Verstöße gegen Mehrwegpflicht: Umweltverbände machen Druck

Von Christine Schultze, dpa

Berlin/Radolfzell (dpa) – Umweltorganisationen beklagen eine nur lückenhafte Umsetzung der neuen Mehrweg-Angebotspflicht im Gastgewerbe und erhöhen den Druck auf die Branche: So plant Greenpeace ein Hinweisportal, auf dem Kunden Betriebe melden können, die trotz Verpflichtung keine Mehrwegverpackungen für Getränke oder To-Go-Speisen anbieten, wie Viola Wohlgemuth von Greenpeace der Deutschen Presse-Agentur in Berlin sagte.

Auch die Deutsche Umwelthilfe spricht auf Basis von Testkäufen von Verstößen auch großer Anbieter, gegen die man rechtlich vorgehen wolle. Das Gastgewerbe verweist derweil auf hohe Belastungen für die Betriebe.

Dehoga beklagt «organisatorischen und logistischen Aufwand»

«Die neue Mehrwegangebotspflicht ist für die Betriebe mit erheblichem organisatorischem und logistischem Aufwand verbunden», erklärte die Hauptgeschäftsführerin des Deutschen Hotel -und Gaststättenverbands (Dehoga), Ingrid Hartges. Um Lebensmittel in Mehrwegbehältern in hygienisch unbedenklicher Weise anbieten zu können, müssten bauliche und technische Voraussetzungen geschaffen werden. «Dies alles ist mit neuen Kosten verbunden» – in einer ohnehin für die Branche herausfordernden Zeit. Zudem registrierten die Anbieter «offensichtlich keine nennenswert erhöhte Nachfrage» der Kunden nach den Mehrweg-Varianten.

Die Deutsche Umwelthilfe will solche Argumente so nicht gelten lassen, zumal die Branche genügend Zeit gehabt habe, sich vorzubereiten. An diesem Donnerstag will sie die Ergebnisse eigener Recherchen bei 16 großen Gastronomieketten vorstellen, «darunter Filialen der Systemgastronomie, des Einzelhandels, Bäckereien, Cafés und Kinos», wie der Verein ankündigte.

«Selbst große Gastronomieketten weigern sich, Mehrwegalternativen anzubieten – trotz ausreichend zeitlichem Vorlauf und vorhandenen Ressourcen.» Dies könne man jetzt auch mit gerichtsfesten Belegen untermauern. Bereits zum Inkrafttreten der Regelungen hatte die Umwelthilfe bemängelt, dass diese in ihrer jetzigen Form ins Leere zu laufen drohten.

Bußgelder von bis zu 10.000 Euro

Restaurants, Bistros und Cafés, die Essen für unterwegs verkaufen, müssen seit Jahresbeginn neben Einweg- auch in Mehrwegverpackungen dafür anbieten – sofern sie Einweg-Verpackungen aus Kunststoff nutzen. Bei Getränken aller Art muss es eine Mehrweg-Alternative geben. Ausnahmen gelten für kleinere Geschäfte, die nicht größer als 80 Quadratmeter sind und höchstens fünf Beschäftigte haben. Dort müssen Kunden aber die Möglichkeit bekommen, eigene Behälter befüllen zu lassen. Bei Verstößen drohen Bußgelder von bis zu 10.000 Euro.

Auch Greenpeace-Expertin Wohlgemuth pocht auf eine Durchsetzung der Regelungen durch die zuständigen Landesbehörden – mit strafrechtlicher Verfolgung bei Verstößen. Das Hinweisportal solle im März zur Verfügung stehen und auch Verstöße gegen das Gesetz abbilden, die Greenpeace im Rahmen eigener Testkäufe festgestellt hatte.

Nötig sei eine «gesetzliche Mehrweg-Pflicht für Verpackungen egal welchen Materials», so Wohlgemuth. Damit das funktioniert, müssten die Verbraucher die Behälter über ein einheitliches Poolsystem deutschlandweit bei jedem Gastro-Betrieb oder an Automaten zurückgeben können, ähnlich wie handelsübliche Mineralwasserflaschen aus Glas.

