Milliardengeschäft mit gefälschten Uhren

Von Christiane Oelrich, dpa

Biel (dpa) – Es knirscht gewaltig, wenn eine gigantische Walze Tausende Uhren plattmacht: Glas splittert, Gehäuse bersten. Solche Zerstöraktionen veranstaltet der Schweizer Uhrenindustrieverband FH. 15.000 Stück waren es vor zwei Jahren. Die Ware? Gefälschte Markenartikel wie von Rolex, Breitling oder Patek Philippe. Der Kampf gilt kriminellen Banden, die damit Milliarden verdienen. Schweizer Uhren werden gern kopiert, weil sie weltweit gefragt sind.

Der Verband legt Exportzahlen für das vergangene Jahr vor. 2021 schaffte die Branche Rekordexporte von gut 22 Milliarden Franken (heute etwa gleich Euro). Es gab einmal Schätzungen, wonach doppelt so viel gefälscht wie exportiert wird, aber die wahre Zahl weiß niemand.

Mit dem wachsenden Onlinehandel nähmen auch die illegalen Geschäfte zu, sagt Yves Bugmann, Leiter der FH-Rechtsabteilung. Das habe in der Pandemie, als noch mehr Leute den Onlinehandel entdeckten, noch einen Schub bekommen. Die Detektive des Verbands entdeckten jährlich rund eine Million unseriöse Angebote, die dann über die Plattformbetreiber aus dem Netz genommen würden.

Verein will Verbraucher sensibilisieren

Ein Klassiker bei Touristen ist die Rolex für 20 oder 30 Dollar vom Straßenmarkt oder Strand in Asien. So etwas zu kaufen, sei kein Kavaliersdelikt, wie viele meinten, sagt Eveline Capol, Leiterin der Geschäftsstelle des Schweizer Vereins Stop Piracy. «Sie unterstützen damit die organisierte Kriminalität.» Der Verein will Verbraucher sensibilisieren. Viele kämen ins Nachdenken, wenn sie erführen, dass Fälscherware unter übelsten Bedingungen hergestellt werde. Kinderarbeit kann nicht ausgeschlossen werden.

Die Industriestaatenorganisation OECD hat für die Schweizer Uhren- und Schmuckhersteller 2021 Milliardenverluste durch Fälschungen errechnet. Schon 2018 seien ihnen 1,7 Milliarden Euro entgangen. Die EU schätzt, dass nachgeahmte Produkte – also auch Kleidung, Werkzeug oder Medikamente – fast sieben Prozent ihrer Einfuhren ausmachen. «Sie sind eine bedeutende Einnahmequelle für kriminelle Vereinigungen», berichtete sie 2021.

Für den Uhrenverband sind laut Bugmann weltweit Hunderte Anwälte und Ermittler tätig, auch bei der Fußballweltmeisterschaft in Katar. «Wir konnten die Märkte reinigen.» Vor dem Start der WM hätten Detektive gefälschte Ware in Läden ausfindig gemacht. Die Polizei sei dann mit Razzien gefolgt. «Zusammen mit unseren Partnern beschlagnahmen wir jedes Jahr zwei bis drei Millionen Uhren und Begleitmaterial wie Schatullen oder Garantiescheine», sagt Bugmann.

Es ist eine gigantische Zahl, aber der Fachjournalist Thomas Gronenthal, der sich seit Jahren mit dem illegalen Markt beschäftigt und nach eigenen Angaben Fälscherfabriken in China besucht hat, lacht darüber. «Das ist die Spitze eines Eisbergs», sagt er. «Für jeden Hersteller oder Händler, dem das Handwerk gelegt wird, tauchen gleich drei neue am Horizont auf.» Nach seiner Beobachtung wird viel Gefälschtes in geschlossenen Gruppen in sozialen Medien verkauft. «Manchen Leuten machen Dinge, die kriminell riechen, auch Spaß. Das ist ein bisschen wie Steuerhinterziehung.»

«Superklone» und «Frankenwatch»

In solchen Gruppen geht es nicht um die Strand-Rolex, sondern oft um «Superklone»: Fälschungen von hoher Qualität, die auch mal ein paar Tausend Euro kosten. Das ist immer noch ein Bruchteil des Preises vieler echter Uhren. Manche Teilnehmer besäßen sogar auch Originale. «Die haben es nicht nötig, mit einer Fälschung auf dicke Hose zu machen», sagt Gronenthal. Sie bestellten etwa, um die falsche Rolex im Urlaub zu tragen. Das echte Stück sei im Safe. Neben den Superklonen gibt es auch die «Frankenwatch» – in Anlehnung an das Monster von Frankenstein, das aus Leichenteilen geschaffen wurde: Uhren, die teils aus echten, teils aus nachgemachten Teilen bestehen.

