Lob und Protest: Totenmesse für Kardinal Pell in Sydney

Sydney (dpa) – Unter großem Polizeiaufgebot und begleitet von Protesten ist in der St. Mary’s Cathedral in Sydney die Totenmesse für den umstrittenen australischen Kardinal George Pell abgehalten worden. Der vor drei Wochen in Rom gestorbene Pell war der ranghöchste Geistliche in der Geschichte der katholischen Kirche, der wegen Kindesmissbrauchs verurteilt wurde. Im Jahr 2020 wurde er aber in einem Berufungsverfahren nach rund 13 Monaten Haft freigesprochen und aus dem Gefängnis entlassen.

Tausende strömten nach Medienberichten am Donnerstag zu der Kirche, um Abschied zu nehmen. Viele verfolgten das Requiem auf Leinwänden vor der Kathedrale. «Auch nachdem er vom High Court einstimmig entlastet wurde, dämonisierten ihn einige weiterhin», sagte Erzbischof Anthony Fisher, der die Messe zelebrierte. Pell habe aber ein großes Vermächtnis hinterlassen und sei der «einflussreichste Kirchenmann in der Geschichte der Nation» gewesen. Weiterlesen

Papst feiert Messe in Kinshasa

Kinshasa (dpa) – Bei einer großen Messe in Kinshasa mit mehr als einer Million Menschen hat Papst Franziskus für ein Ende der Gewalt auf dem afrikanischen Kontinent gebetet. Er ermunterte die Leute, «Missionare des Friedens» zu sein und «mit allen zusammenzuarbeiten, den Kreislauf der Gewalt zu durchbrechen und die Ränke des Hasses zu zerschlagen». Das sagte er bei seiner Predigt am Mittwoch in der Hauptstadt der Demokratischen Republik Kongo. Dort war das Oberhaupt der Katholiken am Dienstag gelandet und euphorisch empfangen worden. Weiterlesen

Papst Franziskus zu Pilgerreise nach Afrika aufgebrochen

Rom/Kinshasa (dpa) – Papst Franziskus ist zu seiner Pilgerreise nach Zentral- und Ostafrika aufgebrochen. Die Maschine des Pontifex hob am Dienstagmorgen von Rom in Richtung Kinshasa ab, der Hauptstadt der Demokratischen Republik Kongo. In der Millionenmetropole verbringt Franziskus den ersten Teil der Reise, am Freitag fliegt er dann weiter nach Juba, der Hauptstadt des Südsudans. Das Oberhaupt der Katholiken will in den beiden christlich geprägten Staaten für Frieden und ein harmonischeres Miteinander werben. Sowohl der Kongo als auch der Südsudan wurden zuletzt von gewalttätigen Vorfällen erschüttert, sei es aufgrund von Rebellen oder rivalisierenden Clans.

Auf einen Abstecher nach Goma im Osten verzichtet Franziskus. Im vorigen Juli – als die Reise ursprünglich geplant war, wegen der angeschlagenen Gesundheit des 86-Jährigen aber abgesagt wurde – hatte der Papst in der Grenzregion zu Ruanda Opfer von Gewalt treffen wollen. Diesmal aber wollte der Vatikan kein Risiko eingehen und möglichen Attentätern durch größere Menschenansammlungen keine Ziele geben. «Dann werfen sie eine Bombe ins Stadion und töten viele Menschen», sagte Franziskus jüngst in einem Interview. Mit Opfern von Gewalt aus dem Osten trifft sich der Heilige Vater nun in Kinshasa. Weiterlesen

Deutsche Kritik an Koran-Verbrennung in Stockholm

Berlin/Stockholm (dpa) – Die Bundesregierung hat die Verbrennung eines Korans während einer Protestaktion nahe der türkischen Botschaft in Schwedens Hauptstadt Stockholm als «respektlos und höchst unangemessen» verurteilt. Weiterlesen

