Tote und Verletzte nach neuem Erdbeben in Türkei und Syrien

Gaziantep/Damaskus (dpa) – In Folge des neuen Erdbebens in der südosttürkischen Provinz Hatay sind in Syrien Menschenrechtsaktivisten zufolge mindestens fünf Menschen gestorben. In den Orten Aleppo, Tartus und Hama seien Anwohner in Panik geraten und hätten etwa Herzstillstände erlitten, teilte die Syrische Beobachtungsstelle für Menschenrechte am Morgen mit. Unter den Todesopfern sei auch ein Kind, dessen Herz den Angaben zufolge stehen geblieben sei.

Mehr als 500 Menschen wurden den Angaben nach zudem verletzt, davon mindestens 350 in den von der Regierung kontrollierten Regionen und 150 in den Rebellen-Gebieten. Viele Menschen seien in Panik von Gebäuden gesprungen oder von Trümmern getroffen worden. Auch der Chef der Rettungsorganisation Weißhelme, Raed al-Saleh, meldete 150 Verletzte für die syrischen Regionen, die von Rebellen gehalten werden.

Viele Menschen hätten die Nacht bei eisigen Temperaturen wieder draußen verbracht, berichtete die Syrische Beobachtungsstelle weiter. Auch bei dem erneuten Beben seien Häuser eingestürzt. Weiterlesen

Tote und Schwerverletzte nach erneutem Erdbeben

Istanbul (dpa) – Bei dem erneuten Erdbeben in der Südosttürkei sind mindestens drei Menschen ums Leben gekommen und Hunderte verletzt worden. Der türkische Gesundheitsminister Fahrettin Koca teilte am Montagabend auf Twitter mit, 294 Menschen seien verletzt worden, 18 davon schwer. Innenminister Süleyman Soylu hatte gesagt, mindestens drei Menschen seien getötet worden. Auch in Syrien wurden Verletzte registriert: Die Syrische Beobachtungsstelle für Menschenrechte zählte am Montagabend 470 Verletzte in dem Land, die meisten davon im Raum Aleppo.

Laut der türkischen Katastrophenschutzbehörde Afad hatten am Montagabend – 14 Tage nach den Beben mit Zehntausenden Toten – zwei Beben im Abstand von drei Minuten die Provinz Hatay mit Stärken von 6,4 und 5,8 erschüttert. Afad rief die Menschen dazu auf, von den Küsten fern zu bleiben. Der Meeresspiegel könne um bis zu einen halben Meter ansteigen. In Syrien stürzten erneut Häuser ein, Verletzte wurden gemeldet. Weiterlesen

Zwei Wochen nach den Erdbeben: Sucharbeiten gehen zu Ende

Istanbul (dpa) – Zwei Wochen nach der Erdbebenkatastrophe im türkisch-syrischen Grenzgebiet sind die Sucharbeiten in den meisten betroffenen Provinzen in der Türkei zu Ende gegangen. Nur in den Provinzen Kahramanmaras und Hatay werde weiter nach Verschütteten gesucht, sagte der Afad-Vorsitzende Yunus Sezer gestern vor Journalisten in Ankara.

Insgesamt fast 47.000 Tote wurden inzwischen registriert, mehr als 41.000 allein in der Türkei. Doch auch wenn die türkischen Medien oft von der «Katastrophe des Jahrhunderts» sprechen, wird das wahre Ausmaß erst nach und nach deutlich.