Der Uhrenverband schult Polizei und Zollbehörden in vielen Ländern, damit sie mehr Gefälschtes erkennen und aus dem Verkehr ziehen. Beim Schweizer Zoll steigen die Zahlen zwar deutlich: 2020 wurden gut 50 Prozent mehr Warensendungen abgefangen als im Jahr davor. 2021 waren es erneut 35 Prozent mehr. In absoluten Zahlen waren es etwa 2021 vergleichsweise wenig: 5959 Sendungen – angesichts von Hunderttausenden Paketen, die allein die Post jeden Tag bearbeitet.

Der Zoll sei überall überfordert, sagt Gronenthal. Er schult selbst Pfandhäuser oder Juweliere, die gebrauchte Ware verkaufen, damit sie Gefälschtes erkennen können. Er nutze zu Demonstrationszwecken selbst Plagiate. «Ich habe in den letzten Jahren sicher 300 Stücke bestellt – nicht ein einziges Mal ist eine Sendung konfisziert worden.» Die Ware werde aus China oft über Länder nach Europa gebracht, die für laxe Zollkontrollen bekannt seien, Spanien etwa.

Hotspots für den Umschlag gefälschter Uhren sind nach Angaben von Bugmann die Arabischen Emirate, die Türkei und Länder in Asien. «Auch überall, wo es Tourismus gibt.» Hersteller sitzen nach Angaben der OECD vor allem in China (gut 53 Prozent) und Hongkong (24 Prozent). Mit weitem Abstand folgen Singapur und die Türkei.

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EZB-Präsidentin Lagarde: Inflation weiter «viel zu hoch»

Davos (dpa) – Die Präsidentin der Europäischen Zentralbank (EZB), Christine Lagarde, hat die Inflation in der Eurozone trotz des jüngsten Rückgangs und einer Reihe von Zinserhöhungen als nach wie vor «viel zu hoch» bezeichnet. Auf dem Weltwirtschaftsforum in Davos machte Lagarde am Donnerstag deutlich, dass die Notenbank beim Kampf gegen die Teuerung weiter «auf Kurs» bleiben müsse. Weiterlesen

Facebook will offensichtlich Sperre für Trump aufheben

Davos (dpa) – Die Plattformen Facebook und Instagram wollen «rasch» über die Aufhebung ihrer Sperre für den früheren US-Präsidenten Donald Trump entscheiden. Offensichtlich soll der republikanische Politiker wieder zugelassen werden. Das deutete der Vizepräsident des Facebook-Mutterkonzerns Meta, Nick Clegg, am Rande des Weltwirtschaftsforums im schweizerischen Davos an. Die Entscheidung werde bald bekanntgegeben.

Clegg verwies darauf, dass die Sperre für Trump lediglich für zwei Jahre ausgesprochen worden sei. Der Internet-Konzern hatte Trump nach seinen Meinungsäußerungen zum Sturm auf das US-Kapitol am 6. Januar 2021 und der anschließenden Debatte über die Rolle des abgewählten Präsidenten bei dem Aufruhr suspendiert. Weiterlesen

Millionen Kinder kämpfen in Pakistan ums Überleben

Genf (dpa) – Nach den verheerenden Überschwemmungen in Pakistan kämpfen nach Angaben des UN-Kinderhilfswerks Unicef weiterhin vier Millionen Kinder ums Überleben. Für viele sei der Alptraum noch nicht zu Ende, berichtete der Unicef-Vertreter in Pakistan, Abdullah Fadil, per Videolink in Genf. Weiterlesen

Von der Leyen: Gas mittlerweile billiger als vor Ukraine-Krieg

Davos (dpa) – Die Gaspreise in Europa sind nach Angaben von EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen schneller gefallen als erwartet. Im Vergleich zu ihrem Höchststand im August von 350 Euro pro Megawattstunde seien die europäischen Erdgaspreise diesen Monat um 80 Prozent gesunken, sagte von der Leyen beim Weltwirtschaftsforum in Davos am Dienstag. «Das ist niedriger als vor dem Krieg in der Ukraine.» Weiterlesen

Deutschland bei Wettbewerbsfähigkeit in der Schlussgruppe

München (dpa) – Deutschland verliert nach einer Studie des ZEW Mannheim im Wettbewerb mit 20 anderen führenden Wirtschaftsnationen weiter an Wettbewerbsfähigkeit. In der neuen Ausgabe des «Länderindex Familienunternehmen» belegt die Bundesrepublik den 18. Platz unter den 21 Ländern, vier Plätze schlechter als 2020.