Kreislauf als Konzept

Die Initiative Reusable To-Go will im Rhein-Main-Gebiet zeigen, dass das geht. Schließlich sei im Getränkehandel die erforderliche Logistik und Infrastruktur bereits vorhanden und langjährig erprobt, wie Frank Maßen von der Initiative sagt. Ein Pilotmarkt in den Städten Wiesbaden und Mainz mit vernetzten Ausgabe- und Rücknahmestellen soll in diesem Frühsommer an den Start gehen. Neben der passenden IT und Pfandabwicklung brauche es dafür Transport- und Spülkapazitäten.

In diesen Kreislauf sollen sich bereits bestehende und auch neue Mehrwegsysteme einbinden lassen. «Wir wollen sicherstellen, dass sich auch kleinen Anbietern Chancen bieten», sagte Maßen. Das Konzept, das politisch von den Umweltministerien von Hessen und Rheinland-Pfalz unterstützt wird, lasse sich künftig auch auf andere Kommunen übertragen. Der Beirat der Initiative setzt sich aus Vertretern der Verbände Pro Mehrweg und Getränkefachgroßhandel sowie des Arbeitskreises Mehrweg und des Dehoga zusammen.

Umweltbundesamt für Ausweitung der Mehrwegpflicht

Auch aus Sicht des Umweltbundesamtes sind weitere Anstrengungen notwendig, um Mehrwegsysteme zu stärken. Die Behörde sprach sich daher für eine Ausweitung der Mehrweg-Angebotspflicht auf alle Einweg-Lebensmittelverpackungen aus, die im jeweiligen Betrieb befüllt werden. Dies sei «notwendig um Ausweichbewegungen auf andere Einwegmaterialien, wie Papier und Pappe zu verhindern».

Auch dürfte der Anreiz, Mehrwegverpackungen oder -geschirr zu nutzen, erhöht werden, wenn diese gegenüber Einwegverpackungen finanziell bessergestellt würden. Bereits jetzt sei dies auf freiwilliger Basis möglich, erklärte das Umweltbundesamt. Diese und andere Vorschläge wolle man beratend auch beim Bundesumweltministerium einbringen.

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Verlorene BMW-Klage – Umwelthilfe geht in nächste Instanz

München (dpa) – Die Deutsche Umwelthilfe (DUH) ist am Dienstag mit einer Klimaklage gegen BMW in erster Instanz am Landgericht München I gescheitert. Nach Ansicht der Kläger ist das letzt Wort damit aber noch nicht gesprochen. Der Verein will mit seinem Anliegen in die nächste Instanz gehen – und zur Not auch bis zum Bundesgerichtshof.

Die Umwelthilfe hatte von dem Münchner Autobauer gefordert, dass er den Verkauf von Benzin- und Dieselautos ab 2030 einstellt und bis dahin die CO2-Emissionen seiner Fahrzeuge drastisch reduziert. Der Konzern hatte die Forderung als unbegründet abgelehnt. Die Entscheidung des Landgerichts ist bislang nicht rechtskräftig. Weiterlesen

In der Arktis liegt Müll aus aller Welt

Bremerhaven (dpa) – In der Arktis findet sich einer Studie zufolge Müll aus aller Welt. Auch aus Deutschland gelange Plastik und anderer Abfall in das nördliche Polarmeer, teilte das Alfred-Wegener-Institut (AWI) in Bremerhaven mit. In die Auswertung wurde demnach Müll einbezogen, den Teilnehmende von Arktisreisen in fünf Jahren an den Stränden von Spitzbergen gesammelt hatten.