Allein in Syrien seien 8,8 Millionen Menschen von den Folgen betroffen, schrieb die stellvertretende UN-Syrienbeauftragte Najat Rochdi gestern auf Twitter. Der Afad-Vorsitzende Yunus Sezer schätzte, dass mehr als 1,2 Millionen Menschen die betroffene Region in der Türkei verlassen haben. Über eine Million Betroffene seien derzeit in Notunterkünften. Weiterlesen

Deutsche Bestatter bergen Tote in der Türkei

Von Mirjam Schmitt, dpa

Kahramanmaras (dpa) – Dort, wo mal Häuser standen, ist nun ein Krater. Bestatter René Stawinski steht am Rand des Schlunds, in dem Bagger an sechs Schutthaufen arbeiten. Sechs Hochhäuser standen an dieser Stelle im südtürkischen Kahramanmaras. Sie sind eingestürzt, fast schon zerbröselt. Der Boden ist mit kieselgroßem Schutt übersäht. Ein weißes Tuch mit roten Blumen liegt auf dem Boden, die Luft ist voller Staub. Ein süßlicher Geruch weht aus den Trümmern. So riecht der Tod.

Zwei Wochen nach dem Erdbeben gibt es kaum noch Hoffnung, hier noch jemanden lebend zu finden. Stawinski ist für die gekommen, die in den Trümmern gestorben sind. Der 48-Jährige aus Sachsen-Anhalt leitet ein Team von zwölf Bestattern aus Deutschland. Deathcare heißt ihre ehrenamtliche Organisation mit Sitz im rheinland-pfälzischen Wörth. Sie hilft bei der Bergung von Leichen und bereitet sie für die Beerdigung vor.

Unter den Trümmerhaufen vor Stawinski vermuten die türkischen Behörden noch zwei Tote. Werden sie gefunden, sollen sie zunächst offiziell identifiziert werden. Dann sollen Stawinski und sein Team die Leichen desinfizieren und für die Beerdigung vorbereiten. Anschließend können Verwandte sie mitnehmen und begraben. Für die übliche rituelle Waschung ist in der Katastrophe oft keine Zeit.

Zehntausende wurden seit dem verheerenden Erdbeben am 6. Februar in der Südtürkei bereits beerdigt. Tausende Tote werden noch unter den Trümmern vermutet. Die Bestatter um Stawinski haben ein erstes Team von Deathcare abgelöst. Um Tote zu bergen, sind die Helfer auf Hinweise von Verwandten oder Behörden angewiesen. Eine möglichst schnelle Bergung ist auch aus hygienischen Gründen erforderlich. Die Zersetzung der Leichen habe trotz der Kälte bereits begonnen, sagt Stawinski. Es sei ratsam, sie schnell zu begraben, auch weil die Gefahr von Seuchen bestehe.

«Die Angehörigen wollen trauern»

Manchmal haben auch die Bestatter Hoffnung, noch jemanden lebend zu finden. Vor wenigen Tagen habe ein Hund angeschlagen, erzählt Stawinski. Die Wärmebildkamera habe eine Wärmequelle angezeigt. Am Ende sei aber ein Verstorbener geborgen worden. Die Geräte zeigten nach dem Tod eines Menschen noch einige Zeit die Restwärme an, erklärt Stawinski.

Für die Verwandten geht es vor allem um Trauer und einen Abschluss. «Tote haben Angehörige und die Angehörigen wollen trauern», sagt Stawinski. Das ehrenamtlich arbeitende Team hat einen Übersetzter dabei. Alle sind in Trauerbegleitung geschult.

Kahramanmaras lag nah am Epizentrum des Bebens. Mehr als 22.000 Gebäude sind nach Angaben des Städteministeriums allein hier eingestürzt oder schwer beschädigt worden. Die Stadt hat sich geleert, etliche Menschen sind in Notunterkünften untergebracht. Die, die hier noch vor den Trümmerhaufen sitzen, wollen Angehörige mitnehmen und begraben. Ihre Augen sind gerötet, die Blicke leer.

Dankbar sind sie den Helfern, das wird immer wieder sichtbar. Ein Mann bietet dem Team aus Deutschland süße Datteln an. Ein anderer dreht sich um und sagt auf Deutsch: «Danke.» Die Menschlichkeit unter den Leuten und die Dankbarkeit, das habe ihn berührt, sagt Stawinski. Man könne vielleicht keine Überlebenden mehr retten, aber die Angehörigen «einfach mal in den Arm nehmen oder drücken, um zu zeigen, dass man bei ihnen ist».