Spitzenreiter sind die USA, hinter Deutschland liegen nur Ungarn, Spanien und Italien. Auftraggeber war die Stiftung Familienunternehmen in München, die die neunte Auflage der seit 2006 alle zwei Jahre erscheinenden Analyse am Montag veröffentlichte.

Der Ökonom Friedrich Heinemann und seine Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter bewerten in jedem Land sechs Standortfaktoren für Familienunternehmen: Steuerlast, Arbeitskosten und Produktivität, Aufwand und Kosten staatlicher Regulierung, die Finanzierungsbedingungen für Unternehmen, die Qualität der Infrastruktur und der öffentlichen Verwaltung sowie Energieversorgung und -kosten. Auch im Vergleich der deutschsprachigen Länder sieht die Bundesrepublik nicht gut aus: Die Schweiz belegt den vierten Platz, Österreich ist auf Rang 13. Weiterlesen

Alle 4,4 Sekunden stirbt ein junger Mensch unter 24 Jahren

Genf (dpa) – Viele junge Menschen sterben nach Angaben der Vereinten Nationen (UN) noch immer durch behandelbare Krankheiten oder Verletzungen, weil sie keine gute ärztliche Versorgung haben. Insgesamt starben im Jahr 2021 nach einer neuen Schätzung weltweit etwa fünf Millionen Kinder unter fünf Jahren, wie die UN am Dienstag berichteten.

Weitere 2,1 Millionen Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene starben zwischen 5 und 24 Jahren. Das entspricht zusammen einem Todesfall weltweit alle 4,4 Sekunden. Hinzu kamen 1,9 Millionen Totgeburten. «Zugang zu guter Gesundheitsversorgung bleibt für Kinder weltweit eine Frage von Leben und Tod», so die UN. Weiterlesen

Alle 4,4 Sekunden stirbt ein junger Mensch unter 24 Jahren

Genf (dpa) – Viele junge Menschen sterben nach Angaben der Vereinten Nationen (UN) noch immer durch behandelbare Krankheiten oder Verletzungen, weil sie keine gute ärztliche Versorgung haben.

Insgesamt starben im Jahr 2021 nach einer neuen Schätzung weltweit etwa fünf Millionen Kinder unter fünf Jahren, wie die UN am Dienstag berichteten. Weitere 2,1 Millionen Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene starben zwischen 5 und 24 Jahren. Das entspricht zusammen einem Todesfall weltweit alle 4,4 Sekunden. Hinzu kamen 1,9 Millionen Totgeburten. «Zugang zu guter Gesundheitsversorgung bleibt für Kinder weltweit eine Frage von Leben und Tod», so die UN. Weiterlesen

Milliarden gegen Klimawandel-Folgen: Pakistan braucht Hilfe

Von Christiane Oelrich, Qamar Zaman und Arne Bänsch, dpa

Genf/Islamabad (dpa) – Knapp ein halbes Jahr nach den verheerenden Überschwemmungen in Pakistan lebt Hajra Mirjat mit ihrer Familie noch unter freiem Himmel. «Wir haben bei den Überschwemmungen alles verloren und wir sehen nicht, wie wir unser Leben wieder aufbauen können», sagt die Mutter von drei Kindern. Sie lebt in Tando Allahyar, rund 200 Kilometer nordöstlich der Hafenstadt Karachi, in der am schwersten getroffenen Provinz Sindh. Sie ist eine von rund 33 Millionen Einwohnern, die teils alles verloren haben.

Bei einer UN-Konferenz in Genf sollen heute Milliarden für den Wiederaufbau gesammelt werden. «Dies war eine klimabedingte Katastrophe, es ist also ein globales Problem», sagte der Vertreter des UN-Nothilfebüros in Pakistan, Knut Ostby, in Genf.

