Bund: Ölversorgung auch nach Embargo gesichert

Potsdam (dpa) – Die Treibstoffversorgung an Tankstellen in großen Teilen Ostdeutschlands ist aus Sicht der Bundesregierung trotz des Öl-Embargos für die PCK-Raffinerie in Schwedt ab Januar gesichert. «Wir haben Versorgungssicherheit in der Region gegeben», sagte der Parlamentarische Wirtschaftsstaatssekretär Michael Kellner (Grüne) heute in Potsdam.

Er verwies auf zugesagte alternative Öllieferungen für Schwedt aus Polen. «Wir werden weiter daran arbeiten, die Zahlen nach oben zu bringen. Auch da gibt es positive Signale.» Zudem soll Öl aus Kasachstan kommen – wie viel, ist zunächst offen. Nicht vorgesehen sei, strategische Ölreserven freizugeben.

Das Öl-Embargo für Pipelines soll wie geplant zum 1. Januar kommen, sagte der Staatssekretär. «Im Januar erwarte ich erste Lieferungen aus Polen nach Schwedt.» Von keinem Anteilseigner der beiden ostdeutschen Raffinerien Schwedt und Leuna werde ab 1. Januar mehr russisches Rohöl bestellt. Kellner geht nicht von Preissprüngen für Treibstoff infolge der alternativen Lieferungen aus. «Mit der Aufstellung, die wir gefunden haben, bin ich nicht besorgt, dass wir jetzt riesige Preisausschläge sehen», sagte der Staatssekretär. Er gehe aber davon aus, «dass wir eine Veränderung sehen werden».

Deutschland und Polen hatten im Mai in einer Protokollerklärung freiwillig auf Öl aus Pipelines verzichtet – ab 1. Januar 2023 soll wegen des Ukraine-Kriegs kein russisches Öl mehr fließen. Davon sind die PCK-Raffinerie in Schwedt in Brandenburg und die Raffinerie in Leuna in Sachsen-Anhalt betroffen. PCK wird seit Jahrzehnten über die Druschba-Pipeline mit russischem Öl beliefert. Die Raffinerie versorgt große Teile des Nordostens mit Treibstoff.

Öl-Embargo hat keinen Einfluss auf Beschäftigung

Brandenburgs Ministerpräsident Dietmar Woidke (SPD) sieht auch Sicherheit für die Mitarbeiter der Raffinerie in Schwedt. «Die Beschäftigung am Standort wird auch über den Jahreswechsel hinaus gesichert sein», sagte Woidke nach der Sitzung der Task Fore (Arbeitsgruppe) zur PCK-Raffinerie. PCK-Chef Ralf Schairer habe in einer Videoschalte gesagt, jeder Mann und jede Frau würden gebraucht. Der Bund hatte eine solche Garantie gegeben – unabhängig davon, ob ein Beschäftigter auch in der Raffinerie Arbeit hat.

Die Bürgermeisterin von Schwedt/Oder, Annekathrin Hoppe (SPD), zeigte sich zuversichtlich. «Es ist heute ein sehr hoffnungsvoller Tag für Schwedt», sagte Hoppe. Es gebe die Sicherheit, dass die Arbeitsplätze bei PCK erhalten blieben, ab Januar die Raffinerie weiterlaufe und die Versorgung der Region gesichert bleibe. Kellner überreichte einen Bescheid über Fördermittel in Höhe von 6,25 Millionen Euro für die Gründung eines Start-up-Labors in Schwedt. Dazu kam ein Bescheid von Regierungschef Woidke für Hoppe in Höhe von 5 Millionen Euro.

Polen hatte nach Angaben der Bundesregierung zugesagt, ab Januar ausreichende Ölmengen für PCK zu liefern, die der Raffinerie eine komfortable Auslastung von rund 70 Prozent ermöglichten. Zugleich verhandelten die Anteilseigner der Raffinerie über eigene Verträge mit Kasachstan, die weitere Mengen ab Januar ermöglichen.

Region bekommt kräftige Finanzspritze vom Bund

Bund und Länder haben vereinbart, insgesamt rund 1,3 Milliarden Euro in die Sicherung und umweltfreundliche Umstellung der ostdeutschen Raffinerien zu investieren – wie viel genau auf Schwedt entfällt, ist noch unklar. Der Ostbeauftragte der Bundesregierung, Carsten Schneider (SPD), sagte, neben der Lausitz gebe es keine weitere Region in Deutschland, die so viele öffentliche Mittel in diesem Jahr zur Stärkung der Wirtschaftskraft zugesagt bekommen habe.

Bis zu 55 Prozent des Ölbedarfs der Raffinerie sollen über Tanker nach Rostock und von dort über eine bestehende Pipeline nach Schwedt gebracht werden. «Für Januar kommen sechs Schiffe in Rostock an», sagte Kellner. Mehr schafft die Leitung derzeit nicht. Der Ostbeauftragte Schneider sagte: «Wir werden die Frage des Pipelinebaus – Ertüchtigung oder Neubau – sehr zügig entscheiden.»

Zahl der Arbeitslosen sinkt im November leicht

Nürnberg (dpa) – Die Zahl der Arbeitslosen in Deutschland ist im November dank einer leichten Herbstbelebung  gesunken – allerdings weniger stark als in früheren Jahren. Die Bundesagentur für Arbeit gab am Mittwoch die Zahl der Arbeitslosen im November mit 2,434 Millionen an, das sind 8000 weniger als im Oktober, aber 117.000 mehr als vor einem Jahr. Die Arbeitslosenquote liegt damit unverändert bei 5,3 Prozent. Sie liegt aber um 0,2 Punkte höher als im November 2021.

