Harter Bericht über Londons Polizei

Von Benedikt von Imhoff, dpa

London (dpa) – Tief sitzender Hass auf Homosexuelle, institutioneller Rassismus sowie weit verbreitete Frauenfeindlichkeit: Ein neuer Untersuchungsbericht hat schonungslos eine verrohte Kultur in der Londoner Polizei aufgedeckt.

Die Metropolitan Police (Met) habe dabei versagt, Frauen vor Sexualstraftätern in Uniform zu beschützen, urteilte Louise Casey, die mit dem Report beauftragt worden war. «Es ist nicht unsere Aufgabe als Öffentlichkeit, uns vor der Polizei zu schützen. Es ist die Aufgabe der Polizei, uns Bürger zu schützen», sagte Casey, die als unabhängiges Mitglied im Oberhaus sitzt. «Viel zu viele Londoner haben das Vertrauen in die Polizei verloren.»

Immer wieder neue Skandale

Seit Jahren kommt die Met nicht aus der Krise. Sinnbildlich steht der Fall Sarah Everard. Dass ein Polizist die 33-Jährige im März 2021 unter Einsatz seines Dienstausweises entführte sowie anschließend vergewaltigte und ermordete, hat das Ansehen der Bobbys – so der freundliche Spitzname der britischen Schutzpolizisten, mit denen Touristen gerne posieren – zutiefst erschüttert.

Doch auch nach der Verurteilung des Täters zu lebenslanger Haft treten immer neue Skandale zutage. Erst im Februar wurde ein Beamter, der in derselben Einheit diente wie der Everard-Mörder, zu jahrzehntelanger Haft verurteilt – er hatte über einen Zeitraum von fast 20 Jahren ein Dutzend Frauen immer wieder vergewaltigt und missbraucht.

Der Mörder sowie der Serienvergewaltiger in Uniform sind beileibe keine Einzelfälle, wie Aufklärerin Casey deutlich machte. Auf die Frage, ob es in der Met noch mehr kriminelle Beamte geben könnte, antwortete die ehemalige Regierungsbeschäftigte: «Ich kann Ihnen nicht ausreichend versichern, dass dies nicht der Fall ist.»

Sexismus, Rassismus und Homophobie

Erst am Montag wurde bekannt, dass mehr als 100 Polizisten, gegen die wegen sexuellen Fehlverhaltens ermittelt wird, regulär im Dienst sind. Caseys 363 Seiten starker Bericht macht deutlich, dass Gewalt gegen Frauen und Mädchen nicht so ernst genommen wurde wie andere Arten von Gewalt – auch innerhalb der Met sei Mobbing verbreitet.

«Beamtinnen und weibliche Beschäftigte sehen sich routinemäßig mit Sexismus und Frauenfeindlichkeit konfrontiert», heißt es. «Die Met hat ihre weiblichen Angestellten oder Mitglieder der Öffentlichkeit weder vor Tätern in der Polizei, die häusliche Gewalt anwenden, noch vor denen geschützt, die ihre Position für sexuelle Zwecke missbrauchen.»

Doch das ist nur ein Teil der schmerzhaften Wahrheit. Die Behörde ist zudem institutionell rassistisch, wie Casey betonte. Damit hat sich die Lage seit einer Untersuchung von 1999 so gut wie nicht verändert. Schließlich herrsche in der Met eine «tief sitzende Homophobie», urteilte Casey. Ihr Bericht sei «drastisch, streng und schonungslos».

Zur sexistischen, rassistischen und homophoben Kultur kommen kaum vorstellbare Arbeitsbedingungen hinzu. So müssten Beamte ihre Beweismittel in «überfüllten, baufälligen oder kaputten Kühl- und Gefrierschränken» verstauen. Manche Geräte sind so voll, dass sie zugeschnallt werden müssen. In einem Fall wurde eine Lunchbox im selben Kühlschrank gefunden wie eine Probe aus einem Vergewaltigungsfall. In einem anderen ging ein Kühlschrank kaputt – die dort aufbewahrten Beweismittel waren dadurch unbrauchbar. Der größte Teil der Belegschaft sei überarbeitet und unerfahren.

