Krieg gegen die Ukraine: So ist die Lage

Kiew (dpa) – Für den Angriffskrieg gegen die Ukraine soll die höchste russische Staats- und Militärführung nach dem Willen der ukrainischen Regierung juristisch zur Verantwortung gezogen werden.

Als Beispiel für seine Forderung nach einem Sondertribunal nannte Präsident Wolodymyr Selenskyj das Nürnberger Tribunal, bei dem die Nazis nach dem Zweiten Weltkrieg für ihre Kriegsverbrechen verurteilt wurden. Zwar arbeite die Ukraine bereits mit vielen Ländern und Organisationen wie dem Internationalen Strafgerichtshof zusammen, «damit jeder russische Mörder die verdiente Strafe erhält», sagte er gestern Abend in seiner täglichen Videoansprache. «Aber leider reichen die verfügbaren internationalen Rechtsinstrumente für Gerechtigkeit nicht aus.»

«Selbst vor dem Internationalen Strafgerichtshof ist es immer noch unmöglich, die höchste politische und militärische Führung Russlands für das Verbrechen der Aggression gegen unseren Staat – für das Hauptverbrechen – vor Gericht zu stellen», beklagte Selenskyj. Daher werde neben dem Internationalen Strafgerichtshof ein Sondertribunal benötigt. «Und wir tun alles, um ein solches Tribunal zu schaffen.» Der ukrainische Staatschef hatte schon im September vor der UN-Vollversammlung für ein Sondertribunal geworben.

Er erinnerte daran, dass schon im Januar 1942, lange vor dem Ende des Zweiten Weltkriegs, von den Alliierten in London der Grundstein für die juristische Verfolgung der Kriegsverbrechen der Nazis gelegt wurde. Die damalige St. James-Erklärung leitete den Weg zum späteren Nürnberger Tribunal ein.

Ukraine meldet zahlreiche Angriffe auf Infrastruktur

Russlands Militär beschoss gestern nach Angaben des ukrainischen Generalstabs zahlreiche Objekte der zivilen Infrastruktur in der Ukraine. Insgesamt seien 26 Luftangriffe sowie ein Raketenangriff registriert worden. «Und es besteht weiterhin die Gefahr, dass der Feind Raketenangriffe auf kritische Infrastruktureinrichtungen tief im Hinterland startet.»

Der Generalstab kritisierte einmal mehr, dass das Nachbarland Belarus den Angriffskrieg Russlands weiter unterstütze und weiterhin sein Territorium und seinen Luftraum für Raketen- und Luftangriffe zur Verfügung stelle.

«Die Situation an der Front ist schwierig», sagte Selenskyj am Abend. «Trotz extrem großer russischer Verluste versuchen die Besatzer immer noch, in die Region Donezk vorzudringen, in der Region Luhansk Fuß zu fassen, in die Region Charkiw vorzudringen, sie planen irgendetwas im Süden.» Dennoch stehe die Verteidigung aufrecht. «In diesem Jahr wird Russland hunderttausend getötete Soldaten verlieren und Gott weiß wie viele Söldner», prophezeite der Präsident.

Angriffe und Stromausfälle in russischer Oblast Kursk

In der an die Ukraine angrenzenden russischen Oblast Kursk führten mehrere nicht näher definierte Angriffe zu vorübergehenden Stromausfällen. Insgesamt seien elf Attacken registriert worden, die mehrere Anlagen der Stromversorgung trafen, teilte Gouverneur Roman Stawrowojt auf Telegram mit. Berichte über mögliche Opfer gab es zunächst nicht.

Ukraine irritiert über Äußerung von von der Leyen

Die Ukraine reagierte derweil irritiert auf die Nennung der unerwartet hohen ukrainischen Kriegsverluste durch die EU. Gegenüber dem ukrainischen öffentlich-rechtlichen Fernsehen hob Präsidentensprecher Serhij Nykyforow hervor, dass nur der Oberkommandierende der Streitkräfte, der Verteidigungsminister oder der Präsident belastbare Zahlen über die Verluste veröffentlichen können. Präsident Wolodymyr Selenskyj werde offizielle Daten publik machen, «wenn der richtige Moment» gekommen sei, da das eine sensible Information sei. Kiew habe bereits in Brüssel angefragt, woher EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen ihre Informationen habe, so Nykyforow.

Zuvor hatte eine beim Kurznachrichtendienst Twitter veröffentlichte und inzwischen gelöschte Ansprache von der Leyens für Aufregung gesorgt. Dabei sprach sie von über 100.000 getöteten ukrainischen Soldaten. Vor knapp drei Wochen hatte US-General Mark Milley die ukrainischen Verluste an Toten und Verwundeten auf rund 100.000 Soldaten geschätzt. Die Ukraine wehrt seit Ende Februar eine russische Invasion ab. Angaben zu eigenen Verlusten machen beide Seiten selten.

