestiegen. Allerdings wurden alle Menschen mitgezählt, die angaben, sich mindestens manchmal einsam zu fühlen.

«Wirklich dauerhaft einsam fühlt sich eine Minderheit. Die meisten Menschen fühlen sich geborgen», sagt Einsamkeitsforscherin Maike Luhmann von der Ruhr-Universität Bochum. Sie geht von etwa fünf Prozent an chronisch einsamem Menschen in der Bevölkerung aus.

Wie sich die Zahl der Einsamen seit der Corona-Pandemie entwickle, wisse man noch nicht. Statistiken seien generell schwierig. «Es gibt keine messbare Definition. In der Wissenschaft wird Einsamkeit als ein Zustand definiert, bei dem die sozialen Beziehungen nicht den Erwartungen der Menschen entsprechen. Dieser Punkt ist für jede Person irgendwo anders», so Luhmann.

Einsamkeitsforschung steckt noch in den Kinderschuhen

Es lasse sich auch nicht sagen, dass sich die Zahl der Einsamen in den vergangenen Jahrzehnten erhöht habe. «Wir wissen nicht, wie einsam die Menschen vor 20, 30 oder 50 Jahren waren», so Luhmann. Die Einsamkeitsforschung stecke in Deutschland noch in den Kinderschuhen. Heute lebten zwar viele Menschen allein. Das bedeute aber nicht automatisch, dass sie sich auch einsam fühlten.

Das KNE will das bestehende Wissen über Einsamkeit bündeln und neues Wissen generieren. Unter anderem erarbeiten die Wissenschaftler laut Weber ein Einsamkeitsbarometer, um Daten über das Phänomen in verschiedenen Bevölkerungsgruppen zu gewinnen, die sich auch über den Zeitverlauf vergleichen lassen.

Einsamkeit kann krank machen: «Einsamkeit tut weh. Bei chronischer Einsamkeit werden im Gehirn dieselben Areale aktiviert wie bei Schmerz», so Psychologin Luhmann. Es gebe zwar keine klinische Diagnose im klassischen Sinne für das Gefühl und auch keine Therapien oder Medikamente. Man wisse aber, dass Einsamkeit mit großen Risiken einhergehe. So könne chronische Einsamkeit sowohl psychische als auch physische Erkrankungen wie Depressionen, koronare Herzerkrankungen, Schlaganfälle oder Herzinfarkte begünstigen.

Dauerstress in ständiger Alarmbereitschaft

«Wir sind soziale Tiere und dafür gemacht, in Gruppen mit anderen zu leben und dort besonders gut zu funktionieren. Einsamkeit ist gar nicht programmiert in unseren Körpern und unseren Seelen», ergänzt Eva Peters, Fachärztin für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie an der Universität Gießen. Das Gefühl der Einsamkeit bedeute Dauerstress für den Körper, da er sich in ständiger Alarmbereitschaft befinde. Es fehle das soziale Umfeld als Puffer für mögliche Gefahrensituationen.

Eine weitere Gefahr bestehe in der fehlenden intellektuellen Herausforderung. «Wenn keine Interaktion und Reize kommen, verkümmert das Gehirn wie ein unbenutzter Muskel. Das kann der Beginn von Alzheimer und Demenz sein», so Peters.

«Einsamkeit kann einen Menschen von innen regelrecht auffressen», beobachtet Besuchspate Jan Römmler. So habe Helga Müller in der ersten Zeit einen verkümmerten Eindruck gemacht. «Inzwischen ist sie richtig aufgeblüht», so die Einschätzung Römmlers.

Politik ist gefragt

Eine der wichtigsten Maßnahmen gegen Einsamkeit aus Luhmanns Sicht: Prävention. «Gerade bei Älteren muss man viel in diese Richtung denken, sie ermutigen, dass sie sich, wenn sie es noch können, um ihre sozialen Beziehungen kümmern, sich ein Netz aufbauen.»

