Umfrage: Nicht studierte Eltern sind Karrierenachteil

München (dpa) – Für Arbeiterkinder bedeutet das nichtakademische Elternhaus laut einer neuen Studie einen Karrierenachteil. Wer als erste(r) in der Familie eine Hochschule absolviert, habe trotz Studienabschlusses im Vergleich zu Akademikerkindern beruflich schlechtere Startchancen, argumentieren die Fachleute der Unternehmensberatung Boston Consulting Group (BCG) in dem heute veröffentlichten Papier. Das gilt demnach sowohl für den Einstieg in den Beruf als auch für die weitere Karriere.

Studienautor Sebastian Ullrich und seine Kollegen befragten für ihre Untersuchung in Deutschland, Österreich und der Schweiz 1125 Berufstätige im Alter von 21 bis über 60. Davon waren 58 Prozent Erstakademiker, deren Eltern nicht studiert hatten.

Der größte Nachteil ist demnach ein gesellschaftlicher: Nur ein Drittel der Arbeiterkinder gab an, dass sie beim Berufsstart Zugang zu wichtigen
Kontakten hatten. Bei den Teilnehmerinnen und Teilnehmern aus Akademikerhaushalten sagten das 61 Prozent, fast doppelt so viele. Weiterlesen

Faszination stilles Örtchen – Was Erfinder verbessern wollen

Von Christiane Oelrich, dpa

Genf (dpa) – Es war tatsächlich ein Geistesblitz «bei der täglichen Sitzung», wie Uwe Bezold sagt, also auf der Toilette. Dort sinniert der Ingenieur aus Bayreuth, der in Zürich in einem Bürohaus arbeitet – wo viele die gleichen Toiletten benutzen – über die Klobürste. «Fast alles geht inzwischen kontaktlos: das Abziehen, das Reinigen der Klobrille, der Wasserhahn, ein Spender für Desinfektionsmittel – aber die Klobürste muss jeder am Griff anfassen», sagt er der Deutschen Presse-Agentur beim Erfindersalon in Genf. «Das ist doch eine Lücke in der Hygienekette.»

Und so entwickelt Bezold mit einfachen Mitteln – «ein bisschen Blech und Plastik» – ein Klobürsten-Gestell. Bei «Cleanstem» gleiten auf Pedaltritt Greif-Arme mit Desinfektionsmittel an dem Griff hinunter. Krankenhäuser, Altenheime, Hotels, Restaurants – er sieht ein breites Feld für seine Erfindung, und sucht wie Hunderte Aussteller auf dem Erfindersalon Geschäftspartner, die seine Idee aufgreifen wollen.

Auf der Suche nach Investoren

Die Erfindermesse findet seit Mittwoch bis zum 30. April statt. Natürlich geht es dort um knallharte Geschäfte: Mehr als 800 Aussteller suchen finanzkräftige Investorinnen und Investoren. 80 Prozent der Aussteller sind Firmen und Institute, die Lösungen für knifflige Technologieprobleme oder Innovationen in Bereichen wie Umwelt und Mobilität vorstellen, und mehr als die Hälfte kommen aus China einschließlich Hongkong. Tüftler, die in der heimischen Garage an Erfindungen für Alltagsprobleme basteln, sind eher rar, aber es gibt sie.

Bei Lucyle Carrara aus Genf war es ihr Sohn Aaron, der sie beim leidigen Thema Töpfchen-Training auf eine «klo-reiche» Idee brachte. Sie hat den schwarzen Sticker «Crocodisk» entwickelt, der ins Töpfchen geklebt wird und beim Bepinkeln ein buntes Krokodil oder Einhorn zum Vorschein bringt. Damit sei es ein Kinderspiel gewesen, Aaron auf das Töpfchen zu bekommen. Der Sticker lasse sich auch in die Kloschüssel kleben, sagt Carrara. «Zielpinkeln, um ein buntes Krokodil zum Vorschein zu bringen, zieht übrigens auch Väter von Kleinkindern an», sagt sie lachend. Der Sticker ist beim Reinigen unverwüstlich, und ein Beitrag zum Umweltschutz, findet Carrara, denn je schneller die Kinder sauber seien, desto weniger Windeln würden gebraucht.