«Insgesamt ist der Arbeitsmarkt stabil. Zwar sind Arbeitslosigkeit und Unterbeschäftigung saisonbereinigt erneut gestiegen und Kurzarbeit nimmt wieder zu, die Beschäftigung wächst aber deutlich», sagte Daniel Terzenbach, Vorstandsmitglied der Bundesagentur für Arbeit in Nürnberg. Weiterlesen

Jan Philipp Reemtsma wird 70

Von Bernhard Sprengel, dpa

Hamburg (dpa) – Nach jahrzehntelanger Beschäftigung mit dem Thema Gewalt will sich der Hamburger Sozial- und Literaturwissenschaftler Jan Philipp Reemtsma nicht als Stammtischstratege für den Ukraine-Krieg hervortun.

Auf die Frage, ob es richtig sei, die Ukraine militärisch zu unterstützen, antwortet Reemtsma, der am Samstag (26. November) 70 Jahre alt wird: «Ja, gewiss, weil es richtig ist, ein völkerrechtswidrig angegriffenes Beinahe-Nachbarland zu unterstützen.» Die Debatte um das Ziel der militärischen Unterstützung führt nach seiner Ansicht jedoch zu fruchtlosen Diskussionen. Wörter wie «verteidigen», «siegen» oder «verlieren» seien Signalwörter, die anzeigten, wer in diesen Diskussionen wo stehe. Sie bedeuteten aber keine vernünftigen Aussagen zur Sache.

Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) hatte im Mai erklärt: «Russland darf diesen Krieg nicht gewinnen.» Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne) sagte im Juni: «Natürlich darf Russland diesen Krieg nicht gewinnen, sondern muss ihn strategisch verlieren.»

Reemtsma will sich auch nicht dazu äußern, wie der Ukraine geholfen werden sollte. «Noch schlimmer sind die Antworten auf die “womit unterstützen”-Fragen, die bei den Befragten regelmäßig den inneren Stammtischstrategen hervorbringen. Daran beteilige ich mich nicht», sagt der frühere Leiter des von ihm gegründeten Hamburger Instituts für Sozialforschung. «Zudem bin ich kein Militärexperte, der ich sein müsste, wollte ich mich beteiligen.»

Das Institut für Sozialforschung hatte in den 90er Jahren mit einer Ausstellung über die Verbrechen der Wehrmacht im Zweiten Weltkrieg für heftige Debatten gesorgt. Die Schau befasste sich auch mit Kriegsschauplätzen in der Ukraine wie Kiew oder Charkiw. Nach Angaben des Historikers Bogdan Musial enthielt die Ausstellung zahlreiche gravierende Fehler und Manipulationen. Reemtsma selbst räumte später in einer Bilanz ein, dass etwa Fotos eines Pogroms in Ternopil auch Mordopfer des sowjetischen Geheimdienstes NKWD zeigten.

Über die Ursache von Gewalttaten im Krieg

Im November 1999 stoppte Reemtsma die Ausstellung und ließ eine neue Fassung erarbeiten. Im Rückblick bewertet er das Projekt trotz aller Kritik positiv: «Nach den beiden Ausstellungen über die Verbrechen der Wehrmacht wird kaum jemand so über die deutsche Wehrmacht sprechen, wie dies vor 1995 noch üblich war. Mehr kann man nicht erreichen.» Zu den aktuellen Kriegsverbrechen, die den russischen Truppen in Butscha und anderen Orten der Ukraine vorgeworfen werden, erklärt Reemtsma knapp: «Ursache solcher Gewalttaten sind stets die militärischen Führungen, die sie nicht verhindern – oder bewusst durch direkte oder ausdeutbare Befehle oder durch Gewährenlassen herbeiführen.»

Reemtsma, der mit 26 Jahren sein Erbe aus dem Tabakkonzern seines verstorbenen Vaters verkaufte, hat sich viele Jahre mit den Erscheinungsformen von Gewalt befasst und sich für Opfer von Verfolgung eingesetzt.

Am 25. März 1996 wurde der Multimillionär selbst Opfer von Gewalt. Entführer kidnappten ihn auf seinem Anwesen in Hamburg-Blankenese und hielten ihn 33 Tage lang in einem Kellerverlies bei Bremen gefangen. Nach Zahlung eines Lösegeldes von umgerechnet rund 15 Millionen Euro kam er in der Nacht zum 27. April 1996 frei.

Zwei Jahre danach wurde der Anführer der Bande, Thomas Drach, in Argentinien verhaftet und später in Hamburg zu über 14 Jahren Haft verurteilt. Zurzeit steht Drach wegen dreier Raubüberfälle in Köln erneut vor Gericht. Auf die Frage, ob er den Prozess verfolge oder von einem Prozessbeteiligten schon mal kontaktiert worden sei, antwortet Reemtsma: «Nein».

33 Tage in Todesangst

Über seine Entführung schrieb der Gewaltforscher das Buch «Im Keller». Eindringlich schildert er darin die 33 Tage, die er angekettet und in Todesangst verbrachte. Sein Sohn Johann Scheerer berichtete in zwei Büchern darüber, wie er als 13-Jähriger die Entführung seines Vaters und die folgenden Jahre erlebte. Zurzeit ist die Verfilmung des Buches «Wir sind dann wohl die Angehörigen» im Kino zu sehen. Was hält sein Vater von dem Werk? «Ich habe den Film nicht gesehen, werde ihn vermutlich auch nicht ansehen», sagt Reemtsma. Das solle aber nicht wie eine Distanzierung wirken. Die Angelegenheit sei für ihn nicht einfach.

Sehr intensiv widmet sich der Literaturwissenschaftler seit einigen Jahren antiken Mythen und der Weimarer Klassik. Sein Hauptinteresse gilt den Werken des Schriftstellers Christoph Martin Wieland (1733-1813). In Kürze erscheint eine Neuausgabe von Wielands Roman «Aristipp und einige seiner Zeitgenossen». Über das 1800 bis 1802 erschienene Werk, das bereits Thema seiner Doktorarbeit war, gerät Reemtsma ins Schwärmen: «Der zur Sokrates-Zeit spielende Briefroman ist ein philosophischer, ein politischer, ein psychologischer, ein erotischer Roman und vielerlei mehr: intellektuelle Poesie.» Während der Mäzen Reemtsma seine Idole hochleben lässt, steht er selbst wohl nicht gern im Mittelpunkt: «Ich feiere meine Geburtstage nie», beteuerte er vor seinem 70. Jubiläum.

