Baerbock und Schulze treiben feministische Politik voran

Berlin (dpa) – Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne) und Entwicklungsministerin Svenja Schulze (SPD) stellen heute Konzepte für eine stärkere feministische Politik in ihren Ministerien vor. Beide wollen nach einer Sitzung des Bundeskabinetts die Öffentlichkeit gegen Mittag in Berlin gemeinsam informieren.

Ein Kabinettsbeschluss ist für die Konzepte nicht nötig – es geht um Leitlinien, die jeweils für die Ministerien gelten. Kritik an den Konzepten kommt aus der Opposition von Union und Linksfraktion – aber auch aus der FDP, einem Ampel-Partner.

Baerbock: Gleichberechtigung gleich Stabilität

Baerbock schreibt im Vorwort zu dem 80 Seiten starken Katalog mit Leitlinien für eine feministische Außenpolitik, Frauenrechte seien ein Gradmesser für den Zustand der Gesellschaften. Das Konzept sei integraler Teil der wertegeleiteten Außenpolitik und solle sich «im Sinne eines umfassenden Verständnisses von Sicherheit» auch in der geplanten Nationalen Sicherheitsstrategie widerspiegeln. Weiterlesen

Baerbock: «Feministische Außenpolitik ist bitternötig»

Von Jörg Blank, dpa

Berlin (dpa) – Ein 80-Seiten-Katalog voller Leitlinien und eine eigene Botschafterin: Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne) will das Konzept der feministischen Außenpolitik als Arbeitsprinzip im Auswärtigen Amt verankern.

«Frauenrechte sind ein Gradmesser für den Zustand unserer Gesellschaften», schreibt die Grünen-Politikerin im Vorwort zu den Leitlinien, die der Deutschen Presse-Agentur vorliegen und an diesem Mittwoch in Berlin präsentiert werden sollen. Auch bei Projektförderung und humanitärer Hilfe soll das Konzept greifen.

Baerbock will die neuen Ansätze nach der Sitzung des Kabinetts gemeinsam mit Entwicklungsministerin Svenja Schulze (SPD) vorstellen. Einen Regierungsbeschluss ist dazu nicht nötig. Im Auswärtigen Amt ist anschließend eine Podiumsdiskussion mit Vertreterinnen und Vertretern aus der Zivilgesellschaft, der Wissenschaft und internationalen Organisationen geplant.

«Wir verfolgen eine feministische Außenpolitik, weil es bitternötig ist. Weil Männer und Frauen weltweit noch immer nicht gleichgestellt sind», begründet Baerbock das neue Vorgehen. Es gehe nicht um «Außenpolitik für Frauen, sondern für alle Mitglieder einer Gesellschaft». Das Konzept sei integraler Teil der wertegeleiteten Außenpolitik und solle sich «im Sinne eines umfassenden Verständnisses von Sicherheit» auch in der geplanten Nationalen Sicherheitsstrategie widerspiegeln.

Schulze mit feministischer Entwicklungspolitik

Ministerin Schulze will ein gesondertes Konzept zur feministischen Entwicklungspolitik vorlegen. So sollen in ihrem Haus bis 2025 mehr als 90 Prozent der neu zugesagten Projektmittel in Vorhaben fließen, die die Gleichstellung voranbringen. Das Konzept der feministischen Entwicklungspolitik soll in der Zusammenarbeit mit den Partnerländern verankert werden. Mindestens 50 Prozent der Führungspositionen im Entwicklungsministerium sollen mit Frauen besetzt werden.

Außenpolitik: Auswirkung auf Projekte und humanitäre Hilfe

Ziel der feministischen Außenpolitik ist es laut Baerbock, bis zum Ende der Legislaturperiode 85 Prozent der Projektmittel «gendersensibel» auszugeben, so dass Belange von Frauen mit einbezogen werden. So soll etwa bei humanitärer Hilfe dem Umstand Rechnung getragen werden, dass Frauen beispielsweise andere Hygieneartikel brauchen als Männer. Acht Prozent der Mittel sollten «gendertransformativ» gezahlt werden, so dass es eine aktive Umgestaltung der Projekte in Richtung von mehr Beteiligung von Frauen gibt. Zwei Drittel des Gesamthaushalts von rund 7,5 Milliarden Euro sind Projektmittel, diese etwa 5 Milliarden Euro sollen künftig unter dem Schlagwort Gender-Budgeting ausgegeben werden.

