Wie Deutschland im Ernstfall über den Winter kommen soll

Berlin (dpa) – In Deutschland geht ein Schreckgespenst herum – das einer Gasmangellage. Was passiert, wenn Russland bei der wichtigen Pipeline Nord Stream 1 den Gashahn nicht wieder aufdreht? Dann droht ein harter Winter.

Wirtschaftsverbände warnen vor einer tiefen Rezession. Betrieben könnte der Gashahn zugedreht werden müssen, Städte und Landkreise arbeiten an Krisenplänen. Doch kommt es wirklich so schlimm? Das hängt an mehreren Faktoren. Es gibt auch Hoffnung. Über den Sommer sieht die Bundesregierung die Gasversorgung als gewährleistet an. Ihr oberstes Ziel ist es, zu Beginn der Heizperiode im Herbst und Winter Engpässe zu verhindern.

Die aktuelle Lage

Wegen einer jährlichen Wartung wird aktuell kein Gas mehr über die Ostseepipeline Nord Stream 1 geliefert. Zuvor hatte Russland die Lieferungen unter Verweis auf technische Probleme bereits stark gedrosselt. Die große Sorge ist, dass Russland nach der Wartung, die in der Regel bis zu zehn Tage dauert, den Gashahn nicht wieder aufdreht. Ob das so kommt? Niemand kann es sicher sagen. Hängen könnte das auch an der Lieferung einer Gasturbine von Siemens Energy.

Die Bedeutung der Speicher

Die Gasspeicher in Deutschland sollen zum Winter hin möglichst voll sein, das hat für die Bundesregierung oberste Priorität. Die aktuellen Füllstände liegen laut Bundesnetzagentur bei rund 65 Prozent. Bis 1. Oktober sollen sie zu mindestens 80 Prozent gefüllt sein, bis 1. November zu mindestens 90 Prozent – damit Deutschland gut gerüstet in den Winter geht. «Wir müssen als Gesellschaft alles daran setzen, um die Gasspeicher über den Sommer gemeinsam voll zu bekommen», sagte Ingbert Liebing, Chef des Stadtwerkeverbandes VKU.

Die Folgen eines russischen Gasstopps

«Ein Lieferstopp über Nord Stream 1 stellt uns im Winter vor eine riesige Herausforderung», sagte Simon Müller, Direktor Deutschland bei der Denkfabrik Agora Energiewende. Der Gasverbrauch in Deutschland sei im Winter ungefähr drei bis vier Mal höher als im Sommer. Der Gasverbrauch konzentriere sich sehr stark für Heizung und warmes Wasser. Danach komme die Prozesswärme in der Industrie und die sogenannte stoffliche Nutzung, etwa um Düngemittel herzustellen. Eine Gasmangellage könne bei einem Totalausfall russischer Lieferungen nicht komplett verhindert werden: «Wir können die negativen Folgen jedoch eindämmen.»

Ohne russisches Gas werde es schwierig, den kompletten Winter zu überbrücken, sagte Liebing. Timm Kehler, Vorstand des Branchenverbands Zukunft Gas, sagte, bei einem Ausfall der russischen Gaslieferungen würden Deutschland 35 bis 50 Prozent des Gases fehlen. Sollten die Gaslieferungen durch Nord Stream 1 nicht wieder aufgenommen werden, werde zuerst das Befüllen der Gasspeicher in Deutschland schwierig. Die fehlende Menge könne nur bedingt über andere Quellen beschafft werden.

Energieexpertin Claudia Kemfert vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) sagte, ob es wirklich zu einem Gasmangel komme, hänge von verschiedenen Aspekten ab – den Aufbau von Gaslieferbeziehungen mit anderen Ländern als Russland, das stete Befüllen der Speicher und das Einsparen von Gas. «Horrorszenarien und Panikmache sind unangebracht», sagte sie. «Die größte Herausforderung liegt ohnehin darin, dass die gesamte Wirtschaft und Haushalte mit enormen Gaspreissteigerungen umgehen müssen.»

Rolle der LNG-Terminals

Einen wichtigen Beitrag zur Versorgungssicherheit soll mehr verflüssigtes Erdgas (LNG) liefern. Bisher hat Deutschland kein eigenes LNG-Terminal. Die Bundesregierung hat vier schwimmende Flüssiggasterminals gechartert, der erste soll im Winter in Wilhelmshaven in Betrieb gehen. Kehler sagte: «Der wichtigste Hebel um unsere Gasversorgung jetzt zu sichern, ist der Aufbau der LNG-Infrastruktur und diese schnellstmöglich in Betrieb zu nehmen.»