Toilettengeschäfte

Und dann gibt es noch die Klopapierrolle mit Beleuchtung. Das Gestell Toadylight lässt die Rolle wie einen Pilz aussehen, die bucklige Oberfläche leuchtet im Dunkeln durch Phosphoreszenz in gelb, grün oder orange. Der Genfer Eric Vassaux sagt, viele Leute wollten beim nächtlichen Toilettengang kein Licht einschalten. Sie fänden zwar dem Weg zum stillen Örtchen blind, oft aber nicht das Papier. «Nicht jeder hat eine Klopapierrollenhalterung. Oft steht die Rolle irgendwo auf einem Schränkchen oder dem Fußboden», sagt er. Deshalb das Licht. Das Gestell lässt sich auch mit Saugnapf an der Wand befestigen. Für rund 50 Euro, meint er, könne dies an Mann und Frau gebracht werden.

Mit dem Toilettengeschäft in weitestem Sinne befasst sich auch die Firma QRC aus Liechtenstein. Sie verspricht, die Beckenboden- und andere Rumpfmuskeln ganz ohne Anstrengung zu trainieren. Das könne Inkontinenz und Rückenschmerzen heilen, sagt Geschäftsführer Emiel Spiessens. «Im Alter lässt die Muskelkraft nach, und diese Muskeln gezielt zu trainieren, ist schwierig», sagt er. Wer auf seinem Sessel Platz nimmt, spürt die pulsierende Magnetstimulation in der Sitzfläche wie ein Kribbeln am Allerwertesten, das ist alles. Die Muskelarbeit werde aber getan, versichert er. Krankenhäuser und Altenheime hätten schon von anhaltenden Erfolgen berichtet.

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Saar-Landtag beschließt Beitragsfreiheit für Kitas

Saarbrücken (dpa/lrs) – Ab Anfang 2027 werden Eltern im Saarland keine Beiträge mehr für die Betreuung ihrer Kinder in Kindertagesstätten zahlen müssen. Der saarländische Landtag beschloss am Mittwoch die stufenweise Abschaffung der Elternbeiträge in vier Schritten. «Eine gute Betreuung hängt künftig nicht mehr von den finanziellen Möglichkeiten der Eltern ab», sagte Bildungsministerin Christine Streichert-Clivot (SPD) am Mittwoch im Plenum des Landesparlaments. Damit werde ein zentrales Versprechen der SPD-Landesregierung eingelöst. Derzeit liegen die Eltern-Beiträge noch bei 12,5 Prozent der Personalkosten. Weiterlesen

Senioren am Steuer: Debatte über «Führerschein-TÜV»

Von Andreas Hoenig und Marek Majewsky, dpa

Berlin/Brüssel (dpa) – In Deutschland ist eine Debatte über ältere Menschen am Steuer entbrannt. Soll es neue Regeln geben für mehr Verkehrssicherheit? Auslöser sind Pläne der EU-Kommission.

Der Deutsche Verkehrssicherheitsrat lehnt eine mögliche verpflichtende Überprüfung der Fahrtauglichkeit von Senioren ab. Dies sei unverhältnismäßig, erklärte der Verkehrssicherheitsrat der Deutschen Presse-Agentur. «Selbst Auto zu fahren, bedeutet für die meisten Menschen Unabhängigkeit und Flexibilität. Denn gerade für viele Ältere ist der eigene Wagen ein wichtiger Bestandteil ihres Alltags.» Der Unfallforscher Siegfried Brockmann schlägt eine verpflichtende «Rückmeldefahrt» ab 75 Jahren vor.

Debatte auch auf EU-Ebene

Hintergrund ist eine laufende Debatte über Pläne der EU-Kommission. Die Brüsseler Behörde hatte diese bereits Anfang März vorgestellt. Eines der Ziele ist es, die Straßen in der EU sicherer zu machen. Diesbezüglich sind auch neue Regeln für Senioren geplant.