Schoigu: 300.000 Reservisten werden ausgebildet

Die russische Armee bildete unterdessen in gut zwei Monaten seit der verkündeten Teilmobilisierung etwa 300.000 Reservisten und Freiwillige militärisch aus. Dazu seien 3000 Ausbilder eingesetzt, sagte Verteidigungsminister Sergej Schoigu am Mittwoch in Moskau. Das Training finde auf mehr als 100 Truppenübungsplätzen in Russland und Belarus statt, fügte er nach Angaben russischer Nachrichtenagenturen hinzu.

IWF-Chefin betont Solidarität mit Kiew

Die Direktorin des Internationalen Währungsfonds, Kristalina Georgiewa, hat ihre Solidarität mit der Ukraine unterstrichen und für weitere finanzielle Unterstützung des Landes plädiert. Das Geld müsse weiter fließen, damit die Ukraine ihre Wunden heilen könne, sagte die IWF-Chefin gestern Abend in einem Interview der ARD-«Tagesthemen».

«Wir haben ungefähr fünf Milliarden Dollar pro Monat für die Ukraine mobilisieren können, dieses Geld fließt, das muss auch weiterhin fließen.» In enger Zusammenarbeit mit Kiew sei sichergestellt, dass das Geld auch dort ankomme, wo es benötigt wird. Man habe der Ukraine gezeigt, wie man trotz des Krieges eine Wirtschaft am Laufen halten kann.

London: Moskau will mit Gesetz Widerspruch verhindern

Britische Geheimdienste werten die Verschärfung eines russischen Gesetzes zu «ausländischen Agenten» als Vorsichtsmaßnahme des Kremls mit Blick auf möglichen heimischen Widerstand gegen den Ukraine-Krieg. «Der Kreml handelt mutmaßlich präventiv, um größeren Widerstand in der Bevölkerung zu vermeiden, da der Krieg anhält und sich zunehmend auf das tägliche Leben der Russen auswirkt», hieß es im täglichen Kurzbericht des britischen Verteidigungsministeriums.

Russland hatte im Juni eine deutliche Verschärfung des ohnehin schon vielfach kritisierten Gesetzes zu «ausländischen Agenten» beschlossen, die Anfang Dezember in Kraft treten soll. Zu «ausländischen Agenten» können künftig alle Organisationen oder Einzelpersonen erklärt werden, die aus dem Ausland unterstützt werden oder unter irgendeiner Form von «ausländischem Einfluss» stehen. Bislang sah das Gesetz vor, dass etwa Nichtregierungsorganisationen nur dann zu «ausländischen Agenten» erklärt werden konnten, wenn sie sich mit Geldern aus dem Ausland finanzierten.

Scholz erneuert Flugabwehr-Angebot an Polen

Bundeskanzler Olaf Scholz erneuerte das Angebot, deutsche Flugabwehrsysteme vom Typ Patriot in Polen zu stationieren. «Unser Angebot an die polnische Regierung zum Schutz des eigenen Landes ist immer noch nicht vom Tisch», sagte Scholz gestern in Berlin.

Auch der Ukraine stellte er weitere Unterstützung für die Abwehr von Luftangriffen in Aussicht. «Gerade haben wir noch einmal neue Liefermöglichkeiten für den Gepard auf den Weg gebracht», sagte er, ohne Einzelheiten zu nennen. 30 Flugabwehrpanzer vom Typ Gepard hat Deutschland der Ukraine schon zur Verfügung gestellt.

Briefbombe explodiert in Ukraine-Botschaft in Madrid

Bei der Explosion einer Briefbombe in der Botschaft der Ukraine in der spanischen Hauptstadt Madrid wurde ein Botschaftsmitarbeiter verletzt. Der Mann, der den Brief am Mittag geöffnet habe, sei nur leicht verletzt worden, berichteten Medien unter Berufung auf die spanische Nationalpolizei. Er habe sich trotzdem vorsichtshalber ins Krankenhaus begeben.

Die Policía Nacional bestätigte auf Anfrage der Deutschen Presse-Agentur diese Berichte. Sie sei gegen 13.15 Uhr von der Botschaft alarmiert worden. Man habe das Antiterror-Protokoll aktiviert und den Bereich um das Botschaftsgebäude im Madrider Viertel Piovera im Nordosten der Hauptstadt abgesperrt, hieß es. Eine Anti-Sprengstoff-Einheit und zwei Hundeführer seien im Einsatz

 

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