Kinder gehen hungrig schlafen

«Mein Mann und ich sprechen jeden Tag darüber, wegzuziehen, aber ohne Geld können wir nirgendwo hin», sagt die 32-Jährige unter Tränen. Noch immer seien die Äcker überflutet. Ihr Mann sei Tagelöhner und kehre abends oft mit leeren Händen heim. Nur ein paar Zeltplanen schützen die Familie vor der Witterung. Sie hätten nur Geld für eine Mahlzeit am Tag, die Kinder gingen oft hungrig schlafen.

Nach heftigen Monsunregen stand in Pakistan im Sommer 2022 zeitweise ein Drittel des Landes unter Wasser. Zum Vergleich: das Land ist nach Fläche mehr als doppelt so groß wie Deutschland. Die südlichen Provinzen Sindh und Baluchistan erlebten im August sieben bis acht mal so viel Regen wie sonst üblich. Der Fluss Indus überschwemmte tausende Quadratkilometer Land.

Nach Behördenangaben kamen mehr als 1700 Menschen ums Leben, acht Millionen mussten vor den Fluten ihre Städte und Dörfer verlassen. Mehr als zwei Millionen Häuser, 13.000 Kilometer Straßen, fast 450 Brücken und mehr als 1,6 Millionen Hektar Agrarland sowie Kliniken und Trinkwasserreservoirs wurden beschädigt oder zerstört.

Kaum Vertrauen in die politische Führung

Die Vereinten Nationen fürchten, dass wegen der Katastrophe zusätzlich neun der 225 Millionen Einwohner in die Armut abrutschen. Das Land steht auf Platz 161 von 191 Ländern auf dem Index der menschlichen Entwicklung des UN-Entwicklungsprogramms (UNDP).

Das Vertrauen der Gesellschaft in die politische Führung ist nicht groß. Millionen Menschen leben ohne Aussicht auf Besserung als Tagelöhner in bitterer Armut. Ein beträchtlicher Teil des Staatshaushalts wird für das mächtige Militär ausgegeben, das über Atomwaffen verfügt. Kurz vor den Überschwemmungen kam ein Bündnis aus Politikern an die Macht, die sich in der Vergangenheit immer wieder gegen Korruptionsvorwürfe wehren mussten.

Bei aller Kritik an der Regierungsführung und den Finanzprioritäten ist aber klar: Pakistan hat immer schon Unwetterkatastrophen erlebt, sie werden durch den Klimawandel deutlich verschärft. Und dazu hat Pakistan selbst praktisch nichts beigetragen. Ein Team um die deutsche Klimaforscherin Friederike Otto hat berechnet, dass der Klimawandel die maximale Regenmenge über einen Fünf-Tage-Zeitraum in den südlichen Provinzen um bis zu 50 Prozent erhöht hat.

Industrieländer sind verantwortlich

«Kein Land hat so ein Schicksal verdient, aber besonders kein Land wie Pakistan, dass praktisch nichts zum Klimawandel und dem Temperaturanstieg beigetragen hat», sagte UN-Generalsekretär António Guterres bei einem Besuch im Krisengebiet. Für den Anstieg der Temperaturen sind vor allem die Industrieländer verantwortlich. Sie haben die Industrialisierung mit fossiler Energie vorangetrieben und dadurch den großen Ausstoß der klimaschädlichen Treibhausgase verursacht. Inzwischen tragen auch China, Indien und andere Länder zum Anstieg der Treibhausgase bei.

Die Nothilfe nach den Überschwemmungen kam nur schleppend voran. Von den 470 Millionen Dollar der Soforthilfen, die die UN veranschlagten, kam weniger als die Hälfte zusammen. Nun geht es um langfristige Hilfe. Pakistan will das Land für die Zukunft gegen ähnliche Katastrophen besser wappnen. Dafür sind nach ihren Schätzungen gut 16 Milliarden Dollar nötig. Die Hälfte will Pakistan selbst aufbringen, der Rest soll von ausländischen Partnern kommen.

Als erstes soll das teils unter Schlammschichten liegende Agrarland wieder hergestellt werden, damit die Menschen ihren Lebensunterhalt wieder verdienen können. Ebenso sollen neue Schulen, Kliniken, Häuser und Straßen so gebaut werden, dass sie neuen Überschwemmungen standhalten können.