Sparen, Sparen, Sparen

In einem Modell der Bundesnetzagentur mit Szenarien zu russischen Gasflüssen hieß es: «Entscheidend ist die inländische Verbrauchsreduktion zur Sicherstellung der eigenen Versorgungssicherheit und zur notwendigen Versorgung der Nachbarländer.»

«Je mehr wir jetzt vorsorgen, desto besser kommen wir durch den Winter», sagte Kerstin Andreae, Chefin des Bundesverbandes der Energie- und Wasserwirtschaft. Um möglichst viel Gas einzuspeichern, könne und müsse jeder mithelfen – vom Industriebetrieb bis zum einzelnen Haushalt. «In fast jedem Haushalt und bei öffentlichen Gebäuden gibt es noch Möglichkeiten Energie einzusparen. Jede eingesparte Kilowattstunde Gas hilft uns, besser über den Winter zu kommen.»

Kohlekraftwerke, die in der Reserve sind, sollen nun statt Gaskraftwerken zur Stromerzeugung herangezogen werden – um Gas einzusparen und einzuspeichern. Für Industrieunternehmen sind Auktionen geplant. Außerdem soll der sogenannte Fuel-switch erleichtert werden, damit Anlagen nicht mit Gas, sondern mit anderen Energien wie Kohle oder Öl betrieben werden können.

Die Industrie spare wegen der hohen Preise schon sehr viel Gas ein, sagte Kemfert. Haushalte müssten beim Einsparen von Gas unterstützt werden, Prämien wären sinnvoll. «Hier wird es hohe Belastungen aufgrund der hohen Gaspreise geben, Niedrig-Einkommensbeziehern sollte zielgerichtet geholfen werden, damit die Gasheizung nicht abgestellt wird.» Auch in der Politik gibt es viele Stimmen für ein neues Entlastungspaket.

«Jeder Verbraucher kann jetzt etwas tun, auch wenn man aktuell eher an Abkühlung denkt als an eine warme Wohnung im Winter», sagte Liebing vom Stadtwerkeverbandes VKU. «Aber: Fast 20 Prozent des Wärmeaufkommens werden für Warmwasser benötigt. Wer beispielsweise kürzer duscht, hilft jetzt schon mit, die Speicher zu füllen. Und mit Blick auf die Heizperiode sollten wir alle unsere Temperaturen herunterregeln. Eine ein Grad geringere Raumtemperatur spart bis zu sieben Prozent am Energieverbrauch.»

Müller nennt kurzfristig umsetzbare Maßnahmen wie eine Senkung der Raumtemperatur um ein Grad, einen hydraulischen Abgleich der Heizungen sowie digitale Thermostate. «Wer kann, sollte auch Ausweichmöglichkeiten zum Heizen nutzen: Etwa den Holzofen. Ein neuer Sparduschkopf, neue Fenster oder eine Photovoltaikanlage – auch das sind alles Einsparmöglichkeiten, die relativ kurzfristig realisiert werden können.»

Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) machte deutlich: Im Falle einer Gasmangellage müssten alle Verbraucher Beiträge zum Energiesparen leisten. Über das Energiesicherungsgesetz könnte die Bundesregierung Verordnungen zur Energieeinsparung erlassen. Dabei könnte es zum Beispiel darum gehen, Vorgaben zu Mindesttemperaturen beim Heizen abzusenken. Außerdem gibt es einen EU-Solidaritätsmechanismus, damit sich Länder gegenseitig helfen – offen aber ist, wie dieser im Ernstfall aussehen würde.

Was die Notfallstufe bedeutet

Der Ernstfall wäre die Notfallstufe Gas im Notfallplan Gas – Voraussetzung ist laut Definition etwa eine erhebliche Störung der Gasversorgung. Ziel laut Plan ist die Sicherung des «lebenswichtigen Bedarfs» an Gas unter besonderer Berücksichtigung der geschützten Kunden. Das sind private Haushalte, aber auch Krankenhäuser, Pflegeheime oder die Feuerwehr und die Polizei. Betriebe aber könnten von der Bundesnetzagentur abgeschaltet werden. Sprich: Unternehmen könnten nicht mehr produzieren. Für diesen Fall rechnen Wirtschaftsverbände mit massiven Schäden für die Volkswirtschaft.

Für Steuerzahler und Gaskunden könnte es richtig teuer werden. Zum einen verhandelt die Bundesregierung mit dem angeschlagenen Energieversorger Uniper über ein Milliarden-Rettungspaket. Uniper muss wegen der reduzierten russischen Gaslieferungen Gas am Markt zukaufen. Die deutlich höheren Kosten kann der Konzern jedoch bisher nicht an seine Kunden weitergeben, was zu Liquiditätsproblemen führt. Zum anderen könnte die Bundesregierung zudem eine Umlage für alle Gaskunden einführen, damit Versorger Preissprünge weitergeben können.