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Rezessionsangst und Rekordgewinne – wie geht das zusammen?

Von Jörn Bender, dpa

Frankfurt/Main (dpa) – Ukraine-Krieg, Energiekrise, Rekordinflation, drohende Rezession – das Umfeld ist alles andere als günstig. Doch noch wächst die deutsche Wirtschaft und nicht wenige Konzerne fahren Milliardengewinne ein. Klingt paradox, doch es gibt Erklärungen.

Wie die «Wirtschaftsweisen» die Lage bewerten, wird das Beratungsgremium der Bundesregierung an diesem Mittwoch (9.11.) bei der Vorlage des Jahresgutachtens 2022/2023 erörtern.

Wirtschaftswachstum in der Krise – wie geht das?

Im dritten Quartal überraschte die deutsche Wirtschaft positiv: Statt des von vielen Ökonomen erwarteten Rückgangs der Wirtschaftsleistung legte das Bruttoinlandsprodukt (BIP) um 0,3 Prozent zum Vorquartal zu. Getragen wurde das Wachstum einer ersten Schätzung des Statistischen Bundesamtes zufolge vor allem vom privaten Konsum. Der Wegfall von Corona-Einschränkungen kurbelte das Geschäft von Hotels und Gaststätten an, die Veranstaltungsbranche kam wieder in Schwung.

Wie ist die Stimmung in den Unternehmen?

«Es wird regelmäßig der Untergang des Industriestandorts Deutschland verkündet», schrieb der Bonner Wirtschaftsprofessor Moritz Kuhn, jüngst auf Twitter. «Nur geben es die Daten nicht her.» Er halte die Trivialisierung zum Beispiel auf Twitter und in Talkshows «für äußerst gefährlich», sagt Kuhn auf Nachfrage: «Da werden oft Zahlenreihen ohne Kontext und Referenzpunkt nebeneinander gelegt.»

Eine Umfrage des Münchner Ifo-Instituts zum Beispiel ergab, dass sich Unternehmen in Summe derzeit deutlich weniger Sorgen um ihre Existenz machen als während der Corona-Krise. Den Ende Oktober veröffentlichten Daten zufolge sehen 7,5 Prozent der Betriebe ihre Existenz bedroht. Im Juni 2020 waren es 21,8 Prozent. «Angesichts der kräftigen konjunkturellen Abkühlung zeigen sich die Unternehmen sehr robust», bilanzierte Ifo-Experte Klaus Wohlrabe.

Für Deutschlands Maschinenbauer werden rasant gestiegene Preise etwa für Erdgas und die Schwierigkeiten bei der Energieversorgung zwar zunehmend zur Belastung. Einer im September veröffentlichten Umfrage des Branchenverbandes VDMA zufolge gibt es jedoch bis dato bei rund 90 Prozent der Unternehmen keine Einschränkungen in der Produktion.

Der Verband Deutscher Maschinen- und Anlagenbau (VDMA) erwartet angesichts voller Auftragsbücher ein Produktionsplus von einem Prozent im laufenden Jahr. Der VDMA-Umfrage zufolge rechnen drei von vier Unternehmen 2022 mit einem nominalen Umsatzwachstum.

Wieso verdienen manche Konzerne mitten in der Krise Milliarden?

«BP im Ölrausch», «Krise? Nicht bei der Deutschen Bank», «Lufthansa rechnet mit Milliardengewinn» – für viele Unternehmen läuft es gerade richtig gut. Der britische Energieriese BP partizipiert an hohen Ölpreisen infolge des russischen Angriffs auf die Ukraine. Die Deutsche Bank hat mit einem Konzernumbau schon vor Jahren die Weichen auf Wachstum gestellt und profitiert aktuell zusätzlich von steigenden Zinsen. Bei der zwischenzeitlich mit staatlichen Milliarden gestützten Lufthansa wächst dank kräftiger Ticketnachfrage und einem überaus profitablen Frachtgeschäft die Zuversicht.

Dass viele Unternehmen auf Rekordkurs sind, erstaunt EY-Partner Mathieu Meyer nicht: Die Auftragsbücher seien voll, die Kaufkraft der Verbraucher nach den Corona-Beschränkungen sei groß. «Und damit gelingt es Unternehmen erstmal, Preissteigerungen durchzusetzen. Die Nachfrageseite ist noch recht robust», sagt der Unternehmensberater.

Zwar dürften 2023 sinkende Kaufkraft und steigende Kreditzinsen für Eintrübung sorgen. «Aber aus Gesprächen mit Unternehmen nehme ich mit, dass keine komplette Krise zu erwarten ist», sagt Meyer.

Welche Rolle spielt der Staat?

Deutschland nimmt – wie schon in der Corona-Pandemie – Milliarden in die Hand, um Belastungen für Unternehmen und Verbraucher zu mindern. Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) brachte es bei der Vorstellung des neuen sogenannten Abwehrschirms gegen hohe Energiepreise Ende September salopp auf den Punkt: «Man kann sagen, das ist hier ein Doppelwumms.» Zwar kann auch ein wohlhabender Staat wie Deutschland nicht alles abfedern, dennoch ist dies ein stabilisierender Faktor.

Wie ist die Lage auf dem deutschen Arbeitsmarkt?

«Insgesamt ist der Arbeitsmarkt weiter robust, insbesondere die Beschäftigung wächst weiter», sagte die Chefin der Bundesagentur für Arbeit (BA), Andrea Nahles, jüngst. Von September auf Oktober sank die Zahl der Arbeitslosen um 43.000 auf 2,442 Millionen. Die Arbeitslosenquote verbesserte sich um 0,1 Punkte auf 5,3 Prozent.