Der Großteil der insgesamt gefundenen Abfälle gehe auf Fischerei und Schifffahrt zurück, hieß es. Etwa ein Drittel des eindeutig identifizierbaren Mülls stamme aus Europa, ein großer Teil aus Deutschland. «Plastikmüll ist ein globales Problem, das auch die scheinbar unberührte Wildnis des hohen Nordens nicht verschont», hieß es in der AWI-Mitteilung. Die Studie ist im Fachmagazin <<Frontiers in Marine Science>> veröffentlicht. Weiterlesen

Volker Wissing warnt vor zu scharfer EU-Abgasnorm

Von Andreas Hoenig und Jan Petermann, dpa

Berlin/Wolfsburg (dpa) – Bundesverkehrsminister Volker Wissing und Vertreter der Autobranche haben die EU-Kommission vor einer zu scharfen Regulierung und einem möglichen Jobabbau im Zusammenhang mit der geplanten Abgasnorm Euro 7 gewarnt. «Regulierung muss Mobilität fördern, nicht verhindern», sagte Wissing am Montag der Deutschen Presse-Agentur in Berlin.

Systematische Verknappung durch neue Regeln gefährde nicht nur den weiteren Hochlauf der E-Mobilität, sondern zunehmend auch Arbeitsplätze. «Wenn Fahrzeuge immer teurer werden, ohne dass damit mehr Umweltschutz verbunden ist, wird Mobilität zum Luxusgut», kritisierte der FDP-Politiker. «Wir brauchen in der Fläche Teilhabe durch individuelle Mobilität – auch in Zukunft.»

Sorge vor dem Wegfall von Arbeitsplätzen

Hersteller und Industrieverbände hatten bereits mehrfach erklärt, die Einführung der nötigen Technik zur Einhaltung verschärfter Grenzwerte bei den Stickoxid-Emissionen sei zeitlich zu anspruchsvoll und dürfte Autos verteuern – im Verhältnis zum Gesamtpreis insbesondere kleinere Modelle. Im November hatte die Kommission ihre Vorschläge vorgelegt.

Es gibt Befürchtungen, im Fall einer entsprechend sinkenden Nachfrage nach Verbrennern könnten auch etliche Jobs verschwinden. Volkswagen betonte: «Wir teilen die Einschätzung, dass Euro 7 in der jetzt vorliegenden Form negative Beschäftigungseffekte für die europäische Automobilindustrie hätte.» Dagegen fordern Umweltorganisationen ein möglichst baldiges Aus für klassische Diesel und Benziner.

Der Brüsseler EU-Behörde zufolge ist der Straßenverkehr die größte Quelle für Luftverschmutzung in Städten. Mit der neuen Norm sollen sauberere Fahrzeuge und eine bessere Luftqualität zum Schutz der Gesundheit der Bürger und der Umwelt gewährleistet werden. Ziel von Euro 7 ist es, den Ausstoß von Stickoxiden (NOx) durch Autos bis 2035 um 35 Prozent zu drücken, bei Bussen und Lkw um über 50 Prozent. NOx-Verbindungen standen auch im Zentrum des Abgasskandals, in dessen Folge mehrere Städte teilweise Diesel-Fahrverbote erlassen hatten.

«Wenn die Automobilindustrie warnt, dass die Regulierung Fahrzeuge unnötig verteuert und die Beschleunigung der E-Mobilität behindert, ist das sehr ernst zu nehmen», sagte Wissing. «Die EU-Kommission kann nicht einerseits hohe Klimaschutzziele einfordern und andererseits deren Erreichung durch Regulierung verhindern.» Der Verbrennungsmotor könne zudem mit synthetischen Kraftstoffen Klimaschutz und Mobilität vereinen: «Europa darf diese technologische Lösung nicht verhindern.»

Das Konzept der Kommission kann sich noch ändern

Die Autoländer Bayern, Baden-Württemberg und Niedersachsen hatten die Bundesregierung aufgefordert, die aktuellen Pläne zu Euro 7 nicht zu akzeptieren. Sie fürchten im Fall der Umsetzung erhebliche Nachteile für die Industrie, heißt es in einem Brief der Ministerpräsidenten an Kanzler Olaf Scholz (SPD), der der dpa vorlag. Die Richtlinie soll ab Juli 2025 für neu zugelassene Fahrzeuge gelten. Europaparlament und EU-Staaten müssen den Vorschlägen zustimmen, es laufen Verhandlungen. Am Konzept der Kommission kann sich theoretisch noch einiges ändern.

