Entwarnung für Europa? Was die Rechte Meloni in Brüssel will

Italien
Von Johannes Neudecker und Michel Winde, dpa

Rom/Brüssel (dpa) – Giorgia Melonis neue Rechtsregierung ist bereit – «pronti», wie es im Italienischen heißt: «Pronti a risollevare l’Italia» (Bereit, Italien wieder aufzurichten). Mit diesem Slogan tourte die 45-Jährige im Wahlkampf durch das Mittelmeerland. Was sie damals in Mailand sagte, ließ EU-Vertreter im rund 900 Kilometer entfernten Brüssel aufhorchen. «Sie sagen, dass man in Europa Sorge vor Meloni hat. Was wird wohl passieren?», fragte die gebürtige Römerin – und brüllte prompt: «Das schöne Leben ist vorbei.»

An diesem Donnerstag reist Meloni nun als Ministerpräsidentin der drittgrößten Volkswirtschaft der EU nach Brüssel. Dort wird sie neben EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen auch EU-Ratschef Charles Michel und die Präsidentin des Europaparlaments, Roberta Metsola, treffen. Meloni, die sich stets europakritisch bis -feindlich geäußert hat, fliegt als erstes in die europäische Hauptstadt. Das ist ein Signal – aber was für eins?

Keine klare Linie erkennbar

Ihre Rhetorik gegenüber der EU war zuletzt wenig stringent. Noch Mitte September erklärte die Parteichefin der rechtsradikalen Fratelli d’Italia, Italien werde seine nationalen Interessen verteidigen, so wie es die anderen auch machten. Entsprechend gespannt war man in Brüssel, was da auf das Staatenbündnis zukommt.

Wie verhalten die Vorfreude auf die Neue ist, macht die Gratulation von Kommissionschefin von der Leyen deutlich. Der Twitter-Gruß von vor zwei Wochen gleicht eher einer Ermahnung als einem Glückwunsch. «Ich zähle auf eine konstruktive Zusammenarbeit mit der neuen Regierung bei den Herausforderungen, denen wir uns gemeinsam stellen müssen, und freue mich darauf», schrieb die Deutsche. Bei Melonis Vorgänger Mario Draghi klang das im Februar 2021 ganz anders: «Ihre Erfahrung wird ein außerordentlicher Gewinn für Italien und Europa als Ganzes sein, besonders in diesen schwierigen Zeiten.»

Brüssel will erstmal abwarten

Noch kurz vor der Wahl hatte von der Leyen Meloni und Co gewarnt, allzu sehr aus der Reihe zu tanzen. Man habe in der EU die richtigen «Werkzeuge», sollten EU-Richtlinien verletzt werden, sagte sie zu Studenten in den fernen USA. Meloni und andere lasen darin eine Drohung. In Brüssel gab man sich unterdessen betont gelassen: Abwarten, hieß es, was von den markigen Wahlkampf-Worten bleibt. Zumal Brüssel in einigen Bereichen am längeren Hebel sitzt. Denn egal, wer in Rom die Macht hat, auf die Milliarden aus dem Corona-Fonds der EU ist jede Regierung angewiesen.

Knapp eineinhalb Monate nach ihrem Wahlsieg scheint die Rechtsallianz aus Fratelli, der konservativen Berlusconi-Partei Forza Italia und der rechten Lega von Matteo Salvini nun auch eine Kehrtwende vollzogen zu haben. «Italien ist voll und ganz Teil des Westens, seines Bündnissystems, Gründungsstaat der Europäischen Union, der Eurozone und der Atlantischen Allianz», flötete Meloni in ihrer ersten programmatischen Rede im Parlament. Italien wolle die europäische Integration nicht sabotieren, sondern dazu beitragen, dass die EU wirksamer auf Krisen reagiere.

Entwarnung also für Brüssel? Ist aus der Europa-Skeptikerin Meloni eine überzeugte Pro-Europäerin geworden?

Es geht wohl ums Geld

Ihre Überzeugungen hat Meloni kurz nach Amtsantritt wohl kaum über Bord geschmissen. Viel mehr dürften die warmen Worte aus Rom der Einsicht geschuldet sein, dass man mit Konfrontation und Blockade nicht weit kommt. Meloni sei bewusst, dass Italien auf Europa und insbesondere auf das Geld aus dem Corona-Fonds angewiesen sei, sagt Tobias Mörschel von der SPD-nahen Friedrich-Ebert-Stiftung in Rom. Die Auszahlung dürfe aus ihrer Sicht auf keinen Fall gefährdet werden. Hinzu komme, dass ihre Regierung in den nächsten Wochen den Haushalt 2023 ins Parlament einbringen müsse.

Ziel der Reise nach Brüssel sei wohl vor allem, finanzpolitische Spielräume auszuloten. Für den Haushalt benötige Meloni «ein klares Signal von Brüssel, wie weit die Stabilitätskriterien gedehnt werden können und damit, in welchen Größendimensionen sich die Neuverschuldung bewegen kann», sagt Mörschel. Zusätzliches Geld sei dringend notwendig, insbesondere um die stark gestiegenen Energiepreise abzufedern. Gegebenenfalls werde auch Meloni versuchen, den Corona-Aufbauplan zur Auszahlung der Milliarden nachzuverhandeln.

Rom hat also allen Grund, in den EU-Institutionen auf Kooperation zu setzen. So kündigte Außenminister Antonio Tajani, ein ausgewiesener Pro-Europäer, am Wochenende an, dass Italien mehr Diplomaten nach Brüssel schicken wolle, um seine Präsenz dort deutlicher zu machen.

 

 

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