Die Bundesbank schreibt in ihrem Monatsbericht Oktober, in vielen Bereichen sei die Arbeitsnachfrage weiterhin hoch: «Über die Breite der Wirtschaft ist im Laufe des Winterhalbjahres also nicht von einer signifikanten Verschlechterung am Arbeitsmarkt auszugehen.» Mit Kurzarbeitergeld könnte der Staat die Lage zusätzlich stabilisieren.

Ist die aktuelle Lage nur so etwas wie die Ruhe vor dem Sturm?

So zumindest schätzt es Commerzbank-Chefvolkswirt Jörg Krämer ein: Die rekordhohe Inflation lasse «die Kaufkraft der Konsumenten kollabieren». Für ein Schrumpfen des BIP im vierten Quartal spreche zudem, dass Unternehmen sich wegen steigender Unsicherheit mit Investitionen zurückhalten dürften.

Im Bundesbank-Monatsbericht Oktober heißt es: «Im gerade begonnenen Winterhalbjahr werden die Abwärtskräfte voraussichtlich deutlich zunehmen.» Der Deutsche Industrie- und Handelskammertag (DIHK) brachte eine Umfrage unter über 24.000 Betrieben auf den Nenner: «Das Schlimmste kommt noch».

Uwe Siegmund, Chefvolkswirt des Versicherers R+V, stimmt auf schwierige Monate ein: «Alle Warnzeichen stehen auf Rot. Alle Frühindikatoren zeigen an, dass da was kommt. Wir gehen von einer größeren Rezession aus.» Allerdings erwarte er derzeit nicht, dass der Abschwung bis ins Jahr 2024 dauern werde.

«Das erste Halbjahr 2023 wird wehtun. Vielleicht haben wir unterstützende Faktoren, dass es nicht so kommt, zum Beispiel ein milder Winter und moderate Lohnabschlüsse», sagt Siegmund. «Einer meiner größten Hoffnungswerte ist der Euro. Wenn der Euro gegenüber dem Dollar wieder etwas mehr steigen würde, würde das zwar Exporte verteuern, aber es würde die Inflation deutlich beruhigen.»

Birgt die Krise auch Chancen?

Krisen seien letztlich Transformationsbeschleuniger, meint der Bonner Ökonom Kuhn: «Natürlich erhöht das die Kosten, wenn wir als Volkswirtschaft jetzt zügiger von fossilen Brennstoffen wegwollen. Aber das ist in etwa so, wie wenn ich mit dem Auto schneller auf 100 Stundenkilometer beschleunige: Das ist teurer, weil ich mehr Benzin verbrauche, aber es rollt dann auch schneller.»

EY-Partner Meyer sieht es ähnlich: «Wenn man zurückblickt, hat jede Krise die deutsche Wirtschaft eher gestärkt. Wenn man drin ist, ist es unangenehm. Aber wenn man die Krise sinnvoll nutzt, kann man durchaus gestärkt daraus hervorgehen.»

Auch der Chef der Förderbank KfW, Stefan Wintels, sieht Potenzial für Europas größte Volkswirtschaft in dem nun notwendigen Umbau etwa der Energieversorgung: Viele hiesige Unternehmen hätten Technologien, um andere Länder bei der grünen Transformation zu unterstützen. Wintels’ Fazit: «Das ist eine Riesenchance für viele deutsche Unternehmen.»

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Scholz in Peking: Wie abhängig ist die deutsche Wirtschaft?

Von Thomas Kaufner und Andreas Landwehr, dpa

Hamburg/Peking (dpa) – Zeitenwende auch im Umgang mit China: Beim «Antrittsbesuch» von Kanzler Olaf Scholz am Freitag in Peking unterschreibt die deutsche Wirtschaft keine Milliardenverträge. Ganz im Gegenteil. Heute dreht sich alles darum, wie die Abhängigkeit von der inzwischen zweitgrößten Volkswirtschaft verringert werden kann.

Es gibt einen radikalen Wandel, wie die Wirtschaftsbeziehungen zu China bewertet werden. Seit der Ukraine-Konflikt die Abhängigkeit von Energie aus Russland allzu schmerzhaft verdeutlicht hat, will sich Deutschland im Umgang mit China nicht ähnlich erpressbar machen.

Der Streit um die Beteiligung des chinesischen Logistikriesen Cosco an einem Hamburger Hafenterminal zeigt die neuen Empfindsamkeiten. Der Deal war schon vor mehr als einem Jahr vereinbart worden, ohne dass jemand erkennbar Notiz genommen hätte. Mit Wladimir Putins Angriffskrieg hat sich das schlagartig geändert. Man habe gelernt, argumentiert Wirtschaftsminister Robert Habeck, «dass Abhängigkeiten von Ländern, die dann möglicherweise ihre eigenen Interessen in diese Abhängigkeiten hineinspielen, also uns dann erpressen wollen, nicht mehr nur ein abstraktes Phänomen sind.» Und der Vizekanzler fügt hinzu: «Wir sollten diese Fehler nicht wiederholen.»

Enge Verflechtungen

Aber wie groß ist die deutsche Abhängigkeit von China? Ob Handel, Lieferketten oder Riesenmarkt: «In allen drei Bereichen ist die Verflechtung zwischen China und Deutschland stark ausgeprägt», sagt das Geschäftsführende Vorstandsmitglied der deutschen Handelskammer (AHK) in Peking, Jens Hildebrandt. Auch bei strategisch bedeutsamen Produkten wie Lithium Batterien oder Rohstoffen wie Seltene Erden «besteht eine starke Importabhängigkeit». Der Corona-Lockdown in Shanghai im Frühjahr, der Lieferketten weltweit empfindlich gestört hatte, hat auch deutlich gemacht, wie stark die deutsche Wirtschaft auf Vor- und Zwischenprodukte aus China angewiesen ist.

Rund 5000 deutsche Unternehmen sind heute in China tätig. 1,1 Millionen Arbeitsplätze in Deutschland hängen laut Handelskammer vom China-Geschäft ab. «Der chinesische Markt ist für viele deutsche Firmen von überragender Bedeutung, und zwar als Absatz- und als Wachstumsmarkt», sagt Hildebrandt. Das gelte insbesondere für deutsche Autobauer und Chemie-Hersteller. «Was gerne übersehen wird, ist die Rolle Chinas als Innovationstreiber», hebt der AHK-Manager auch hervor. «Deutsche Unternehmen entwickeln und testen in China neueste Technologien für den globalen Markt.»