Von Andreas Hoenig, dpa

Weiterlesen

Expertin: Gasmangel bei Lieferstopp aus Russland vermeidbar

Berlin (dpa) – Eine Gasmangellage muss aus Sicht der Energieökonomin Claudia Kemfert selbst dann nicht zwingend eintreten, wenn Russland sämtliche Gaslieferungen nach Deutschland einstellen sollte.

«Ob es wirklich zu einem Gasmangel kommt, hängt an verschiedenen Aspekten», sagte die Energieexpertin vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) der Deutschen Presse-Agentur. Dazu zählten vor allem der Aufbau von Gaslieferbeziehungen mit anderen Ländern als Russland, das stete Befüllen der Speicher und das Einsparen von Gas.

Daneben gebe es weitere Möglichkeiten. «Aber wenn zumindest die ersten drei Komponenten gut geschafft sind, sehe ich nicht, dass wir tatsächlich eine Gasmangellage bekommen müssen», sagte Kemfert. Deutschland habe mit diesen Maßnahmen begonnen oder sei bereits auf einem guten Weg.

Alternativquellen in Europa

Bei herkömmlichem Erdgas zählen bisher vor allem die Niederlande und Norwegen zu Deutschlands Alternativquellen. Bei Flüssiggas bemühte sich Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) auf einer Katar-Reise im Frühjahr um neue Lieferbeziehungen. Ob, wann und wie viel mehr Gas wirklich aus dem Emirat kommt, ist noch offen. Der Füllstand der deutschen Gasspeicher steigt langsam, aber stetig. Derzeit liegt er bei rund 65 Prozent.

Zum Energiesparen haben Bundesregierung und Bundesnetzagentur Verbraucher und Industrie schon mehrmals aufgerufen. Der Präsident des Deutschen Industrie- und Handelskammertags, Peter Adrian, bat private Verbraucher und die weniger energieintensiven Unternehmen, aus Solidarität mit der Industrie ab sofort konsequent Energie einzusparen. «Es drohen echte Versorgungsengpässe und unserer gesamten Wirtschaft eine Krise in unbekanntem Ausmaß. Die Folgewirkungen von Abschaltungen einzelner Branchen oder Betriebe sind nicht zu überblicken», sagte Adrian der «Rheinischen Post».

Habeck-Sprecherin: Bei Gasmangel müssen Verbraucher Beitrag leisten

Aus Sicht des Bundeswirtschaftsministeriums müssen alle Verbraucher Beiträge zum Energiesparen leisten. Dies habe Habeck deutlich gemacht, sagte eine Sprecherin der Deutschen Presse-Agentur.

Eine europäische Verordnung, auf der der deutsche Notfallplan Gas basiert, definiere geschützte Kunden und diese Vorgabe gelte, so die Sprecherin. «Das heißt Kindergärten, Krankenhäuser, private Verbraucher sind geschützte Verbraucher und diese werden auch im Fall einer Gasmangellage weiter versorgt und beliefert und nicht abgeschaltet.» Klar sei aber auch, «dass im Fall einer Gasmangellage alle Verbraucher einen Beitrag zum Energiesparen leisten müssen.» Dafür brauche es dann auch Standards zum Energiesparen.

Esken für «Schutzschirm»

Die SPD-Vorsitzende Saskia Esken sprach sich in derselben Zeitung für einen «Schutzschirm» für Verbraucher aus, die sich die hohen Energiepreise nicht mehr leisten könnten. Dieser solle garantieren, «dass die Wohnung warm und Energie bezahlbar bleibt». Wie dieser Schutzschirm verwirklicht werden soll, sagte Esken nicht.

Der Linken-Bundestagsabgeordnete Sören Pellmann forderte angesichts der Kostensteigerungen, die Mehrwertsteuer auf Gas und Strom zumindest bis Ende 2023 auszusetzen. Außerdem sollten die Preise «wie in anderen EU-Staaten gedeckelt werden», sagte er der «Neuen Osnabrücker Zeitung». Auf Strom und Gas werden 19 Prozent Mehrwertsteuer fällig. Erhöhen sich die Energiepreise, ist auch entsprechend mehr Steuer zu zahlen.

Bafin-Chef: Banken könnten Probleme bekommen

Der Chef der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (Bafin), Mark Branson, sieht bei einer Gasmangellage auch mögliche Folgen für Banken und Sparkassen. Durch die Corona-Krise sei die Branche noch gut gekommen, weil der Staat seinen Rettungsschirm breit aufgespannt habe, sagte Branson der «Süddeutschen Zeitung».