Vor allem auch die Politik sei gefragt, etwa bei der Gestaltung des öffentlichen Raumes. «Orte und Gebäude müssten so konzipiert sein, dass sie allen Menschen zugänglich sind. Es geht letztlich immer um Teilhabe». Bei Älteren sehe sie auch eine große Chance in der Digitalisierung, so Luhmann. Helga Müller zum Beispiel besitzt aber weder Smartphone noch Internet. Auf den Verein Freunde alter Menschen wurde sie durch einen Artikel in einem Mieter-Magazin aufmerksam.

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Kindergrundsicherung: Finanzierung sorgt für Streit

Von Stella Venohr, dpa

Berlin (dpa) – Die sogenannte Kindergrundsicherung ist eines der größten sozialpolitischen Vorhaben der Ampel. Sie soll staatliche Leistungen für Kinder bündeln – einem Konzept von Familienministerin Lisa Paus (Grüne) zufolge kostet die Umsetzung etwa zwölf Milliarden Euro. Geld, das Finanzminister Christian Lindner (FDP) wegen der Verschuldung der letzten Jahre nicht ausgeben will.

Eckpunkte der Kindergrundsicherung

Bei der Kindergrundsicherung sollen ganz unterschiedliche Leistungen gebündelt werden. Darunter fallen beispielsweise das Kindergeld, der Kinderzuschlag und auch finanzielle Unterstützung für Klassenfahrten. Oftmals wissen Familien bislang nicht, dass sie diese Leistungen beantragen können. Zudem erscheinen die bürokratischen Hürden zu hoch.

Um das zu beheben ist ein einfach zu bedienendes «Kindergrundsicherungsportal» geplant. Über einen «Kindergrundsicherungs-Check» sollen Familien auch aktiv darauf hingewiesen werden, dass sie möglicherweise Ansprüche auf weitere Zahlungen haben. Aus der bisherigen Holschuld der Bürger soll eine Bringschuld des Staates werden, lautet das Motto im Familienministerium.

Kindergeld soll zu Garantiebetrag werden

Ein sogenannter Garantiebetrag soll künftig Teil der Kindergrundsicherung sein und damit das heutige Kindergeld ersetzen. Dies liegt bei 250 Euro pro Monat und Kind. Damit Kinder aus armen Familien besonders unterstützt werden, soll gestaffelt nach finanzieller Lage der Berechtigten ein Zusatzbetrag obendrauf kommen. Sobald die Kinder volljährig sind und nicht mehr bei ihrer Familie wohnen, soll das Geld direkt an sie gehen, um Ausbildung oder Studium zu bezahlen.

Streit um die Finanzierung

Die Ampel-Regierung hatte im Koalitionsvertrag vereinbart, mit der Kindergrundsicherung mehr Kinder aus der Armut holen zu wollen. «Diese Leistung soll ohne bürokratische Hürden direkt bei den Kindern ankommen und ihr neu zu definierendes soziokulturelles Existenzminimum sichern», heißt es in dem Papier. Doch die Auslegung der Formulierung bietet nun Spielraum: Die Grünen und Familienministerin Paus wollen die individuellen Leistungen für Kinder erhöhen. Aus ihrer Sicht braucht es insgesamt etwa zwölf Milliarden Euro für das Projekt Kindergrundsicherung.

Finanzminister Lindner rechnet aber mit deutlich geringeren Kosten. «Es gibt Einvernehmen, dass wir die den Familien zustehenden Leistungen automatisiert, digitalisiert zur Verfügung stellen», sagte Lindner. Alleine die Bewilligungen für berechtigten Familien zu automatisieren, werde 2025 schätzungsweise zwei bis drei Milliarden Euro kosten.

Kindergrundsicherung soll 2025 kommen

Am Gesetz dafür arbeitet die Ampel momentan. Ein Gesetzentwurf ist für Herbst geplant, 2025 könnte die Kindergrundsicherung eingeführt werden. Abzuwarten bleibt, was aus dem Streit in der Koalition bei dem Thema wird – nach Ansicht von Lindner liegt noch Arbeit vor der Ampel. Doch die Bündelung von staatlichen Leistungen für Familien sei ja auch erst für 2025 vorgesehen, bremste der FDP-Chef zuletzt.