Casey fordert «völlige Überholung»

Vor allem bei häuslicher Gewalt seien Fallzahlen nicht überschaubar, Opfer würden nicht ausreichend unterstützt, heißt es weiter. «Das hat die Abkopplung von den Londonern verschärft.» Die Bewohner der britischen Hauptstadt seien die Leidtragenden. Zu ähnlichen Schlüssen war im Herbst bereits ein Untersuchungsbericht der Aufsichtsbehörde HMICFRS gekommen.

Demnach ist die Aufklärungsrate bei Vergewaltigungen und Einbrüchen miserabel, dafür die Zahl der Straftäter in Uniform hoch. Einstellungen würden nicht ausreichend überprüft – wohl auch, weil nach einer radikalen Kürzungswelle seit wenigen Jahren wieder in breitem Maßstab eingestellt wird.

In der Pflicht ist nun mehr denn bisher Londons oberster Polizist Mark Rowley, der seit einem halben Jahr an der Spitze der Met steht. Seit Amtsantritt hat der Commissioner deutlich gemacht, dass er rigoros gegen korrupte und gewalttätige Polizisten durchgreifen wird. Es würde ihn nicht wundern, wenn wöchentlich zwei bis drei Beamte vor Gericht landen, sagte Rowley im Januar.

Mit dem neuesten Bericht steht die Met endgültig auf dem Prüfstand, von einer «letzten Chance» war schon vorab die Rede. Nun forderte Casey eine «völlige Überholung» der Behörde. Caseys Fazit: Wenn sich die Truppe nicht reformiert, drohe ihr die Auflösung.

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SPD-Frauen fordern Bestrafung von Freiern

Berlin (dpa) – Die Frauenorganisation der SPD hat sich für eine Bestrafung von Freiern auch in Deutschland ausgesprochen. «Das Prostitutionsgesetz ist gescheitert», sagte die Vorsitzende der Arbeitsgemeinschaft sozialdemokratischer Frauen, Maria Noichl, der «Rheinischen Post» mit Blick auf das 2002 in Kraft getretene Gesetz, mit dem die damalige rot-grüne Koalition die rechtliche und soziale Lage der Prostituierten verbessern wollte. Weiterlesen

Internationale Geber sammeln Spenden für Erdbebenopfer

Brüssel (dpa) – Zur Unterstützung der Erdbebenopfer in der Türkei und in Syrien richtet die EU heute eine internationale Geberkonferenz aus. Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen und der schwedische Regierungschef Ulf Kristersson haben nach Brüssel eingeladen, um Spenden für Hilfs- und Wiederaufbaumaßnahmen nach der Katastrophe zu sammeln. Schweden hat derzeit den Vorsitz der EU-Staaten inne.

Am 6. Februar hatten zwei Erdbeben der Stärke 7,7 und wenig später der Stärke 7,6 die Südosttürkei und den Norden Syriens erschüttert. Insgesamt kamen mehr als 50.000 Menschen ums Leben und Millionen wurden obdachlos. Millionen Menschen leben in Notunterkünften. Weiterlesen

Evaluation von «Gemeindeschwester plus» wird präsentiert

Mainz (dpa/lrs) – Es startete im Jahr 2015, nach und nach wurde das Projekt «Gemeindeschwester plus» auf immer mehr Kommunen ausgeweitet – und bis 2026 soll es nach dem Willen der rheinland-pfälzischen Landesregierung ein flächendeckendes Angebot geben. An diesem Montag (9.30 Uhr) wird Sozialminister Alexander Schweitzer (SPD) gemeinsam mit dem Institut für angewandte Versorgungsforschung einen Evaluationsbericht vorstellen. Weiterlesen

Streit um künftigen Mindestlohn – Teuerung erhöht den Druck

Von Basil Wegener, dpa

Berlin (dpa) – Angesichts der hohen Inflation ist Streit um die nächste Mindestlohnerhöhung in Deutschland entbrannt. Der Sozialverband Deutschland forderte eine kräftige Erhöhung von 12 auf 14,13 Euro pro Stunde. Die Arbeitgeber warnten vor «unrealistischen Höhen». Doch auch von den Gewerkschaften und aus der SPD kommt der Ruf nach stärkerer Entlastung der Beschäftigten.

Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) machte deutlich, dass Fürsprecher einer kräftigen Steigerung nicht erneut direkte Hilfe der Politik erwarten dürfen. Zuständig ist wieder die Mindestlohnkommission. Hinter ihren verschlossenen Türen startet nun das Ringen um den Mindestlohn 2024.

Sprunghafter Anstieg gefordert

Mehr als sieben Jahre nach Einführung – 2015 mit 8,50 Euro je Stunde – erhöhte die Ampel-Koalition die Lohnuntergrenze erstmals per Gesetz. Der Mindestlohn stieg zum Oktober 2022 von 10,45 Euro auf 12 Euro. Doch als die SPD dafür im Bundestagswahlkampf 2021 geworben hatte, ahnte niemand die folgenden Preissprünge vor allem infolge des russischen Kriegs in der Ukraine. Damit ist es noch nicht vorbei: Die Verbraucherpreise lagen im Februar wie im Januar um 8,7 Prozent über dem Niveau des Vorjahresmonats. Nach einem Jahr Krieg mit seinen Folgen müsse die Inflation bei der Mindestlohnerhöhung Anfang 2024 stärker ausgeglichen werden, sagte die Chefin des Sozialverbands Deutschland, Michaela Engelmeier, den Zeitungen der Funke Mediengruppe. «Dafür müsste der Mindestlohn nach unseren Berechnungen auf 14,13 Euro steigen.» Denkbar sei, «dass der Mindestlohn schrittweise auf diesen Wert angehoben wird», so der Verband in einer der Deutschen Presse-Agentur vorliegenden Stellungnahme.

DGB will kräftig ausgleichen

Der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) nennt keine Zahl – aber räumt ein: «Ja, die Inflation frisst die letzte Mindestlohnerhöhung weitgehend auf», wie DGB-Vorstandsmitglied Stefan Körzell der Deutschen Presse-Agentur sagte. «Wir werden uns in der Mindestlohnkommission für einen kräftigen Ausgleich einsetzen.» Vor allem Geringverdienerinnen und -verdiener litten unter Preissteigerungen. Körzell verweist zudem auf die EU: Ihre neue Mindestlohnrichtlinie schreibe eine entschiedene Berücksichtigung der Kaufkraft vor. Auch der SPD-Abgeordnete Sebastian Roloff sagte: «Wir müssen weiter diejenigen besonders entlasten, die von der Inflation am stärksten betroffen sind.» Die Erhöhung des Mindestlohns wäre dafür effektiv, so der SPD-Linke zum «Handelsblatt». Der Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW), Marcel Fratzscher, hatte in der Zeitung bereits gefordert, die Politik müsse über eine erneute Erhöhung des Mindestlohns nachdenken.

Arbeitgeber in Alarmstimmung

Bei Deutschlands Arbeitgebern schrillen da die Alarmglocken. «Die jüngst erhobenen Forderungen, die Anpassung in unrealistische Höhen zu schrauben, erweist sich als wiederholter Versuch eines Anschlags auf die Tarifautonomie», sagte der Hauptgeschäftsführer ihres Verbands BDA, Steffen Kampeter, der dpa. «Die anstehende Anpassung des Mindestlohns darf keinesfalls erneut für politische Eingriffe missbraucht werden.» Bereits vergangenes Jahr hatte die BDA vehement dagegen protestiert, dass der Gesetzgeber die Lohnuntergrenze anhob. Normalerweise verhandeln Vertreterinnen und Vertretern von Arbeitgebern und Arbeitnehmern sowie der Wissenschaft darüber – in der Mindestlohnkommission. Bis zu diesem Freitag hatten die maßgeblichen Verbände Zeit, dem Gremium ihre Stellungnahmen zu schicken. Das brachte die neue Debatte überhaupt erst ins Rollen.