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Was Wintersport derzeit gefährlich macht

Von Christiane Oelrich und Sophia Weimer, dpa

München/Genf (dpa) – In vielen Wintersportgebieten ist es derzeit eher grün statt weiß – doch die Ski- und Snowboardfahrer lechzen nach zwei Corona-Jahren nach neuen Abenteuern und Pisten-Vergnügen.

Zuletzt häuften sich die Meldungen von Unfällen. Kann das mit der Schneelage zu tun haben? Wie sollten sich Wintersportler verhalten?

In Österreich sind in der laufenden Skisaison bis zum 3. Januar schon 13 Menschen auf Pisten tödlich verunglückt, wie das Kuratorium für Alpine Sicherheit (ÖKAS) berichtet. Elf starben allein in Tirol, darunter zwei Jugendliche aus Deutschland. Vielerorts gebe es auf den Talabfahrten nur schmale Kunstschneebänder, sagt der Präsident des Deutschen Skilehrerverbands, Wolfgang Pohl, der Deutschen Presse-Agentur. Stürze abseits der Piste seien sehr gefährlich.

Felsen und Steine neben den Pisten «lebensgefährlich»

Auf den schmalen Kunstschneepisten sei oft nicht genug Platz für alle Skifahrer, sagt Pohl. Gerade in den Weihnachtsferien sei es in den bayerischen und den Tiroler Skigebieten richtig voll gewesen. «Dann wird es eng, dann kommt es zu Beinahe-Zusammenstößen», sagt er. Wer ausweicht und dann mit hoher Geschwindigkeit stürzt und in die nicht-eingeschneiten Flächen neben den Pisten fällt, riskiere schwere Verletzungen. Früher waren die Skigebiete auch jenseits der Pisten eingeschneit. Jetzt sind dort Felsen und Baumstümpfe zu sehen. Wer in Naturschnee stürze, falle relativ weich – «jetzt fällt man extrem hart, kollidiert unter Umständen mit Felsen und Bäumen, und das ist natürlich lebensgefährlich».

Und: Künstlich hergestellter Schnee ist anders als Flocken, die natürlich vom Himmel fallen, wie das WSL-Institut für Schnee- und Lawinenforschung in Davos erläutert. Statt um Schneekristalle handelt es sich um kleine Eiskugeln. «Dadurch ist technischer Schnee dichter und härter als natürlicher Neuschnee.» Bei Mangel an Neuschnee wird die Oberfläche auch härter, wie ÖKAS-Geschäftsführer Matthias Knaus sagt. Wenn viele Skifahrer unterwegs seien, rutsche der wenige Schnee an steilen Stellen schneller ab. «Dadurch entstehen Eisplatten. Jeder, der viel Erfahrung hat, kann bestätigen: Auf Naturschnee fährt es sich besser, Kunstschnee ist etwas schnittiger.»

Für erfahrene Sportler sei der Kunstschnee aber nicht per se ein Problem, erklärt Pohl: «Der ist griffig, der lässt sich auch gut kontrollieren – sofern man entsprechend präparierte Ski hat.»

Weniger Vorbereitung und fehlende Fitness sind problematisch

Das Wetter ist das eine, hinzu kommt nun die fehlende Praxis. Viele Freizeitsportler legten in den Corona-Jahren eine Skipause ein, sagt Knaus der dpa. «Es ist aber schon länger ein Grundtenor, dass man sich weniger gut auf die Skisaison vorbereitet. Früher hat man im September, Oktober mit dem Skitraining angefangen und hat gutes eigenes Können entwickelt, heute finden Reisen viel spontaner statt. Das Urlaubsverhalten hat sich verändert.» Die Herausforderung sei, den körperlichen Zustand an das Vorhaben anzupassen.

Beim Skisport auf 2000 oder 3000 Metern sei gute Kondition wichtig. «Dort ist die Sauerstoffsättigung ganz anders», sagt Knaus. 5 der 13 Toten in Österreich erlitten einen Herz-Kreislauf-Stillstand. Freizeitsportler sollten sich vor dem Urlaub durchchecken lassen. «Am besten wäre vorher ein Leistungs-EKG, das zeigt, ob man für die geplante sportliche Betätigung geeignet ist.»