Bei einer Energiekrise sei fast die gesamte Wirtschaft betroffen, der Staat könne das nicht alles auffangen. «Was passiert, wenn eine tiefe Rezession vielleicht kombiniert mit einem Zinsschock kommt? Dann kann man nicht ausschließen, dass Banken Probleme bekommen, zumal einige Institute ja viele Immobilienrisiken oder Zinsänderungsrisiken in der Bilanz haben», sagte der Bafin-Chef.

 

 

 

Gazprom liefert weiter Gas durch die Ukraine

Moskau/Kiew (dpa) – Russlands Energiekonzern Gazprom pumpt nach der vorübergehenden Abschaltung der Ostseepipeline Nord Stream 1 sein Gas trotz des Krieges weiter über die Ukraine nach Europa. Weiterlesen

Gaspreise: Linken-Fraktionschef wirft Regierung Zynismus vor

Berlin (dpa) – Linksfraktionschef Dietmar Bartsch wirft der Bundesregierung vor, die Energiepreise als Sparanreiz bewusst in die Höhe schießen zu lassen. Bartsch bezieht sich auf ein Schreiben des Wirtschaftsministeriums, das Preisobergrenzen ablehnt und erklärt: «Preissignale müssen erhalten bleiben, damit die steuernde Funktion des Markts im Hinblick auf Energieeinsparungen und energieeffizientes Verhalten gewahrt wird.»

Bartsch sprach von Zynismus. Wirtschaftsminister Robert Habeck müsse die Gasversorgung sicherstellen und für bezahlbare Preise sorgen – wie es andere Länder auch schafften, sagte der Linken-Politiker. «Dass er stattdessen die Preise bewusst explodieren lässt und den Zuchtmeister am Heizungsregler spielt, ist inakzeptabel und abgehoben.» Statt Appellen zum Energiesparen brauche Deutschland einen «Gaspreisdeckel nach europäischem Vorbild».

Bartsch hatte das Wirtschaftsministerium gefragt, wie stark der Gaspreis für Privatverbraucher steigen könnte, wenn die Preisanpassungsklausel des Energiesicherungsgesetzes aktiviert wird. Dazu hat das Ministerium nach eigenen Angaben mangels Einblick in Verträge keine «valide Szenarienrechnung».

Auf die Frage, welche Gründe gegen eine Deckelung der Gaspreise für Privatverbraucher sprächen, schreibt Staatssekretär Patrick Graichen: «Die Bundesregierung sieht einen Gaspreisdeckel skeptisch.» Unbestreitbar sei, dass extreme Preisanstiege Unternehmen und Haushalte in Bedrängnis bringen könnten. Wichtig sei, vor allem «vulnerable Gasverbraucher» zu stützen. Wie geholfen werden könne, werde noch zu entscheiden sein, heißt es in dem Antwortschreiben des Ministeriums. Es liegt der Deutschen Presse-Agentur vor.

Habeck hatte bereits argumentiert, der Staat könne nicht allein die wegen des Ukraine-Krieges gestiegenen Rohstoffkosten dämpfen. Zudem könnte ein Höchstpreis so wahrgenommen werden, als müsse man den Verbrauch des knappen Erdgases nicht drosseln. In der Bundesregierung wird stattdessen über ein System für Gas wie bei der inzwischen abgeschafften Ökostromumlage diskutiert, um die Lasten auf allen Schultern zu verteilen.

Weiterlesen

Temperatur am Arbeitsplatz

Berlin/Hannover (dpa) – Im Winter die Heizung etwas herunterdrehen, im Sommer die Klimaanlage: In vielen Büros und Werkshallen könnten sich die gewohnten Temperaturen ändern, damit Deutschland mehr Erdgas und Strom übrig behält. Weiterlesen

Habeck hofft auf Gas – Selenskyj übt harsche Kritik

Hamburg/Kiew (dpa) – Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck hofft nach dem Ende der Wartungsarbeiten an der Ostsee-Pipeline Nord Stream 1 auf weitere Gaslieferungen aus Russland. «Ich habe keine geheime Information, weder in die eine noch in die andere Richtung», sagte der Grünen-Politiker am Montagabend in den ARD-«Tagesthemen». «Die Möglichkeit besteht. Die Chance, dass es nicht so kommt, ist auch da. Wir werden abwarten müssen.»

Über die zuletzt wichtigste Route für russisches Erdgas nach Deutschland wird seit Montag nichts mehr geliefert. Nach Angaben der Betreibergesellschaft sollen die Arbeiten bis 21. Juli dauern. In diesen zehn Tagen werde kein Gas durch die Pipeline nach Deutschland befördert. In Deutschland gibt es die Sorge, dass die Pipeline nach den Wartungsarbeiten nicht wieder in Betrieb genommen wird und im Winter das Gas knapp wird.