Weiterlesen

Schon fast 47.000 Tote – viele Schulen in Syrien zerstört

Istanbul/Damaskus (dpa) – Die Zahl der Menschen, die in der Türkei durch das Erdbeben getötet worden sind, ist auf 41.020 gestiegen. Das teilte die türkische Katastrophenschutzbehörde Afad am Sonntagabend laut der staatlichen Nachrichtenagentur Anadolu mit. Aus Syrien sind bisher rund 5900 tote Menschen in Zusammenhang mit den verheerenden Beben gemeldet worden. Die Zahl wird jedoch nur unregelmäßig aktualisiert. Insgesamt sind damit in beiden Ländern nun schon fast 47.000 Tote gezählt worden.

Das ganze Ausmaß der Erdbebenkatastrophe in der syrisch-türkischen Grenzregion wird erst nach und nach deutlich. Allein in Syrien seien 8,8 Millionen Menschen von den Folgen betroffen, twitterte die stellvertretende UN-Syrienbeauftragte Najat Rochdi – rund zwei Wochen nach den Beben. «Die Mehrheit von ihnen benötigt voraussichtlich irgendeine Form von humanitärer Unterstützung». Weiterlesen

Land errichtet zentrale Sammelstelle für Erdbebenopfer

Mainz (dpa/lrs) – Rheinland-Pfalz hat in der Landeshauptstadt Mainz eine zentrale Spendensammelstelle für die Erdbebenopfer in der Türkei eingerichtet. In dem Gebäude der ehemaligen Fachhochschule im Stadtteil Gonsenheim sollen von nächster Woche an Hilfsgüter für die Menschen in den betroffenen Gebieten gesammelt, sortiert und für den Transport vorbereitet werden. Die Eröffnung der Sammelstelle ist für Mittwoch (22. Februar) geplant, wie die Stadtverwaltung Mainz am Freitag mitteilte. «Wir stehen in dieser schwierigen Situation zusammen», sagte Ministerpräsidentin Malu Dreyer (SPD) den Angaben zufolge. In dem Haus war zuletzt ein Impfzentrum untergebracht.

Bestatterteam verlängert Einsatz in Türkei

Wörth (dpa/lrs) – Ein ehrenamtliches Team von Bestattern hat seinen Einsatz nach den schweren Erdbeben im türkisch-syrischen Grenzgebiet verlängert. Ein erstes Team war vergangene Woche von Frankfurt aus in die Türkei aufgebrochen und sei nun abgelöst worden, wie der Bundesverband Deutscher Bestatter mitteilte. Die Gruppe ist Teil des ehrenamtlichen Vereins Deathcare Embalming Team mit Sitz im rheinland-pfälzischen Wörth am Rhein. Weiterlesen

Nach Erdbeben: Entspannung zwischen Ankara und Athen?

Von Alexia Angelopoulou, Takis Tsafos und Anne Pollmann, dpa

Ankara/Athen (dpa) – Damit hätte vor zwei Wochen niemand gerechnet: Als Athens Außenminister Nikos Dendias als erster EU-Politiker ins Erdbebengebiet reiste, fielen sich er und sein türkischer Amtskollege Mevlüt Cavusoglu am Flughafen der völlig zerstörten Stadt Antakya geradezu in die Arme.

«Wir sollten nicht bis zum nächsten Erdbeben warten, um unsere bilateralen Beziehungen zu verbessern», sagte Cavusoglu nach dem emotionalen Moment. Das zerrüttete Verhältnis der Länder – sie streiten um Hoheitsrechte und Erdgasvorkommen in der Ägäis und im östlichen Mittelmeer – dürfte auch Thema beim Besuch von US-Außenminister Antony Blinken am Sonntag in der Türkei und danach in Athen sein. Doch was steckt hinter der «Erdbeben-Diplomatie»?

