Studie: Bistum Trier hat Missbrauch jahrzehntelang vertuscht

Trier (dpa/lrs) – Verantwortliche im Bistum Trier haben laut einer Untersuchung über Jahrzehnte hinweg sexuellen Missbrauch durch Priester vertuscht. Täter seien innerhalb und außerhalb des Bistums versetzt worden, auch um sie vor einer strafrechtlichen Verfolgung zu bewahren, berichtete der Vorsitzende der unabhängigen Kommission zur Aufarbeitung des sexuellen Missbrauchs im Bistum Trier (UAK), Gerhard Robbers, am Donnerstag. An den neuen Einsatzorten sei es dann erneut zu Missbrauchstaten an Kindern und Jugendlichen gekommen: Das Bistum habe «in einer großen Reihe von Fällen» keine Maßnahmen zum Schutz potenzieller Opfer getroffen, kritisierte die UAK in ihrem ersten Zwischenbericht.

Die Kommission berichtete aus den Akten von zwei «gravierenden Fallbeispielen», die sich über die Jahre 1955 bis 1975 erstreckten. Ein Bistumspriester habe sich in den 1950er Jahren mehrfach an Jungen in verschiedenen Gemeinden vergangen und sei dann, als ein Haftbefehl gegen ihn vorlag, «auf spezielle Intervention der Diözese Trier» zum Einsatz nach Paraguay geschickt worden. Dass er dort, wo er bis zu seinem Tod 1997 wirkte, keine Kinder mehr missbrauchte, hält die Kommission für «kaum wahrscheinlich».

«Versagen auf mehreren Ebenen» zeige der Fall eines Priesters, der nach Verurteilung wegen Missbrauchs in Österreich eine neue Stelle im Bistum Trier bekam – und in einem Eifeldorf bei Bitburg von 1963 bis 1972 mindestens 20 Kinder und Jugendliche missbrauchte. Die neue Anstellung sei auch auf «bewusste Verschleierung» zurückzuführen, schrieb die Kommission. Die Fälle machten deutlich: Es habe kein «verantwortliches Umgehen» mit Tätern gegeben, sagte der Historiker Lutz Raphael.

Um die «eindeutige Rolle und Verantwortlichkeit» der jeweiligen Leitungen und Bischöfe beurteilen zu können, werde es weitere Untersuchungen geben, kündigte die Kommission an. Bis Mitte Oktober solle eine erste Studie zum Missbrauchsgeschehen in der Amtszeit des früheren Trierer Bischofs Bernhard Stein (1904-1993) vorgelegt werden. Stein, von 1967 bis 1980 Bischof von Trier, soll Täter gedeckt haben, indem er sie in ihren Ämtern beließ oder an andere Orte versetzte. Die Kommission ist seit gut einem Jahr im Amt – ihre Arbeit ist auf insgesamt sechs Jahre ausgelegt.

Bislang seien für den Zeitraum von Anfang 1946 bis Ende 2021 bistumsweit 513 Opfer und 195 beschuldigte oder überführte Täter erfasst worden, teilte das siebenköpfige Gremium aus Betroffenen und Fachleuten mit. Man gehe davon aus, dass mit einer an der Universität Trier in Auftrag gegebenen Studie zur Erfassung von Missbrauchsfällen die Zahlen weiter steigen werden.

Zu laufenden Fällen werde die Kommission keine Angaben machen, sagte der Jurist Robbers. Auch wenn diese besonders von öffentlichem Interesse seien. «Es ist nicht unsere Aufgabe, Wasserstandsmeldungen zu geben, sondern zu schauen, was war, was ist und Vorschläge zu machen, dass es sich verbessert.» Auch einzelne Fälle von Opfern würden aus Rücksicht auf die Betroffenen nicht näher dargestellt.

Nach Gesprächen mit Betroffenen forderte die Kommission vom Bistum, die bisherige Praxis zur Akteneinsicht für Opfer «deutlich» zu verbessern und mit einem «wenig aufwendigen Verfahren» Einsicht zu gewähren. Fast alle Betroffenen hätten einen «für sie unzureichenden Zugang zu den Akten» kritisiert.

Zudem sollte das Bistum Betroffene regelmäßig über den Verlauf von kircheninternen Ermittlungen unterrichten und eine langfristige Beratungs- und Anlaufstelle schaffen. Opfer beklagten, dass Verfahren zur Anerkennung von Hilfen zu lange dauerten. Zum Bistum Trier gehören rund 1,3 Millionen Katholikinnen und Katholiken in Rheinland-Pfalz und im Saarland.

Die UAK um den früheren rheinland-pfälzischen Justizminister Robbers hatte nach ihrer ersten Sitzung Ende Juni 2021 jährliche Zwischenberichte angekündigt. Für die nächste Phase der Aufarbeitung sollten auch aktuelle und ehemalige Leitungspersonen befragt werden. Dabei werde es auch um die Selbsteinschätzung gehen, wo im bisherigen Umgang mit sexuellen Missbrauch Fehler gemacht wurden, hieß es.

Der Missbrauchsskandal war Anfang 2010 ins Rollen gekommen. Im Herbst 2018 hatte die katholische Kirche Deutschlands die sogenannte MHG-Studie vorgestellt: Demnach sind bundesweit in den Personalakten von 1946 bis 2014 insgesamt 1670 Kleriker wegen sexuellen Missbrauchs Minderjähriger beschuldigt worden. Es gab 3677 Opfer.

Derzeit stellen sich alle 27 Bistümer bundesweit einer unabhängigen Aufarbeitung durch eingerichtete Kommissionen. Zweifel an ihrer Unabhängigkeit hält die UAK in Trier für unbegründet. Sie stelle aber fest, das Betroffene und Teile der Öffentlichkeit diese in Frage stellten. Die Kommission erwäge deshalb, die Unabhängige Beauftragte der Bundesregierung gegen sexuellen Kindesmissbrauch mit ins Boot zu holen.

Der Trierer Bischof Stephan Ackermann teilte mit, er nehme die Empfehlungen und Hinweise aus dem Bericht an und werde darüber beraten, wie diese konkret umzusetzen seien. Er wies darauf hin, dass es seit Anfang dieses Jahres ein neues Personalakten-Gesetz gibt, das auch die Frage der Akteneinsicht transparent regele.

Trotz mehrerer Studien und Berichte gebe es zum sexuellen Missbrauch im Bereich der Kirche nach wie vor Forschungsbedarf, sagte Ackermann. Daher begrüße er die von der Kommission auf den Weg gebrachte Untersuchung mit einer historischen und einer psychologischen Teilstudie.

 

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