Warum Exxon und Co. im Geld schwimmen

Von Hannes Breustedt, dpa

Irving/London (dpa) – Es ist einer der großen Aufreger der Energiekrise: Während Verbraucher unter hohen Preisen fürs Heizen oder Tanken ächzten, verdiente die Ölindustrie im vergangenen Jahr besser denn je. Shell und BP in Großbritannien, ExxonMobil und Chevron in den USA, TotalEnergies in Frankreich – dank der infolge des Ukraine-Kriegs kräftig gestiegenen Öl- und Gaspreise fuhren die «Big Five» genannten Schwergewichte der Branche horrende Gewinne ein.

Warum ist das Thema so umstritten?

Dass in Zeiten hoher Inflation und steigender Leitzinsen, aber auch globaler Erwärmung und Klimakrisen ausgerechnet der Öl- und Rohstoffsektor im Geld schwimmt, sorgt bei vielen Menschen für Empörung. Kritiker fordern höhere Investitionen in Förderprojekte und Erneuerbare Energien von den Konzernen, die über Aktienrückkäufe und Dividenden enorme Summen an ihre Investoren verteilen.

Wer sind die größten Profiteure?

Allein der größte US-Ölkonzern Exxon strich 2022 einen Nettogewinn von knapp 56 Milliarden Dollar ein – rund 140 Prozent mehr als im Vorjahr und das höchste Ergebnis in der mehr als 140-jährigen Geschichte des Unternehmens. Experten gehen davon aus, dass Exxon, Chevron, BP, Shell und Total im vergangenen Jahr zusammen einen Profit von rund 190 Milliarden Dollar gemacht haben.

Weshalb verdienten die Ölmultis so viel?

Entscheidend waren die gestiegenen Energiepreise. Der Preisschock durch den Krieg Russlands gegen die Ukraine machte Rohöl im Frühjahr so teuer wie seit über zehn Jahren nicht. Das Barrel (159 Liter) der Nordseesorte Brent kostete zeitweise fast 140 Dollar. Seitdem ging es aber wieder nach unten, zuletzt lag das Barrel bei rund 80 Dollar.

Die hohen Preise sind nicht der einzige Grund für die Mega-Profite. «Anders als die Gewinne haben die Ölpreise keine Rekorde erreicht», erklärte die deutsche Ökonomin Isabella Weber von der University of Massachusetts im September bei einer US-Kongressanhörung. Niedrige Produktionskosten seien auch ein wichtiger Faktor. So habe die Branche teure Förderanlagen wegen des Nachfrageeinbruchs in der Pandemie stillgelegt und noch nicht wieder voll in Betrieb genommen – obwohl die wirtschaftliche Erholung von der Corona-Krise den weltweiten Ölbedarf wieder erhöht habe und das Angebot durch den Ukraine-Krieg und Sanktionen gegen Russland beschränkt worden sei.

Der globale Ölverbrauch lag 2022 laut US-Regierungsangaben leicht unter dem Vor-Corona-Niveau von 2019. Es gebe schlichtweg wenig Anreize für Ölkonzerne, die Produktion auszuweiten, meint Expertin Weber. «Wer will schon mehr fördern, um weniger zu verdienen?»

Was unternimmt die Politik?

Im Oktober bezeichnete US-Präsident Joe Biden Unternehmen wie Exxon öffentlich als «Kriegsgewinnler», die ihrer gesellschaftlichen Verantwortung nicht nachkämen. Die Verbalattacke erfolgte im US-Wahlkampf, sie zeigt jedoch, wie die Branche die Gemüter erhitzt. Biden kündigte an, Optionen prüfen zu lassen, um die Ölindustrie in die Pflicht zu nehmen. Europa war da schon einen Schritt weiter: Die EU beschloss im September, die spektakulären Profite von Energiefirmen mit einer sogenannten Übergewinnsteuer zu belegen. Mit dem Geld sollen Entlastungen für Bürger und Firmen finanziert werden. Exxon hat bereits angekündigt, die Steuer juristisch anzufechten.

Hätten die Unternehmen die Preissteigerungen vermeiden können?