Habeck will sich am Dienstag mit der österreichischen Energieministerin Leonore Gewessler in Wien treffen. Bei den Gesprächen soll es auch um eine enge Abstimmung zwischen beiden Ländern im Zeichen der Gaskrise gehen. Österreich hat große Speicher, benötigt aber Gasimporte als Alternative zu russischem Erdgas.

Viele andere Maßnahmen denkbar

Habeck betonte, vor der Abschaltung von Industriebereichen könne man viele andere Maßnahmen ergreifen. Als Beispiel nannte er den Bau schwimmender Flüssiggas-Terminals. Für sie gibt es Planungen an der Nordsee. Derzeit beobachte man, wie sich die Gasmengen entwickelten. Alles ziele darauf, im Winter volle Speicher zu haben. «Wenn es nicht gelingt, über den Markt weitere Gasmengen zu besorgen, müssen wir eben die Verbräuche weiter runterbringen», sagte Habeck. Dafür gebe es verschiedene Möglichkeiten.

Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj kritisierte unterdessen die geplante Lieferung einer gewarteten russischen Turbine für Nord Stream 1. «Wenn ein terroristischer Staat eine solche Ausnahme bei den Sanktionen durchsetzen kann, welche Ausnahmen will er dann morgen oder übermorgen? Diese Frage ist sehr gefährlich», sagte Selenskyj am Montag in einer Videobotschaft. «Und gefährlich nicht nur für die Ukraine, sondern auch für alle Länder der demokratischen Welt.»

Der russische Staatskonzern Gazprom hat die Liefermenge durch Nord Stream 1 im Juni deutlich gedrosselt und auf die fehlende Turbine verwiesen, die zur Reparatur in Kanada war. Der Bundesregierung zufolge fällt die Lieferung der Turbine nicht unter die EU-Sanktionen, weil sich diese nicht gegen den Gastransit richten.

Selenskyj sagte, die Ausnahme bei den Sanktionen werde in Moskau als Schwäche wahrgenommen. «Das ist ihre Logik. Und jetzt besteht kein Zweifel daran, dass Russland versuchen wird, die Gaslieferungen nach Europa nicht nur so weit wie möglich einzuschränken, sondern im akutesten Moment vollständig einzustellen», sagte der Staatschef.

 

 

 

Krieg gegen die Ukraine: So ist die Lage

Kiew (dpa) – Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj warnt vor Zugeständnissen an Russland aufgrund der Sorge vor Energieengpässen in Europa.

Die geplante Lieferung einer gewarteten russischen Turbine für die Ostsee-Pipeline Nord Stream 1 etwa sende ein völlig falsches Signal an Moskau, sagte er am Montag in einer Videobotschaft. «Wenn ein terroristischer Staat eine solche Ausnahme bei den Sanktionen durchsetzen kann, welche Ausnahmen will er dann morgen oder übermorgen? Diese Frage ist sehr gefährlich.»

Das russische Staatsunternehmen Gazprom hatte die Liefermenge durch Nord Stream 1 im Juni deutlich gedrosselt und auf die fehlende Turbine verwiesen, die zur Reparatur nach Kanada gebracht worden war. Eine Regierungssprecherin sagte am Montag in Berlin, die Lieferung der Turbine falle nicht unter die EU-Sanktionen, weil diese sich aus gutem Grund nicht gegen den Gastransit richteten.

Über die zuletzt wichtigste Route für russisches Erdgas nach Deutschland wird seit Montag nichts mehr geliefert – nach Darstellung der Nord Stream AG wegen Wartungsarbeiten bis zum 21. Juli. Bis dahin werde kein Gas durch die Pipeline nach Deutschland befördert, hieß es. Jedoch besteht allgemein die Sorge, dass Moskau den Hahn danach nicht mehr aufdreht und Gas im Herbst und Winter knapp wird.

«Russland beliefert Deutschland jetzt nur noch über die Transgas-Pipeline durch die Ukraine», sagte der Präsident der Bundesnetzagentur, Klaus Müller, dem Redaktionsnetzwerk Deutschland. «Die Regierung in Moskau könnte die Liefermengen durch die Ukraine jederzeit erhöhen, um ihre vertraglichen Verpflichtungen zu erfüllen. Dazu fehlt (Russlands Präsident) Wladimir Putin aber offenbar der politische Wille.» Wenn die gewartete Turbine bis zum Ende der Nord-Stream-Wartung am 21. Juli wieder eingebaut sei, «hätte Russland kein Argument mehr, die Liefermengen beim Gas weiterhin zu drosseln».