Armut bei Familien

Der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) fordert mit Blick auf die Armutsgrenze eine höhere Kindergrundsicherung als die heutigen Sätze für Kinder beim Bürgergeld. «Die Leistungen des Bürgergeldes für Familien liegen unter der offiziellen Armutsgrenze – ein nicht akzeptabler Skandal, der auf dem Rücken armer Kinder stattfindet», sagte DGB-Vorstandsmitglied Anja Piel.

Ein Rechenbeispiel des DGB macht deutlich, dass das Armutsrisiko bei der derzeitigen Inflation noch mal gestiegen ist: Der Bürgergeldanspruch einer Alleinerziehenden mit einem 14-jährigen Kind liege 174 Euro unterhalb der Armutsgrenze für diesen Haushaltstyp, teilte der DGB der Deutschen Presse-Agentur mit. Berücksichtigt man nun die aktuelle Preisentwicklung des Jahres 2023 liegen die Leistungen nach Berechnungen des DGB für eine Alleinerziehende mit einem 14-jährigen Kind sogar 415 Euro unter der Armutsgrenze.

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Saarland hat relativ zur Bevölkerung die meisten Vereine

Berlin/Saarbrücken (dpa/lrs) – Im Saarland gibt es im bundesweiten Vergleich relativ zur Bevölkerung die meisten Vereine. 2022 verzeichnete das Land elf Vereine pro 1000 Einwohner, gefolgt von Rheinland-Pfalz (zehn) und Thüringen (neun), wie aus dem am Dienstag in Berlin vorgelegten Trendbericht der Zivilgesellschaft in Zahlenweise (Ziviz) im Stifterverband hervorgeht. Weiterlesen

Vereinsanzahl: RLP relativ zur Bevölkerung auf Platz zwei Gesellschaft

Berlin/Mainz (dpa/lrs) – Rheinland-Pfalz zählt bundesweit relativ zur Bevölkerung die zweitmeisten Vereine. 2022 verzeichnete das Land zehn Vereine pro 1000 Einwohner, wie aus dem am Dienstag in Berlin vorgelegten Trendbericht der Zivilgesellschaft in Zahlenweise (Ziviz) im Stifterverband hervorgeht. Davor liege nur das benachbarte Saarland mit elf Vereinen auf 1000 Einwohner, den dritten Platz belege Thüringen mit neun Vereinen. Weiterlesen

Familienministerin: «Wir leben nach wie vor im Patriarchat»

Berlin (dpa) – Bundesfamilienministerin Lisa Paus dringt auf die Überwindung der Ungleichbehandlung von Frauen und Männern. «Wir leben nach wie vor im Patriarchat, von dem wir uns verabschieden müssen», sagte die Grünen-Politikerin dem «Tagesspiegel». «Für mich ist das Patriarchat vorbei, wenn Frauen ökonomisch und politisch gleichgestellt sind, die Hälfte der Macht den Frauen gehört, und geschlechtsspezifische Gewalt nicht als individuelle Tat verharmlost wird, sondern als patriarchales Denk- und Verhaltensmuster anerkannt und geahndet wird.» Paus äußerte sich vor dem «Equal Pay Day» am 7. März. An dem Tag wird auf Ungleichheiten bei der Bezahlung von Männern und Frauen hingewiesen und die Dringlichkeit betont, solche Zustände zu überwinden. Am Mittwoch ist Internationaler Frauentag.

Ein Jahr Projekt Ahr-Wiederaufbau mit Einblick ins Handwerk

Mainz (dpa/lrs) – Im Ahr-Flutgebiet in einen Handwerksberuf hineinschnuppern und beim Wiederaufbau helfen: Bei diesem Projekt für junge Leute ziehen die Verantwortlichen ein Jahr nach dem Start eine positive Zwischenbilanz. Mittlerweile hätten 24 Teilnehmende rund 50 Praktika in den unterschiedlichsten Handwerksbetrieben absolviert, teilten das rheinland-pfälzische Arbeitsministerium und die Handwerkskammer (HwK) Koblenz am Freitag mit. Sie hätten sich etwa als Maurer, Tischler, Fliesenleger oder Kfz-Mechatroniker ausprobieren können und so erste Erfahrungen im Handwerk gesammelt, ergänzt mit einer Qualifizierung auch in HwK-Lehrwerkstätten.