Dabei geht es Angaben der Kommission zufolge darum, dass Menschen über 70 alle fünf Jahre entweder eine Selbsteinschätzung zur Fahrtauglichkeit ausfüllen sollen oder eine ärztliche Untersuchung durchgeführt werden soll. «Die Entscheidung, ob Selbsteinschätzung oder Check beim Arzt, liegt bei den Mitgliedstaaten», schreibt die Kommission.

Die Behörde betonte auch, dass dies für jede Erneuerung des Führerscheins gilt. Führerscheine, die ab dem 19. Januar 2013 ausgestellt wurden, sollen den Vorschlägen zufolge nicht mehr unbegrenzt, sondern nur noch 15 Jahre lang gültig sein, schreibt die EU-Kommission. Ab dem 70. Lebensjahr sollen Führerscheine den Plänen zufolge alle fünf Jahre erneuert werden müssen. Das Europaparlament und die EU-Staaten müssen nun Positionen zu dem Vorhaben finden und einen Kompromiss aushandeln, bevor neue Regeln in Kraft treten können. Änderungen sind also möglich.

Wissing hält von der Idee «gar nichts»

Dass es bald verpflichtende Tests für Senioren in Deutschland geben wird, ist unwahrscheinlich: Bundesverkehrsminister Volker Wissing (FDP) hatte sich bereits dagegen ausgesprochen. Er hatte der «Bild am Sonntag» gesagt: «Von der Idee, dass sich Senioren ab einem bestimmten Alter ohne weiteren Anlass regelmäßig einem Tauglichkeitstest unterziehen müssen, halte ich gar nichts.»

Eine Sprecherin des Ministeriums sagte, Deutschland sei der Ansicht, dass Gesundheitsuntersuchungen bei Pkw- und Motorradfahrern nur anlassbezogen, also bei Vorliegen von konkreten Anhaltspunkten für körperliche oder geistige Fahreignungsmängel, erfolgen sollten. Dies gelte auch für Senioren.

Der Deutsche Verkehrssicherheitsrat teilte mit, der Anteil von Menschen von 65 oder mehr Jahren an der Gesamtbevölkerung liege derzeit bei etwa 22 Prozent. Aber nur etwa 14,5 Prozent aller Unfallbeteiligten seien bei Unfällen mit Personenschaden dieser Altersgruppe zuzuordnen. «Ältere Menschen haben damit im Vergleich zu ihrem Bevölkerungsanteil eine unterproportionale Unfallbeteiligung. Generell kann man sogar feststellen, dass ältere Menschen im Straßenverkehr eher gefährdet sind, als dass sie eine Gefahr darstellen.»

Es gebe keinen optimalen Zeitpunkt für einen solchen Tauglichkeitstest, so der Verkehrssicherheitsrat. «Am besten wäre hingegen ein lebenslanges Lernen mit verschiedenen Schwerpunkten je nach Lebenslage und Mobilitätsbedürfnissen.» Maßnahmen zum Kompetenzerhalt oder zum Training sollten spätestens ab einem Alter von 75 Jahren ansetzen, da ab diesem Alter die Leistungsfähigkeit messbar sinke. «Dabei ist jedoch eine freiwillige Teilnahme an wirksamen Maßnahmen aus Akzeptanzgründen zu bevorzugen und intensiv zu bewerben.»

Unfallrisiko ähnlich hoch wie bei 18- bis 24-Jährigen

Siegfried Brockmann, Leiter der Unfallforschung der Versicherer, sagte der Deutschen Presse-Agentur, die Pläne der EU-Kommission sähen keine Verpflichtung zu einem Fahrtauglichkeitstest vor. Zentral sei, dass ab dem 70. Lebensjahr Führerscheine alle fünf Jahre erneuert werden müssten, über eine Selbstauskunft. Das könnte aber letztlich nur ein neues Lichtbild und ein Gang zum Amt bedeuten.

Das aber gehe am Kern des Problems vorbei, so Brockmann. Zwar sage die Statistik in absoluten Zahlen, dass Senioren kein überhöhtes Unfallrisiko hätten. «Senioren fahren aber viel weniger mit dem Auto. Auf die Kilometerfahrleistung bezogen haben Senioren ein höheres Unfallrisiko – ähnlich hoch wie 18- bis 24-Jährige.»