Einzelne Konzerne produzieren meist zu wenig, um das globale Ölangebot stark zu beeinflussen. Preismacht hat vor allem die Öl-Allianz Opec+. Der Einfluss des von dem großen Förderstaat Saudi-Arabien angeführten Kartells, das 2016 um zehn Nicht-Opec-Länder – darunter Russland – erweitert wurde, ist mit einem weltweiten Marktanteil von etwa 40 Prozent erheblich.

Entscheidend ist zudem der weltweite Ölbedarf, der von der Konjunktur abhängt. So mussten die Multis während der Wirtschaftsflaute in der Corona-Krise zeitweise weit unter ihren Produktionskosten verkaufen. 2020 machte Exxon 22,4 Milliarden Dollar Verlust. Die Konzerne sehen sich zu Unrecht am Pranger: «Die Dämonisierung der Ölindustrie muss aufhören», klagte der US-Branchenverband WSPA im Oktober.

Was wird den Ölkonzernen konkret vorgeworfen?

Dass die Unternehmen nicht mehr Geld in die Hand nehmen, um in Zeiten von Knappheit und hohen Preisen mehr Energie bereitzustellen, ist ein häufig zu hörender Vorwurf. Exxon-Chef Darren Woods weist ihn zurück: «Unsere Ergebnisse haben zwar klar vom günstigen Marktumfeld profitiert, doch die antizyklischen Investitionen, die wir vor und während der Pandemie getätigt haben, lieferten den Menschen die benötigte Energie, als die wirtschaftliche Erholung einsetzte und das Angebot knapp wurde». Exxon als Helfer in der Not? Tatsächlich gab der größte westliche Ölkonzern 2022 nach eigenen Angaben rund 22,7 Milliarden Dollar für Investitionen in Ausrüstung sowie Erkundungs- und Förderprojekte aus – bei einem Umsatz von 413,7 Milliarden.

Was machen die Unternehmen mit dem ganzen Geld?

Chevron kündigte jüngst an, in großem Stil Gewinne an seine Aktionäre zu verteilen. So sollen ab April Aktien im Wert von bis zu 75 Milliarden Dollar zurückgekauft werden. Dazu will Chevron den Anteilseignern eine Quartalsdividende von 1,51 Dollar je Aktie zahlen – gut sechs Prozent mehr als in den vorherigen drei Monaten. Chevrons Gewinnausschüttungen sorgten angesichts des krassen Volumens für Aufsehen, doch auch der Rest der Branche vernachlässigt seine Aktionäre nicht. Den Puls von Kritikern, die sich mehr Investitionen wünschen, lässt das weiter steigen. US-Präsident Biden hat sich bereits für eine Sondersteuer auf Aktienrückkäufe ausgesprochen.

Wie rechtfertigt die Branche ihre Gewinnausschüttungen?

Die Öl- und Gasindustrie sei ein robuster Treiber der US-Wirtschaft – von dem Millionen amerikanischer Haushalte durch direkten Aktienbesitz, Anteile an Investmentfonds, Altersvorsorge- oder andere Finanzprodukte profitierten, heißt es vom Lobbyverband American Petroleum Institute. Laut Ökonomin Weber sind die tatsächlichen Gewinner der Öl-Bonanza aber vor allem wohlhabende Investoren, Finanzprofis der Wall Street und Vermögensverwaltungen. Verlierer seien hingegen arme Menschen sowie Firmen und Regierungen, die unter hohen Energiepreisen litten. Aktienrückkäufe und Dividenden dienen zudem der Kurspflege und der Aufhübschung bestimmter Bilanzkennziffern – das kann auch dem Management stark zugute kommen.

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Ernte bei Nordzucker beendet

Braunschweig (dpa) – Europas zweitgrößter Zuckerkonzern Nordzucker hat die Rübenernte und -verarbeitung wegen schwieriger Wetterbedingungen in mehreren Regionen mit Einbußen abgeschlossen. Auch die angespannte Energieversorgung habe 2022 besondere Herausforderungen gebracht, erklärte der Manager Alexander Godow am Montag am Hauptsitz in Braunschweig.

