Ischinger zu Ukraine-Konflikt: «Niemand bedroht Russland»

Berlin (dpa) – Vor dem Hintergrund massiver Spannungen in der Ukraine-Krise beginnt heute die Münchner Sicherheitskonferenz – ohne eine offizielle russische Delegation. Für den Vorsitzenden der Sicherheitskonferenz, Wolfgang Ischinger, ein Fehler.

Hunderte Entscheidungsträger würden es sehr bedauern, «dass Russland sich nicht stellt», sagte Ischinger im ARD-«Morgenmagazin». Persönlich könne er nachvollziehen, dass der russische Außenminister Sergej Lawrow diesmal eine Teilnahme «nicht gerade als vergnügungssteuerpflichtig» ansehe. Es kämen aber durchaus erfahrene Personen aus Russland, versicherte Ischinger.

Das Hauptthema auf der von Freitag bis Sonntag laufenden Konferenz in München werde sein: «Was ist eigentlich notwendig, damit die russische Seite dieses Bedrohungsszenario entlang der ukrainischen Grenze endgültig aufgibt und an den diplomatischen Verhandlungstisch zurückkehrt?»

Ischinger betont Selbstbestimmung europäischer Staaten

Ischinger bezeichnete die russischen Sicherheitsbedenken als «weit hergeholt», weil die Nato seit 18 Jahren keinen Schritt mehr zu einer weiteren Osterweiterung in Richtung russischer Grenze getan habe. «Wieso jetzt nach 18 Jahren diese Sache so hoch hängen? Die Nato-Mitgliedschaft der Ukraine steht nicht zur Debatte»

Dahinter stecke der tiefere russische Wunsch, eine Lage wieder herzustellen, in der Russland von untergeordneten Ländern umgeben sei, die «auf ihre völlige Selbstständigkeit» verzichten sollten. «Das geht natürlich nicht», sagte Ischinger.

«Wir werden hier in München uns gemeinsam noch einmal dazu aufraffen wollen zu sagen: Jeder europäische Staat muss seine Geschicke selbst bestimmen können. Und ohne andere zu bedrohen» Er fügte hinzu: «Niemand bedroht Russland»

Russland erstmals seit 30 Jahren nicht dabei 

Zu den prominentesten Rednern in den nächsten drei Tagen werden Bundeskanzler Olaf Scholz, US-Vizepräsidentin Kamala Harris und der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj zählen. Russland ist dagegen zum ersten Mal seit mehr als 30 Jahren nicht mit einer offiziellen Delegation dabei.

«Wir müssen mit Bedauern feststellen, dass sich die Konferenz in den vergangenen Jahren immer mehr zu einem transatlantischen Forum gewandelt hat», begründete die Sprecherin des russischen Außenministeriums, Maria Sacharowa, die Absage. Das Expertentreffen habe seine Objektivität und die Einbindung anderer Sichtweisen verloren.

In den letzten Jahren hatte Außenminister Sergej Lawrow zu den treuesten Gästen von Konferenzleiter Ischinger gehört. Zwar betont auch Lawrow immer noch täglich die Bereitschaft, mit den USA, der Nato und der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) über ein neues Nebeneinander auf dem Kontinent zu sprechen. Allerdings erfolgt dies nun vor allem schriftlich.

Baerbock: «Verlust, dass Russland Möglichkeit nicht nutzt»

Auch die deutsche Außenministerin Annalena Baerbock beklagt, dass Russland nicht an der Konferenz teilnimmt. «Gerade in der aktuellen, extrem bedrohlichen Lage, wäre es so wichtig gewesen, auch russische Vertreter in München zu treffen. Es ist ein Verlust, dass Russland diese Möglichkeit nicht nutzt», sagte sie vor ihrer Abreise.

Sie bot Russland erneut Gespräche über eine Deeskalation der Lage an. «Auch Millimeterschritte Richtung Frieden sind besser als große Schritte Richtung Krieg», sagte sie.

So brenzlig wie diesmal war die Sicherheitslage in Europa vor dem weltweit wichtigsten Expertentreffen zur Sicherheitspolitik schon lange nicht mehr. Die Entspannungssignale, die Kanzler Scholz am Dienstag noch bei seinem Antrittsbesuch in Moskau vernommen hat, scheinen längst wieder verflogen zu sein. Die Sorge vor einem russischen Angriff auf die Ukraine wächst wieder.

Russland sagt zwar, es ziehe einen Teil seiner Truppen von der ukrainischen Grenze ab. Gleichzeitig warnt US-Präsident Joe Biden aber vor einer Invasion «in den nächsten paar Tagen». Und US-Außenminister Antony Blinken erläutert vor dem UN-Sicherheitsrat, wie ein Angriffsvorwand konstruiert werden könnte. «Dies könnte ein gewaltsames Ereignis sein, das Russland gegen die Ukraine vorbringen wird, oder eine unerhörte Anschuldigung, die Russland gegen die ukrainische Regierung erheben wird», sagt er.

Biden berät mit Verbündeten am Telefon

Während Blinken in München erwartet wird, will Biden mit Verbündeten über das weitere Vorgehen beraten. Themen der Telefonschalte heute sollten unter anderem die Aufstockung der russischen Truppen an der Grenze zur Ukraine und weitere diplomatische Bemühungen sein, hieß es aus dem Weißen Haus.

Neben Kanadas Premierminister Justin Trudeau sollen führende Politiker aus Deutschland, Frankreich, Großbritannien, Italien, Polen und Rumänien an dem Gespräch teilnehmen, teilte Trudeaus Büro mit. Auch die Europäische Union und die Nato seien vertreten.

 

 

Aktuelle Ausgabe kostenfrei als E-Paper lesen
Eifelzeitung E-Paper Aktuelle Ausgabe kostenfrei als E-Paper lesen