Es bestehe Handlungsbedarf. Brockmann schlägt eine verpflichtende «Rückmeldefahrt» ab 75 Jahren vor. Dies sei eine Fahrstunde zum Beispiel bei einem Fahrlehrer. Die Senioren bekämen eine Rückmeldung über die Fahrt und eine Empfehlung, welche Strecken sie besser nicht mehr fahren sollten. Die Fahrerlaubnis bleibe aber in jedem Fall bestehen.

Auch die Deutsche Verkehrswacht ist für obligatorische Rückmeldefahrten ab einem Alter von 75 Jahren, wie ein Sprecher sagte. Wenn Ältere in einen Unfall verwickelt seien, so hätten sie diesen in den meisten Fällen auch verursacht. Fahrleistungsbezogen sei das Unfallrisiko darum sogar höher als bei den Jungen. Außerdem seien die Unfallfolgen schlimmer, da die körperliche Widerstandskraft nachlasse.

Der ADAC warnte bereits vor einem «Fahrtauglichkeits-TÜV» für Rentner. Der Autofahrerclub lehnte geplante Maßnahmen, die sich auf ein bestimmtes Alter beziehen, ab.

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Migranten in Mexiko nähen sich aus Protest Münder zu

Huixtla (dpa) – In einer Protestaktion gegen Mexikos restriktive Einwanderungspolitik haben sich sechs Migranten in dem lateinamerikanischen Land die Münder zugenäht. «Wir wollen, dass die Behörden uns zuhören und uns Bewegungsfreiheit geben, um unser Ziel zu erreichen», sagte der Salvadorianer Roberto Moreno gestern (Ortszeit) in der Stadt Huixtla im südlichen Bundesstaat Chiapas.

Die sechs Migranten gehören zu einer Gruppe von rund 3000 Menschen aus der Karibik, Mittel- und Südamerika, die am Sonntag im Süden Mexikos gen Norden aufgebrochen waren. Die meisten Migranten, die durch Mexiko ziehen, wollen die USA erreichen. Weiterlesen

Facebook, Twitter und Co. fallen unter verschärfte EU-Regeln

Brüssel (dpa) – Twitter, Facebook, Tiktok und mehrere Google-Dienste müssen in der EU künftig besonders scharfe Regeln gegen illegale Inhalte erfüllen. Die EU-Kommission stufte in Brüssel insgesamt 19 Dienste als «sehr große Online-Plattformen» und «sehr große Online-Suchmaschinen» unter dem neuen Gesetz über digitale Dienste (Digital Services Act, DSA) ein. Dazu gehören auch Zalando, Wikipedia, Booking.com, der Amazon Marketplace und der Appstore von Apple.

Der DSA soll sicherstellen, dass Plattformen illegale Inhalte auf ihren Seiten schneller entfernen als bislang. Für Nutzer wird es wiederum einfacher, solche Inhalte zu melden. Grundsätzlich müssen große Dienste mehr Regeln befolgen als kleine. Weiterlesen

Mehr Männer werden Friseure, mehr Frauen Landwirtin

Wiesbaden (dpa) – Die Vorlieben von Frauen und Männern für geschlechterspezifische Ausbildungsberufe haben sich in den vergangenen Jahren teilweise verschoben. So beginnen immer mehr Frauen eine Ausbildung zur Landwirtin, während immer mehr Männer das Friseurhandwerk lernen.

Zwischen 2011 und 2021 stieg der Frauenanteil bei Ausbildungsverträgen in der Landwirtschaft von 12 auf 22 Prozent, wie das Statistische Bundesamt anlässlich des Girls’ und Boys’ Day (27. April) mitteilte. Insgesamt unterschrieben im Jahr 2021 rund 900 Frauen einen Ausbildungsvertrag zur Landwirtin. 2011 waren es gut 400 Frauen. Weiterlesen

Mehr Menschen sehen Handlungsbedarf gegen Diskriminierung

Berlin (dpa) – Eine große Mehrheit in Deutschland wünscht sich einer Studie zufolge ein stärkeres Handeln gegen rassistische Diskriminierung. Das geht aus einer Untersuchung der Bertelsmann Stiftung hervor, die am Dienstag veröffentlicht wurde.