Konkrete Schätzungen zum weiteren Trend bei den Zuckerpreisen gab das Unternehmen nicht ab. Vorstandschef Lars Gorissen betonte aber: «Wir setzen alles daran, in diesen durch hohe Inflation geprägten Zeiten den gemeinsamen Weg mit unseren Anbauern und unseren Kunden nachhaltig weiterzugehen.» Weiterlesen

Kein Diesel aus Russland: Was der EU-Boykott bedeutet

Von Verena Schmitt-Roschmann, Ulf Mauder und Ansgar Haase, dpa

Berlin/Brüssel/Moskau (dpa) – Fast ein Jahr nach dem russischen Angriff auf die Ukraine greifen ab Sonntag weitere EU-Sanktionen gegen Moskau. Schon seit Anfang Dezember darf ja kein russisches Rohöl mehr per Tanker in die EU eingeführt werden, seit Anfang Januar verzichtet Deutschland auf Importe über die Pipeline Druschba. Ab dem 5. Februar will die EU nun auch keine Raffinerieprodukte wie Diesel, Benzin oder Schmierstoffe mehr aus Russland abnehmen. Das soll es Präsident Wladimir Putin schwerer machen, seinen Angriffskrieg zu finanzieren. Zu erwarten sind aber auch Folgen für Deutschland.

Werden Diesel und Co. knapp, wenn nichts mehr aus Russland kommt?

«Die allgemeine Versorgungssicherheit und die Sicherheit der Versorgung mit Kraftstoffen ist gewährleistet», versichert ein Sprecher von Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne). Auch der Mineralölverband Fuels und Energie sieht keine Versorgungslücke. Es geht vor allem um Diesel. Rund 12,5 Prozent seines Verbrauchs deckte Deutschland laut Branchenverband 2022 aus Russland – trotz des Ukraine-Kriegs. Ersatz komme aus den USA, Westeuropa und dem arabischen Raum, teilt Fuels und Energie mit. Benzin werde nicht aus Russland importiert. Für den Notfall gebe es eine Kraftstoffreserve für 90 Tage.

Wird Diesel an der Zapfsäule teurer?

Das ist nicht ausgeschlossen. Zwar sagt der Düsseldorfer Energieexperte Jens Südekum: «Ich glaube nicht, dass wir dramatische Preissprünge sehen werden.» Die nächste Embargostufe sei lange angekündigt. «In den vergangenen Wochen und Monaten haben wir an den wichtigen Häfen Rotterdam, Antwerpen oder Amsterdam regelrechte Hamsterkäufe gesehen», berichtet der Ökonom. «Das heißt, man hat vor dem Embargo rangeschafft, was noch ging. Die Diesellager sind voll bis zum Anschlag. Das wird die Preisanstiege begrenzen.»

Thomas Puls vom Institut der Deutschen Wirtschaft weist aber darauf hin, dass Diesel auf dem Weltmarkt knapp sei. Wenn die EU nicht mehr in Russland kaufe, müsse der Treibstoff aus entfernteren Gegenden kommen, etwa aus Saudi-Arabien. Die Kapazität der Spezialschiffe sei begrenzt, die Wege seien länger, die Transporte somit teurer.

Warum sind in Ostdeutschland die Diesel-Preise höher?

Bei der Versorgung Ostdeutschlands kommen zwei Effekte zusammen: die neue Embargostufe und die Tatsache, dass die Raffinerien in Schwedt und Leuna nicht mit voller Kapazität arbeiten. Das liegt daran, dass sie lange russisches Rohöl aus der Druschba-Pipeline bezogen und seit dem deutschen Importstopp ab Januar neue Bezugsquellen brauchen. Die PCK-Raffinerie in Schwedt war zuletzt mit Lieferungen über Rostock nur noch zu 55 Prozent ausgelastet. Sie hofft auf zusätzliche Mengen über Polen und aus Kasachstan.

Die niedrigere Produktion der beiden ostdeutschen Raffinerien mache sich regional bemerkbar, erklärt Fuels und Energie. Der Tankstellenpreis im Osten sei deshalb bei Benzin rund 2,5 Cent und bei Diesel rund 1 Cent je Liter höher als im Bundesdurchschnitt.

Wie viele Erdölprodukte importierte die EU zuletzt aus Russland?

Noch im Oktober 2022 exportierte Russland nach den jüngsten Zahlen des EU-Statistikamtes Eurostat Erdölerzeugnisse wie Diesel im Wert von mehr als 2,3 Milliarden Euro in die EU. Allein nach Deutschland gingen damals Produkte im Wert von rund 558 Millionen Euro.