Wieso sollte ein Erdbeben etwas ändern?

Das Phänomen «Erdbebendiplomatie» gab es bereits einmal: Nach je einem schweren Beben im August und September 1999 in der Türkei und in Griechenland mit vielen Toten schickten sich beide Länder sofort gegenseitige Hilfe. Die Trauer um die Opfer und das Entsetzen über die Naturgewalt verbanden: Eine Phase der Annäherung begann mit zahlreichen politischen und privaten Treffen. Medien beider Länder schrieben häufig wohlwollend übereinander. Man kam sodann sogar bei einem der ewigen Streitthemen überein: Der Zwist um ungeklärte Hoheitsgebiete in der Ägäis sollte bilateral bis 2004 gelöst werden – oder man werde gemeinsam vor den Internationalen Gerichtshof in Den Haag ziehen und auf diese Weise eine friedliche Lösung herbeiführen.

Was ging schief?

Die Tauwetterstimmung kippte: In der Türkei löste Recep Tayyip Erdogan 2003 den Ministerpräsidenten Bülent Ecevit ab, in Griechenland folgte auf den verbindlichen Sozialdemokraten Kostas Simitis 2004 der konservative Ministerpräsident Kostas Karamanlis. Vor allem Karamanlis gilt als der «Erfinder der Unbeweglichkeit», wie ihn jüngst eine griechische Zeitung nannte. Er trieb die Annäherung nicht voran, um sich innenpolitisch keiner Kritik auszusetzen.

Warum eskalierte der Konflikt in den vergangenen Jahren?

Eine massive Verschlechterung begann laut griechischen Analysten mit dem gescheiterten Militärputsch in der Türkei gegen Präsident Erdogan 2016. Von da an habe Erdogan überall Feinde gesucht und auch geschaffen, heißt es in Athen. Der türkische Präsident bediene sich oft einer Freund-Feind-Logik, um die Reihen hinter sich zu schließen, sagen auch türkische Beobachter.

Ein zentrales Thema spielt auch die Entdeckung großer Erdgasvorkommen im östlichen Mittelmeer. Wiederholt schickte Ankara Bohr- und Forschungsschiffe in Seegebiete, die nach internationalem Recht zu Griechenland gehören. Nach diplomatischen Annäherungen Athens an die USA war dann bei Erdogan im vergangenen Frühjahr das Fass voll: Er kenne den griechischen Regierungschef Kyriakos Mitsotakis nicht, sagte er, und brach die Verbindung zum Nachbarland ab. Erdogan störte sich vor allem daran, dass sich Mitsotakis angesichts der türkischen Überflüge über griechisches Gebiet in den USA dafür eingesetzt hatte, dass Washington keine weiteren Kampfjets an Ankara verkaufen solle.

Hoheitsrechte in der Ägäis – was hat es damit auf sich?

Athen hat etliche griechische Inseln gegenüber der türkischen Westküste seit Jahrzehnten militarisiert, obwohl internationale Verträge das verbieten. Griechenland verweist auf Drohungen aus der Türkei und das Recht auf Selbstverteidigung. Die Türkei wiederum spricht Griechenland mittlerweile die Souveränität über diese Inseln ab, eben weil sie widerrechtlich militarisiert sind und eine Bedrohung darstellten. Nachdruck verleiht Ankara der Kritik, indem türkische Kampfjets regelmäßig griechischen Luftraum verletzen und zum Teil über bewohnte Inseln fliegen. Die Türkei behauptet, damit auf Überflüge der Griechen zu reagieren. Wiederholt drohte Erdogan zudem, man könne «eines Nachts kommen». Die EU hat dieses Gebaren mehrfach verurteilt, auch bei der Nato ist man nicht glücklich über die Streitigkeiten zwischen den beiden Nato-Mitgliedern.

