Putin: Russland setzt Abrüstungsvertrag «New Start» aus

Moskau (dpa) – Der russische Präsident Wladimir Putin hat die Aussetzung des letzten großen atomaren Abrüstungsvertrages mit den USA angekündigt. Es handele sich nicht um einen Ausstieg, sondern um eine Aussetzung des «New Start»-Vertrags, sagte der Kremlchef heute in Moskau in seiner Rede an die Nation.

Die Beziehungen zwischen den USA und Russland sind seit Beginn des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine vor einem Jahr auf einem absoluten Tiefpunkt angelangt.

Putin warf den USA ein «Theater des Absurden» vor – mit Blick darauf, dass Washington unlängst Moskau beschuldigt hatte, keine Experten zur Inspektion der atomaren Verteidigungsanlagen ins Land zu lassen. Wenn in Zeiten solcher Spannungen jemand im Westen ernsthaft erwarte, dass Russland diesen Zugang gewähre, sei das «Blödsinn», meinte Putin. Zugleich bekräftigte er, dass Russland den US-Experten den Zugang nicht gewähre, weil auch russische Inspektoren angesichts westlicher Sanktionen keine Möglichkeit zur Einreise in die USA hätten.

Die Aussetzung von «New Start» begründete Putin vor allem damit, dass etwa Frankreich und Großbritannien ihre Atomwaffenarsenale weiter entwickelten und die Nuklearpotenziale gegen Russland ausrichten würden. Putin wertete auch Äußerungen der Nato zu «New Start» als Einmischung und Grund, den Vertrag zu überdenken.

Einzige verbliebene große Abkommen zur Rüstungskontrolle

Der Abrüstungsvertrag «New Start» ist das einzige noch verbliebene große Abkommen zur Rüstungskontrolle zwischen den USA und Russland. Der Vertrag begrenzt die Atomwaffenarsenale beider Länder auf je 800 Trägersysteme und je 1550 einsatzbereite Sprengköpfe. Zudem ist geregelt, dass Washington und Moskau Informationen über ihre strategischen Atomwaffenarsenale austauschen und bis zu 18 Verifikationsbesuche pro Jahr abhalten dürfen.

Die Nato hat Russland zuletzt einen Bruch des Vertrags vorgeworfen. Die Weigerung Russlands, Inspektionen der USA auf seinem Hoheitsgebiet zu ermöglichen, untergrabe die Zukunft des Vertrags, hieß es aus Brüssel Anfang Februar. Moskau wiederum wies diese Vorwürfe bereits damals zurück und schob die Schuld den USA zu.

Putin gibt Westen Schuld an dem Krieg

Kurz vor dem ersten Jahrestag des von ihm angeordneten Einmarschs in die Ukraine gab Putin dem Westen zudem die Schuld an dem Krieg. «Sie haben den Krieg losgetreten», sagte Putin mit Blick auf westliche Staaten in seiner Rede. Russland versuche lediglich, die Kämpfe zu beenden, behauptete der Kremlchef in seiner Ansprache vor den Vertretern der Föderalen Versammlung. Sie setzt sich aus der Staatsduma und dem Föderationsrat zusammen und tagte im Veranstaltungszentrum Gostiny Dwor in Moskau.

Einmal mehr sagte Putin, in der Ukraine sei ein «Neonazi-Regime» an der Macht. Die «militärische Spezialoperation», als die Moskau den Krieg bezeichnet, werde fortgesetzt. «Schritt für Schritt, sorgfältig und konsequent, werden wir die vor uns liegenden Aufgaben lösen», sagte der 70-Jährige.

Russische Armee soll modernisiert werden

Zugleich kündigte er eine Modernisierung der russischen Armee an. «Der Ausstattungsgrad der nuklearen Abschreckungskräfte Russlands mit neuesten Systemen beträgt jetzt 91,3 Prozent», sagte Putin. «Nun – unter Berücksichtigung unserer gesammelten Erfahrungen – müssen wir ein solch hohes Qualitätsniveau in allen Teilen der Streitkräfte erreichen», fügte er hinzu.

Der Krieg gegen das Nachbarland lief aus Sicht des Kreml in den vergangenen Monaten alles andere als erfolgreich. Insbesondere bei der militärischen Ausrüstung attestieren internationale Beobachter Russlands Armee teils gravierende Probleme.

Russland hat sich nach Worten von Putin durch die westlichen Sanktionen allerdings nicht destabilisieren lassen. Die antirussischen Sanktionen hätte das Ziel, die Menschen in Russland leiden zu lassen. «Solche Humanisten sind das», sagte er. «Sie wollen das Volk zum Leiden bringen, um so unsere Gesellschaft zu destabilisieren. Aber ihre Rechnung ist nicht aufgegangen», sagte er weiter. Nach den Worten Putins haben sich «die russische Wirtschaft und das Verwaltungssystem als viel stärker erwiesen als vom Westen erwartet».

Putin verspricht Wiederaufbau im Donbass

Den von Moskau annektierten Gebieten in der Ukraine versprach er Wiederaufbau und Arbeitsplätze. Es werde auch neue große Programme für die Entwicklung der vier «neuen Subjekte» geben, sagte Putin. Es würden Betriebe wieder errichtet und neue Jobs geschaffen, sagte er unter dem Beifall Hunderter Zuhörer, die sich zu Ovationen von ihren Plätzen erhoben.

Bisher kontrolliert Russland allerdings nur einen Teil der völkerrechtswidrig annektierten Gebiete Luhansk, Donezk, Saporischschja und Cherson. Die Ukraine hat angekündigt, die Gebiete von der russischen Besatzung wieder zu befreien. Tausende Menschen sind bei den Kämpfen bereits gestorben. Bei einer Schweigeminute gedachten Putin und die Zuhörer der Kriegstoten – kurz vor dem Jahrestag des von ihm angeordneten Kriegs.

Unterstützung für Veteranen und Hinterbliebene

Für russische Veteranen und die Familien von getöteten Soldaten kündigte Putin weitere finanzielle Unterstützung an. In seiner Rede wies er die Regierung an, sich in Kooperation mit den einzelnen Regionen um die Einrichtung eines speziellen Staatsfonds zu kümmern. Sozialarbeiter sollten sich um die Familien mit Kriegstoten und Veteranen kümmern.

Außerdem sollten alle, die in dem von Moskau weiter als «militärische Spezialoperation» bezeichneten Krieg kämpften, alle sechs Monate 14 Tage Urlaub machen können, sagte Putin.

Am Freitag, dem 24. Februar, wird es ein Jahr her sein, dass Russland offiziell den Krieg gegen die Ukraine begonnen hat. Putins Auftritt war seine bislang 18. Rede zur Lage der Nation. Die vorherige ist bereits knapp zwei Jahre her und fand im April 2021 statt. Im vergangenen Jahr gab es keine; der Kremlchef hatte dies mit einer sehr hohen «Dynamik der Ereignisse» erklärt.

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