Selenskyj: Moskau sieht «Manifestation der Schwäche»

Selenskyj sagte, die Entscheidung über eine «Ausnahme bei den Sanktionen» werde in Moskau als «Manifestation der Schwäche» wahrgenommen. «Das ist ihre Logik. Und jetzt besteht kein Zweifel daran, dass Russland versuchen wird, die Gaslieferungen nach Europa nicht nur so weit wie möglich einzuschränken, sondern im akutesten Moment vollständig einzustellen.»

Jedes Zugeständnis werde von Moskau als Anreiz für weiteren, stärkeren Druck wahrgenommen, meinte er. «Russland hat sich im Energiesektor nie an die Regeln gehalten und wird es auch jetzt nicht tun, es sei denn, es sieht Stärke.»

Massenflucht aus dem Donbass

Seit Beginn des russischen Angriffskriegs vor viereinhalb Monaten sind nach Behördenangaben allein aus dem regierungskontrollierten Teil der umkämpften Region Donezk im Osten der Ukraine rund 1,3 Millionen Menschen geflohen.

Laut Gouverneur Pawlo Kyrylenko entspricht das etwa 80 Prozent der Zivilbevölkerung. Seit Russland die Kontrolle über die Region Luhansk übernommen hat, hat sich der Schwerpunkt der Kämpfe ins benachbarte Donezk verlagert.

Raketenangriff in Donezk: Zahl der Toten steigt auf über 30

Nach einem Raketenangriff auf Tschassiw Jar im Gebiet Donezk ist die Zahl der aus einem zerstörten Wohnhaus geborgenen Toten auf mehr als 30 gestiegen. Das ukrainische Innenministerium sprach am Montag von 33 Leichen. Neun Menschen seien seit dem Wochenende aus den Trümmern gerettet worden.

Die ukrainische Seite wirft Russland vor, Zivilisten attackiert zu haben. Moskau behauptet, man habe ein militärisches Ziel zerstört. Am Montagabend berichtete die russische Seite über Verletzte bei einem Angriff der Ukraine nahe Nowa Kachowka. Berichte aus den Kampfgebieten lassen sich von unabhängiger Seite kaum prüfen.

Putin ordnet einfachere Vergabe russischer Pässe an

Menschen in der Ukraine sollen künftig in einem vereinfachten Verfahren die russische Staatsbürgerschaft erhalten können. Russlands Präsident Putin unterschrieb ein Dekret, das eine Ausweitung der bislang nur für die Ostukraine geltenden Regelung vorsieht.

Kiew protestierte scharf dagegen. Die Vergabe russischer Pässe ist auch deshalb brisant, weil Russlands Militärdoktrin Einsätze rechtfertigt, wenn es um den angeblichen Schutz eigener Staatsangehöriger geht.

Putin und Erdogan telefonieren zu Getreidekrise

Putin und der türkische Staatschef Recep Tayyip Erdogan haben über mögliche Lösungen des Streits um Getreideexporte aus der Ukraine telefoniert. Es sei Zeit für die Vereinten Nationen, den Plan für einen Getreidekorridor durch das Schwarze Meer umzusetzen, hieß in einer Mitteilung des türkischen Präsidialamts.

Der Kreml teilte mit, bei dem Gespräch sei es auch um wirtschaftliche Zusammenarbeit gegangen. Die Rede war zudem von einem geplanten «russisch-türkischen Treffen auf höchster Ebene» in nächster Zeit. Später schrieb Selenskyj auf Twitter, auch er habe mit Erdogan über Möglichkeiten zur Entsperrung von Häfen und der Wiederaufnahme des Getreideexports gesprochen.

Ermittlungen zur Ukraine können Jahre dauern

Generalbundesanwalt Peter Frank dämpft die Hoffnung auf schnelle Erfolge bei der Strafverfolgung von Kriegsverbrechen im Ukraine-Krieg. «Bitte erwarten Sie nicht, dass wir morgen oder übermorgen irgendwelche Beschuldigte identifiziert haben», sagte Frank beim Jahrespresseempfang der Bundesanwaltschaft in Karlsruhe. Im Völkerstrafrecht brauche man «einen langen Atem».

Er zog Parallelen zum syrischen Bürgerkrieg, der 2011 begonnen hatte. Erst 2019 sei in Deutschland die erste Anklage erhoben worden. Bis zum ersten rechtskräftigen Urteil seien zehn Jahre vergangen. Zum Ukraine-Krieg gebe es «namentlich noch überhaupt keine personenbezogenen Ermittlungsverfahren», sagte Frank.

Das wird heute wichtig

Die Welthungerhilfe stellt in Berlin ihren Jahresbericht vor und erläutert unter anderem, welche Auswirkungen der Ukraine-Krieg sowie Klimakrise, Flucht und Vertreibung auf den Mangel an Nahrungsmitteln weltweit haben.