In sechs Leitlinien für ein außenpolitisches Handeln ist zu lesen, «wir integrieren die Perspektiven von Frauen und marginalisierten Gruppen in unsere weltweite Arbeit für Frieden und Sicherheit».

In der Leitlinie zur Klima- und Energieaußenpolitik heißt es: «Frauen und diverse gesellschaftliche Gruppen sind wichtige Akteur*innen und Führungspersonen unserer Klima- und Energiediplomatie. Wir helfen, die spezifischen Auswirkungen der Klimakrise auf Frauen und marginalisierte Gruppen auszugleichen.» Laut Vereinten Nationen sind 2021 bis zu 80 Prozent der Menschen, die aufgrund von klimabedingten Katastrophen fliehen mussten, Frauen gewesen.

«Historische Machtstrukturen überwinden»

Baerbock will «historisch gewachsene Machtstrukturen» benennen, überwinden «und so eine gerechte Teilhabe und Gleichstellung aller Menschen weltweit» befördern. «Stärkere Teilhabe von Frauen bringt größere Sicherheit», heißt es in dem Papier. Frauen und sogenannte marginalisierte Gruppen sollten künftig den gleichen Zugang zu finanziellen, personellen und natürlichen Ressourcen erhalten.

Was sich im Auswärtigen Amt ändern soll

Die Leitlinien sollten «unser Handeln als Team des Auswärtigen Amts im Sinne eines Mainstreamings durchziehen, in unserer nationalen Außenpolitik, in der Europäischen Union und in den internationalen Foren», schreibt Baerbock. Die Vorgaben sollten «unsere innere Arbeitsweise prägen und uns helfen, einen «feministischen Reflex» auszubilden». Klartext: Baerbock macht ihren Diplomaten die Ansage, dass die feministische Außenpolitik künftig Priorität haben soll.

«Mainstreaming» soll in den neuen Arbeitsweisen und Strukturen des Ministeriums eine Schlüsselrolle spielen. Dafür will Baerbock vom Sommer an den Posten einer «Botschafterin des Auswärtigen Amts für feministische Außenpolitik» schaffen, um vor allem nach innen zu wirken. «Wir werden hart daran arbeiten, unserem Auswärtigen Dienst ein weiblicheres Gesicht zu geben und den Anteil von Frauen in Führungsfunktionen erhöhen», kündigt sie an. Bereits bei der Einstellung soll geprüft werden, ob Bewerber über Gleichstellungs- und Diversitätskompetenz verfügen.

Wie sieht es bisher aus im AA?

Aktuell sind im Auswärtigen Amt nach dessen Angaben 49,8 Prozent der Beschäftigten weiblich. 27 Prozent der insgesamt 226 deutschen Auslandsvertretungen werden von Frauen geleitet. Im Vergleich zu 2021 habe man den Frauenanteil in Führungspositionen im höheren Dienst im vergangenen Jahr um knapp 3 Punkte auf 26 Prozent gesteigert.

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Baerbock: Einführung der Todesstrafe in Israel wäre Fehler

Berlin (dpa) – Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne) hat ihrem israelischen Amtskollegen Eli Cohen die Besorgnis Deutschlands wegen Plänen für eine Einführung der Todesstrafe übermittelt. «Wir sind aus fester Überzeugung gegen die Todesstrafe, und wir sprechen das überall auf der Welt an», sagte Baerbock am Dienstag in Berlin bei einem Treffen mit ihrem Amtskollegen Cohen. Dieser gehört der neuen israelischen rechts-religiösen Regierung von Ministerpräsident Benjamin Netanjahu an. Weiterlesen

Hoss über Dreh mit Orchester: «Ich dachte, ich drehe durch»

Berlin (dpa) – Schauspielerin Nina Hoss (47) hat die Dreharbeiten mit der Dresdner Philharmonie für ihren jüngsten Film «Tár» als einen Höhepunkt ihrer Karriere bezeichnet. «Es ist mit eines der größten Geschenke und Erlebnisse, die ich bisher hatte mit meinem Beruf, wo man ja immer wieder in andere Leben und Berufe reinblicken kann», sagte Hoss («Barbara») in Berlin. «Wann sitzt man denn schon mal im Orchester? Also ich meine, während sie spielen?»