Berliner Schau zeigt Objekte aus Yad Vashem

Von Christina Storz und Verena Schmitt-Roschmann, dpa

Berlin (dpa) – Es waren bereits gefährliche Zeiten, als die jüdische Familie Margulies aus Nazi-Deutschland floh. Im März 1939 schaffte es Vater Menashe Margulies, Textilhändler aus Chemnitz, Visa für die Niederlande zu bekommen. Der 15-jährige Sohn Szalay sollte in Berlin eigentlich Schiffskarten kaufen. Stattdessen ergatterte er für 2544 Reichsmark vier Flugtickets der Lufthansa von Berlin nach Haifa. Blieb noch ein großes Hindernis: Das Familienklavier sollte keinesfalls zurückbleiben. Tatsächlich gelang es den Flüchtenden irgendwie, das Instrument nach Palästina zu verschiffen.

84 Jahre später ist das Piano zurück in Deutschland. Wenige Tage vor dem diesjährigen Holocaust-Gedenktag am 27. Januar wird es ab Dienstag in der Ausstellung <<Sechzehn Objekte>>  im Paul-Löbe-Haus des Deutschen Bundestags zu besichtigen sein. Es sind 16 Stücke aus einer Sammlung von 42 000 Artefakten der Holocaust-Gedenkstätte Yad Vashem in Jerusalem. Diese bringt zu ihrem 70. Bestehen erstmals eine kleine Auswahl in das Land, in dem ihre Besitzer einst zuhause waren, aus dem sie vertrieben oder verschleppt und ermordet wurden. Es ist eine berührende Rückkehr nach einer sehr langen Reise.

Yad Vashem-Leiter kommt nach Deutschland

«Ich wollte natürlich ganz unterschiedliche Objekte haben, nicht nur jüdische Artefakte», sagt Ruth Ur, die Kuratorin der Ausstellung und Geschäftsführerin des deutschen Freundeskreises von Yad Vashem. «Es geht nicht um jüdische Menschen, es geht um Deutsche in erster Linie.» Gerade da Chemnitz 2025 Kulturhauptstadt Europas werde, könne es keine passendere Botschaft geben: «Ein Klavier, das den Holocaust überlebt hat, kommt zurück nach Deutschland, um zu zeigen, wie wichtig Musik ist.» Überlebt hat in Israel auch der damals 15-jährige Szalay, heute Shlomo, geboren 1923, vor fast hundert Jahren.

«Es ist wichtig zu zeigen, dass zwischen jedem einzelnen Objekt und Deutschland eine Verbindung besteht», sagt der Leiter von Yad Vashem, Dani Dajan, der Deutschen Presse-Agentur. Sie stünden exemplarisch für je ein Bundesland. Zur Eröffnung der Ausstellung und zu politischen Gesprächen kommt der 67-Jährige zum ersten Mal in seinem Leben nach Deutschland.

Die Erinnerung muss wach gehalten werden

Er hatte sich eigentlich geschworen, nie deutschen Boden zu betreten – um nie zu vergessen, was mit jüdischen Menschen in Deutschland passiert sei. «Es hatte nichts mit Hass zu tun, es hat nur mit Erinnern zu tun», sagt Dajan. Doch sei es der «gleiche Grund, der mich jetzt nach Deutschland bringt: das Erinnern». Mit seiner Reise wecke er Aufmerksamkeit, «und so werden wir das Erinnern verstärken und dazu beitragen, dass es nie wieder passiert».

Wenn man geht, unter Zwang, wahrscheinlich für immer, was nimmt man mit? Für die 1937 geborene Lore Stern aus Kassel war es ihre Puppe Inge, die 1941 mit ihr nach Portugal und schließlich in die USA reiste. Von dort wanderte Lore Stern 1991 nach Israel aus und mit ihr die Puppe. Auch für Anneliese Dreifuss aus Stuttgart war es ein Spielzeug, eine winzige Keramikküche, die die Emigration in die Vereinigten Staaten überlebte.

Als der Hamburger Leon Cohen ins Ghetto Theresienstadt deportiert wurde, wollte er auf eines nicht verzichten: seinen selbst gefertigten Thora-Schrein. Als ihn die Nazis weiter nach Auschwitz verschleppten, ließ Cohen den Schrein dann doch zurück. Die Leiterin eines Kinderheims verwahrte ihn. So kam der Schrein nach Yad Vashem und nun nach Berlin.

