Krieg gegen die Ukraine: So ist die Lage

Kiew/Berlin/New York/Moskau (dpa) – Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier ist am Dienstag zu einem überraschenden Besuch in der Ukraine eingetroffen. Er kam am Morgen mit dem Zug in der Hauptstadt Kiew an. Steinmeier will sich unter anderem mit eigenen Augen einen Überblick über die Zerstörungen durch die russischen Angriffe verschaffen. Es ist sein erster Ukraine-Besuch seit dem Beginn des Krieges am 24. Februar.

Derweil will Russland seine vom Westen als haltlos kritisierten Vorwürfe, die Ukraine plane im Krieg den Einsatz einer «schmutzigen» radioaktiven Bombe, vor den UN-Sicherheitsrat bringen. Eine entsprechende Aussprache des mächtigsten Gremiums der Vereinten Nationen hinter verschlossenen Türen soll am Dienstag nach einem Treffen zum Konflikt in Syrien stattfinden – vermutlich gegen frühen Nachmittag (Ortszeit). Das verlautete am Montag aus Diplomatenkreisen in New York.

Steinmeier in Kiew

Es ist bereits der dritte Anlauf des Bundespräsidenten für eine Reise dorthin. In der vergangenen Woche war diese aus Sicherheitsgründen kurzfristig verschoben worden. Das für seinen Schutz zuständige Bundeskriminalamt (BKA) schrieb auf Twitter, es habe «angesichts der aktuellen Gefahrenlage empfohlen, die geplante Reise des Bundespräsidenten Steinmeier in die Ukraine zu verschieben».

In den Tagen davor hatte Russland wiederholt mit Raketen und Drohnen die Infrastruktur der Ukraine angegriffen und die Strom- und Wärmeversorgung schwer beschädigt. Auch die Hauptstadt Kiew wurde attackiert.

Eigentlich wollte Steinmeier bereits Mitte April nach Kiew reisen – zusammen mit den Staatspräsidenten Polens, Lettlands, Litauens und Estlands. Die Initiative hierfür war von Polens Präsident Andrzej Duda ausgegangen. Unmittelbar vor dem Start kam aus Kiew aber eine Absage für Steinmeier. Die Ausladung wurde in Berlin als beispielloser diplomatischer und politischer Affront gewertet. Erst ein Telefongespräch beider Präsidenten Anfang Mai entspannte die Lage wieder.

Russland hält an Behauptung von «schmutziger» Bombe fest

Trotz westlicher Zurückweisungen hält Russland an der Behauptung fest, Kiew wolle Moskau mit einer «schmutzigen» – also atomar verseuchten – Bombe in Verruf bringen. Russland hatte die Vorwürfe am Sonntag publik gemacht, die Ukraine sowie die USA, Frankreich und Großbritannien wiesen diese zurück.

Außenminister Sergej Lawrow hatte erklärte, es gebe «konkrete Informationen zu den Instituten in der Ukraine, die über entsprechende Technologien verfügen, solch eine “schmutzige Bombe” zu bauen».

Derweil forderte Kiew selbst eine Kontrolle durch die Internationale Atomenergiebehörde (IAEA) an. Experten der Organisation würden in den kommenden Tagen zwei ukrainische Atomanlagen untersuchen, die von Russland erwähnt worden seien, kündigte IAEA-Chef Rafael Grossi am Montagabend an. Diese Standorte würden aber ohnehin regelmäßig von der IAEA inspiziert, einer davon zuletzt im September. «Dort wurden keine unbekannten nuklearen Tätigkeiten oder Materialien entdeckt».

Der Kommunikationsdirektor des Nationalen Sicherheitsrates der USA, John Kirby, sagte am Montag, dass an der russischen Behauptung absolut nichts dran sei. «Es ist einfach nicht wahr», sagte Kirby.