In dem Film «Tár» mit Cate Blanchett in der Hauptrolle als (fiktive) Stardirigentin spielt Hoss die Konzertmeisterin eines weltberühmten Orchesters in Berlin. Der Film startet am 2. März in den deutschen Kinos. Weiterlesen

«Turbo für Propaganda»: Forscher warnt vor Bots wie ChatGPT

Oxford (dpa) – Der britische Experte Michael Osborne sieht in der rapiden Verbreitung des Sprachroboters ChatGPT und ähnlicher Programme große Gefahren und fordert eine rasche Regulierung. «ChatGPT wie auch andere Sprachroboter können zum Turbo für die Verbreitung von Fehlinformationen und Propaganda werden», sagte der Wissenschaftler der Universität Oxford, der sich seit Jahren mit der Entwicklung Künstlicher Intelligenz (KI) beschäftigt, im Gespräch mit der Deutschen Presse-Agentur.

ChatGPT ist eine Anwendung, die mit Hilfe Künstlicher Intelligenz umfangreiche Antworten auf Texteingaben erstellt. Der Textroboter kann unter anderem in verschiedenen Sprachen Fragen beantworten, Texte zusammenfassen und bewerten, Gedichte oder auch Computerprogramme schreiben. Weiterlesen

VW hält an umstrittenen Werk im Westen Chinas fest

Peking/Wolfsburg (dpa) – Der Volkswagen-Konzern will auch nach einem Besuch seines China-Vorstands Ralf Brandstätter in dem umstrittenen Werk in der Region Xinjiang an dem Standort festhalten. «Natürlich kennen wir die kritischen Berichte, wir nehmen das sehr ernst», sagte der Manager zu Darstellungen, denen zufolge es in der Westprovinz eine systematische Unterdrückung der muslimischen Uiguren geben soll. «Aber wir haben keine Hinweise auf Menschenrechtsverletzungen in diesem Werk – das hat sich nach meinem Besuch nicht geändert.»

Brandstätter war Mitte Februar für zwei Tage in die Stadt Ürümqi gereist, um sich in der örtlichen Fabrik umzusehen. «Ich habe keine Widersprüche festgestellt», meinte Volkswagens China-Chef. «Ich habe keinen Grund, an den Informationen und meinen Eindrücken zu zweifeln. Ungeachtet dessen schauen wir natürlich trotzdem weiter hin.» Weiterlesen

Deutschland unterstützt Jemen mit 120 Millionen Euro

Genf (dpa) – Bei einer Konferenz der Vereinten Nationen in Genf ist neues Geld für humanitäre Hilfe im Bürgerkriegsland Jemen eingesammelt worden.

Nach fast acht Jahren Bürgerkrieg brauchen im ärmsten arabischen Land mehr als 20 Millionen Menschen Unterstützung – annähernd zwei Drittel der Bevölkerung. Deutschland sagte dafür 120 Millionen Euro zu. Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne) sagte: «In Jemen sehen wir seit Jahren eine der schlimmsten humanitären Katastrophen auf der Welt, (…) vor der die Welt immer wieder und viel zu oft die Augen verschlossen hat.»

2014 hatten die vom Iran unterstützten schiitischen Huthi-Rebellen das Land überrannt. Seitdem beherrschen sie weite Teile vor allem im Norden. Bekämpft werden sie von der Regierung und einer Militärkoalition unter Führung von Saudi-Arabien. Der Bürgerkrieg hat Millionen Menschen im Land vertrieben. Mehr als zwei Millionen Kinder sind stark unterernährt, Hunderttausende in lebensbedrohlichem Zustand. Die Wirtschaft liegt am Boden, die Preise für Lebensmittel sind stark gestiegen. Weiterlesen

UN-Generalsekretär: Menschenrechte sind unter Beschuss

Genf (dpa) – Mit eindringlichen Warnungen und einem flammenden Appell hat UN-Generalsekretär António Guterres in Genf die Sitzung des UN-Menschenrechtsrats eröffnet. Die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte feiere zwar in diesem Jahr 75-jähriges Bestehen, stehe aber unter Beschuss. «Sie wird missbraucht und misshandelt», sagte Guterres in Genf.

«Sie wird für politische Zwecke ausgenutzt und ignoriert – oft durch ein und dieselben Menschen.» Die Welt müsse sich dem entgegenstellen. Zu der Sitzung wird auch Bundesaußenministerin Annalena Baerbock erwartet.