Arbeitsminister Alexander Schweitzer (SPD) sagte, das aus der Not geborene Pionierprojekt «Aufbau-Ahr – Freiwillige Aufbauzeit im Ahrtal» sei einerseits soziales Engagement und andererseits auch wichtig, «weil wir viel mehr Menschen brauchen, die ins Handwerk gehen». Er ergänzte: «Ein Drittel der bisherigen Teilnehmenden hat in der Ahrregion eine Ausbildung oder eine Einstiegsqualifizierung im Handwerk begonnen.» Weiterlesen

Saarland drängt auf Tempo bei Kindergrundsicherung

Saarbrücken (dpa/lrs) – Das Saarland fordert im Bundesrat mehr Tempo bei der Einführung der Kindergrundsicherung. Im Entwurf einer Entschließung für die Sitzung der Länderkammer vom Freitag wird die Bundesregierung aufgefordert, «schnellstmöglich» einen Referentenentwurf vorzulegen und mit dem Gesetzgebungsverfahren dann «umgehend» zu beginnen. Mehr als jedes fünfte Kind in Deutschland wachse in Armut auf, heißt es in dem Antrag der Regierung von Ministerpräsidentin Anke Rehlinger (SPD), der der Deutschen Presse-Agentur vorliegt.

In dem Antrag wurde das von der Ampelkoalition vereinbarte Vorhaben der Einführung einer Kindergrundsicherung begrüßt. Damit sollten Familien gestärkt, die Kinderarmut bekämpft und die Chancengleichheit für alle Kinder gewährleistet werden. Zur Kinderarmut in Deutschland sagte Rehlinger: «Das ist ein untragbarer Zustand, den wir nicht länger dulden dürfen, denn die Kinder sind am härtesten und am längsten davon betroffen.» Weiterlesen

«Winteraktion Saar» erreicht Tausende Hilfsbedürftige

Saarbrücken (dpa/lrs) – Mehr als zehntausend hilfsbedürftige Menschen sind nach Schätzungen des saarländischen Sozialministers Magnus Jung (SPD) bislang von der «Winteraktion Saar» erreicht worden. Das Land hatte das Programm mit unterschiedlichen Hilfsangeboten gemeinsam mit Sozialverbänden, Vereinen, Organisationen und kirchlichen Trägern im vergangenen November gestartet. Ziel war es unter dem Motto «Das Saarland rückt zusammen», angesichts steigender Preise für Energie und Lebensmittel zusätzlich und niedrigschwellig Unterstützung zu schaffen. Bis Ende März stehen dafür 1,7 Millionen Euro bereit.

«Unsere Hoffnung war, dass wir am Ende eine kleine Bürgerbewegung für Solidarität im Land lostreten», sagte Jung am Dienstag in Saarbrücken. Dies sei in einer Art und Weise gelungen, «die uns positiv überrascht und wirklich zufrieden gemacht hat mit dem vielen Engagement und Ideen, die ganz viele Menschen und Organisationen entwickelt haben». Weiterlesen

Zügige Einigung auf Kindergrundsicherung gefordert

Berlin (dpa) – Der Paritätische Gesamtverband warnt Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) davor, die geplante Kindergrundsicherung scheitern zu lassen.

«Es wäre verwerflich, den Kampf gegen Kinderarmut gegen Rüstung auszuspielen», sagte Hauptgeschäftsführer Ulrich Schneider der «Stuttgarter Zeitung» und den «Stuttgarter Nachrichten» mit Blick auf Forderungen nach mehr Militärausgaben. «Es führt kein Weg an der Kindergrundsicherung vorbei. Und es ist Aufgabe des Finanzministers, die Mittel dafür zu besorgen.»