Die Deutsche Umwelthilfe (DUH) kritisierte das Schreiben der Autoländer und wies die Behauptung, dass die Entwicklung der Technik zu teuer sei und sich mit Blick auf den geplanten Verbrennerausstieg 2035 nicht lohne, als «faktisch falsch und fadenscheinig argumentiert» zurück. Die drei Ministerpräsidenten machten «Lobbyarbeit für BMW, Mercedes und VW auf Kosten der Bürgerinnen und Bürger, die unter den gesundheitsschädlichen Abgasen leiden», sagte DUH-Chef Jürgen Resch.

In einem offenen Brief an die EU-Spitzen hatte der Vorsitzende des europäischen Autobranchenverbands Acea, Renault-Chef Luca de Meo, eine erwartete Kostensteigerung für Fahrzeuge durch Euro 7 zwischen sieben und zehn Prozent genannt. Bis zu 300 000 Arbeitsplätze könnten demnach auf dem Spiel stehen. Auch der deutsche Branchenverband VDA sowie einzelne Unternehmen äußerten sich kritisch zu dem Vorhaben.

Volkswagen sprach außerdem von «völlig unrealistischen zeitlichen Zielvorgaben» – Hersteller und Behörden könnten diese kaum so rasch umsetzen wie gefordert. Die Strenge der Standards würde «große personelle und finanzielle Ressourcen binden, die wir sinnvoller und zukunftsgerichtet für die Elektrifizierung einsetzen könnten». Die von de Meo genannten Preisschätzungen seien zutreffend.

Die Autobranche moniert überdies, dass die Kriterien für Abgastests nach den neuen Standards viel zu speziell seien. «Der Luftqualität ist nicht geholfen, wenn wir die Abgasemissionen eines neuen Verbrenners mit Vollgas und Pferdeanhänger im ersten Gang auf einem Bergpass in den Alpen zum Maß der Dinge machen», hieß es bei VW. Die reale Nutzung sehe anders aus – während die geforderte neue Abgastechnik «gerade günstige Kleinwagen erheblich teurer» machen dürfte.

Ein BMW-Sprecher sagte dem Fachblatt «Automobilwoche»: «Euro7 sollte vor allem Schadstoffe regeln und nicht für ein früheres Ende des Verbrenners instrumentalisiert werden. Damit würde das Produktangebot unnötig verteuert.» Auch manche Experten unterstreichen, dass allzu ehrgeizige Reinigungstechnik besonders bei Kleinwagen ins Gewicht fällt, und rechnen mit einer künftig «elitäreren» Mobilität.

Greenpeace verlangte, die Autobauer müssten in den kommenden Jahren emissionsfreien Antrieben zum Durchbruch verhelfen. «Wenn Wissing für langfristig sichere Arbeitsplätze in der Branche sorgen will, dann sollte er alles daran setzen, die deutsche Autoindustrie an die Spitze der Mobilitätswende zu setzen», erklärte Verkehrsexperte Benjamin Stephan. «Ehrgeizigere Abgasstandards helfen dabei.»

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Klimaaktivisten blockieren Straßen in mehreren Städten

Berlin (dpa) – Aktivisten der Klimaschutzbewegung Letzte Generation haben zum Wochenstart in mehreren deutschen Städten Straßen blockiert. Aktionen gab es etwa in Berlin, Leipzig und Magdeburg.

An einer Autobahnausfahrt in der Hauptstadt klebten sich mehrere Aktivisten fest. In Hannover blockierte eine Gruppe einen Kreisel. Zwei der Aktivisten hätten sich am Asphalt festgeklebt, sagte ein Polizeisprecher. Die Störaktionen sorgten mancherorts für Staus. Weiterlesen

Klimaaktivistin Neubauer kritisiert Verkehrsminister Wissing

Berlin (dpa) – Vor neuen Protesten der Klimabewegung Fridays for Future am heutigen Freitag hat die Aktivistin Luisa Neubauer Bundesverkehrsminister Volker Wissing (FDP) kritisiert. «Es gibt keinen Minister in Deutschland, der seine Klimaziele so torpediert wie Verkehrsminister Volker Wissing», sagte Neubauer dem «Tagesspiegel» aus Berlin. Weiterlesen