Guterres: Welt erlebt Rückschritte statt Fortschritte

Er appellierte an Regierungen und alle Menschen: «Wir müssen die Erklärung neu beleben und ihre volle Umsetzung sicherstellen, um die Herausforderungen von heute und morgen zu meistern.» Die Welt voller Krisen und Konflikte erlebe statt Fortschritten Rückschritte. Armut und Hunger würden größer, sozialer Zusammenhalt und Vertrauen schwänden angesichts des Grabens zwischen Reichen und Armen. Weiterlesen

Textilienexport aus EU wird zunehmend zu Müllproblem

Kopenhagen (dpa) – Die Zahl der aus der EU exportierten gebrauchten Textilien hat sich der Umweltagentur EEA zufolge innerhalb von zwei Jahrzehnten verdreifacht. Beim Umgang mit diesen Textilien stünden Europa große Herausforderungen bevor, warnte die EU-Behörde in einem aktuellen Bericht. Weil die Kapazitäten für Wiederverwendung und Recycling in Europa begrenzt seien, werde ein großer Teil der ausgemusterten und gespendeten Kleidung nach Afrika und Asien exportiert.

«Die öffentliche Wahrnehmung, dass Altkleiderspenden in diesen Regionen immer von Nutzen sind, spiegelt nicht die Realität wider», schreiben die Umweltexperten. «Einmal exportiert, ist das Schicksal gebrauchter Textilien oft ungewiss.» Weiterlesen

Halsketten bei Männern – früher prollig, heute angesagt

Von Gregor Tholl, dpa

Berlin/Los Angeles (dpa) – Wer sich mit Modegeschichte beschäftigt, erkennt rasch: Kerle mit Kette sind eigentlich normaler als Herren ohne Schmuck. Nach Jahrzehnten eines schlechten Rufs des Goldkettchens zum Beispiel erlebt Männerschmuck derzeit ein Comeback. Und das geschieht bei vielen Typen, vom Macho-Macker bis zum Muttersöhnchen. Was hat es mit dem «Statement Necklace» auf sich?

Bei einer Filmpremiere in Los Angeles trug Freestyle-Skisportler Gus Kenworthy (31) neulich sogar zum Smoking eine zarte Kette, «Elvis»-Darsteller Austin Butler (31) trug eine feine in Beverly Hills beim Oscar-Nominierten-Lunch. In der modischen Netflix-Serie «Emily in Paris» trägt der Lover von Emily Cooper, ein Banker aus London, gern mal – statt einer Krawatte – eine glitzernde Halskette zu Hemd und Sakko. Zum Polo-Shirt hat Alfie, der von Lucien Laviscount (30) verkörpert wird, auch öfter eine Kette um.

Popsänger Harry Styles (etwa kürzlich bei den Grammy Awards), Schauspieler Timothée Chalamet, viele Influencer, Hip-Hop- oder K-Pop-Stars, Internet-Promis wie die Elevator Boys, Tennisspieler Alexander Zverev und andere Sportler schmücken sich sowieso mit Ketten verschiedener Art.

«Brustbehaarung und Bart als Männlichkeitsmarker»

Auch im Sommer 2023 wird das Männerkettchen – lange klassistisch als Proll-Orden verachtet – wieder angesagt sein: Wenn der Ausschnitt tiefer oder der Oberkörper nackt ist, zieht glänzender Schmuck die Blicke auf sich. Sexobjekt Mann.

Der Männlichkeitsforscher Toni Tholen von der Universität Hildesheim sagt, Herrenketten kompensierten zum Teil den Attraktivitätsschwund formaler Männerbekleidung. «Vor allem der Anzug-mit-Krawatte-Look gilt heute meist als langweilig. Mit dem Modewechsel geht auch die neoliberale Aufforderung einher, bürokratisches, distanziertes, steifes Auftreten zu vermeiden und sich stattdessen sexy, interessant, spielerisch, nahbarer und ein wenig queer zu geben.»

Männer wollten jedoch weiterhin Souveränität und Entschiedenheit ausstrahlen, sagt der Literaturwissenschaftler. «Dazu setzen sie dann zum Beispiel ihre Brustbehaarung und den Bart als Männlichkeitsmarker ein – und trainierte, muskulöse Körper oder Tattoos.»

Tholen sieht Halsketten auch als eine neue Art von Schlips. «Ketten sind insofern die neuen Krawatten, als sie den Phallus, den die Krawatte bisweilen symbolisiert, unsichtbarer erscheinen lassen.»

«Hinter spielerischer Fassade lauern oft noch Machos»

Das Kettchen-Tragen weise auf eine in der Männlichkeitsforschung als «hybrid» bezeichnete Männlichkeit hin. «Als “weiblich” codierte Aspekte werden in männliche Gender-Performance integriert, ohne dass die Position privilegierter Männlichkeit infrage gestellt wird.» Da Mode Modernisierung oft bloß simuliere, sei effeminierender Männerschmuck wie Ketten auch Teil einer nur scheinbar modernisierten Männlichkeit. «Hinter spielerischer Fassade lauern oft noch Machos.»