Die Dinge erzählen von den Menschen

In der Ausstellung steht er ganz in der Nähe einer Vitrine mit einem unscheinbaren Fetzen Stoff – ein Fragment der Fahne des Jugendbunds Maccabi Hatzair. Als Mitglieder des Bundes 1943 deportiert werden sollten, zerrissen sie die Fahne und versprachen sich gegenseitig, sie wieder zusammenzusetzen, wenn sie sich in Israel wiedersähen. Eine von ihnen, Anneliese Borinski, schaffte es tatsächlich, ihr Stück Stoff im Vernichtungslager Auschwitz und auf einem Todesmarsch bei sich zu behalten. Sie war die einzige, die ihren Teil der Fahne nach Israel bringen konnte.

Dinge des Erinnerns, wenn niemand mehr aus erster Hand erzählen kann: «Wir sind in einem Wettlauf gegen die Zeit», sagt Yad-Vashem-Leiter Dajan. «Wenn die Zeitzeugen nicht mehr unter uns sind, dann müssen wir sicherstellen, dass wir ihre Erinnerung weitertragen.»

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Ein Jahr Missbrauchsgutachten: Marx informiert über Folgen

München (dpa) – Vor einem Jahr wurde ein aufsehenerregendes Gutachten über Fälle von sexuellem Missbrauch im Erzbistum München und Freising veröffentlicht. Was ist seither geschehen in der Diözese? Darüber will der Münchner Erzbischof, Kardinal Reinhard Marx, heute informieren.

Dabei soll es in München nach Bistumsangaben vor allem um die Frage gehen, was seither auf den Weg gebracht wurde, um die Fälle weiter aufzuarbeiten und Betroffenen zu helfen. «Im Großen und Ganzen ist viel passiert», sagt der Vorsitzende des Betroffenenbeirats der Diözese, Richard Kick, der Deutschen Presse-Agentur. «Wir sehen – nach anfänglichem, misstrauischen Beäugen – eine tragfähige Zusammenarbeit mit der Bistumsverwaltung.» Weiterlesen

Kein Staatsbegräbnis für umstrittenen Kardinal Pell

Sydney/Melbourne (dpa) – Nach dem Tod des australischen Kardinals George Pell soll es in seiner Heimat kein Staatsbegräbnis für den umstrittenen Kirchenmann geben. Diese Möglichkeit werde «ganz klar» ausgeschlossen, sagte gestern der Premierminister des Bundesstaates Victoria, Daniel Andrews. Er könne sich «nichts Schmerzlicheres» für Menschen vorstellen, die Opfer von sexuellem Missbrauch geworden seien, als ein solches Staatsbegräbnis, betonte Andrews. Gleichzeitig drückte er Pells Familie, Kollegen und Freunden sein Beileid aus. Weiterlesen

Macht und Missbrauchsverdacht: Kardinal Pell ist tot

Von Carola Frentzen und Johannes Neudecker, dpa

Rom (dpa) – Kardinal George Pell war eine imposante Gestalt. Mit fast zwei Metern Körpergröße überragte der Australier die meisten seiner Kollegen im Vatikan, auch wenn er wegen künstlicher Kniegelenke in den letzten Jahren am Stock ging.

Die Statur passte zu seinem Status: Als Finanzminister von Papst Franziskus galt der Geistliche einst als dritthöchster Vertreter des Vatikans und versuchte, die undurchsichtigen Finanzen des Heiligen Stuhls in Ordnung zu bringen. Aber aus der Höhe stürzte er tief – zumindest zeitweise. Jetzt ist der mächtige Kirchenmann im Alter von 81 Jahren in Rom gestorben.