Autoländer fordern Nachverhandlungen bei Euro-Abgasnorm 7

München/Berlin (dpa) – Die Autoländer Bayern, Baden-Württemberg und Niedersachsen fürchten erhebliche Nachteile für die deutsche Automobilindustrie durch die Umsetzung der Abgasnorm Euro 7. «Ob eine weitere Normenverschärfung wegen anderer diffuser Immissionsquellen überhaupt zu einer weiteren wesentlichen Verbesserung der Luftqualität führt, scheint uns eher fraglich», heißt es in einem Brief der drei Ministerpräsidenten der Länder an Kanzler Olaf Scholz (SPD), der der Deutschen Presse-Agentur in München vorliegt. Gesellschaftlicher Nutzen und volkswirtschaftliche Kosten müssten «in einem angemessenen Verhältnis stehen».

«Eine neue Abgasnorm und die dazugehörigen Testbedingungen müssen darüber hinaus technisch und wirtschaftlich erreichbar sein. Zudem bedarf es angemessener Umsetzungsfristen, die auch die Entwicklungszyklen der Automobilhersteller berücksichtigen», heißt es weiter in dem dreiseitigen Schreiben von Markus Söder (CSU), Winfried Kretschmann (Grüne) und Stephan Weil (SPD). Weiterlesen

Wirtschaftshilfe in USA und China: EU präsentiert Reaktion

Brüssel (dpa) – Wie sollte die EU im Wettbewerb um zukunftsträchtige Industrien mit Ländern wie den USA und China reagieren? Vorschläge auf diese umstrittene Frage stellt EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen am Mittwoch vor.

Seit etwa die Regierung in Washington enorme Wirtschaftshilfen beschlossen hat, gibt es in der EU die Befürchtung, dass Unternehmen neue Standorte in anderen Weltregionen aufbauen oder Arbeitsplätze dorthin verlagern könnten, wenn sie hier nicht ebenfalls mit Steuergeld unterstützt werden. Zugleich will die EU-Kommission mit dem Vorstoß klimafreundliche Energieproduktion in Europa stärken. Weiterlesen

Erstmals mehr Strom in der EU aus Erneurbaren als aus Gas

Brüssel (dpa) – In der EU ist 2022 erstmals mehr Strom aus Wind und Sonne produziert worden als aus Gas. Laut einer Analyse der Denkfabrik Ember Climate kamen im vergangenen Jahr rund 22 Prozent der Elektrizität in der EU aus Solar- und Windkraft und damit anteilig so viel wie noch nie. 2021 waren es demnach etwa 19 Prozent. Aus Gas stammten hingegen fast 20 Prozent des EU-Strommixes – knapp ein Prozentpunkt weniger als 2021. Insgesamt kamen laut Ember Climate im vergangenen Jahr 623 Terawattstunden (TWh) aus Wind und Sonne.

Am meisten Wind- und Solarenergie erzeugte 2022 den Zahlen der Denkfabrik zufolge Deutschland – 126 Terawattstunden aus Wind und 59 Terawattstunden aus Sonne. Die Anteile an der Wind- und Solarenergie am deutschen Strommix waren verglichen mit anderen EU-Ländern jedoch geringer: Bei der Erzeugung aus Sonne sind die Niederlande mit 14 Prozent am gesamten Strommix Spitzenreiter, gefolgt von Griechenland und Ungarn (beide 13 Prozent). Deutschland gewinnt den Zahlen zufolge knapp 10 Prozent seines Stroms aus Sonne. Weiterlesen

Warum die Energiewende lahmt

Von Verena Schmitt-Roschmann und Christopher Hirsch, dpa

Berlin/Lubmin (dpa) – Die Dinger sind gigantisch. 138 Meter hoch, mit freiem Blick übers flache Land. Auf der einen Seite liegen die grünen Felder Richtung Brandenburg, auf der anderen Seite das Häusermosaik der Hauptstadt. «Pyro» nennen die Planer des Ingenieurbüros Teut das Gelände einer alten Feuerwerksfirma in Berlin-Pankow, wo sich ihre beiden Windräder drehen – zwei von insgesamt sechs auf Berliner Boden. Vier Jahre hat es gedauert, bis die Anlagen standen. Und nach Lage der Dinge war das noch ziemlich fix.

