«Gierig nach Spaß»: 90.000 Fans feiern «Rock am Ring»

Musik
Von Jens Albes       

Nürburg (dpa) – Wummernde Bässe, Sonne und Regen, kaum Masken und viel Gemeinschaftsgefühl: Nach jahrelanger Corona-Zwangspause haben 90.000 ausgehungerte Fans das Comeback des Kultfestivals «Rock am Ring» gefeiert. Rund 70 Bands auf drei Bühnen heizen ihnen von Freitag bis Pfingstsonntag am Nürburgring in der Eifel ein. Die neuen Veranstalter sprechen bei dem schon 1985 erstmals aus der Taufe gehobenen Spektakel von einem Besucherrekord.

Ein Polizeisprecher sagt beim Auftakt am Freitag: «Die Leute sind gierig nach Spaß und Freude.» Sonnenschein, knappe Sommerklamotten, bunte Hüte und Schottenröcke – vor allem junge Fans feiern und tanzen auf dem Asphalt der legendären Rennstrecke. Erst am dritten Tag fällt auch Regen, aber augenscheinlich ohne die Fans vorerst sehr zu schocken.

Die Polizei zeigt sich am Sonntagnachmittag sehr zufrieden. Laut ihrer Sprecherin Verena Scheuer hat es zunächst keine größeren Zwischenfälle gegeben: «Die Zahl der Straftaten ist sehr niedrig im Vergleich zu Vor-Corona-Jahren.» Zur «üblichen Festivalkriminalität» gehörten etwa wieder Körperverletzung und Diebstahl. Polizeisprecher Lars Brummer sagt bereits am Samstag: «Die Leute sind gut drauf, aber sie machen uns wenig Arbeit.» Womöglich seien sie nach zwei Jahren Pandemie insgesamt tatsächlich vorsichtiger geworden.

Am Freitag bietet sich schon beim Auftakt mit der Alternative-Rock-Band Donots eine Überraschung. Diese spielt den Tote-Hosen-Klassiker «Hier kommt Alex» – und sieht neben sich plötzlich das Original: Die Toten Hosen steigen auf die Bühne und wiederholen ihren eigenen Song. Jubel, noch ein Lied – dann tritt die Düsseldorfer Kultband wieder ab.

Headliner sind diesmal Green Day, Muse und Volbeat. Aber auch viele andere Bands heizen den Fans aus dem In- und Ausland tüchtig ein. Endlich erklingen so viele gefeierte Songs wieder live, heißt es oft. Hinzu kommen Bühnenfeuerwerke unter dem Nachthimmel der Eifel. Rapper Alligatoah zertrümmert absichtlich eine Gitarre. Ein Musiker der kalifornischen Band Fever 333 klettert viele Meter an Bühnenaufbauten hoch. Bei der britischen Alternative-Rock-Band Placebo brandet auch Beifall auf, als die riesigen Bildschirme neben der Bühne ein sich küssendes Pärchen mitten aus dem Publikum zeigen. Gemächlich dreht sich weiter weg auf dem Festivalgelände ein Riesenrad. Auf einem vulkanischen Kegelberg dahinter thront die mittelalterliche Nürburg.

Am Sonntag regnet es erstmals. Johanna (23) aus Koblenz sagt: «Ich habe den Regen am frühen Morgen auf dem Zeltdach gehört. Das war schön im Zelt.» Pascal (27) neben ihr ergänzt, die Zelte hätten den Regen gut überstanden. «Nur der eine oder andere Pavillon ist kaputt.» Mit Regenjacken laufen die Fans wieder zum Festivalgelände. Starkregen gibt es zunächst nicht. In manchen früheren Jahren haben Unwetter «Rock am Ring» schwer getroffen. Es hat seinerzeit auch Verletzte durch Blitzschläge gegeben. Die meisten Besucher übernachten auch diesmal auf riesigen Campingflächen.

Tausende Zelte in allen Farben reihen sich auf Wiesen aneinander. Zehntausende Fans feiern bei «Rock am Ring» traditionell nach Ende des Bühnenprogramms an der modernen Grand-Prix-Strecke des Nürburgrings in der Nacht auf den Campingflächen in Gruppen munter weiter. Mit eigenen Musikboxen, Bierdosen in Planschbecken, Girlanden mit leeren Getränkedosen, Essen vom Grill und Wasserpfeifen.

Manche haben ihr Zelt neben dem Sicherheitszaun der Nordschleife des Rings aufgebaut. Hier röhren am Samstagvormittag Hobbyrennfahrer mit ihrem eigenen Auto bei sogenannten Touristenfahrten vorbei.

Fabian (23) aus der Nähe von Fulda beobachtet auf einem Campingstuhl die Sportwagen und freut sich nach eigenen Worten über seine besondere Kombination von Motorsport und Rockmusik.

Zugleich steigt in Nürnberg von Freitag bis Pfingstsonntag das Zwillingsspektakel «Rock im Park» mit zeitversetzt weitgehend denselben Musikern und Musikerinnen. Insgesamt sind es mehr als 160.000 Fans bei beiden Festivals. Viele sagen, es sei angesichts von Corona noch ungewohnt, solche Massen wieder unmittelbar zu erleben.

Vor dem Doppelfestival ist Kritik am äußerst niedrigen Frauenanteil auf den Bühnen laut geworden. Die Veranstalter schreiben nun mit Blick auf den Auftritt der kalifornischen Mädchenband The Linda Lindas an beiden Orten: «Bei aller Liebe für alte Helden, wir brauchen mehr Künstlerinnen wie diese vier jungen Menschen auf den Bühnen. Das müssen und werden wir uns auf die Fahnen schreiben.»

 

 

 

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