Bislang folgte der Handel anderem Leitbild

Fällt nach Russland nun aber das wirtschaftlich ungleich mächtigere China ähnlich in Ungnade? «Bislang beruhte die deutsche Außenwirtschaftspolitik primär auf dem Leitbild, dass Handel und grenzüberschreitende Investitionen willkommen sind, weil sie allen Beteiligten nutzen», schrieb der Chef des Münchner Ifo-Instituts, Clemens Fuest, in der «Wirtschaftswoche». «Danach ist steigender Wohlstand in China auch gut für Deutschland und Europa, denn er steigert die Exportchancen für deutsche Produkte.»

Auch könnten chinesische Investitionen in Deutschland hierzulande Wachstum und Beschäftigung fördern, meinte Fuest. Die Handelsbeziehungen zu China nun zu kappen, wäre aus seiner Sicht indes voreilig. Aus seiner Sicht geht es vielmehr darum, kritische Abhängigkeiten zu begrenzen, die Deutschland im Krisenfall erpressbar machen. «Es ist aber ebenso geboten, die immensen Vorteile internationaler Arbeitsteilung weiterhin umfassend zu nutzen.»

Kritisch könnten einer Studie der EU-Kommission eine Vielzahl von Rohstoffen werden, die für nahezu alle wichtigen Zukunftstechnologien gebraucht werden, unter anderem für Solar- und Windenergie. «Auf dem Weg zur Unabhängigkeit von russischen Energieträgern könnte Deutschland sich also in neue Abhängigkeiten zu China begeben», schreiben daher die Ökonomin Melinda Fremerey und ihr Kollege Thomas Obst vom Institut der deutschen Wirtschaft (IW).

Ungleiche Abhängigkeit

Derweil ist die deutsche Wirtschaft sehr viel abhängiger von China als umgekehrt. Auch hätten sich die Verflechtungen im ersten Halbjahr 2022 «mit einem enormen Tempo in die falsche Richtung entwickelt», urteilt der IW-Ökonom Jürgen Matthes in einer Studie. «Die deutschen Direktinvestitionsflüsse nach China waren noch nie so hoch.» Auch die Importe aus China und das deutsche Defizit im Handel erreichten ein Allzeithoch. Dagegen schwächte sich das Wachstum der deutschen Ausfuhren nach China stark ab. Chinas Exportanteil sank erneut. Seine Interpretation: «Der chinesische Markt soll offenbar immer mehr durch Produktion vor Ort statt durch Exporte bedient werden.»

In Zahlen: Mit 71,8 Milliarden Euro oder 7,0 Prozent aller Ausfuhren ist China laut Statistisches Bundesamt in den ersten acht Monaten 2022 auf Platz vier der wichtigsten Empfängerländer abgerutscht – hinter die USA, Frankreich und die Niederlande. Mit 125,7 Milliarden Euro oder 12,8 Prozent aller Einfuhren ist China indes mehr denn je der wichtigste Lieferant Deutschlands. «Das Ungleichgewicht im Handel mit China nimmt also immer mehr zu», so lautet das Fazit von Matthes.

«Es deutet vieles darauf hin, dass das Gewinnstreben der deutschen Firmen ohne einen staatlichen Eingriff weiterhin zu mehr und nicht zu weniger China bei Direktinvestitionen und Importen führt», schreibt Matthes. «Die Abhängigkeit der deutschen Wirtschaft von China als Absatzmarkt und Lieferant steigt damit immer weiter.» Das Gegenteil wäre jedoch wegen der zunehmenden geopolitischen Spannungen nötig – auch angesichts der Drohungen Chinas mit einer Eroberung Taiwans. Ein solcher Angriff könnte in einen Krieg mit den USA münden und wie mit Russland zu massiven Wirtschaftssanktionen führen.

Eine völlige Entkopplung wäre für deutsche Unternehmen in China aber das schlimmste Fall, der auch für deutsche Verbraucher schmerzhaft würde. «Durch die enge Verflechtung deutscher Unternehmen in chinesische Lieferketten würde sich eine wirtschaftliche Abkopplung auf die ganze deutsche Wirtschaft negativ auswirken», warnt AHK-Chef Hildebrandt. «Volkswirtschaftlich gesehen würde eine Abkopplung mit erheblichen Wohlstandsverlusten einhergehen.» Doch hätten deutsche Unternehmen in China bereits reagiert, indem sie verstärkt lokalisieren oder im ostasiatischen Raum diversifizieren. «Mit diesen Schritten streuen Unternehmen ihr Risiko», sagte Hildebrandt. «In Summe sollte dies zu einer Verringerung der Abhängigkeit führen.»

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Erste Wolken über dem deutschen Arbeitsmarkt

Von Michael Donhauser, dpa

Nürnberg (dpa) – Die Vorstandschefin der Arbeitsagentur, Andrea Nahles, nahm am Mittwoch das Wort «Trendwende» in den Mund. Der deutsche Arbeitsmarkt erwies sich zwar auch im Oktober noch als robust. Doch die saisonübliche Herbstbelebung fiel gedämpft aus, die Flüchtlinge aus der Ukraine sind nicht mehr die Hauptursache für neue Arbeitslose und die Kurzarbeit geht zumindest nicht weiter zurück. Die bevorstehende Wirtschaftskrise sendet ihre Vorboten auch an die Bundesagentur für Arbeit in Nürnberg.

Die Zahl der Arbeitslosen in Deutschland ist im Oktober im Vergleich zum Vormonat saisonüblich um 43.000 auf 2.442.000 zurückgegangen. Sie liege jedoch um 65.000 höher als zum gleichen Zeitpunkt des Vorjahres, teilte die Bundesagentur am Mittwoch mit. Die Arbeitslosenquote verringerte sich um 0,1 Punkte auf 5,3 Prozent. Die Bundesagentur hat für ihre Oktoberstatistik Daten herangezogen, die bis zum 13. Oktober vorlagen.

Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD) zeigte sich mit der Entwicklung angesichts der Herausforderungen zufrieden: «Wir werden weiter an der Seite der Beschäftigten stehen und alles tun, um den Arbeitsmarkt gut durch diese Krise zu bringen», sagte er.

Fachkräfte weiter gesucht

«Insgesamt ist der Arbeitsmarkt weiter robust, insbesondere die Beschäftigung wächst weiter», sagte auch Behördenchefin Nahles. 34,57 Millionen Menschen seien sozialversicherungspflichtig beschäftigt, mehr als eine halbe Million mehr als zum gleichen Zeitpunkt des Vorjahres. Die Unternehmen täten viel, um ihre Fachkräfte auch in der Krise zu halten.

Im Oktober 2021 hatte die Herbstbelebung auf dem Arbeitsmarkt jedoch noch einen doppelt so hohen Rückgang der Arbeitslosenzahl um damals 88.000 bewirkt. In diesem Jahr steht bei saisonbereinigter Berechnung sogar ein leichtes Plus um 8000 zu Buche. «Unsere Interpretation ist, dass es die Folgen der wirtschaftlichen Abschwächung sind, die dazu führen», erklärte Nahles.

Die Bundesagentur geht weiter davon aus, dass die Geflüchteten aus der Ukraine derzeit einen Effekt auf die Zahl der Arbeitslosen haben – sie sind aber nach Angaben von Nahles nicht mehr der Hauptgrund für neue Arbeitlose. Vielmehr tauchten sie vermehrt in der Statistik für Unterbeschäftigung auf, wo auch etwa die Teilnehmer von Integrationskursen berücksichtigt werden.

Wirtschaftliche Unsicherheit hat Folgen

Die Kurzarbeit ist zuletzt nicht mehr – wie in den Monaten zuvor – zurückgegangen. Für Nahles ist das auch eine Folge der zuletzt deutlicher werdenden wirtschaftlichen Unsicherheiten. «Wir beobachten, dass Unternehmen wieder mehr auf konjunkturelle Kurzarbeit zurückgreifen wollen», sagte sie. Im August wurde den Berechnungen der Bundesagentur zufolge für 106.000 Menschen konjunkturelles Kurzarbeitergeld gezahlt. Zwischen dem 1. und 26. Oktober gingen Anzeigen für weitere 82.000 Beschäftigte ein – nach 57.000 im September. Ob diese jedoch realisiert werden, ist nicht gewiss. Vor allem das verarbeitende Gewerbe sei betroffen.

Auf dem Ausbildungsstellenmarkt zeichnet sich zum Ende des Bewerbungszeitraumes Ende September eine größer werdende Lücke zwischen Angebot und Nachfrage ab. «Noch nie seit der Wiedervereinigung waren die Chancen auf eine Ausbildungsstelle so gut. Allerdings haben die Besetzungsprobleme für die Unternehmen merklich zugenommen», sagte Nahles.

Sie rief sowohl Bewerber als auch Betriebe auf, Kompromissbereitschaft zu zeigen. Bewerber sollten sich auch mit Alternativen zum Traumberuf beschäftigen. Unternehmen müssten sich damit befassen, auch Kandidaten ins Auge zu fassen, deren Qualifikation möglicherweise nicht ganz ihren Vorstellungen entsprechen.

Der Bundesagentur seien bis September 2022 insgesamt 546.000 Berufsausbildungsstellen gemeldet worden, 23.100 mehr als im Vorjahreszeitraum. Dem stehen 422.400 Bewerberinnen und Bewerber gegenüber, 11.100 weniger als voriges Jahr. Am 30. September waren noch 68.900 Stellen unbesetzt und 22.700 junge Leute noch unversorgt.

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Autoindustrie fordert neues Handelsabkommen mit USA Außenhandel

Berlin (dpa) – Die deutsche Autoindustrie dringt angesichts milliardenschwerer Förderungen in den Vereinigten Staaten auf schnelle Verhandlungen über ein Freihandelsabkommen mit den USA. Die ursprünglich zwischen der EU und den USA angestrebte Transatlantische Handels- und Investitionspartnerschaft, bekannt unter dem Kürzel TTIP, war gescheitert. Weiterlesen

Deutsche Bestatter bergen Tote in der Türkei

Von Mirjam Schmitt, dpa

Kahramanmaras (dpa) – Dort, wo mal Häuser standen, ist nun ein Krater. Bestatter René Stawinski steht am Rand des Schlunds, in dem Bagger an sechs Schutthaufen arbeiten. Sechs Hochhäuser standen an dieser Stelle im südtürkischen Kahramanmaras. Sie sind eingestürzt, fast schon zerbröselt. Der Boden ist mit kieselgroßem Schutt übersäht. Ein weißes Tuch mit roten Blumen liegt auf dem Boden, die Luft ist voller Staub. Ein süßlicher Geruch weht aus den Trümmern. So riecht der Tod.

Zwei Wochen nach dem Erdbeben gibt es kaum noch Hoffnung, hier noch jemanden lebend zu finden. Stawinski ist für die gekommen, die in den Trümmern gestorben sind. Der 48-Jährige aus Sachsen-Anhalt leitet ein Team von zwölf Bestattern aus Deutschland. Deathcare heißt ihre ehrenamtliche Organisation mit Sitz im rheinland-pfälzischen Wörth. Sie hilft bei der Bergung von Leichen und bereitet sie für die Beerdigung vor.

Unter den Trümmerhaufen vor Stawinski vermuten die türkischen Behörden noch zwei Tote. Werden sie gefunden, sollen sie zunächst offiziell identifiziert werden. Dann sollen Stawinski und sein Team die Leichen desinfizieren und für die Beerdigung vorbereiten. Anschließend können Verwandte sie mitnehmen und begraben. Für die übliche rituelle Waschung ist in der Katastrophe oft keine Zeit.