Zu viel Tempo, zu wenig Abstand, schlechtere «Piloten»

Doch Fitness allein reicht nicht für Sicherheit auf der Piste: Manche Wintersportler sind viel zu schnell unterwegs und halten nicht genug Abstand zu Pistenrändern und anderen Leuten. «Man sollte eigentlich immer in der Lage sein, dass man anhalten kann, wenn etwas Unvorhergesehenes passiert», rät Pohl. Außerdem empfiehlt er, einen Helm und Rückenschutz zu tragen. Früher seien die Menschen besser Ski gefahren, findet der ÖKAS-Präsident Peter Paal, im Hauptberuf Anästhesist. «Es nützt der beste Formel-1-Bolide nichts, wenn der Pilot schlecht ist. Und bezogen auf das Skifahren muss man sagen: Die Piloten sind schlechter geworden,» sagt Paal der Agentur APA.

Viele tödliche Unfälle seien auf Eigenverschulden zurückzuführen, sagt der Präsident des Österreichischen Alpenvereins, Andreas Ermacora, dem Sender ORF Tirol. «Wenn man über den Pistenrand hinausfährt und gegen einen Baum prallt, ist das sehr tragisch, man kann es aber dem Pistenbetreiber nicht anlasten.» Bei seinem Risikoverhalten müsse man berücksichtigen, dass bei einem Unfall am Berg die Rettung oft nicht so schnell und effizient sei wie etwa bei einem Straßenunfall, gab Knaus zu bedenken. «Das eigene Sturzrisiko kann man am besten mit guter Vorbereitung, gutem Material und genügend Abstand zu anderen verringern.» Das rät auch Wolfgang Pohl: «Sicherheitsabstand einhalten und Tempo reduzieren – das ist das wichtigste.»

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Quälerei und Spitzentanz: Ballettszene kämpft um ihren Ruf

Von Christiane Oelrich, dpa

Basel (dpa) – Hach, wie im Märchen: Wenn im Nussknacker-Ballett die Klara anmutig durchs Schneegestöber tanzt oder in Schwanensee die Ballerinas mit Feder-Tutu über die Bühne gleiten. In der Schweiz haben in diesem Jahr aber neue Enthüllungen ein schockierendes Licht auf die teils skandalösen Ausbildungsmethoden geworfen.

Angststörungen, Magersucht, seelische Grausamkeit: Was Schülerinnen der beiden Schweizer Ausbildungsstätten für Profitänzerinnen und -tänzer in Zürich und Basel in diesem Jahr berichtet haben, lässt den Atem stocken: Eine berichtete, sie sei bei einem Gewicht von kaum mehr als 40 Kilogramm als «tanzender Hamburger» beschimpft worden. Eine andere wurde mit 15 heruntergemacht, weil ihre Bewegungen nicht sexy genug gewesen seien. Manche tanzten demnach unter Schmerzen.

Skandale häuften sich

An der Tanzakademie Zürich läuft eine Untersuchung. Das zweiköpfige Leitungsteam, das zu DDR-Zeiten an der Staatlichen Ballettschule in Berlin ausgebildet worden war, wurde beurlaubt. Die Ballettschule Theater Basel hat die Schulleiterin freigestellt. Sie schließt nun auch den ganzen Profi-Ausbildungsbereich, weil sie mit ihrem ramponierten Ruf keine öffentlichen Gelder mehr bekommt.

Das waren keine Einzelfälle: An der Wiener Ballettakademie gab es 2019 einen ähnlichen Skandal, 2020 machte die Staatliche Ballett- und Artistikschule Berlin mit Übergriffen Schlagzeilen.

Pädagogik und Körperbild als Baustellen

«Erstaunlich ist, dass wir es alle in der klassischen Tanzausbildung so lange hingenommen haben», sagt Anna Beke, Dozentin für Tanzgeschichte an der Ballett-Akademie in München, der Deutschen Presse-Agentur. «Es ist fünf vor zwölf, es muss etwas passieren, sonst wird das Vertrauen in diese Kunstform womöglich noch weiter erschüttert.» Baustellen sind sowohl die fragwürdige Pädagogik mancher Lehrer als auch das Körperbild, das jungen Mädchen und dem Publikum als Schönheitsideal für eine Ballerina vermittelt wird.

Zwischen Glanz und Qual: Die Balletszene

«Wir können nicht mehr so unterrichten wie vor 10, 20 oder 100 Jahren», sagt die Präsidentin des schweizerischen Tanzverbandes Danse Suisse, Kathleen McNurney. «Früher gab es Meister und Lehrlinge, es war völlig normal, dass ein Startänzer später Lehrer wird, auch ohne pädagogische Ausbildung – aber das geht nicht mehr.»