Zum 1. Februar greift ein neues Gesetz, das vor allem die Planung von Windkraftanlagen beschleunigen soll. Wieder eins, könnte man sagen – «Deutschland-Tempo» heißt nun das Mantra. Beim Ausbau der Erneuerbaren Energien ist ein Turbo tatsächlich dringend nötig, will man die ambitionierten Ziele für grünen Strom bis 2030 schaffen. Allein die Windkraft an Land soll sich von 58 Gigawatt im Jahr 2022 auf 115 Gigawatt bis 2030 verdoppeln. Das sind noch sieben Jahre.

Als leuchtendes Beispiel gilt der Aufbau der Flüssiggas-Terminals an der Küste seit Beginn des Ukraine-Kriegs. Geht doch, hieß es, als jetzt die ersten LNG-Landepunkte nach nur wenigen Monaten in Betrieb gingen. Jetzt bitte einfach dasselbe bei Wind und Solar. Aber ist das möglich? Was half bei LNG und was steht bei Erneuerbaren im Weg?

Doch, doch, im Grunde macht die Energiewende Spaß

Ingenieur Elias Brunken und Umweltplaner Daniel Deppe haben dazu einiges zu erzählen. Die beiden jungen Planer sind Überzeugungstäter in Sachen Ökostrom. Bei Teut arbeiten sie daran, in Berlin und Brandenburg Windräder ans Netz zu bekommen. Und sie versichern: doch, doch, im Grunde mache das wirklich großen Spaß mit der Energiewende. «Extrem, ich mache das richtig gerne», sagt Deppe. Nur: «Man muss schon Bock haben auf Diskutieren und ein dickes Fell.»

Also, mal angenommen man hat ein großes Grundstück in Brandenburg – oder anderswo, es ist ja nur ein Beispiel – und möchte ein Windrad bauen, was muss man tun? Brunken und Deppe holen tief Luft.

Windkraft geht natürlich sowieso nur im «Eignungsgebiet» beziehungsweise im «Vorranggebiet». Der Bund hat die Länder gerade gesetzlich verpflichtet, dafür schrittweise bis 2032 mindestens zwei Prozent ihrer Fläche auszuweisen. Aber obwohl diese Areale eigens für den Zweck gedacht sind, beginnt bei jedem Windrad die Prüfung neu. Ist der Standort weit genug weg von Wohnhäusern? Groß genug für eine 250 Meter hohe Anlage mit 85 Meter langen Rotorblättern? Alle Eigentums- und Nutzungsrechte geklärt? Dann kann es losgehen mit der Kartierung.

Eiswurf, Schall, Schattenwurf

Dabei werden Biotope, Fledermäuse, Brut- und Zugvögel gezählt, und da die Vögel zu unterschiedlichen Jahreszeiten vorbei schauen, dauert das logischerweise mindestens ein ganzes Jahr. Dann kommen die Gutachten. Standsicherheit, Brandschutz, Eiswurf, Schall, Schattenwurf. Das fließt alles in den Genehmigungsantrag. Derzeit sind das nach Angaben der Planer in der Regel vier Aktenordner und zwölf Daten-CDs, die an 16 verschiedene Stellen gehen – Landkreis, Naturschutzbehörde, Denkmalschutzbehörde und so weiter.

Für die Bearbeitung brauchen die Behörden, wenn alles glatt läuft, etwa ein bis eineinhalb Jahre, so erzählen es Brunken und Deppe. Geht es um mehrere Windräder, ist meist eine Umweltverträglichkeitsprüfung nötig. Ist das der Fall, zieht sich das Verfahren nach Daten der Fachagentur Wind im Schnitt 24 Monate. Die Genehmigung ist für die Planer dann ein großes Ding. In ihrem Besprechungsraum im Keller stehen zur Feier Sektflaschen bereit, jeweils eine mit dem Kürzel der Anlage. Im Moment warten da MÜRIII, NKD1 und NKD2.