Ein Rückblick: Ende Juni 2017 wird bekannt, dass im australischen Bundesstaat Victoria ein Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts des Kindesmissbrauchs gegen Pell eingeleitet worden ist. Ihm werden sexuelle Vergehen an zwei Chorknaben in den 1990er Jahren zur Last gelegt, als er Erzbischof war. Anfang 2018 beginnt die Beweisaufnahme in Melbourne, bei der Dutzende Zeugen vernommen werden. Der Kardinal bestreitet die Vorwürfe und plädiert auf «nicht schuldig».

Fall mit Symbolkraft

Dennoch spricht ihn die Jury der Geschworenen Ende 2018 einstimmig schuldig. Wenige Monate später wird das Strafmaß verkündet: Sechs Jahre Haft. Pell ist damit der ranghöchste Geistliche in der Geschichte der katholischen Kirche, der wegen Kindesmissbrauchs verurteilt wurde. Maßgeblich war die Aussage eines früheren Chorknaben.

Richter Peter Kidd findet bei der Urteilsverlesung deutliche Worte, nennt den Kardinal «atemberaubend arrogant», «gefühllos» und «brutal». Vor dem Gericht warten gleichermaßen Anhänger und Gegner des Kurienkardinals. Demonstranten halten Schilder hoch, auf denen Pell mit Teufelshörnern zu sehen ist. Der Fall hat weit über die Grenzen Australiens hinaus Symbolkraft.

Dann aber die Überraschung: Nach 404 Tagen in Einzelhaft wird Pell im April 2020 im Berufungsverfahren freigesprochen und kommt aus dem Gefängnis. Die Richter halten es für eine «bedeutende Möglichkeit», dass eine unschuldige Person verurteilt wurde. Die Beweislast sei nicht ausreichend, Pells Schuld zu untermauern. Damit endet ein spektakulärer Prozess, der weltweit jahrelang für Schlagzeilen sorgte. Missbrauchsopfer sind bestürzt, die Kollegen im Vatikan erleichtert. Nach seiner Freilassung kehrt Pell nach Rom zurück.

In seiner Zelle schreibt er ein «Gefängnistagebuch», das später in drei Bänden als Buch veröffentlicht wird. Pell gewährt darin Einblicke sowohl in sein Leben in Haft als auch in sein Inneres. Es geht um Gott, die Kirche und den Papst, aber auch um sein Gerichtsverfahren. «Wie bei jedem Leiden, auch bei unwillkommenen und unerwarteten, kann alles dem Herrn zum Wohl der Kirche aufgeopfert werden. Das ist ein großer Trost», schreibt er.

Überraschend gestorben

Sein plötzlicher Tod in Folge einer Routine-Operation sorgt nun erneut für gemischte Reaktionen. Der frühere australische Premierminister Tony Abbott bezeichnet die Vorwürfe gegen Pell und seine Inhaftierung am Mittwoch als «eine moderne Form der Kreuzigung». Steve Dimopoulos, Minister in der Regionalregierung von Victoria betont hingegen: «Heute ist ein sehr schwieriger Tag für die Familie und Angehörigen des Kardinals. Aber es ist auch ein sehr schwieriger Tag für Überlebende und Opfer des sexuellen Missbrauchs von Kindern und ihre Familien, und meine Gedanken sind bei ihnen.»

Pells Operation sei schon länger geplant gewesen, berichtet das vatikaneigene Medienportal «Vatican News». Berichten zufolge handelte es sich um eine Operation an der Hüfte. Pell hatte seit 2010 auch bereits einen Herzschrittmacher.

Noch im Dezember lobte Papst Franziskus Pell für seine Arbeit in der Kurie, deren Finanzapparat er mit sanierte und bezeichnete ihn als «Genie»: «Es war Pell, der den Entwurf machte, mit dem man weitermachen konnte», sagte der 86 Jahre alte Argentinier dem italienischen Privatsender Canale 5. «Er ist ein großartiger Mensch und wir schulden ihm viel.»

Im Konklave bei zwei Papstwahlen

Um den hoch gewachsenen Kurienkardinal war es zuletzt aber ruhiger geworden. Das Requiem für den unlängst verstorbenen Papst Benedikt XVI. feierte er am 5. Januar in Rom noch mit. Seit seinem 80. Geburtstag im Juni 2021 war der Australier bereits aus dem Kreis der Wahlberechtigten in einem Konklave heraus gefallen.