Der russische Energieexperte Alexej Belogorjew bezweifelt, dass die EU diesen Lieferanten einfach so ersetzen kann. Allein an Diesel habe Russland bisher täglich 600.000 Barrel geliefert; die USA, Saudi-Arabien und Indien zusammen kämen auf 200.000 Barrel. Trotzdem erwarten Experten, dass die Sanktionen die russische Erzeugung von Erdölprodukten drücken werden – um 15 Prozent auf etwa 230 Millionen Tonnen in diesem Jahr. Ein Barrel entspricht 159 Liter.

Wie will die EU Preissteigerungen verhindern?

Wie schon beim Importstopp für Rohöl will die EU zusammen mit den neuen Einfuhrbeschränkungen einen Preisdeckel für russische Erdölprodukte durchsetzen. Das heißt, sie will gemeinsam mit Partnern wie den USA Russland zwingen, diese Stoffe an Drittstaaten unter Marktpreis zu verkaufen. Funktionieren soll das so: Wichtige Dienstleistungen für die russischen Exporte – etwa Transporte westlicher Reedereien oder Versicherungen – sollen nur dann erlaubt sein, wenn der Preis des exportierten Guts die gesetzte Obergrenze einhält. Ziel der EU: Die Kombination aus Importstopp und Preisdeckel sollen Russlands Einnahmen «signifikant reduzieren» und zugleich die globalen Preise stabilisieren. Aus Sicht von Habecks Ministerium hat dieses Rezept bisher funktioniert: «Der globale Ölpreis ist stabil, und die erzielten Preise für russisches Rohöl und damit die russischen Staatseinnahmen haben sich reduziert.»

Tut das Embargo Russland wirklich weh?

Niemand in Russland gibt Sanktionsschmerzen zu. Vielmehr betont die Führung in Moskau, dass sich das Öl auf dem Weltmarkt ohnehin vermische und sie andere Absatzwege finde – in Indien etwa. Allerdings muss Russland große Preisnachlässe gewähren, nach Südekums Angaben etwa 30 Prozent im Vergleich zu westlichen Ölsorten.

2022 sind Russlands Einnahmen aus dem Verkauf von Gas und Öl nach Angaben von Vize-Regierungschef Alexander Nowak noch um knapp ein Drittel gestiegen. Die Ausfuhr von Erdöl habe um sieben Prozent zugelegt. Das EU-Embargo gegen Rohöl auf Tankern griff aber erst zum 5. Dezember. Bei Gas gibt es kein Embargo, sondern Russland selbst hat die Exporte in die EU gedrosselt.

Nowak räumt Unsicherheiten ein im Blick auf künftige Einnahmen. Zugleich hofft Russland auf Milliardengebühren, wenn es statt eigenen Öls künftig das schwarze Gold aus der Ex-Sowjetrepublik Kasachstan durch die russische Druschba nach Deutschland durchleitet.

Wird das EU-Embargo eingehalten?

Russland hat nach einer Recherche des «Economist» Wege gefunden, das Öl-Embargo zu umgehen. Demnach entwickelt sich ein Graumarkt mit eigenen Schiffs- und Versicherungskapazitäten, teils gestützt auf Garantien des russischen Staats. Gegen den internationalen Preisdeckel für Rohöl wehrte sich Putin mit der Anordnung, ab 1. Februar nicht mehr in Länder zu liefern, die ihn einhalten.

Bei der neuen Embargostufe sieht Ökonom Südekum neue Schlupflöcher: «Ein Haupteffekt des Embargos wird sein, dass russischer Diesel nicht mehr direkt in die EU gelangt, wohl aber indirekt. Russland liefert an Nationen wie Indien oder Saudi-Arabien, die das billige Öl einkaufen, in ihren Raffinerien verarbeiten und uns dann den Diesel verkaufen.» Das sei nicht Sinn des Embargos. Aber selbst wenn es gelänge, diese Umgehung zu unterbinden, «dann wäre die Frage der Diesel-Preise in Europa auch sicher kritischer». Mit anderen Worten: Diese Einfuhren verhindern noch größere Knappheit in der EU.