Scholz stellt Verfahren klar

Prompt meldete sich Kanzler Scholz zu Wort. «Es ist sehr gut, dass wir im Oktober letzten Jahres den Mindestlohn auf 12 Euro angehoben haben», sagte er nach einem Spitzengespräch der deutschen Wirtschaft in München. «Klar verbunden mit dieser Aussage war das Versprechen, dass das eine einmalige durch Gesetz geschaffene Erhöhung ist.» Und dass dann zum regelmäßigen Erhöhungsmechanismus zurückgekehrt werde – also zur Kommission. Auch Kampeter (BDA) und Körzell (DGB) treffen hier direkt aufeinander. Die Linke-Sozialexpertin Susanne Ferschl bemängelte, dass das Gremium «allein im stillen Kämmerlein» berate. Als zentraler Maßstab für die Beratungen hat das Gremium laut Gesetz die Entwicklung der Tariflöhne zu nehmen – also unter anderem auch wie viel etwa Verdi unter erhöhtem Warnstreik-Druck im öffentlichen Dienst herausholt. Aber die Kommission muss auch darauf achten, dass zu hohe Mindestlöhne nicht Beschäftigung gefährden – und zu niedrige den gebotenen Mindestschutz für die Beschäftigten nicht verfehlen.

Wirkung gegen Inflation sinkt

Doch wie gut wirkt der Mindestlohn gegen die Inflation? Ganz ordentlich – bisher. So lässt sich eine neue Studie des Instituts WSI der gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung zusammenfassen. Nur rund jedes zweite EU-Land konnte demnach vergangenes Jahr mit höheren Mindestlöhnen die hohe Inflation ausgleichen – «vergleichsweise gut» auch Deutschland. Zwischen Anfang 2022 und Anfang 2023 hätten Menschen mit Mindestlohn inflationsbereinigt um 12,4 Prozent höhere Stundenlöhne bekommen. «Da die nächste Mindestlohnanpassung erst zum Januar 2024 vorgesehen ist, werde ein Teil des Zuwachses durch die weiterhin hohe Inflation in diesem Jahr aufgezehrt», so die Forscher aber. In Frankreich, den Niederlanden oder Belgien steige die Lohngrenze dagegen auch im Jahr 2023.

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Entspannung fürs Konto: Erste Studierende bekommen 200 Euro

Berlin (dpa) – Ein halbes Jahr nach Ankündigung der 200-Euro-Energiepreispauschale für Studierende und Fachschüler wird ab heute für die ersten Betroffenen das Geld überwiesen. Das erfuhr die Deutsche Presse-Agentur aus dem Bundesbildungsministerium und dem Digitalministerium in Sachsen-Anhalt. «Die ersten Antragsteller werden die Einmalzahlung in Kürze auf ihrem Konto haben», sagte Bundesbildungsministerin Bettina Stark-Watzinger (FDP) der dpa.

Eine Testphase der entsprechenden Antragsplattform im Internet mit Hochschulen und Fachschulen in mehreren Bundesländern ist den Angaben zufolge erfolgreich verlaufen. «Die Testphase ist technisch geglückt», sagte Sachsen-Anhalts Digitalministerin Lydia Hüskens (FDP). Etwa 12.800 Antragsteller hätten ihre Bewilligungsbescheide erhalten. Heute werde der Bund die Energiepreispauschale anweisen. Weiterlesen

Einsamkeit kann schmerzhaft und gesundheitlich riskant sein

Von Anja Sokolow, dpa

Berlin (dpa) – Wenn der Freundeskreis schrumpft, Partner sterben, die Gesundheit nicht mehr mitmacht oder auch das Geld für Kino und Restaurantbesuche fehlt, können vor allem ältere Menschen schnell in die Einsamkeit abrutschen. Ein Gefühl, das auch Helga Müller aus Berlin-Tempelhof kennt. Ihre Tochter lebt in Athen, die Freunde sind krank, verstorben oder weggezogen. «Ich gehe zwar jeden Tag raus, kaufe ein und mache meine Gymnastik, aber zum Reden fehlt mir jemand», sagt die 85-Jährige.

Seit fast zwei Jahren kann sich die Rentnerin immerhin auf ein ausgiebiges Gespräch pro Woche freuen. Der in verschiedenen Großstädten aktive Verein «Freunde alter Menschen» hat ihr Jan Römmler, einen Besuchspaten, vermittelt. «Ich möchte meine Zeit sinnvoll nutzen und anderen schenken», sagt der 50-jährige gelernte Koch und Frührentner. Man sieht Helga Müller die Freude an. Sie strahlt, als Römmler sie zum Spaziergang abholt.