Zehntausende wurden seit dem verheerenden Erdbeben am 6. Februar in der Südtürkei bereits beerdigt. Tausende Tote werden noch unter den Trümmern vermutet. Die Bestatter um Stawinski haben ein erstes Team von Deathcare abgelöst. Um Tote zu bergen, sind die Helfer auf Hinweise von Verwandten oder Behörden angewiesen. Eine möglichst schnelle Bergung ist auch aus hygienischen Gründen erforderlich. Die Zersetzung der Leichen habe trotz der Kälte bereits begonnen, sagt Stawinski. Es sei ratsam, sie schnell zu begraben, auch weil die Gefahr von Seuchen bestehe.

«Die Angehörigen wollen trauern»

Manchmal haben auch die Bestatter Hoffnung, noch jemanden lebend zu finden. Vor wenigen Tagen habe ein Hund angeschlagen, erzählt Stawinski. Die Wärmebildkamera habe eine Wärmequelle angezeigt. Am Ende sei aber ein Verstorbener geborgen worden. Die Geräte zeigten nach dem Tod eines Menschen noch einige Zeit die Restwärme an, erklärt Stawinski.

Für die Verwandten geht es vor allem um Trauer und einen Abschluss. «Tote haben Angehörige und die Angehörigen wollen trauern», sagt Stawinski. Das ehrenamtlich arbeitende Team hat einen Übersetzter dabei. Alle sind in Trauerbegleitung geschult.

Kahramanmaras lag nah am Epizentrum des Bebens. Mehr als 22.000 Gebäude sind nach Angaben des Städteministeriums allein hier eingestürzt oder schwer beschädigt worden. Die Stadt hat sich geleert, etliche Menschen sind in Notunterkünften untergebracht. Die, die hier noch vor den Trümmerhaufen sitzen, wollen Angehörige mitnehmen und begraben. Ihre Augen sind gerötet, die Blicke leer.

Dankbar sind sie den Helfern, das wird immer wieder sichtbar. Ein Mann bietet dem Team aus Deutschland süße Datteln an. Ein anderer dreht sich um und sagt auf Deutsch: «Danke.» Die Menschlichkeit unter den Leuten und die Dankbarkeit, das habe ihn berührt, sagt Stawinski. Man könne vielleicht keine Überlebenden mehr retten, aber die Angehörigen «einfach mal in den Arm nehmen oder drücken, um zu zeigen, dass man bei ihnen ist».

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Die Münchner Waffenbörse und ein mysteriöser Friedensplan

Von Michael Fischer, Jörg Blank, Ansgar Haase, Carsten Hoffmann, Marco Hadem, dpa

München (dpa) – Am späten Samstagabend hat Russland dann doch noch seinen Auftritt auf der Münchner Sicherheitskonferenz. Im Bayerischen Hof sitzen der frühere Schachweltmeister Garry Kasparow, der Kremlgegner Michail Chodorkowski und andere russische Oppositionelle auf dem Podium.

Es ist das andere Russland, das kaum noch wahrgenommen wird. Das Russland derer, die ins Exil gegangen sind und jetzt mit der Ukraine und ihren westlichen Verbündeten darum bangen, dass der russische Präsident Wladimir Putin seinen Angriffskrieg gegen die Ukraine nicht gewinnt. «Ein Sieg der Ukraine ist die Voraussetzung für jeden Wandel in Russland», sagt Kasparow.

Solidaritätskundgebung des Westens für die Ukraine

Putins Russland muss dagegen diesmal draußen bleiben – erstmals seit den 90er Jahren. Er wolle den «Kriegsverbrechern im Kreml» kein Forum für ihre Propaganda geben, lautete die Losung des neuen Konferenzleiters Christoph Heusgen, dem früheren Berater von Ex-Kanzlerin Angela Merkel (CDU). Damit war von vorneherein klar, was aus der Konferenz in diesem Jahr in erster Linie werden würde: Eine Solidaritätskundgebung des Westens für die Ukraine.

Und Solidarität bedeutet in der jetzigen Kriegssituation für die in München versammelten westlichen Verbündeten vor allem eins: militärische Unterstützung. «Jetzt ist nicht die Zeit für Dialog», stellte der französische Präsident Emmanuel Macron gleich zu Beginn klar. Damit war der Ton gesetzt. Wie weit diese Unterstützung gehen soll und wie schnell sie erfolgen muss, bleibt unter den Bündnispartnern allerdings umstritten.

Sorgfalt oder Risiko: Waffen-Kurs des Westens umstritten

Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) versicherte in München, die Balance zwischen bestmöglicher Unterstützung der Ukraine und der Vermeidung einer ungewollten Eskalation werde weiterhin gewahrt. Es gelte: «Sorgfalt vor Schnellschuss, Zusammenhalt vor Solo-Vorstellung.»

Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg warnte dagegen vor falscher Vorsicht. «Manche sorgen sich, dass unsere Unterstützung für die Ukraine Eskalationsrisiken birgt», sagt der Norweger. Das größte Risiko sei ein Sieg Putins. Risikofreie Optionen gebe es nicht.

Was hat sich daraus nun konkret in München ergeben?

– Die Bildung einer Kampfpanzerallianz bleibt schwierig. Scholz, sein neuer Verteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) und Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne) suchten in München zwar weiter nach lieferbaren Leopard-2-Panzern bei den Verbündeten – aber ohne zählbares Ergebnis. Immerhin haben einige Länder wie Finnland und Schweden auch noch nicht Nein gesagt. Die Hoffnung, dass es am Ende doch noch funktioniert, bleibt also.

– Die Diskussion über die Lieferung von Kampfjets wurde in München eher abmoderiert. Der britische Verteidigungsminister Ben Wallace sagte dem «Spiegel», es sei «Konsens unter den westlichen Partnern», dass es da keine schnelle Lieferung geben werde. «Ganz sicher nicht in dieser Kriegsphase, ziemlich sicher auch nicht in einem halben Jahr.» Die Debatte dürfte trotzdem weitergehen, auch das ist klar.