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Weiteres Ziel erreicht: Gasspeicher zu 78,6 Prozent gefüllt

Brüssel/Bonn (dpa) – Die deutschen Erdgasspeicher waren am 1. Februar mit 78,6 Prozent Füllstand fast doppelt so voll wie vom Energiewirtschaftsgesetz zu diesem Stichtag vorgeschrieben. Dies ging am Donnerstag aus vorläufigen Daten des europäischen Gasspeicherverbandes GIE hervor. Der veröffentlichte Wert gibt den Füllstand am 1. Februar um 6 Uhr morgens an. Das Gesetz verpflichtet die Gasspeicher-Betreiber, dafür zu sorgen, dass am 1. Februar in jeder Anlage ein Füllstand von mindestens 40 Prozent erreicht ist.

Der Präsident der Bundesnetzagentur, Klaus Müller, äußerte sich erfreut: «Wir haben das gesetzliche Füllstandsziel weit übererfüllt. Das ist eine großartige gemeinsame Leistung aller, die sparsam Gas verbrauchen», sagte er der Deutschen Presse-Agentur. Eine Gasmangellage in diesem Winter sei unwahrscheinlich geworden. «Wir haben aber nun die Aufgabe, die Speicher im Sommer für den nächsten Winter ohne russisches Pipelinegas wieder zu befüllen.» Dabei helfen würden die neuen Terminals für Flüssigerdgas (LNG). «Es kommt auch weiter darauf an, dass wir Gas sparsam verbrauchen.» Weiterlesen

Eon-Chef sieht Wettbewerbsfähigkeit Europas gefährdet

Essen (dpa) – Der Vorstandsvorsitzende von Deutschlands größtem Energieversorger Eon, Leonhard Birnbaum, sieht infolge der Energiekrise die Wettbewerbsfähigkeit Europas gefährdet. «Wir verlieren gegenüber den USA und Asien an Boden», sagte er am Dienstagabend vor Journalisten in Essen. Durch die Umstellung auf Flüssiggas (LNG) per Schiff werden die Energiepreise seiner Meinung nach nicht mehr auf das Vorkriegsniveau zurückkommen. Die europäische Gesellschaft müsse deshalb «jetzt die Ärmel hochgekrempelt lassen» und für ihren Wohlstand kämpfen, so Birnbaum.

Der Manager erneuerte seinen Appell, weiter Energie zu sparen und sich nicht in Sicherheit zu wiegen. Gleichzeitig brauche es attraktivere Investitionsanreize für internationale Kapitalgeber, um die grüne Transformation voranzutreiben. Weiterlesen

Kein Diesel mehr aus Russland: Was der EU-Boykott bedeutet

Von Verena Schmitt-Roschmann, Ulf Mauder und Ansgar Haase, dpa

Berlin/Brüssel/Moskau (dpa) – Fast ein Jahr nach dem russischen Angriff auf die Ukraine greifen am 5. Februar weitere EU-Sanktionen gegen Moskau. Schon seit Anfang Dezember darf ja kein russisches Rohöl mehr per Tanker eingeführt werden, seit Anfang Januar verzichtet Deutschland auch auf Importe über die Pipeline Druschba. Nun will die EU ab Sonntag auch keine Raffinerieprodukte wie Diesel, Benzin oder Schmierstoffe mehr aus Russland abnehmen. Das soll es Präsident Wladimir Putin schwerer machen, seinen Angriffskrieg zu finanzieren. Zu erwarten sind aber auch Folgen für Deutschland.

Werden Diesel und Co. jetzt knapp?

«Die allgemeine Versorgungssicherheit und die Sicherheit der Versorgung mit Kraftstoffen ist gewährleistet», versichert ein Sprecher von Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne). Auch der Mineralölverband Fuels und Energie sieht keine Versorgungslücke. Es geht vor allem um Diesel. Rund 12,5 Prozent seines Verbrauchs deckte Deutschland laut Branchenverband 2022 aus Russland – trotz des Ukraine-Kriegs. Ersatz komme aus den USA, Westeuropa und dem arabischen Raum, teilt Fuels und Energie mit. Benzin werde nicht aus Russland importiert. Für den Notfall gebe es eine Kraftstoffreserve für 90 Tage.

Wird Diesel an der Zapfsäule teurer?