Familienministerin will Thema stärker beleuchten

Das Thema Einsamkeit rückt immer mehr in den Fokus von Politik und Wissenschaft. Im Juni 2022 gab Familienministerin Lisa Paus (Grüne) den Startschuss für eine «Strategie gegen Einsamkeit». «Ziel ist es, das Thema in Deutschland stärker zu beleuchten und Einsamkeit stärker zu begegnen», erklärt Axel Weber vom «Kompetenznetz Einsamkeit» (KNE), das das Ministerium wissenschaftlich unterstützt.

In einer Studie des KNE heißt es, dass vor der Covid-19 Pandemie rund 14 Prozent der Menschen in Deutschland einsam waren. Während der Pandemie sei der Anteil auf 42 Prozent im Jahr 2021 gestiegen. Allerdings wurden alle Menschen mitgezählt, die angaben, sich mindestens manchmal einsam zu fühlen.

«Wirklich dauerhaft einsam fühlt sich eine Minderheit. Die meisten Menschen fühlen sich geborgen», sagt Einsamkeitsforscherin Maike Luhmann von der Ruhr-Universität Bochum. Sie geht von etwa fünf Prozent an chronisch einsamem Menschen in der Bevölkerung aus.

Wie sich die Zahl der Einsamen seit der Corona-Pandemie entwickle, wisse man noch nicht. Statistiken seien generell schwierig. «Es gibt keine messbare Definition. In der Wissenschaft wird Einsamkeit als ein Zustand definiert, bei dem die sozialen Beziehungen nicht den Erwartungen der Menschen entsprechen. Dieser Punkt ist für jede Person irgendwo anders», so Luhmann.

Einsamkeitsforschung steckt noch in den Kinderschuhen

Es lasse sich auch nicht sagen, dass sich die Zahl der Einsamen in den vergangenen Jahrzehnten erhöht habe. «Wir wissen nicht, wie einsam die Menschen vor 20, 30 oder 50 Jahren waren», so Luhmann. Die Einsamkeitsforschung stecke in Deutschland noch in den Kinderschuhen. Heute lebten zwar viele Menschen allein. Das bedeute aber nicht automatisch, dass sie sich auch einsam fühlten.

Das KNE will das bestehende Wissen über Einsamkeit bündeln und neues Wissen generieren. Unter anderem erarbeiten die Wissenschaftler laut Weber ein Einsamkeitsbarometer, um Daten über das Phänomen in verschiedenen Bevölkerungsgruppen zu gewinnen, die sich auch über den Zeitverlauf vergleichen lassen.

Einsamkeit kann krank machen: «Einsamkeit tut weh. Bei chronischer Einsamkeit werden im Gehirn dieselben Areale aktiviert wie bei Schmerz», so Psychologin Luhmann. Es gebe zwar keine klinische Diagnose im klassischen Sinne für das Gefühl und auch keine Therapien oder Medikamente. Man wisse aber, dass Einsamkeit mit großen Risiken einhergehe. So könne chronische Einsamkeit sowohl psychische als auch physische Erkrankungen wie Depressionen, koronare Herzerkrankungen, Schlaganfälle oder Herzinfarkte begünstigen.

Dauerstress in ständiger Alarmbereitschaft

«Wir sind soziale Tiere und dafür gemacht, in Gruppen mit anderen zu leben und dort besonders gut zu funktionieren. Einsamkeit ist gar nicht programmiert in unseren Körpern und unseren Seelen», ergänzt Eva Peters, Fachärztin für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie an der Universität Gießen. Das Gefühl der Einsamkeit bedeute Dauerstress für den Körper, da er sich in ständiger Alarmbereitschaft befinde. Es fehle das soziale Umfeld als Puffer für mögliche Gefahrensituationen.

Eine weitere Gefahr bestehe in der fehlenden intellektuellen Herausforderung. «Wenn keine Interaktion und Reize kommen, verkümmert das Gehirn wie ein unbenutzter Muskel. Das kann der Beginn von Alzheimer und Demenz sein», so Peters.