Demnach gaben 70 Prozent der Befragten an, dass für die Gleichbehandlung von Menschen mit Migrationshintergrund und Menschen, die als fremd oder nicht weiß wahrgenommen werden, viel oder mehr getan werden sollte. Im Jahr 2008 hatten das nur 43 Prozent gesagt.

Gleichzeitig seien 49 Prozent der Befragten der Ansicht, dass Menschen, die als fremd oder nicht weiß wahrgenommen werden, stark diskriminiert werden. Im Vergleichsjahr 2008 sahen 31 Prozent eine starke Diskriminierung von «Menschen mit fremdländischem Aussehen». Die Autoren der Studie gaben an, dass der Aspekt damals durch eine andere Formulierung abgefragt wurde.

Ataman: «Antidiskriminierung ist in der Mitte angekommen»

Die Antidiskriminierungsbeauftragte des Bundes, Ferda Ataman, sieht in den Studienergebnissen ein Zeichen dafür, dass die Gesellschaft nicht nur bereit sei für Antidiskriminierung, sondern diese auch erwarte. «Antidiskriminierung ist in der Mitte angekommen», sagte Ataman bei der Vorstellung des Papiers. Es gebe keine gesellschaftliche Spaltung oder Polarisierung bei dem Thema. Für die Bundesbeauftragte spalte Diskriminierung die Gesellschaft, nicht das Engagement dagegen.

Den Machern der Studie zufolge liegt das gestärkte Bewusstsein für Diskriminierung unter anderem daran, dass der Anteil der Menschen mit Migrationshintergrund gestiegen ist. Es sei nicht verwunderlich, dass es diesen Rückenwind in dieser Frage gebe, sagte Ulrich Kober von der Bertelsmann Stiftung. Man könne nur hoffen, dass die Politik diesen Ball aufgreife.

Mehr Hilfen für psychisch kranke Jugendliche gefordert

Von Christina Sticht, dpa

Hannover (dpa) – Zunächst bekommen oft selbst Familie und Freunde wenig von den Veränderungen mit. Jugendliche ziehen sich zurück, sprechen wenig, kommen morgens kaum aus dem Bett. Im Laufe der Pandemie nahmen psychische Störungen bei Jugendlichen deutlich zu. Statt sich der Mutter oder einer Freundin anzuvertrauen, beginnen einige damit, sich selbst zu verletzen – oft mit Rasierklingen an Armen und Beinen. Das sogenannte Ritzen ist vor allem bei Mädchen und Jungen mit psychischen Problemen beziehungsweise Krankheiten verbreitet.

Auch bei seinem Kind fing die «Ritzerei» im Corona-Lockdown 2020 an, wie ein Vater aus Niedersachsen im Gespräch mit der Deutschen Presse-Agentur erzählt. Die Hausärztin beruhigte ihn zunächst, dass das viele Jugendliche mal ausprobierten. Doch in der Erstberatung einer Kinder- und Jugendtherapeutin wurde eine beginnende Depression festgestellt. Monatelang suchte die Familie daraufhin vergeblich nach einer Psychotherapeutin für eine ambulante Therapie, dazwischen kamen Klinikaufenthalte. Schließlich riss das Kind mit einem anderen Teenager von zuhause aus und wurde erst Tage später gefunden.

Zermürbende Suche nach Unterstützung

Wenn ein Kind psychisch erkrankt, gerät auch die Welt der Eltern und Geschwister aus den Fugen. Hinzu komme die zermürbende Suche nach Unterstützung, sagt der Vater. Er schrieb E-Mails und telefonierte Therapeuten und Kliniken ab. Er ging zum Jugendamt und bat in einem Brief Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) um Hilfe. «Man hat keinen Fahrplan und ist völlig alleingelassen», sagt er. Immer wieder gebe es bürokratische Hindernisse. Anderthalb Jahre habe die Familie dann eine Therapeutin privat bezahlt. Seine Odyssee schilderte er zuerst der «Celleschen Zeitung».