Das ist nicht ausgeschlossen. Zwar sagt der Düsseldorfer Energieexperte Jens Südekum: «Ich glaube nicht, dass wir dramatische Preissprünge sehen werden.» Die nächste Embargostufe sei lange angekündigt. «In den vergangenen Wochen und Monaten haben wir an den wichtigen Häfen Rotterdam, Antwerpen oder Amsterdam regelrechte Hamsterkäufe gesehen», berichtet der Ökonom. «Das heißt, man hat vor dem Embargo rangeschafft, was noch ging. Die Diesellager sind voll bis zum Anschlag. Das wird die Preisanstiege begrenzen.»

Thomas Puls vom Institut der Deutschen Wirtschaft weist aber darauf hin, dass Diesel auf dem Weltmarkt knapp sei. Wenn die EU nicht mehr in Russland kaufe, müsse der Treibstoff aus entfernteren Gegenden kommen, etwa aus Saudi-Arabien. Die Kapazität der Spezialschiffe sei begrenzt, die Wege länger, die Transporte somit teurer.

Warum sind in Ostdeutschland die Diesel-Preise höher?

Bei der Versorgung Ostdeutschlands kommen zwei Effekte zusammen: die neue Embargostufe und die Tatsache, dass die Raffinerien in Schwedt und Leuna nicht mit voller Kapazität arbeiten. Das liegt daran, dass sie lange russisches Rohöl aus der Druschba-Pipeline bezogen haben und seit dem deutschen Importstopp Anfang Januar neue Bezugsquellen brauchen. Die PCK-Raffinerie in Schwedt war nur noch zu 55 Prozent ausgelastet – auch wenn sie zusätzliche Lieferungen bald erwartet.

Die niedrigere Produktion der beiden ostdeutschen Raffinerien mache sich regional bemerkbar, erklärt Fuels und Energie. Der Tankstellenpreis im Osten sei deshalb bei Benzin rund 2,5 Cent und bei Diesel rund 1 Cent je Liter höher als im Bundesdurchschnitt.

Aus Russland importierte Erdölprodukte

Noch im Oktober 2022 exportierte Russland nach den jüngsten Zahlen des EU-Statistikamtes Eurostat Erdölerzeugnisse wie Diesel im Wert von mehr als 2,3 Milliarden Euro in die EU. Allein nach Deutschland gingen damals Produkte im Wert von rund 558 Millionen Euro.

Der russische Energieexperte Alexej Belogorjew bezweifelt, dass die EU den Lieferanten einfach so ersetzen kann. Allein an Diesel habe Russland bisher täglich 600.000 Barrel geliefert; die USA, Saudi-Arabien und Indien zusammen kämen auf 200.000 Barrel. Trotzdem erwarten Experten, dass die Sanktionen die russische Erzeugung von Erdölprodukten drücken werden – um 15 Prozent auf etwa 230 Millionen Tonnen in diesem Jahr.

Wie sollen Preissteigerungen verhindert werden?

Wie schon beim Importstopp für Rohöl will die EU zusammen mit den neuen Einfuhrbeschränkungen einen Preisdeckel für russische Erdölprodukte durchsetzen. Das heißt, sie will Russland gemeinsam mit Partnern wie den USA zwingen, diese Stoffe an Drittstaaten unter Marktpreis zu verkaufen. Funktionieren soll das so: Wichtige Dienstleistungen für die russischen Exporte – etwa Transporte westlicher Reedereien oder Versicherungen – sollen nur dann ungestraft möglich sein, wenn der Preis des exportierten Guts die gesetzte Obergrenze einhält. Ziel der EU: Die Kombination aus Importstopp und Preisdeckel sollen Russlands Einnahmen «signifikant reduzieren» und zugleich die globalen Preise stabilisieren. Aus Sicht von Habecks Ministerium hat dieses Rezept bisher funktioniert: «Der globale Ölpreis ist stabil, und die erzielten Preise für russisches Rohöl und damit die russischen Staatseinnahmen haben sich reduziert.»

Tut das Embargo Russland wirklich weh?

Niemand in Russland gibt Sanktionsschmerzen zu. Vielmehr betont die Führung in Moskau, dass sich das Öl auf dem Weltmarkt ohnehin vermische und sie andere Absatzwege finde – in Indien etwa. Allerdings muss Russland große Preisnachlässe gewähren, nach Südekums Angaben etwa 30 Prozent im Vergleich zu westlichen Ölsorten.