«Einsamkeit kann einen Menschen von innen regelrecht auffressen», beobachtet Besuchspate Jan Römmler. So habe Helga Müller in der ersten Zeit einen verkümmerten Eindruck gemacht. «Inzwischen ist sie richtig aufgeblüht», so die Einschätzung Römmlers.

Politik ist gefragt

Eine der wichtigsten Maßnahmen gegen Einsamkeit aus Luhmanns Sicht: Prävention. «Gerade bei Älteren muss man viel in diese Richtung denken, sie ermutigen, dass sie sich, wenn sie es noch können, um ihre sozialen Beziehungen kümmern, sich ein Netz aufbauen.»

Vor allem auch die Politik sei gefragt, etwa bei der Gestaltung des öffentlichen Raumes. «Orte und Gebäude müssten so konzipiert sein, dass sie allen Menschen zugänglich sind. Es geht letztlich immer um Teilhabe». Bei Älteren sehe sie auch eine große Chance in der Digitalisierung, so Luhmann. Helga Müller zum Beispiel besitzt aber weder Smartphone noch Internet. Auf den Verein Freunde alter Menschen wurde sie durch einen Artikel in einem Mieter-Magazin aufmerksam.

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Kindergrundsicherung: Finanzierung sorgt für Streit

Von Stella Venohr, dpa

Berlin (dpa) – Die sogenannte Kindergrundsicherung ist eines der größten sozialpolitischen Vorhaben der Ampel. Sie soll staatliche Leistungen für Kinder bündeln – einem Konzept von Familienministerin Lisa Paus (Grüne) zufolge kostet die Umsetzung etwa zwölf Milliarden Euro. Geld, das Finanzminister Christian Lindner (FDP) wegen der Verschuldung der letzten Jahre nicht ausgeben will.

Eckpunkte der Kindergrundsicherung

Bei der Kindergrundsicherung sollen ganz unterschiedliche Leistungen gebündelt werden. Darunter fallen beispielsweise das Kindergeld, der Kinderzuschlag und auch finanzielle Unterstützung für Klassenfahrten. Oftmals wissen Familien bislang nicht, dass sie diese Leistungen beantragen können. Zudem erscheinen die bürokratischen Hürden zu hoch.

Um das zu beheben ist ein einfach zu bedienendes «Kindergrundsicherungsportal» geplant. Über einen «Kindergrundsicherungs-Check» sollen Familien auch aktiv darauf hingewiesen werden, dass sie möglicherweise Ansprüche auf weitere Zahlungen haben. Aus der bisherigen Holschuld der Bürger soll eine Bringschuld des Staates werden, lautet das Motto im Familienministerium.

Kindergeld soll zu Garantiebetrag werden

Ein sogenannter Garantiebetrag soll künftig Teil der Kindergrundsicherung sein und damit das heutige Kindergeld ersetzen. Dies liegt bei 250 Euro pro Monat und Kind. Damit Kinder aus armen Familien besonders unterstützt werden, soll gestaffelt nach finanzieller Lage der Berechtigten ein Zusatzbetrag obendrauf kommen. Sobald die Kinder volljährig sind und nicht mehr bei ihrer Familie wohnen, soll das Geld direkt an sie gehen, um Ausbildung oder Studium zu bezahlen.

Streit um die Finanzierung

Die Ampel-Regierung hatte im Koalitionsvertrag vereinbart, mit der Kindergrundsicherung mehr Kinder aus der Armut holen zu wollen. «Diese Leistung soll ohne bürokratische Hürden direkt bei den Kindern ankommen und ihr neu zu definierendes soziokulturelles Existenzminimum sichern», heißt es in dem Papier. Doch die Auslegung der Formulierung bietet nun Spielraum: Die Grünen und Familienministerin Paus wollen die individuellen Leistungen für Kinder erhöhen. Aus ihrer Sicht braucht es insgesamt etwa zwölf Milliarden Euro für das Projekt Kindergrundsicherung.