Mehrere Studien belegen, dass Kinder und Jugendliche in der Corona-Zeit besonders gelitten haben: Von heute auf morgen fielen Sport und Musik weg, Freunde durften nicht mehr getroffen werden. Wie aus Daten der Krankenkasse DAK hervorgeht, nahmen Depressionen und Essstörungen vor allem bei Mädchen im Alter zwischen 15 und 17 Jahren stark zu. Bei vielen blieben die Probleme bestehen.

Ängste im Alltag als Folge der Pandemie

Die Nachfrage nach Psychotherapeutinnen und -therapeuten, die Kinder und Jugendliche behandeln, lag noch im Sommer 2022 um 48 Prozent höher als in der Vor-Corona-Zeit. Das ergab eine Umfrage der Deutschen Psychotherapeutenvereinigung. Die Kinder- und Jugendlichentherapeutin Cornelia Metge aus Zschopau in Sachsen sieht in ihrer Praxis, dass viele Kinder als Folge der Pandemie massive Ängste im Alltag haben. «Wir haben als Gesellschaft die Verantwortung und die Verpflichtung, diese Kinder zu unterstützen», betont Metge, die sich im Vorstand der Bundespsychotherapeutenkammer (BPtK) engagiert.

Metge beobachtet, dass auch wegen des Lehrkräftemangels in den Schulen neben der puren Wissensvermittlung wesentliche Dinge zu kurz kommen. «Schule sollte auch ein Ort der Begegnung sein; ein Ort, wo man auch erzählen kann, dass man Probleme und Schwierigkeiten hat zuhause. Dafür ist viel zu wenig Zeit», beklagt sie.

Zudem müsse die Prävention einen höheren Stellenwert bekommen. «Psychische Gesundheit sollte ein fester Bestandteil des Unterrichts werden», wünscht sich Metge. Schon mit jungen Kindern könne besprochen werden: Was macht mich fröhlich, was macht mich traurig? Bereits in der Kita und Grundschule könne es Kurse zur Stressreduktion oder zum Umgang mit Konflikten geben.

Maßnahmenpaket der Bundesregierung

Die Bundesregierung hat ein Maßnahmenpaket beschlossen, das die Folgen der Pandemie für Kinder und Jugendliche abfedern soll. Ein Schwerpunkt ist die psychische Gesundheit. Unter anderem sollen in einem Modellprojekt sogenannte Mental Health Coaches besonders belastete Schulen unterstützen.

Dieses befristete Modellprojekt werde den Anforderungen keineswegs gerecht, kritisiert der Berufsverband Deutscher Psychologinnen und Psychologen (BDP). Vielmehr müsse endlich der internationale Standard bei der Versorgung mit Schulpsychologen angestrebt werden.

«Ideal wäre es, wenn ein Schulpsychologe auf höchstens 1500 Schülerinnen und Schüler kommt, so wie in anderen europäischen Ländern», sagt Andrea Spies, Vorsitzende der Sektion Schulpsychologie im BDP. «Bei uns ist das Verhältnis 1 zu 5400, in manchen Bundesländern wie Sachsen-Anhalt, Niedersachsen und Brandenburg sogar noch weit schlechter.» Schulpsychologische Beratung werde derzeit so nachgefragt wie nie. «Die Psyche reagiert auf Krisen immer zeitversetzt und meist überdauernd», betont Spies.

Langes Warten auf einen Therapieplatz

Psychisch erkrankte Jugendliche müssen meist Monate auf einen Platz für eine ambulante Therapie warten. In der Corona-Zeit waren es laut einer Befragung der Universität Leipzig im Schnitt 25 Wochen. Die Bundespsychotherapeutenkammer fordert eine Änderung der Bedarfsplanung. Außerhalb von Ballungsräumen und im Ruhrgebiet seien insgesamt 1600 zusätzliche Psychotherapeutensitze notwendig. 20 Prozent von allen Sitzen müssen laut gesetzlicher Vorgabe für Kinder und Jugendliche reserviert sein.