Negativrekord: 18 Jahre

Aber damit ist noch nicht Schluss. Nun folgt erstmal die Ausschreibung. Windkraftanbieter bewerben sich um Mengen im Rahmen der Ausbauziele und müssen dabei einen von der Bundesnetzagentur vorgegebenen Preisdeckel einhalten. Es gewinnt der Bewerber mit dem niedrigsten Preis. Ist auch diese Hürde genommen, wird das Windrad bestellt. Lieferzeit ist nach Angaben der Ingenieure im Moment rund 18 Monate, Materialmangel und hohe Stahlpreise schlagen auch hier durch.

Läuft also wirklich alles wie am Schnürchen, sind schon mehr als vier Jahre ins Land gegangen, bevor sich der erste Tieflader mit den Riesenflügeln zum Bauplatz der neuen Windmühle in Gang setzt – auch das natürlich nicht ohne Genehmigung. Voraussetzung ist, dass niemand Einspruch erhebt, niemand klagt, die Behörde nicht überlastet ist und sich das vor Jahren ersonnene Projekt zum Zeitpunkt x noch rechnet. Statistisch dauert der Bau einer Windkraftanlage heute im Schnitt fünf bis sieben Jahre. Der Negativrekord liegt bei 18 Jahren.

Der Kanzler dreht den Gashahn auf

Und bei LNG, dem seit Beginn des Ukraine-Kriegs so begehrten und aus aller Welt importierten Flüssiggas? Als Bundeskanzler Olaf Scholz Mitte Januar symbolisch den Gashahn am Flüssigerdgas-Terminal in Lubmin an der Ostsee aufdrehte, war seit dem ersten Antrag des Unternehmens Deutsche Regas gerade mal ein halbes Jahr vergangen. «Das ist Rekordtempo», sagt Jan Bonhage von der Kanzlei Hengeler Mueller, die das Projekt betreut. Normalerweise hätte man gern auch mit zwei bis fünf Jahren rechnen können.

Zustande kam das neue «Deutschland-Tempo» unter dem Druck der Gaskrise und des Horrorszenarios, dass Millionen Bürger im Winter in eiskalten Wohnungen frieren müssten. Auch hier gab es ein eigenes Beschleunigungsgesetz, das LNGG. Aber was genau befeuerte den Turbo? Bonhage hält fünf Punkte für entscheidend.

Fünf Punkte für den Planungsturbo

Als erstes nennt der Fachanwalt die Festlegung, dass ein überragendes öffentliches Interesse an den Terminals bestehe. «Das darf man nicht unterschätzen», sagt der Fachmann. Das spiele eine wichtige Rolle, wenn eine Behörde so oder anders entscheiden könne und Interessen abzuwägen habe. Das «überragende öffentliche Interesse» steht inzwischen auch im Erneuerbare-Energien-Gesetz, die Auslegung auf Landesebene ist aber nach Angaben der Planer nicht überall eindeutig.

Zweiter Punkt laut Bonhage: verkürzte Fristen etwa bei der öffentlichen Beteiligung. Statt ein Monat Auslegung der Pläne und ein Monat Einwendungsfrist gilt hier jeweils eine Woche. Der dritte Faktor ist für den Fachmann der Verzicht auf eine Umweltverträglichkeitsprüfung. Umwelt- und Naturschutzrecht seien trotzdem einzuhalten, versichert er. Nur falle ein langwieriges zusätzliches Verfahren weg.

Punkt vier: Wenn Gegner des Projekts Widerspruch erheben oder klagen, hat das keine aufschiebende Wirkung. «Also wenn Sie die Genehmigung bekommen, dürfen Sie sofort loslegen», erklärt Bonhage. Fünftens erleichtere das Gesetz den vorzeitigen Beginn von Bauvorbereitung oder eines Testbetriebs.