Im Alten Ägypten drückte Herrenschmuck einen hohen Stand aus, bei den Römern gab es Halsketten, Brustnadeln und Armspangen, ebenso in der Renaissance. Im Barock setzte der Adel dann – allen voran Sonnenkönig Ludwig XIV. von Frankreich – auf Glitzer überall.

Bis zur Französischen Revolution und dem allmählichen Ende der alten Adelsherrschaft schmückte sich der Mann, wenn er reich war, farbenfroh und prächtig. Mit Napoleon und dem 19. Jahrhundert wich der verspielte Herrenschmuck eher Abzeichen und militärischen Orden.

Mit dem Biedermeier veränderte sich die Herrenmode grundlegend – zumindest in Europa und Nordamerika: Erst kam der strenge Gehrock und schließlich im 20. Jahrhundert der Anzug oder für den Abend der Frack oder Smoking. Prächtige Schmuckstücke waren für Männer plötzlich verpönt. Je karger, desto männlicher – so das behauptete neue Ideal.

«Alle wollen ein bisschen Street und Ghetto sein»

Als Accessoires empfahlen Experten noch bis vor Kurzem meist nur ganz wenig für den feinen Herrn: eine schöne Armbanduhr, ein gutes Paar Manschettenknöpfe und, wenn verheiratet, einen bescheidenen Ehering.

«Bei Anzug und Hemd in gedeckten Farben waren bunte Krawatten lange Zeit der einzige erlaubte Schmuck», sagt Carl Tillessen vom Deutschen Mode-Institut (DMI). «Während der Rest des Outfits nüchtern gehalten wurde, waren Krawatten die paar Quadratzentimeter Seide, mit denen sich Männer austoben durften.»

Das sei schlagartig vorbei gewesen, als Anfang des Jahrtausends der schmale Schlips angesagt wurde, der ebenfalls in gedecktem Uni gehalten war. «Man könnte sagen, dass der verantwortliche Designer, Hedi Slimane, der Krawatte damit einerseits zum Comeback verhalf und sie gleichzeitig überflüssig machte.»

DMI-Chefanalyst Tillessen sagt, bei Ketten als neuen Krawatten ließen sich mindestens zwei verschiedene Typen unterscheiden: «Auf der einen Seite gibt es dicke Gangster-Goldketten, die häufig mit einer hypermaskulinen Macho-Attitüde getragen werden.» Das boome derzeit, weil die Athleisure-Mode der letzten Jahre – von «athletic» (sportlich) und «leisure wear» (Freizeitkleidung) – stark von einer Hip-Hop-Attitüde geprägt sei. «Also wollen alle ein bisschen Street und Ghetto sein und kokettieren mit dem Neureichen und Prolligen.»

Auf der anderen Seite trügen Jungs und Männer feine Kettchen, auch Perlenketten. «Das ist Ausdruck des neuen, androgynen Männerbildes. Es breitet sich aus, weil zunehmend traditionelle Geschlechterrollen und Gender-Identitäten hinterfragt werden. Genderfluide Accessoires drücken das Bedürfnis aus, sich auch äußerlich von toxischer Männlichkeit oder sogenannten alten weißen Männern zu distanzieren.»

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Berlinale 2023 – Das Jahr der kriselnden Männer

Berlin (dpa) – Ein Mann fährt mit einem alten Wagen durch die australische Wüste, hört einen religiösen Radiosender, zündet sich eine Kippe an. Der Thriller «Limbo» erzählt von einem Polizisten, der zum Verschwinden einer indigenen Frau recherchieren soll. Gespielt wird der drogensüchtige Ermittler von Simon Baker. Man erkennt den Schauspieler, der durch die Serie «The Mentalist» und die Komödie «Der Teufel trägt Prada» bekannt ist, kaum wieder.

In «Limbo» sieht man ihn mit raspelkurzem Haar, Bart, Brille. Der Schwarz-Weiß-Film von Regisseur Ivan Sen gehört zu den 19 Wettbewerbsfilmen der Berlinale. An diesem Samstag verkündet die Jury, welche Filme und Leistungen diesmal ausgezeichnet werden. Jurypräsidentin Kristen Stewart und die anderen Mitglieder haben dafür in den vergangenen Tagen stundenlang Filme geschaut. Weiterlesen

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