Polizei hat Mörder im Blick: Kein Personalmangel bei Gericht

Mainz (dpa/lrs) – Die Polizei hat den wegen Mordes und Vergewaltigung verurteilten und aus der Untersuchungshaft freigekommenen 19-Jährigen aus der Pfalz «im Blick». Dies gelte sowohl wegen seines hohen Gefahrenpotenzials als auch, weil er unter Umständen selbst eine gefährdete Person sein könnte, sagte der Referatsleiter Kriminalitätsbekämpfung im rheinland-pfälzischen Innenministerium am Freitag im Rechtsausschuss des Landtags. Welche Maßnahmen die Polizei in Abstimmung mit dem Landeskriminalamt getroffen hat, berichtete Abteilungsleiter Jörg Wilhelm aber nur in nicht-öffentlicher Sitzung.

Die vom Oberlandesgericht Zweibrücken (OLG) beanstandete Verfahrensverzögerung des Mordprozesses am Landgericht Frankenthal beruhe nicht auf Personalengpässen oder einer außergewöhnlichen Belastung der Jugendstrafkammer, sagte Justizminister Herbert Mertin (FDP). Nach Mitteilung des Landgerichts lägen die Ursachen vielmehr «ausschließlich im Bereich der richterlichen Unabhängigkeit».

Der 19-Jährige war am 2. August wegen Mordes und Vergewaltigung vom Landgericht zu zehn Jahren Jugendstrafe verurteilt worden. Dem Urteil zufolge hat er als 17-Jähriger im März 2020 ein 18-jähriges Mädchen an einem Weiher in Ludwigshafen vergewaltigt und erwürgt. Zudem missbrauchte er laut Richterspruch zwei weitere Kinder in drei Fällen sexuell. Vom Vorwurf der Vergewaltigung eines dritten Mädchens wurde er freigesprochen.

Sowohl die Staatsanwaltschaft als auch die Verteidigung und die Nebenklägerin im Fall des Freispruchs haben Revision gegen das Urteil eingelegt. Wann darüber entschieden wird, ist offen.

Die Verteidigung hatte nach dem Urteil mit Erfolg Haftbeschwerde beim OLG eingelegt. Am 6. Oktober 2022 hob es den Haftbefehl gegen den Beschuldigten auf, der bereits seit dem 13. März 2020 – also mehr als zweieinhalb Jahre – ununterbrochen in U-Haft saß.

Die Begründung des OLG: Die Fortdauer der Untersuchungshaft sei mit dem Anspruch des Angeklagten auf eine beschleunigte Verurteilung nicht mehr vereinbar, die Verzögerungen habe nicht er verschuldet. In den 22 Monaten Verfahrensdauer sei nur an 57 Tagen verhandelt worden, berichtete Mertin aus der Begründung.

Das Landgericht habe als Grund für die lange Dauer angegeben, dass der Prozessstoff umfangreich und die Beweisaufnahme sehr aufwendig gewesen seien, sagte Mertin. Die Jugendkammer habe zudem versucht, allen 20 Beteiligten – und vor allem dem Hauptverteidiger – zu ermöglichen, bei allen Verhandlungsterminen dabei zu sein.

Nach Einschätzung des OLG sei es aber verfehlt, bei der Terminierung jede Verhinderung des Verteidigers zu berücksichtigen, sagte Mertin. Dass die Verteidigung während der fast zwei Jahre laufenden Hauptverhandlung zu keinem Zeitpunkt eine Verzögerung des Verfahrens gerügt habe, sei nach Auffassung des OLG «befremdlich, aber unerheblich». Es mache aber deutlich, dass eine Rücksichtnahme auf stark ausgelastete Verteidiger mit der in Haftsachen gebotenen Beschleunigungsmaxime nur schwer vereinbar sei, argumentiere das OLG.

 

Er verstehe, dass die Entscheidung, den noch nicht rechtskräftig verurteilten Mörder auf freien Fuß zu setzen, in der Öffentlichkeit eine «verstörende Wirkung» habe, sagte Mertin. Als Justizminister habe er aber weder den Beschluss des OLG noch die Verhandlungsführung einschließlich der Terminierungspraxis der Jugendstrafkammer zu kommentieren. Als Grund nannte er den «Kernbereich der verfassungsrechtlich garantierten richterlichen Unabhängigkeit».

 

 

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