Diese Altersgrenze gilt für alle Papstwähler. Papst Johannes Paul II. nahm Pell im Oktober 2003 in das Gremium mit auf. Dementsprechend wählte der studierte Philosoph und Theologe im Konklave 2005 mit, aus dem der deutsche Kardinal Joseph Ratzinger als Papst Benedikt XVI. hervorging und im Konklave 2013, das Jorge Mario Bergoglio – den heutigen Papst Franziskus – wählte.

Auch wenn er bei einer künftigen Papstwahl nicht mehr hätte abstimmen dürfen – Pell machte sich seit Jahren Gedanken über die Zukunft der Kirche auch nach Franziskus. «Ich habe den Ehrgeiz, lange genug zu leben, um beim nächsten Vorkonklave über das Leben der Kirche zu sprechen und darüber, wie der nächste Papst sein sollte», schreibt er in seinem Gefängnistagebuch. Aber dazu sollte es nicht mehr kommen.

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Weihnacht in Kiew – Putins Krieg verschiebt Traditionen

Von Ulf Mauder, dpa

Kiew (dpa) – Es braucht eine kleine Kraftanstrengung, um den Weihnachtsbaum in der Ankunftshalle des Kiewer Hauptbahnhofs zum Leuchten zu bringen. Aber Männer, Frauen und Kinder stehen geduldig an, um auf einem Energie-Fahrrad in die Pedale zu treten, bis die Lichter an dem verkabelten Prachtstück angehen. Plötzlich wird es auch in der Halle heller – und weihnachtlicher. Weil der russische Präsident Wladimir Putin seit Wochen die Energie-Infrastruktur der Ukraine bombardieren lässt, sind die Stromausfälle in Kiew und anderen ukrainischen Städten extrem. Ohne Tageslicht versinkt die Millionenmetropole Kiew in bestürzende Dunkelheit.

Menschen mit Taschenlampen suchen in schwarzen Tunneln die Treppenstufen, um nicht zu stürzen. Auf den Straßen gibt es keine durchgängige Beleuchtung, allenfalls kleine Lichtquellen, die aber kaum Orientierung geben. Kiews Bürgermeister Vitali Klitschko verspricht immer wieder, mit Hochdruck an der Instandsetzung der von den «russischen Terroristen» zerstörten Infrastruktur arbeiten zu lassen. Aber niemand entkommt den Stromausfällen.

Reaktionen und Meinungen der Menschen

Im Kiewer Nobelkaufhaus Tsum an der Prachtstraße Chreschtschatyk stehen die Verkäuferinnen in der Parfümerie und in anderen Edelboutiquen im Dunkeln. Die wenigen Kunden zücken ihre Handys, schalten die Taschenlampen-App an, um Sonnenbrillen oder Handtaschen besser zu sehen. Die Rolltreppen stehen still. Sicherheitsleute passen auf, dass im Dunkeln nichts gestohlen wird – kein Vergleich zu dem gleichnamigen Konsumtempel Tsum in Moskau, wo alles hell ist.

Am vergangenen Dienstag musste Klitschko einräumen, dass wegen der russischen Angriffe der Strombedarf der Dreimillionenstadt nur noch zu 50 Prozent gedeckt werden könne. Hilfe gibt es etwa auf dem Bahnhof oder an anderen Punkten der Stadt, wo sich Menschen aufwärmen oder ihre Mobiltelefone und Powerbanks aufladen können. Hotels und Restaurants helfen sich mit Stromgeneratoren; vielerorts leuchten in Gaststuben geschmückte Bäume und dudeln englische Weihnachtslieder über Musikanlagen. Aber die Ängste sind groß, dass nun wieder der Diesel für die Generatoren knapp werden könnte.