Was seit dem Erbeben verändert?

Vor allem in der Bevölkerung überwiegt auf beiden Seiten der Zusammenhalt in dieser schwierigen Situation. Griechenland war eines der ersten Länder, das Helfer ins Erdbebengebiet schickte – es gibt in beiden Ländern wegen der hohen Erdbebengefahr viel Know-how für den Ernstfall. Der griechische Staatssender ERT machte seine Nachrichtensendung mit einem türkischen Lied auf, eine Geste, die viele Menschen in der Türkei berührte und würdigend tausendfach in den sozialen Netzwerken geteilt wurde. Die Menschen in Griechenland sammeln Hilfsgüter, es wurden zahlreiche Lieferungen geschickt.

Wieso besteht Hoffnung?

Das Treffen zwischen den Außenministern Cavusoglu und Dendias war ein erster großer Schritt. Auch gab es seit dem Erdbeben kaum mehr Verletzungen des griechischen Hoheitsgebiets durch türkische Jets, die zuvor fast täglich stattfanden. Allerdings fragen sich Experten, wie lang solch ein Burgfrieden anhalten kann, da die konkreten Konflikte ja nicht gelöst sind. Regierungschef Mitsotakis jedenfalls hat Hoffnung: Das Erdbeben mit seinen «unermesslichen Zerstörungen» könne eine Gelegenheit sein, die Beziehungen neu zu definieren, sagte er am Donnerstag.

Was bedeutet der Besuch von US-Außenminister Blinken?

Nach Ansicht von Analysten dürfte Blinken versuchen, beide Länder wieder an einen Tisch zu bekommen. Für die USA sind beide Länder geostrategisch wichtig. Vor allem mit Griechenland gab es zuletzt eine verstärkte militärische Zusammenarbeit, US-Basen unter anderem auf Kreta und in Mittel- sowie Nordgriechenland wurden auf- und ausgebaut. Zudem schwächt der Streit der Nachbarländer die Südostflanke der Nato. Das kann das Militärbündnis in Zeiten des russischen Angriffskrieges auf die Ukraine nicht brauchen.

Weiterlesen

«Mama nach Deutschland holen»: Frust nach Erdbeben

Von Yuriko Wahl-Immel und Mirjam Schmitt, dpa

Leverkusen/Istanbul (dpa) – Die Angst um ihre Angehörigen im türkischen Katastrophengebiet bringt Suna Cataldegirmen im weit entfernten Deutschland zur Verzweiflung. Ihr Mann ist schon vor einer Woche in die Türkei geflogen: in die schwer getroffene Provinz Kahramanmaras. Dort hat er für seine Eltern in einem Dorf nahe der Stadt Pazarcik eine Notbehausung in einem Keller eingerichtet.

«In dem Dorf ist alles weg», berichtet die 43-jährige Cataldegirmen. «Unsere Verwandten leben fast alle in Zelten. Die hygienischen Zustände sind schlimm, sie können nicht duschen, manchmal reicht das Essen nicht. Es ist sehr kalt. Es gibt kaum ärztliche Versorgung.»

«Lieber Gott, bitte lass die Babys leben»

So oft wie möglich telefoniert die in Leverkusen wohnende Frau mit ihren Verwandten, die Handyfotos voller Schuttberge und von elenden Lebensumständen senden. Große Sorgen macht sich die 43-Jährige auch um vier Babys. «Eines hatte schon Durchfall und Fieber. Lieber Gott, bitte lass die Babys leben.» Bei den verheerenden Erdbeben sind in der Türkei und in Syrien nach offiziellen Angaben mehr als 42.000 Menschen ums Leben gekommen, Millionen haben ihr Zuhause verloren.

Cataldegirmens Freundin kann aus Sorge um ihren Neffen, dessen Frau und die Zwillingsbabys kaum noch schlafen. In Gölbasi in der Provinz Adiyaman übernachten ihre vier Angehörigen derzeit mit vielen weiteren obdachlos gewordenen Erdbebenopfern in einer übervollen Sporthalle, wie Sevil Kurtal der Deutschen Presse-Agentur schildert.

