Ein Jahr Missbrauchsgutachten: Marx informiert über Folgen

München (dpa) – Vor einem Jahr wurde ein aufsehenerregendes Gutachten über Fälle von sexuellem Missbrauch im Erzbistum München und Freising veröffentlicht. Was ist seither geschehen in der Diözese? Darüber will der Münchner Erzbischof, Kardinal Reinhard Marx, heute informieren.

Dabei soll es in München nach Bistumsangaben vor allem um die Frage gehen, was seither auf den Weg gebracht wurde, um die Fälle weiter aufzuarbeiten und Betroffenen zu helfen. «Im Großen und Ganzen ist viel passiert», sagt der Vorsitzende des Betroffenenbeirats der Diözese, Richard Kick, der Deutschen Presse-Agentur. «Wir sehen – nach anfänglichem, misstrauischen Beäugen – eine tragfähige Zusammenarbeit mit der Bistumsverwaltung.»

Weiteres Gutachten gefordert

Er hält die Fälle, die das Gutachten aufgebracht hat, aber immer noch für die Spitze des Eisbergs. «Wir fordern ein weiteres Gutachten für die Einrichtungen, die nicht diözesan, aber trotzdem kirchlich sind», sagte Kick. «Da passiert ja noch gar nichts. Ich glaube, dass es da aber die meisten Fälle gab – unter anderem bei den Orden, in den Kinderheimen.»

Das vom Bistum bei einer Münchner Anwaltskanzlei in Auftrag gegebene Gutachten hatte bei seiner Vorstellung im Januar 2022 weltweit Aufsehen erregt. Die Studie geht von mindestens 497 Opfern und 235 mutmaßlichen Tätern aus – und von einem weit größeren Dunkelfeld.

Den ehemaligen Erzbischöfen Friedrich Wetter und Joseph Ratzinger, dem an Silvester gestorbenen Papst Benedikt XVI., wurde in dem Gutachten persönlich Fehlverhalten in mehreren Fällen vorgeworfen – ebenso dem aktuellen Erzbischof Kardinal Reinhard Marx.

Mehr als hundert neue Hinweise

Seit Veröffentlichung des Gutachtens gingen bei den katholischen Bistümern in Bayern bis Ende 2022 mehr als hundert neue Hinweise auf Verdachtsfälle ein. Mindestens 116 Meldungen zählten die Diözesen im Freistaat in diesem Jahr, wie eine Umfrage der dpa ergab. Allein im Erzbistum München und Freising gingen seit der Veröffentlichung bis Ende November 54 neue Meldungen ein. Darunter sind nach Angaben eines Sprechers aber auch «Grenzverletzungen, die nicht in den Bereich sexuellen Missbrauchs fallen, und bereits bekannte Missbrauchsfälle».

«Die Berichterstattung über die Veröffentlichung des Missbrauchsgutachtens im Erzbistum München hat dort sicher viele ermutigt, sich zu melden», sagte der Sprecher der Opferinitiative «Eckiger Tisch», Matthias Katsch.

Kick sieht inzwischen auch den Staat in der Pflicht – gerade wenn es um Fälle in Kinder- und Jugendeinrichtungen geht. «Wir brauchen jetzt auch ein Einschreiten des Staates.» Er forderte die Einrichtung einer professionellen Stelle, die das Thema Missbrauch in Institutionen bayernweit in den Blick nimmt.

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