Acht Monate Krieg: Selenskyj attestiert Russland breites Versagen

Acht Monate nach Beginn des russischen Angriffskrieges attestierte Selenskyj Moskau ein Versagen auf breiter Front. «Die Ukraine bricht die sogenannte zweitstärkste Armee der Welt», sagte Selenskyj in seiner täglichen Videobotschaft. Mit Blick auf den Kriegsbeginn vor acht Monaten, am 24. Februar, meinte der Präsident, dass Russlands militärischer Einfluss heute verpufft sei. «Das Gefühl einer Niederlage in Russland wird stärker», sagte Selenskyj. Das Land werde zunehmend isoliert international.

Weißes Haus: Keine Verhandlungen mit Russland ohne die Ukraine

Das Weiße Haus bekräftigte, dass die USA keine direkten Verhandlungen mit Russland ohne Beteiligung Kiews führen werden. Das habe man von Anfang an gesagt, «und das bleibt der Ansatz», sagte der Kommunikationsdirektor des Nationalen Sicherheitsrates, John Kirby, am Montag.

Zuvor hatten 30 Abgeordnete der Demokratischen Partei von US-Präsident Joe Biden in einem Brief an das Weiße Haus angeregt, die Tür für direkte Verhandlungen mit Moskau offenzuhalten, um ein rascheres Ende des Krieges zu erreichen. Kirby betonte, dass aus US-Sicht nur die Ukrainer über Verhandlungen zu entscheiden haben.

Lindner will mehr Mittel für militärische Unterstützung der Ukraine

Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) will im kommenden Jahr die Mittel zur militärischen Unterstützung der Ukraine erhöhen. Die Mittel sollen laut Ministerium auf mindestens zwei Milliarden Euro im nächsten Jahr steigen, bisher seien im Haushaltsentwurf rund 800 Millionen Euro vorgesehen. Konkret geht es um militärische «Ertüchtigungshilfe».

Verteidigungsministerin Christine Lambrecht (SPD) und Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne) hatten zuvor in einem Brief an Lindner für das kommende Jahr deutlich mehr Geld für die militärische Unterstützung der Ukraine als bislang geplant gefordert. Im laufenden Haushalt sind demnach Ausgabenmittel von zwei Milliarden Euro veranschlagt.

Ukrainischer Minister: Wiederaufbau hilft auch Deutschland

Vor der Ukraine-Konferenz am Dienstag in Berlin dringt die ukrainische Regierung darauf, Investitionen in die Infrastruktur des Landes voranzutreiben. «Es ist wichtig zu verstehen, dass ungeachtet des Krieges der Wiederaufbau jetzt beginnen muss», sagte der Minister für regionale Entwicklung, Oleksij Tschernyschow, der Deutschen Presse-Agentur. Der Wiederaufbau sei gerade in den zurückeroberten Gebieten auch im unmittelbaren deutschen Interesse.

Die Ukraine hofft, dass Deutschland zur Finanzierung ihres Staatshaushalts in Kriegszeiten 500 Millionen Dollar (506 Millionen Euro) pro Monat überweist. «Es geht um einen verlässlichen Zeitplan – zumindest für das nächste halbe Jahr», sagte der Wirtschaftsberater von Selenskyj, Alexander Rodnyansky, den Zeitungen der Funke-Mediengruppe.

«Wir brauchen jeden Monat vier bis fünf Milliarden Dollar für unseren Haushalt. Wir glauben, dass Deutschland etwa 500 Millionen Dollar pro Monat übernehmen könnte, vor allem mit Blick auf das Jahr 2023.» Die Ukraine hoffe, dass die EU sich mit rund zwei Milliarden Dollar pro Monat beteilige.

Was am Dienstag wichtig wird

Auf Einladung von Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) und EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen beraten am Dienstag internationale Experten über den Wiederaufbau der Ukraine nach einem Ende des Krieges. Scholz und von der Leyen haben den Wiederaufbau als «Generationenaufgabe» bezeichnet und einen «Marshallplan» für das von Russland angegriffene Land gefordert – nach dem Vorbild des US-Aufbauprogramms für Deutschland und ganz Europa nach dem Zweiten Weltkrieg.

 

 

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