Babynahrung für die acht Monate alten Säuglinge bereiten sie mit geschmolzenem Schnee zu. Sevil Kurtal will sie zu sich holen in ihre Wohnung nahe Köln – aber das ist schwierig.

«Sie weint nur noch»

Serkan Sayin aus dem westfälischen Ahlen bangt um seine 81 Jahre alte Mutter, deren Haus in Iskenderun in der Provinz Hatay einsturzgefährdet sei. «Sie weint nur noch. Ich will meine Mama nach Deutschland holen.» Sie ist alleinstehend, lebt in einer Notunterkunft.

Jetzt Visa, Pässe, biometrische Fotos oder andere Dokumente für eine Einreise nach Deutschland von den Erdbebenopfern anzufordern, sei unmöglich. «Das ist zu viel verlangt.»

Der Kölner Ingenieur Ispir Bayrakcioglu kann nur noch an seine Lieben in der Türkei denken. Sein Stiefbruder ist eine Woche nach den Beben mit dem Auto aufgebrochen, konnte inzwischen zu fünf Angehörigen in Hatay gelangen. Die Brüder wollen ihre Verwandte da rausholen. «Unsere Angehörigen sind zu 100 Prozent in Not. Sie haben kein Wasser, keine Toiletten, keine Schlafmöglichkeiten.» Er kritisiert eine «schwierige Prozedur mit 1000 Bedingungen» für eine Aufnahme in Deutschland – extreme Hürden, meint er.

«Sicherheitsgarantien für alles Mögliche»

Sein Bruder habe im Konsulat in Ankara das Visumsverfahren für die Angehörigen angestoßen. «Ich soll verschiedene Sicherheitsgarantien für alles Mögliche geben. Das ist doch Quatsch.» Es sei selbstverständlich, sich um die Verwandten zu kümmern, sagt er.

Die Bundesregierung hat ein unbürokratisches Visaverfahren angekündigt, damit Erdbebenopfer schnellstmöglich in Deutschland unterkommen können. Betroffene brauchen laut Auswärtigem Amt ein Visum, wenn sie bei ihren Angehörigen ersten oder zweiten Grades für bis zu drei Monate leben wollen. Das aufnehmende Familienmitglied muss eine Erklärung abgeben, in der es sich verpflichtet, für den Lebensunterhalt und die spätere Ausreise aufzukommen.

Mehmet Demir aus Dinslaken bemängelt: «Das Ganze ist total kompliziert.» Der Reiseunternehmer ist gerade aus der Türkei zurückkehrt, viele seiner Angehörigen haben bei der Katastrophe ihr Leben verloren. Seine Nichte sei aus Trümmern gerettet worden.

«Keine Connections, keine Chance»

Die 16-Jährige und die Schwiegereltern will er zu sich holen, hat sie zunächst in ein Hotel in Antalya gebracht. Um die Visa zu beantragen, habe er es telefonisch in Antalya versucht, sei nach Izmir, dann auf eine Webseite verwiesen worden. «Keine Ansprechpartner. Wenn man keine Connections hat, hat man keine Chance», beklagt Demir.

In der Türkei werden Visaanträge für Deutschland vom Dienstleister iData bearbeitet. Die nächste Filiale in der Erdbebenregion – Gaziantep – ist aber wegen Gebäudeschäden dicht. Antragsteller müssen etwa nach Izmir oder Ankara ausweichen, wobei Ankara rund 600 Kilometer vom Epizentrum Kahramanmaras entfernt liegt. Abhilfe solle bald kommen, sagt ein Mitarbeiter vor Ort der dpa.