In Prag wollen die EU-Justizminister bei einem informellen Treffen unter anderem über die Sicherung von Beweismitteln im Ukraine-Krieg sprechen.

In Moskau hat das ostukrainische Separatistengebiet «Volksrepublik Donezk» die Eröffnung einer Vertretung angekündigt und erwartet dazu auch den russischen Außenminister Sergej Lawrow.

 

 

 

Städte rüsten sich für möglichen Gas-Krisenfall

Berlin (dpa) – Angesichts einer möglicherweise drohenden Energie-Knappheit im Winter arbeiten die Städte an Krisenplänen und prüfen Maßnahmen zum Einsparen von Gas, die jetzt schon umgesetzt werden sollen.

«Klar ist dabei: Niemand soll im Winter frieren müssen», sagte die stellvertretende Hauptgeschäftsführerin des Deutschen Städtetages, Verena Göppert, der Deutschen Presse-Agentur. Sozialverbände forderten einen besseren Schutz für Mieter und Verbraucher, weil auf sie höhere Energiekosten zukommen dürften.

Wartungsarbeiten an der Ostsee-Pipeline Nord Stream 1 vergrößern derzeit die Sorge, dass Russland Gaslieferungen über die zuletzt wichtigste Verbindung nach Deutschland nach Abschluss der Arbeiten nicht wieder aufnehmen könnte. Dreht Russland den Gashahn zu, könnte es in der Heizperiode zu einer Gasmangellage kommen, die schwere Schäden für die Wirtschaft haben und Energie für Privathaushalte deutlich verteuern könnte. Die Wartung dauert in der Regel bis zu zehn Tage.

Privathaushalte werden besonders geschützt

«Falls Deutschland der Gashahn abgedreht wird, gehören Privathaushalte zu den besonders geschützten Kunden – bei ihnen würde also erst als Letztes Energie rationiert», sagte Verena Göppert vom Deutschen Städtetag. Noch besser wäre es, wenn die Gas-Vorräte reichen und Einschränkungen überhaupt nicht notwendig würden. Energie einzusparen sei in der aktuellen Situation eine Aufgabe der gesamten Gesellschaft. Die Städte prüften daher aktuell viele kurzfristige Einsparmaßnahmen. Sie «lassen etwa Beleuchtungen aus, verzichten auf warmes Wasser in öffentlichen Gebäuden, schalten Brunnen ab, temperieren Klimaanlagen und Badewasser anders».

Zusätzlich erarbeiteten die Städten mit ihren Krisenstäben und den kommunalen Versorgern Krisenpläne für den Fall, dass der Bund die Notfallstufe Gas ausrufen und Gas rationiert werden sollte, hieß es vom Städtetag. Hierzu finde auch eine enge Abstimmung mit Bund, Ländern und der Bundesnetzagentur statt.

Auf die Frage nach möglichen Vorkehrungen für eine Energie-Mangelsituation beim Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe (BBK) teilte eine Sprecherin der dpa mit: «In Bezug auf Gas-Mangel sind die Fachleute im Bereich Kritische Infrastrukturen sehr wachsam und im ständigen Austausch mit der Bundesnetzagentur.» Ziel sei es dabei, «die Lage genau bewerten zu können und wenn nötig Ableitungen für den Bevölkerungsschutz zu ziehen».

Kompetenzzentrum erstellt Lagebild

Das noch im Aufbau befindliche Gemeinsame Kompetenzzentrum von Bund und Ländern beim BBK habe seinen ersten Arbeitsschwerpunkt auf die Erstellung eines einheitlichen Lagebildes gelegt. Auf dessen Grundlage wären dann Bewertungen und Entscheidungen möglich, sollte sich die Lage verschärfen.

Der Sozialverband Deutschland (SoVD) forderte von der Bundesregierung umgehend ein Konzept, das den Menschen die Angst nehme, dass sie im Winter in einer kalten Wohnung säßen oder auf der Straße landeten, weil sie ihre Rechnungen nicht mehr bezahlen könnten. Menschen mit solch «existenziellen Ängsten» dürften nicht allein gelassen werden, erklärte Vizepräsidentin Ursula Engelen-Kefer. Der Sozialverband VdK fordert einen Kündigungsschutz für solche Härtefälle. Niemand dürfe im Herbst und Winter seine Wohnung verlieren, falls Heizkosten nicht mehr beglichen werden könnten, sagte VdK-Präsidentin Verena Bentele in der «Neuen Osnabrücker Zeitung» (Dienstag).