Finanzminister Lindner rechnet aber mit deutlich geringeren Kosten. «Es gibt Einvernehmen, dass wir die den Familien zustehenden Leistungen automatisiert, digitalisiert zur Verfügung stellen», sagte Lindner. Alleine die Bewilligungen für berechtigten Familien zu automatisieren, werde 2025 schätzungsweise zwei bis drei Milliarden Euro kosten.

Kindergrundsicherung soll 2025 kommen

Am Gesetz dafür arbeitet die Ampel momentan. Ein Gesetzentwurf ist für Herbst geplant, 2025 könnte die Kindergrundsicherung eingeführt werden. Abzuwarten bleibt, was aus dem Streit in der Koalition bei dem Thema wird – nach Ansicht von Lindner liegt noch Arbeit vor der Ampel. Doch die Bündelung von staatlichen Leistungen für Familien sei ja auch erst für 2025 vorgesehen, bremste der FDP-Chef zuletzt.

Armut bei Familien

Der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) fordert mit Blick auf die Armutsgrenze eine höhere Kindergrundsicherung als die heutigen Sätze für Kinder beim Bürgergeld. «Die Leistungen des Bürgergeldes für Familien liegen unter der offiziellen Armutsgrenze – ein nicht akzeptabler Skandal, der auf dem Rücken armer Kinder stattfindet», sagte DGB-Vorstandsmitglied Anja Piel.

Ein Rechenbeispiel des DGB macht deutlich, dass das Armutsrisiko bei der derzeitigen Inflation noch mal gestiegen ist: Der Bürgergeldanspruch einer Alleinerziehenden mit einem 14-jährigen Kind liege 174 Euro unterhalb der Armutsgrenze für diesen Haushaltstyp, teilte der DGB der Deutschen Presse-Agentur mit. Berücksichtigt man nun die aktuelle Preisentwicklung des Jahres 2023 liegen die Leistungen nach Berechnungen des DGB für eine Alleinerziehende mit einem 14-jährigen Kind sogar 415 Euro unter der Armutsgrenze.

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Saarland hat relativ zur Bevölkerung die meisten Vereine

Berlin/Saarbrücken (dpa/lrs) – Im Saarland gibt es im bundesweiten Vergleich relativ zur Bevölkerung die meisten Vereine. 2022 verzeichnete das Land elf Vereine pro 1000 Einwohner, gefolgt von Rheinland-Pfalz (zehn) und Thüringen (neun), wie aus dem am Dienstag in Berlin vorgelegten Trendbericht der Zivilgesellschaft in Zahlenweise (Ziviz) im Stifterverband hervorgeht. Weiterlesen

Vereinsanzahl: RLP relativ zur Bevölkerung auf Platz zwei Gesellschaft

Berlin/Mainz (dpa/lrs) – Rheinland-Pfalz zählt bundesweit relativ zur Bevölkerung die zweitmeisten Vereine. 2022 verzeichnete das Land zehn Vereine pro 1000 Einwohner, wie aus dem am Dienstag in Berlin vorgelegten Trendbericht der Zivilgesellschaft in Zahlenweise (Ziviz) im Stifterverband hervorgeht. Davor liege nur das benachbarte Saarland mit elf Vereinen auf 1000 Einwohner, den dritten Platz belege Thüringen mit neun Vereinen. Weiterlesen

Familienministerin: «Wir leben nach wie vor im Patriarchat»

Berlin (dpa) – Bundesfamilienministerin Lisa Paus dringt auf die Überwindung der Ungleichbehandlung von Frauen und Männern. «Wir leben nach wie vor im Patriarchat, von dem wir uns verabschieden müssen», sagte die Grünen-Politikerin dem «Tagesspiegel». «Für mich ist das Patriarchat vorbei, wenn Frauen ökonomisch und politisch gleichgestellt sind, die Hälfte der Macht den Frauen gehört, und geschlechtsspezifische Gewalt nicht als individuelle Tat verharmlost wird, sondern als patriarchales Denk- und Verhaltensmuster anerkannt und geahndet wird.» Paus äußerte sich vor dem «Equal Pay Day» am 7. März. An dem Tag wird auf Ungleichheiten bei der Bezahlung von Männern und Frauen hingewiesen und die Dringlichkeit betont, solche Zustände zu überwinden. Am Mittwoch ist Internationaler Frauentag.

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