2022 sind Russlands Einnahmen aus dem Verkauf von Gas und Öl nach Angaben von Vize-Regierungschef Alexander Nowak noch um knapp ein Drittel gestiegen. Die Ausfuhr von Erdöl habe um sieben Prozent zugelegt. Das EU-Embargo gegen Rohöl auf Tankern griff aber erst zum 5. Dezember. Bei Gas gibt es kein Embargo, sondern Russland selbst hat die Exporte in die EU gedrosselt.

Nowak räumt Unsicherheiten ein im Blick auf künftige Einnahmen. Zugleich hofft Russland auf Milliardengebühren, wenn es statt eigenen Öls künftig das schwarze Gold aus der Ex-Sowjetrepublik Kasachstan durch die russische Druschba nach Deutschland durchleitet.

Wird das EU-Embargo eingehalten?

Russland hat nach einer Recherche des «Economist» Wege gefunden, das Öl-Embargo zu umgehen. Demnach entwickelt sich ein Graumarkt mit eigenen Schiffs- und Versicherungskapazitäten, teils gestützt auf Garantien des russischen Staats. Mit Blick auf die neue Embargostufe sieht auch Ökonom Südekum Schlupflöcher: «Ein Haupteffekt des Embargos wird sein, dass russischer Diesel nicht mehr direkt in die EU gelangt, wohl aber indirekt. Russland liefert an Nationen wie Indien oder Saudi-Arabien, die das billige Öl einkaufen, in ihren Raffinerien verarbeiten und uns dann den Diesel verkaufen.» Das sei sicher nicht Sinn des Embargos. Aber selbst wenn es gelänge, diese Umgehungsstrategien zu unterbinden, «dann wäre die Frage der Diesel-Preise in Europa auch sicher kritischer». Mit anderen Worten: Diese Einfuhren verhindern noch größere Knappheit in der EU.

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Energiesparverordnungen: Kaum Kontrollen, keine Strafen

Von den dpa-Korrespondenten

Berlin/Frankfurt/Hamburg (dpa) – Städte und Gemeinden in Deutschland profitieren nach eigenen Angaben spürbar von den Energiesparverordnungen des Bundes. Die Vorgaben, etwa zum Heizen in öffentlichen Gebäuden, zur Warmwasserversorgung sowie zum Anstrahlen von Denkmälern, seien «sehr flächendeckend» und vielfältig umgesetzt worden, sagte der Beigeordnete für Städtebau und Umwelt beim Deutschen Städte- und Gemeindebund, Bernd Düsterdiek, der Deutschen Presse-Agentur. Es sei von Einsparpotenzialen von etwa 10 bis 20 Prozent auszugehen. Das komme auch den kommunalen Haushalten zugute.

Die Vorgaben

Nach der seit 1. September vergangenen Jahres geltenden Verordnung zu kurzfristigen Energiesparmaßnahmen sollte die maximale Raumtemperatur in öffentlichen Arbeitsstätten auf 19 Grad gesenkt werden. Flure und andere Flächen, auf denen sich nicht dauerhaft Menschen aufhalten, sollen nicht mehr beheizt werden. Warmwasser fürs Händewaschen soll es in der Regel nicht mehr geben und Gebäude, Denkmäler und Werbeflächen sollen zu bestimmten Zeiten nicht mehr beleuchtet werden.

Nach dem Jahreswechsel hatte das Kabinett eine Verlängerung bis 15. April der zunächst bis Ende Februar befristeten Vorgaben beschlossen. Der Bundesrat muss dem noch zustimmen, hat das Thema am 10. Februar auf der Tagesordnung. Weitere mittelfristige Maßnahmen, etwa eine Verpflichtung zur Optimierung von Gebäudeheizungen, gelten seit 1. Oktober vergangenen Jahres für zwei Jahre. Die Regierung hatte die Regeln aus Sorge vor Energieengpässen erlassen. Auslöser waren ausbleibende russische Gaslieferungen.

Die Umsetzung

Eine dpa-Umfrage in deutschen Großstädten ergab, dass die Kommunen in der Umsetzung sind und teils auch nennenswerte Energieeinsparungen sehen. So geht Frankfurt bei städtischen Liegenschaften von Energieeinsparungen von fünf bis zehn Prozent aus. Die Stadt setzt zudem auf eine Umstellung auf LED-Beleuchtung, dimmt schon seit Jahren mehr als die Hälfte ihrer rund 60.000 Laternen zwischen 22.00 und 6.00 Uhr morgens, heizt Räume, Flure und Treppenhäuser öffentlicher Gebäude sowie Bäder weniger. Die Beschäftigten seien zur Abgabe weiterer Ideen aufgefordert, erklärte eine Sprecherin.