Eine Generation erhebt ihre Stimme

Und wieso werden skandalöse Ausbildungsmethoden erst jetzt infrage gestellt? «Das ist ein Generationenphänomen», sagt David Russo, Tänzer, Choreograph und Dozent an der Ballett-Akademie in München. Die Schieflage bestehe seit Langem. «Aber der gesellschaftliche Diskurs war noch nicht so weit entwickelt. Unsere Studierenden heute sind Millennials, das ist die Fridays-for-Future-Generation, das sind Menschen, die eine Meinung haben und sie auch äußern.»

«Sportliche Höchstleistungen gehen auch ohne Drill», betont er. Die Ballett-Akademie habe inzwischen ein pädagogisches Konzept, das die Gesundheit der Tänzerinnen und Tänzer in den Mittelpunkt stelle. Um dringend nötige Veränderungen ging es im November auch auf dem Symposium «Tanzausbildung im Wandel» in München.

Fortschrittliche Tanzakademien bieten Ernährungsberatung und Physiotherapie an und haben Vertrauenspersonen, an die sich Studierende bei Problemen wenden können. «Gesunderhaltung des Körpers ist bei uns jetzt fast ein größeres Thema als die Ausbildung», sagt Martina Räther, amtierende Schulleiterin der Staatlichen Ballett- und Artistikschule Berlin. Die Schule hat ein Kinderschutzkonzept und will noch in diesem Schuljahr einen Verhaltenskodex beschließen.

Bleibt das Idealbild der Ballerina, die schwerelos über die Bühne schwebt. Mit dieser Vorstellung setzen sich Schülerinnen auch selbst unter Druck, die jeden Tag stundenlang in einem Raum voller Spiegel – und Konkurrentinnen – üben.

Die Frage des Körperbilds

«Bodyshaming ist unbestreitbar ein Problem. Normalgewicht als zu dick zu betrachten, das geht nicht. Aber es ist immer eine Gratwanderung», sagt Räther. «Wie schlank muss ich sein? Wir müssen die Schülerinnen ja auch so ausbilden, dass sie später eine Anstellung bekommen.» Auch die Balletthäuser müssten andere Körperformen akzeptieren. Einig sind sich alle: «Auch mit ein paar Kilogramm mehr, mit Hüfte und Busen, kann eine Ballerina genauso schwerelos aussehen», sagt McNurney. Es sei nur eine Frage der Tanztechnik.

Die österreichische Choreographin Florentina Holzinger hat sich mit der harschen Tanzausbildung 2019 in ihrem Ballett «Tanz» befasst. Da sieht eine Ballettstunde auf der Bühne wie eine Horrorshow aus, mit nackten Tänzerinnen auf Spitzenschuhen, die zeigen, wie sie sich auf Höchstleistung trimmen. Holzinger setzte auch eine echte Selbstverletzung mit Fleischerhaken in Szene. «Mir ging es darum, zu zeigen, wie man die Kontrolle über seinen Körper zelebrieren kann, auch das Gewaltmoment, ohne ihm ausgeliefert zu sein», sagt Holzinger. Sie spaltet gerade an der Volksbühne in Berlin mit ihrer feministischen Show «Ophelia’s Got Talent» die Gemüter.

Klassisches Ballett mit männlichem Blick entwickelt

In Holzingers Shows haben Frauen das Zepter in der Hand. Das klassische Ballett sei im 19. Jahrhundert mit männlichem Blick entwickelt worden. «Wie kann man Frauenkörper inszenieren, um diesen Blick zu befriedigen? Das kann man fast mit Pornografie vergleichen.»

Überholte Bilder infrage stellen will auch Disney mit seinem Zeichentrick-Kurzfilm «Reflect». Er handelt von der kleinen Bianca, die tanzen will, aber deutlich mehr wiegt als die typische Ballerina. Zunächst unglücklich über ihren Körper befreit sie sich von ihrer Scham und stürzt sich dann begeistert in den Spitzentanz.

Für mehr Diversität setzen sich alle ein. «Es müssen bei Schwanensee nicht alle Schwäne genau gleich aussehen», sagt Holzinger. Das Publikum habe bislang gewisse Erwartungen, wie eine Ballerina auszusehen habe, sagt Räther. «Da muss sich auch etwas tun.»

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