«Wir lassen uns das Weihnachtsfest nicht von diesem Mistkerl im Kreml versauen», sagt Alla, Inhaberin eines Weinladens Seawine im Zentrum. Sie erzählt, dass ihre Kunden zum Weihnachts- und Neujahrsfest gut Wein und Sekt kaufen. «Wir feiern Weihnachten am 25. Dezember, wie der normale Rest der Welt», sagt sie. Traditionell richten sich aber die orthodoxen Christen in der Ukraine – wie in Russland – nach dem alten julianischen Kalender und feiern am 7. Januar.

«Das ist doch die alte Welt, das sind die Ewiggestrigen», sagt Alla in ihrer Muttersprache Russisch. Sie hat mit der russischen Kultur, das betont sie, jedenfalls abgeschlossen – wegen des Krieges. Weihnachten am 25. Dezember sei auch ein guter Tag, um den Bruch mit dem Kriegstreiber Russland einmal mehr zu konkretisieren.

Alleine ist Alla mit dieser Meinung nicht. In der Ukraine unterstützen nach einer neuen Umfrage der Ratinggroup 44 Prozent die Idee einer Verlegung der Weihnachtsfeiern vom 7. Januar auf den 25. Dezember, 2017 waren das nur 15 Prozent. Populär ist die Idee vor allem im Westen der Ukraine, in Kiew und unter jüngeren Menschen. Im Gegenzug schrumpft die Mehrheit für die Beibehaltung des orthodoxen Weihnachtsdatums. 55 Prozent der Ukrainer wollen weiter traditionell ausschließlich am 7. Januar feiern. 2021 waren es noch 71 Prozent.

Veränderungen des Verhaltens

«Es gibt einen klaren Trend, die Ukraine bewegt ihren Vektor in Richtung Westen», sagt Ratinggroup-Vizedirektor Ljubomyr Myssiw. «Das ist eine klare Folge des Krieges, das Verhalten ändert sich wegen der russischen Aggression. Viele wollen nicht Weihnachten feiern, wenn die Russen feiern», sagt er. Gesunken ist nach der Befragung auch der Anteil der Ukrainer, die gegen den 25. Dezember als Weihnachtsfeiertag sind. Nur noch ein knappes Drittel sei dagegen – statt vor einem Jahr 58 Prozent.

Schon seit Jahren erheben die Meinungsforscher das Feierverhalten. Myssiw betont aber auch, dass eine gesellschaftliche Diskussion unter Beteiligung der Kirchen nötig sei. Ein Übergang zum Kalender der Westkirchen würde sich auf alle christlichen Feiertage auswirken und sie etwa 14 Tage nach vorne verlegen.

Seit 2017 sind sowohl der 25. Dezember als auch der 7. Januar arbeitsfreie Feiertage in der Ukraine. Die 2019 mit staatlicher Hilfe gegründete Orthodoxe Kirche der Ukraine hatte im Oktober angekündigt, in diesem Jahr Gottesdienste auch am 25. Dezember anzubieten. Bislang begingen nur evangelische und katholische Kirchen in der Ukraine das Weihnachtsfest am 25. Dezember.

In der Kiewer Kirche St. Katharina hält der deutsche Pastor Wolfgang Heldt-Meyerding von der evangelischen Gemeinde am Heiligen Abend und am Weihnachtstag zweisprachige Gottesdienste in ökumenischer Offenheit. «Weihnachten ist ja eine Zeit, in der die Sehnsucht nach Heimat besonders groß ist», sagt er. Er hoffe auf Feiern ohne Luftalarm. Rund 300 Mitglieder habe die Gemeinde. Auch Christstollen und Punsch soll es geben.

Aber es gibt auch Verwirrung. «Wir wissen schon gar nicht mehr, wann wir am besten feiern sollen. Es gibt Diskussionen», sagt die junge Mutter Julia, die mit einem Nachtzug um sechs Uhr morgens von der polnischen Stadt Chelm auf dem Bahnhof in Kiew ankommt. Die Kosmetikerin war gerade auf Weiterbildung in Polen und hat den Koffer voller Geschenke. Die schon 2014 aus der russischsprachigen ostukrainischen Stadt Donezk geflohene Frau erklärt, dass es die Geschenke der Tradition nach wie bei den meisten Menschen auf dem Gebiet der früheren Sowjetunion am Silvesterabend geben wird.