Vorgesehen ist, Leistungen vom Kindergeld über den Kinderzuschlag bis zur finanziellen Unterstützung für Klassenfahrten und Freizeit zu bündeln. Viele Familien beantragen Leistungen bislang nicht – wegen Unkenntnis oder bürokratischer Hürden. Familien und ihre Kinder sollen ab 2025 von der Grundsicherung profitieren. Familienministerin Lisa Paus (Grüne) hat ein Konzept vorgelegt, dessen Umsetzung etwa zwölf Milliarden Euro kosten würde. Weiterlesen

Afrikas Not in deutscher Schokolade

Von Basil Wegener, dpa

Agboville (dpa) – Leichter Kakaoduft durchzieht die Plantage. Die Füße rascheln beim Gehen durch eine dicke Laubschicht. Darunter der knochentrockene, harte Boden der Elfenbeinküste (Côte d’Ivoire) in Westafrika. Säckeweise produziert Bauer Sougue Moussa hier Kakaobohnen für die Schokoladenkonzerne der Welt.

Allein der Kakao in Deutschland kommt zu zwei Dritteln aus der Elfenbeinküste. Immer wieder schrecken Berichte über Kinderarbeit und Abholzung auf Afrikas Kakaoplantagen Verbraucherinnen und Verbraucher auf. Jetzt soll das deutsche Lieferkettengesetz gegen Missstände helfen – ist es ein wirksames Regelwerk oder ein zahnloser Papiertiger?

Knapp zwei Monate nach Inkrafttreten des Gesetzes machen sich Arbeitsminister Hubertus Heil und Entwicklungsministerin Svenja Schulze (beide SPD) in der Elfenbeinküste und Ghana ein Bild. Hat man hier deutsche Gesetze überhaupt auf dem Schirm? Beide Länder liefern 65 Prozent des Kakaos weltweit – doch viele Menschen leben in «bitterer Armut», wie Heil sagt.

Der Hauptgrund: «Der Preis im Markt ist viel zu niedrig», erklärt der deutsche Entwicklungsexperte Friedel Hütz-Adams vom Bonner Südwind-Institut. In den vergangenen Jahren habe sich der Kakaopreis etwa halbiert. Dabei gingen die Kosten für Benzin und Düngemittel auch in Westafrika teils steil nach oben. Allein in Ghana kam es laut einer neuen Oxfam-Studie zu einem Rückgang der Einkommen um mehr als 16 Prozent zwischen der Erntesaison 2019/20 und 2021/22 – trotz von der Regierung auferlegten Preiserhöhungen.

Überall Kinderarbeit

Jeweils rund 800.000 Kinder verrichten nach offiziell verbreiteten Zahlen in der Elfenbeinküste und in Ghana auf den Kakaoplantagen schwere Arbeit. Denn ihre Eltern können sich keine Beschäftigten für die harte Arbeit leisten. Die Kinder schuften mit der Machete, versprühen Pestizide oder tragen schweren Lasten.

Sougue Moussa zieht seine vier Kinder nicht zur Arbeit auf dem Feld heran, wie der 50-Jährige erzählt. Zwischen seinen Kakaobäumen strecken sich Bananen-, Orangen-, Mango- und Kautschuk-Bäume der grellen Sonne entgegen. Das verhilft Moussa zu zusätzlichem Einkommen und schützt die Kakaobäume, die Halbschatten mögen. Moussas ältester Sohn studiert sogar. Soll der Sohn einmal die Plantage übernehmen? «Solange die Preise nicht besser sind, kommt das nicht infrage», winkt Moussa ab. Der Sohn wolle auf jeden Fall etwas anderes machen und wohl Arzt werden.

Die Regierungen verschweigen die Probleme vor Ort nicht. «Die Bauern verdienen oft nicht genug», sagt Ghanas Handelsminister Samuel Abu Jinapor. Zwar ringen die Elfenbeinküste und Ghana mit den großen internationalen Händlern regelmäßig um auskömmliche Preise – doch die Macht der Regierungen gegen die Konzerne ist begrenzt. Das Existenzminimum von umgerechnet gut 400 Euro im Monat erreichen viele Familien nicht.