«Beschlüsse reichen für die Ziele nicht aus»

Dieser Fünf-Punkte-Katalog entspricht ziemlich genau dem, was sich auch Windkraftplaner wünschen. Aber die Realität ist davon ein Stück entfernt. «Die bisher von der Ampel-Koalition beschlossenen Maßnahmen gehen zwar in die richtige Richtung», sagt Simon Müller, Deutschland-Direktor der Denkfabrik Agora Energiewende. «Aber sie reichen selbst in der Summe nicht aus, um die Verfahren in dem Maße zu beschleunigen, wie es für die 2030-Zielerreichung notwendig ist.»

Das zum 1. Februar kommende Beschleunigungsgesetz ist aus Müllers Sicht nur ein kleiner Schritt. Damit würden Planungsverfahren «etwas weniger anfällig gegen Klagen», sagt der Experte. Größere Erwartungen hat er an eine EU-Notverordnung vom Dezember: «Sie sagt im Wesentlichen: Liegt für die Fläche eines Windparks eine strategische Umweltverträglichkeitsprüfung vor, auch mit Blick auf den Artenschutz, dann muss sie nicht mehr zusätzlich für jedes einzelne Windrad wiederholt werden. Das hat Potenzial für eine erhebliche Beschleunigung.»

Außerdem könnte man aus Müllers Sicht, ähnlich wie bei LNG-Terminals, Projekte vorläufig genehmigen und dann bereits mit dem Bau beginnen. Oder Betreiber könnten sogar – wie im Fall des US-Autoherstellers Tesla in Brandenburg – auf eigenes Risiko ohne Genehmigung loslegen. Wird die dann doch nicht erteilt, könnte ein Risikofonds den Ausfall absichern, schlägt Müller vor. Für schnellere Verfahren brauche man zudem mehr Personal und Digitalisierung bei Genehmigungsbehörden.

Umweltschützer haben Bedenken

Vielen Natur- und Umweltschützern ist so viel Beschleunigung nicht geheuer. So fordert etwa die Deutsche Umwelthilfe die Rücknahme des LNG-Gesetzes. Sie kritisiert, dass Bürgerbeteiligung und Klagerechte zu stark beschnitten würden und der Umweltschutz zu kurz komme. LNG- wie auch Windkraftplaner halten dagegen, die immer detaillierteren Vorgaben seien einfach zu langwierig. Bei Windrädern solle nicht der Schutz jedes einzelnen Vogels Ziel sein, sondern der Erhalt der Art.

Unterm Strich geht es, wie fast immer, um eine Konkurrenz der Interessen, oder freundlicher gesagt: um eine Abwägung. Und bei LNG flutschte es auch deshalb, weil es politisch zur obersten Priorität erklärt wurde und das allen Beteiligten klar war. Ein am LNG-Terminal Lubmin Beteiligter – die Deutsche Regas – berichtet, dass sich Verantwortliche wöchentlich in großer Runde getroffen hätten. E-Mails vom Amt kamen plötzlich auch außerhalb der üblichen Bürozeiten.

Windkraftplaner Brunken sieht das genauso: «Der größte Unterschied zum LNG ist der politische und auch gesellschaftliche Wille, das umzusetzen. Der gefühlte Handlungsdruck war an dieser Stelle einfach viel größer.» Absehbar braucht es aus seiner Sicht denselben politischen Eifer bei der Energiewende – sonst bleibe sie Illusion.

«Wenn jetzt alle Rädchen ineinandergreifen, erreichen wir das Ziel», sagt Agora-Fachmann Müller über die anvisierten 115 Gigawatt Windkraft bis 2030. «Aber das erfordert Mut, Konsequenz und umfassende Maßnahmen, die in dieser Form noch fehlen.»

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Fachleute untersuchen nach Felsrutsch in Trier das Gestein

Trier (dpa/lrs) – Nach dem Felsrutsch am roten Felsen in Trier werden Geologen in der kommenden Woche das Gestein untersuchen. Ziel sei die frühzeitige Erkennung von weiteren möglichen Ereignissen, teilte eine Sprecherin des zuständigen Landesbetriebs Mobilität (LBM) Rheinland-Pfalz am Freitag in Koblenz mit. Zudem werde entschieden, ob «noch akut bruchgefährdete Stellen» kontrolliert abgebrochen oder mit Nägeln und Seilen stabilisiert werden sollten. Weiterlesen

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