Was sind die Risikofaktoren für eine psychische Erkrankung von Kindern und Jugendlichen? Häufig trifft es Kinder aus ärmeren Familien, mit allein erziehenden Müttern, psychisch belasteten Eltern oder solche, die in beengten Wohnverhältnissen leben. «Bei uns traf es eine intakte Familie ohne Geldprobleme», sagt der Vater aus Niedersachsen. Bei seinem Kind habe wohl auch Mobbing in der Schule vor Corona eine Rolle gespielt, im Lockdown seien die Handy- und Internet-Zeiten aus dem Ruder gelaufen, gleichzeitig fielen geliebte Hobbys und der Vereinssport weg.

Häufig sind psychische Erkrankungen der Grund dafür, dass Mädchen und Jungen keinen Schulabschluss schaffen, auch wegen der langen Fehlzeiten in den akuten Phasen. Wenn eine Krankheit chronisch wird, hat dies negative Auswirkungen auf das ganze Leben. «Die psychische Gesundheit wird in unserer Gesellschaft immer noch nicht ernst genommen und psychische Erkrankung tabuisiert», kritisiert Schulpsychologin Spies. «Kinder und Jugendliche haben in der Pandemie am meisten gelitten. Deshalb wäre die Politik gut beraten, jetzt einen Masterplan aufzusetzen.»

Tanja Brunnert, Vize-Sprecherin des Berufsverbandes der Kinder- und Jugendärzte, sagt: «Insgesamt haben wir es auch heute in unserem normalen Praxisalltag häufiger mit psychischen Problemen der Kinder und Jugendlichen zu tun als vor der Pandemie.» Sinnvoll wären aus Sicht der Kinderärztin aus Göttingen mehr niedrigschwellige Angebote der Kommunen, also Familienberatungsstellen, wie sie in vielen Städten bereits existieren. Aber auch eine Stärkung der Angebote von Sportvereinen, Jugendfeuerwehren oder Pfadfindergruppen sei wichtig. «Diese bieten Kindern und Jugendlichen Struktur in ihrer Freizeit und fördern das Verhalten in einer Gruppe Gleichaltriger.»

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Gericht: Roger Waters darf in Frankfurt auftreten

Frankfurt/Main (dpa) – Der Sänger Roger Waters darf einer ersten Gerichtsentscheidung zufolge nun doch in der Frankfurter Festhalle auftreten. Das Konzert des Pink-Floyd-Mitbegründers am 28. Mai sollte wegen Antisemitismusvorwürfen abgesagt werden. Waters hatte gegen den Beschluss geklagt – und heute vom Frankfurter Verwaltungsgericht Recht bekommen.

Dagegen wollen die Stadt Frankfurt und das Land Hessen den Auftritt am 28. Mai in der Festhalle verhindern. Das hat auch mit dem Auftrittsort zu tun, denn im Zuge der Reichspogromnacht 1938 waren dort laut dem Gericht mehr als 3000 jüdische Männer zusammengetrieben, festgehalten und misshandelt worden, um anschließend deportiert zu werden. Weiterlesen

Daniel Barenboim ist nun Berliner Ehrenbürger

Berlin (dpa) – Der Dirigent Daniel Barenboim ist zum Berliner Ehrenbürger ernannt worden. Der 80-Jährige wurde am Freitag bei einem Festakt im Roten Rathaus geehrt. «Unsere Zeit hat wohl kaum einen Künstler hervorgebracht, der sowohl am Konzertflügel wie auch am Dirigentenpult jeweils unvergleichliche Meisterschaft beweist», sagte die Regierende Bürgermeisterin Franziska Giffey.

Sie würdigte auch Barenboims gesellschaftspolitisches Engagement, etwa für die Verständigung von Israelis und Palästinensern. «Als Künstler und als Mensch sind Sie wahrhaft eine Jahrhundertgestalt», sagte Giffey. Barenboim sagte in seiner Dankesrede, er sei zutiefst berührt von der Auszeichnung. Weiterlesen

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