Auch die Fraktionschefin der Grünen, Britta Haßelmann, sieht die Notwendigkeit, insbesondere Geringverdienende in unsicheren Zeiten wie diesen rückzuversichern. Sie unterstützte den Vorschlag von Verbraucherschutzministerin Steffi Lemke, ein Moratorium für Gas- und Stromsperren bei Zahlungsverzug einzuführen, sollten die Energiepreise noch stärker steigen. Das, was wir jetzt gerade sehen, sind ja noch gar nicht die Engpässe, über die wir gerade sprechen», sagte Haßelmann in der ntv-Talkshow «#beisenherz». «Deshalb ist es ein wichtiges Signal, dass wir politisch zusagen, dass die Menschen, die wenig haben, sicher sein müssen, dass sie sich darauf verlassen können, dass sie eine Unterstützung bekommen für Strom und Wärme, wenn sie das aus eigener Kraft nicht stemmen können.»

Weiterlesen

Nord Stream 1 abgeschaltet – Gas fließt über Ukraine

Moskau/Kiew (dpa) – Nach der Abschaltung der Ostseepipeline Nord Stream 1 fließt das Gas weiter über das von Russlands Krieg erschütterte Transitland Ukraine nach Europa. Am Montag können nach Angaben des Betreibers des ukrainischen Gastransitnetzes 41,1 Millionen Kubikmeter Gas durchgeleitet werden. Der Umfang entspricht etwa dem der vergangenen Tage. Maximal könnten laut Vertrag 109,6 Millionen Kubikmeter Gas transportiert werden. Allerdings ist die Durchleitungsmenge auch abhängig von den Bestellungen.

Nach russischen Angaben erlaubt die Ukraine derzeit nur noch die Nutzung eines Stranges ihres Netzes für den Gastransit. Das ist aktuell die letzte noch verbliebene Gasleitung nach West- und Zentraleuropa. Am Montag wurde die wichtigste Versorgungsleitung – die von Russland nach Deutschland reichende Ostseepipeline Nord Stream 1 – wegen Wartungsarbeiten vorübergehend stillgelegt. Die Arbeiten sollten zehn Tage dauern, bis zum 21. Juli.

Russland will «vertraglichen Verpflichtungen» nachkommen

Angesichts von Befürchtungen in Deutschland, dass Russland den Gashahn nicht wieder aufdrehen könnte, hatte ein Kremlsprecher in Moskau vergangene Woche betont, dass die Energiegroßmacht ihren vertraglichen Verpflichtungen nachkommen wolle. Der russische Staatskonzern Gazprom hatte zuletzt die Gasdurchleitung durch Nord Stream 1 massiv gedrosselt. Als Grunde dafür wurde eine fehlende Turbine genannt, die zur Reparatur nach Kanada geschickt worden war.

Kanada will die Turbine nun Deutschland übergeben. Die Ukraine hatte kritisiert, dass damit im Sinne Russlands die Sanktionen umgangen würden. Nach Kremlangaben sollen die Lieferumfänge durch Nord Stream 1 wieder hochgefahren werden, sobald die Turbine zurückkehrt. Unklar ist, wann das sein wird. Zuletzt waren wegen der fehlenden Turbine nur noch rund 40 Prozent der üblichen Gasmenge durchgeleitet worden.

Im vergangenen Jahr hatten die Wartungsarbeiten an Nord Stream 1 vom 13. Juli bis zum 23. Juli gedauert. Die Durchleitungsmenge im vergangenen Jahr lag bei 59,2 Milliarden Kubikmeter Gas. Außerdem fertig verlegt ist die Pipeline Nord Stream 2, die allerdings als Sanktion gegen Russlands Krieg in der Ukraine nicht in Betrieb genommen wird.

 

 

 

Mehr Kohleverstromung: Kraftwerksbetreiber stellen Weichen

Von Erich Reimann, dpa

Essen/Cottbus (dpa) – Kohlekraftwerke sollen in Deutschland viele Gaskraftwerke ersetzen. Dafür hat der Bundestag am Donnerstagabend grünes Licht geben. Doch ganz einfach ist die vorübergehende Rückbesinnung auf die Kohle nicht, wie eine Umfrage der Deutschen Presse-Agentur unter großen Kraftwerksbetreibern ergab.

Sowohl beim Wiederanfahren der bislang in die Netzreserve oder die Sicherheitsbereitschaft verbannten Kohlekraftwerke als auch beim Weiterbetrieb eigentlich zur Stilllegung vorgesehener Anlagen sind demnach einige Hürden zu überwinden. Die Probleme reichen von fehlendem Personal und zu geringen Kohlevorräten bis zu rechtlichen Hürden. Mit dem verstärkten Einsatz der Kohlekraftwerke soll angesichts der Drosselung russischer Lieferungen Gas gespart werden. Weiterlesen

Aktuelle Ausgabe kostenfrei als E-Paper lesen
Eifelzeitung E-Paper Aktuelle Ausgabe kostenfrei als E-Paper lesen