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Zahl der Kirchenaustritte in Mainz sehr stark angestiegen

Mainz (dpa/lrs) – Die Zahl der Menschen, die in diesem Jahr in Mainz aus der katholischen oder der evangelischen Kirche ausgetreten sind, hat deutlich zugenommen. Bis Ende November kehrten 3495 Mitglieder den beiden großen Kirchen den Rücken, wie die Stadt auf Anfrage mitteilte. Das ist ein Anstieg von 36,7 Prozent im Vergleich zum Gesamtjahr 2021. Besonders stark betroffen von der Ausstiegswelle war die katholische Kirche: Sie verlor 2119 Mitglieder. Das ist ein Anstieg von 44 Prozent im Vergleich zum Vorjahr. 1376 verließen die evangelische Kirche (plus 26,9 Prozent). Zum Vergleich: Im Jahr 2019 registrierte die Landeshauptstadt insgesamt 1998 Kirchenaustritte, 2020 waren es 1682 und 2021 wurden 2556 Fälle registriert.

Bedeutung der Kirchen sinkt weiter

Von Yuriko Wahl-Immel, dpa

Gütersloh/Münster (dpa) – Die christlichen Kirchen büßen einer Studie zufolge angesichts anhaltend sinkender Mitgliederzahlen weiter an gesellschaftlicher Bedeutung ein. Nach dramatischen Austrittszahlen für die evangelische und die katholische Kirche in den vergangenen Jahren spielen laut Umfrage viele weitere Menschen mit dem Gedanken, der Institution den Rücken zu kehren. Überproportional von Austrittserwägungen betroffen ist die katholische Kirche, wie der «Religionsmonitor 2023» der Bertelsmann Stiftung ergab. Dafür hatte das Institut Infas 4363 Personen ab 16 Jahren bundesweit repräsentativ befragt.

Nur 14 Prozent der Bevölkerung besuchen mindestens einmal im Monat einen Gottesdienst, selbst bei Kirchenmitgliedern sind es demnach lediglich 17 Prozent. Unter den Mitgliedern gab knapp jeder Vierte (24 Prozent) bei der Befragung im Sommer 2022 an, in den vergangenen zwölf Monaten über einen Austritt nachgedacht zu haben. Parallel dazu antworteten 20 Prozent auf die Frage, ob ein Kirchenaustritt für sie «sehr» oder «eher wahrscheinlich» sei, mit «Ja». Bei den 16- bis 25-Jährigen hatten sogar 41 Prozent feste Austrittsabsichten, hieß es in der am Donnerstag veröffentlichten Erhebung. Zwar seien eine Erwägung oder eine Absicht nicht gleichzusetzen mit dem tatsächlichen Schritt, der Trend sei aber deutlich.

Die sogenannten passiven Kirchenmitglieder

Besonders unter den passiven Kirchenmitgliedern könne sich die Frage stellen, ob ein Verbleib mit Blick auf Kirchensteuern und kritische Diskussionen noch gerechtfertigt sei, meinte die Religionsexpertin der Stiftung, Yasemin El-Menouar. Unter den Gläubigen, die mit ihrer Kirche fremdeln, sind Katholiken deutlich häufiger vertreten als Protestanten. Hier schlage sich die «geringe Reformbereitschaft der römischen Kurie» wohl nieder. Außerdem: «Die Missbrauchsskandale und der Umgang mit ihnen, vor allem in der katholischen Kirche, haben zu einem Vertrauensverlust geführt», sagte El-Menouar der Deutschen Presse-Agentur.

«Die Bedeutung der beiden Kirchen schwindet. Sie werden in Zukunft nur noch einen kleineren Teil der Bevölkerung vertreten», erläuterte El-Menouar. Sie ist überzeugt: «Das Christentum und der christliche Glaube als solche werden aber bleiben.» Die Studie sieht dabei auch zunehmende «privatere Formen der Spiritualität».