Auf deutscher Seite braucht es für die Verpflichtungserklärung noch die Ausländerbehörden am Wohnort. Da habe er noch keinen Termin bekommen, berichtet Demir. Auch in Leverkusen konnte die Erklärung von Sevil Kurtal für ihre vier Verwandten nur am Empfang der Behörde abgegeben werden, zu sprechen war niemand. Zu viel Andrang.

Jetzt zermürbe das Warten, erzählt Cataldegirmen. Großartige Hilfen wie für Kriegsflüchtlinge aus der Ukraine, die unkompliziert einreisen dürfen und staatlich unterstützt werden, sollten auch Erdbebenopfern aus der Türkei und aus Syrien zugutekommen, findet die Pflegerin.

«Für meine Mama würde ich auf dem Boden schlafen»

Beim NRW-Flüchtlingsministerium heißt es, das Land habe die Ausländerbehörden angewiesen, eine Verlängerung bestehender Touristenvisa großzügig zu prüfen. Das solle Bürgern aus den Erdbebengebieten helfen, die sich schon vor dem Beben mit einem Visum in NRW aufhielten – damit sie noch etwas länger bleiben können. Unter allen Bundesländern leben die meisten Menschen mit türkischen Wurzeln in Nordrhein-Westfalen.

In Hamburg atmet Zöhre Karali einerseits auf: «Meine Eltern und meine zwei Geschwister leben.» Aber: «Sie wissen nicht, wie es weitergeht. Sie brauchen Gewissheit. Einige Verwandte werden noch vermisst.» Zugleich trauert Karali um Verstorbene.

Serkan Sayin würde seine Mutter am liebsten sofort persönlich aus dem Katastrophengebiet nach Ahlen bringen. Er schafft es kaum noch, Geduld aufzubringen. Seine Wohnung, in der er mit Frau und zwei Kindern lebt, sei nicht groß, sagt er: «Aber für meine Mama würde ich auf dem Boden schlafen, sie könnte sofort mein Bett haben.»

Weiterlesen

Rettung nach zehn Tagen – wie überleben Menschen das?

Adana (dpa) – Auch nach zehn Tagen unter Trümmern werden immer noch Menschen lebend gerettet, wie etwa die Istanbuler Feuerwehr berichtet. Dass dies möglich sei, liege vor allem am Wetter, sagte der Vize-Vorsitzende der türkischen Ärztekammer in Adana, Ali Ihsan Ökten, der dpa am Donnerstag. «Die Körperfunktionen der Verschütteten fährt bei dem Wetter runter», so rette sich der Körper selbst. Wäre die Katastrophe im Sommer passiert, hätten Menschen niemals so lange ohne Wasser überleben können. In Antakya etwa steigen Temperaturen im Hochsommer häufig auf mehr als 30 Grad. Weiterlesen

Tote-Hosen-Konzert für Erdbebenopfer ausverkauft

Düsseldorf (dpa) – Das Benefizkonzert der Toten Hosen für die Erdbebenopfer in der Türkei und Syrien ist innerhalb von 60 Sekunden ausverkauft gewesen. 10.500 Tickets seien in einer Minute vergriffen gewesen, teilte die Band via Instagram und Facebook mit. Am 24. Februar wollen die Punkrocker mit dem Konzert in Düsseldorf möglichst viel Geld für die Krisenregion sammeln, um die Folgen der Katastrophe zu lindern. Die Donots und Thees Uhlmann haben ihre Unterstützung zugesagt. Die gesamten Einnahmen nach Abzug der Produktionskosten gehen an das Rote Kreuz, Ärzte ohne Grenzen und Medico International. Alle teilnehmenden Musiker verzichten auf eine Gage. Die Stadt Düsseldorf hat die Halle für das Konzert kostenfrei zur Verfügung gestellt. Die Tickets kosteten 75 Euro.

Aktuelle Ausgabe kostenfrei als E-Paper lesen
Eifelzeitung E-Paper Aktuelle Ausgabe kostenfrei als E-Paper lesen