– Die Ukraine kam wieder mit einer neuen Forderung: Sie will nun Phosphor-Brandwaffen und Streumunition. Begründung: Russland setze diese Waffen auch ein. Streumunition wird allerdings von Deutschland und von mehr als 100 Staaten geächtet. Deswegen erfolgte prompt eine Absage von Nato-Generalsekretär Stoltenberg.

Einer will dann doch noch über Diplomatie reden

Die Sicherheitskonferenz  hatte also etwas von Waffenbörse. Es gab dann aber doch noch einen, der über Diplomatie redete: der oberste chinesische Außenpolitiker Wang Yi. China hat Putin im ersten Jahr des Krieges Rückendeckung gegeben – auch wenn die Warnung vor dem Einsatz von Atomwaffen im Westen als Zeichen der Bereitschaft Pekings gesehen wurde, den russischen Präsidenten zumindest etwas zu bremsen.

Nun sagte Wang Yi etwas in München, das hellhörig macht: «Wir werden etwas vorlegen. Und zwar die chinesische Position zur politischen Beilegung der Ukraine-Krise.» Es wird erwartet, dass dieser Plan bereits zum Jahrestag der russischen Invasion am Freitag vorgelegt wird. Zu den Inhalten machte Wang Yi nur vage Andeutungen. Das Chaos und die Konflikte, die die Welt im Moment schmerzen ließen, seien hervorgerufen worden, weil die Prinzipien der UN-Charta nicht aufrechterhalten worden seien.

Nutzt China die Ukraine-Frage für seinen Anspruch auf Taiwan?

Von westlichen Diplomaten wird das so gelesen, dass China auf die sogenannte territoriale Integrität der Ukraine pochen könnte, also auf die Unverletzbarkeit von Grenzen. Dabei müsste China dann aber auch die Frage beantworten, welches Verständnis es von den Grenzen der Ukraine hat. Also ob es wie Putin die Krim als Teil Russlands betrachtet, oder die Annexion der Halbinsel 2014 als illegal sieht.

Es könnte auch sein, dass China den «Friedensplan» dazu verwendet, seinen Anspruch auf die demokratische Inselrepublik Taiwan zu untermauern, was den Westen in eine Zwickmühle bringen könnte. Fest steht: Es wird ein Plan sein, mit dem sich die westlichen Verbündeten auseinandersetzen müssen. Denn China gilt als einziges Land, dem noch Einfluss auf Putin zugetraut wird.

Und jetzt? Wann kommt die russische Großoffensive?

Die Woche verspricht aber nicht nur deswegen spannend zu werden, was den weiteren Kriegsverlauf angeht. Putin hat für Dienstag eine größere Rede angekündigt. Zur selben Zeit wird US-Präsident Joe Biden in Polen sein und der Ukraine von dort aus den Rücken stärken – kurz vor dem Jahrestag der russischen Invasion am Freitag.

Die Sicherheitskonferenz 2022 endete mit der offenen Frage: Kann ein russischer Angriff gegen die Ukraine noch abgewendet werden? Vier Tage später folgte die bittere Antwort: Russische Truppen marschierten in Richtung Kiew. Auch in diesem Jahr dürften die meisten Teilnehmer mit einem mulmigen Gefühl abgereist sein. Vielleicht startet schon in ein paar Tagen eine neue russische Großoffensive. Und eine Prognose, wann dieser Krieg enden könnte, wagte an den drei Konferenztagen in München ohnehin niemand.

Konferenzleiter Heusgen beendete die Veranstaltung am Sonntag mit Zweckoptimismus. Er verwies darauf, dass der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj, der die Eröffnungsrede per Videoschalte aus Kiew gehalten hatte, in Friedenszeiten auch wieder persönlich nach München kommen würde. «Wir hoffen alle, dass er nächstes Jahr wieder persönlich hier sein wird. Das würde bedeuten, der Krieg ist vorbei.»

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FDP bleibt dabei: «Steuererhöhungen wird es nicht geben»

Berlin (dpa) – Trotz der koalitionsinternen Verteilungskämpfe ums Geld und den Haushalt 2024 hat die FDP möglichen Steuererhöhungen erneut eine Absage erteilt. Ihr Generalsekretär Bijan Djir-Sarai sagte am Sonntagabend in der ARD-Sendung «Bericht aus Berlin»:

«Egal, worüber wir reden – am Ende des Tages muss klar sein: Steuererhöhungen wird es nicht geben. Mehrbelastungen für Betriebe, für Menschen in unserem Land wird es mit der FDP nicht geben.» Keine Mehrbelastungen, das sei auch im Koalitionsvertrag der Ampel festgelegt. «Daran sollten wir uns alle halten», sagte Djir-Sarai. Weiterlesen

Viele Menschen fürchten Arzneiengpässe – gerade Ältere

Frankfurt/Berlin (dpa) – Viele Menschen in Deutschland fürchten einer Umfrage zufolge Knappheiten bei Arzneien. Insgesamt 38 Prozent der Befragten schätzen die Gefahr von Lieferengpässen als «sehr hoch» oder «eher hoch» ein, zeigt eine neue Studie des Bundesverbands der Arzneimittel-Hersteller (BAH), die der Deutschen Presse-Agentur vorliegt.

Auf der anderen Seite steht ein Drittel der Teilnehmer, die die Gefahr für «niedrig» oder «sehr niedrig» hält, so die repräsentative Umfrage, an der im Herbst 2000 Menschen teilnahmen.

Dabei schätzten besonders Menschen zwischen 50 und 69 Jahren die Gefahr von Lieferengpässen als groß ein (insgesamt 41 Prozent) sowie Menschen über 70 Jahre (43 Prozent). Schwierigkeiten oder Knappheiten beim Kauf von Arzneien erlebt haben jedoch vor allem die 30- bis 49-Jährigen (37 Prozent) und weniger Menschen über 70 (22 Prozent). Weiterlesen

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