Prognose zu Kirchenaustritten

Der evangelischen Kirche gehörten 2021 noch 19,7 Millionen Menschen an, der katholischen Kirche knapp 21,7 Millionen. Einer Studie der Universität Freiburg prognostiziert, dass beide Kirchen zusammen bis 2060 noch etwa 22 Millionen Mitglieder haben werden – das entspricht rund einem Viertel der Bevölkerung. «Die beiden ehemals großen Kirchen sterben in ihrer überkommenen Sozialgestalt und werden zu einer Minderheitenkirche», analysiert der Kirchenrechtler Thomas Schüller. «Der Kipppunkt ist schon länger überschritten.»

Allerdings: «Die meisten religionssoziologischen Untersuchungen belegen nicht unbedingt weniger Glauben, sondern den Tod eines kirchlich sozialisierten Glaubens», sagte Schüller der dpa. Die Frage nach dem Sinn des Lebens bewege die Menschen auch heute, viele suchten ihre Antworten aber nicht mehr bei den Kirchen. «Darum wird die Gesellschaft in der Tat entkirchlichter, aber nicht unbedingt gottloser.»

Gesellschaft nicht unbedingt gottloser

So antworten in der Umfrage auf die Frage «wie religiös würden Sie sich selbst einschätzen?» auch nur 33 Prozent mit «gar nicht». Zugleich geben 38 Prozent an, «sehr» oder «ziemlich stark» an Gott zu glauben. Vor zehn Jahren waren das laut Stiftung aber noch 47 Prozent. Ein tägliches Gebet gehöre für 17 Prozent der Bevölkerung zum Alltag – 2013 galt das für 23 Prozent. Weit über 80 Prozent der Kirchenmitglieder meinen aktuell, dass man auch ohne Kirche Christ sein kann.

«Die Kirchen kreisen oft zu sehr um sich und sind zu geschlossenen Gesellschaften geworden», kritisierte Schüller. Hauptgründe für eine Abwendung seien «Kirchen, die, zumindest was die katholische Kirche angeht, zu sexualitätsfixierten Moralagenturen verkommen sind». Die tatsächlichen Fragen und Sorgen der Menschen würden häufig übersehen. Gütezeichen der christlichen Religion sei eine selbstlose Hinwendung zum Nächsten. Hier sollten die Kirchen sich einbringen, «ohne direkt wieder gesellschaftlichen und politischen Einfluss generieren zu wollen».

Deutliche Unterschiede zwischen West und Ost

Der Religionssoziologe Detlef Pollack von der Universität Münster wies darauf hin, «dass sich die religiösen Landschaften in Ost- und Westdeutschland gravierend unterscheiden». Im Westen seien noch immer knapp 60 Prozent der Bevölkerung Mitglied in der evangelischen oder katholischen Kirche, im Osten nur 20 Prozent. Meistens stehe vor dem Austritt «ein längerer Entfremdungsprozess von der Kirche und sehr oft auch vom Glauben». Bei den Katholiken spiele der Komplex Missbrauch eine zentrale Rolle.

Im «Religionsmonitor» sehen die Studienautoren in den christlichen Kirchen nach wie vor wichtige gesellschaftliche Akteure, die auch Stützen in Krisenzeiten sein könnten. Sie müssten sich aber «neu verorten». Infolge von Einwanderung sei Deutschland «heute ein multireligiöses Land». El-Menouar schilderte: «Sogar unter Kirchenmitgliedern hält eine Mehrheit die historisch gewachsenen Privilegien der katholischen und evangelischen Kirche für ungerecht und nicht mehr zeitgemäß.» Künftig müsse es auch darum gehen, wie andere – muslimische, buddhistische oder hinduistische – Religionsgemeinschaften vergleichbare Partizipationsrechte bekommen.

Pollack zufolge wird das Christentum von den meisten Menschen im Westen des Landes «als Fundament unserer Kultur» angesehen. «Nicht wenige finden es gut, dass es den Glauben und die Kirche gibt.» Und: «Ihre karitative und diakonische Arbeit wird allgemein hoch geschätzt.»

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