80 Prozent des Regenwalds zerstört

Auch um die Waldzerstörung reden die Behörden nicht herum. Oberst Moumouni Lougué von der Waldbehörde der Elfenbeinküste sagt: «Unser Wald ist immer weiter zerstört worden.» Seit der Unabhängigkeit 1960 wurden rund 80 Prozent des Regenwalds gerodet. 2,5 Millionen Hektar sind übrig. «Das Ziel ist, durch Aufforstung die bewaldete Fläche wieder auf 20 Prozent zu steigern», sagt Lougué.

Kakao darf schon lange nicht auf Kosten des natürlichen Waldes produziert werden. Und Kinderarbeit ist in den Ländern auch längst verboten. Doch sie kommt trotzdem vor. Was sollen da nun die neuen Gesetze aus Europa bringen? Das deutsche Lieferkettengesetz verpflichtet Unternehmen mit mindestens 3000 Beschäftigten, dass keine Kinderarbeit oder gravierende Umweltverstöße hinter ihren Produkten stecken. 2024 sinkt die Schwelle auf 1000 Beschäftigte. Die Firmen sollen Berichte dazu erstellen und Missstände abstellen. Auf EU-Ebene wird derzeit ein wohl noch strengeres Lieferkettengesetz erarbeitet. Dazu kommt eine geplante EU-Verordnung, die wohl ab 2024 Importe aus frisch entwaldeten Gebieten verbieten soll.

Doch wie soll das alles kontrolliert werden – zum Beispiel im mehr als 6000 Kilometer von Deutschland entfernten Agboville im ivorischen Wald? Die Regierung der Elfenbeinküste setzt dabei auf Digitalisierung, wie Schulze und Heil nicht ohne Verblüffung feststellten.

Digitalisierung hilft

Der Bauer Sougue Moussa hat schon eine entsprechende Plastikkarte. Stolz hält er sie in die schwüle Luft. Sie sieht aus wie eine EC-Karte, hat Chip, Daten und QR-Code. «Bis zum Ende der Erntesaison 2023/24 wollen wir sämtliche Erzeuger mit einer Karte ausstatten», verspricht Dadie Arsène von der Kakao-Kontrollbehörde. «Wir wissen dann genau, von welcher Parzelle welche Kakaosäcke kommen.» Dann soll geprüft werden können, ob die Anforderungen in der Lieferkette eingehalten werden. Über die Karte sollen die Bäuerinnen und Bauern auch bezahlt werden können.

Der Bonner Experte Hütz-Adams sieht im Lieferkettengesetz und den geplanten EU-Regeln einen Grund zur Hoffnung. «Im Kakaosektor werden die Gesetze erhebliche Auswirkungen haben», sagt er. «Das erzeugt sehr viel Druck innerhalb der Kakao- und Schokoladenindustrie.» Ein Entwicklungshelfer in Agboville sagt: «Unternehmen müssen fürchten, dass sie im Wettbewerb gegen die Konkurrenz verlieren, wenn sie das nicht ernst nehmen.»

Heil räumt ein: «Das Gesetz ist keine Zauberformel für die Schaffung der Menschenrechte in der gesamten Welt.» Die Preise dürften erstmal niedrig bleiben. Hütz-Adams sieht hier die Schokoladenhersteller in der Pflicht. Denn bei einer durchschnittlichen Tafel Vollmilchschokolade zum Beispiel zahlten Verbraucherinnen und Verbraucher nur 8 Cent des Preises für den Kakao. «Und nur 4,5 Cent kommen bei den Bauern an.»

Dabei seien die Gewinnmargen im Kakaomarkt in jüngster Zeit massiv gestiegen, sagt der Experte. Laut einer Studie von Agrarökonomen der Universität Arkansas könnten die Bauern ihren Kindern schwere Formen von Kinderarbeit ersparen, wenn der Kakaopreis um 2,8 Prozent höher läge.

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