Auch in Stuttgart wurde es dunkler, und Heizenergie wurde gespart, wie die Stadt erklärte. Sie erwartet für kommunale Gebäude Einsparungen im einstelligen Prozentbereich. In Düsseldorf werden unter anderem seit Mitte Oktober vergangenen Jahres rund 8000 Gaslaternen im Stadtgebiet zwischen 1.00 und 5.00 Uhr morgens abgeschaltet.

Für München bringt nach Angaben der Stadt die im vergangenen Sommer umgesetzte sukzessive Abschaltung der Beleuchtung öffentlicher Gebäude, Brücken, Denkmäler und Brunnen Energieeinsparungen. Die Stadt Nürnberg bezifferte ihre Energieeinsparungen – je nach Nutzung – auf 10 bis 30 Prozent.

Kaum Kontrollen und keine Strafen

Weil der Bund in den Verordnungen weder Zuständigkeiten noch Sanktionen festgelegt hat, sehen sich auch die Städte nicht in der Pflicht, Verstöße zu prüfen oder zu ahnden. «Wir gehen davon aus, dass die Mitarbeiter:innen verantwortungsbewusst sind und die Maßnahmen nachvollziehen und umsetzen», erklärte etwa eine Stadtsprecherin in Frankfurt. Kontrollen zur Einhaltung der Vorgaben gebe es nicht, allenfalls «hier und da mal eine Ermahnung durch etwa die Abteilungsleitung, nach unseren bisherigen Erfahrungen und Rückmeldungen ziehen die Mitarbeiter:innen aber mit.»

Ähnlich hält man es in Hamburg. Man gehe davon aus, dass die Vorschriften «in eigener Verantwortung eingehalten werden», so die Umweltbehörde der Hansestadt. Man habe sich in den vergangenen Monaten mit Gewerbetreibenden zu der Verordnung ausgetauscht, die sich bewusst seien, «dass alle einen solidarischen Beitrag zur Energieeinsparung leisten müssen und alle Beteiligten auch im eigenen Interesse handeln, wenn sie Energie sparen.»

Auch Düsseldorf verwies darauf, dass die Bundesregierung bisher darauf verzichte, Bußgelder bei Zuwiderhandlung gegen die Verordnung anzudrohen – daher verhelfe man dieser «anderweitig zur Geltung», hieß es – etwa, indem eigene Sparmaßnahmen an deren Zielen ausgerichtet würden. Und München geht mit Blick auf die Vorgaben zu Werbeanlagen davon aus, dass sich die Regelungen «eher appellativ an die Bürger*innen» richteten.

Die Kosten

Nach Angaben von Düsterdiek dürften sich die jährlichen Strom- und Wärmekosten der Kommunen in Deutschland angesichts der Energiekrise von zuvor rund fünf Milliarden Euro mindestens verdoppelt haben auf nunmehr rund 10 bis 15 Milliarden Euro. Betroffen von den Sparvorgaben seien deutschlandweit rund 180.000 kommunale Gebäude – vom Rathaus bis zur Bibliothek, wenngleich in jeweils unterschiedlichem Ausmaß.

Hinzu kämen rund zwei Millionen kommunale Wohnungen. Die Einsparungen fielen in einzelnen Bereichen unterschiedlich hoch aus, sagte Düsterdiek. Größter kommunaler Stromverbraucher sei die Beleuchtung. Kommunen, die bereits auf LED umgerüstet hätten, könnten den Stromverbrauch in diesem Bereich um 70 bis 80 Prozent senken.

Wie geht es weiter?

Die Spareffekte sollen nach dem Auslaufen der Verordnungen nicht verpuffen. Der Gasverbrauch in Deutschland liege derzeit unter dem Verbrauch des Vorjahres, und auch der Stromverbrauch in Deutschland sei im vergangenen Herbst deutlich gesunken, erklärte eine Sprecherin des Bundeswirtschaftsministeriums. «Unser Ziel ist es, diese Entwicklung zu verstetigen und den Gasverbrauch in Deutschland insgesamt zu senken. Dazu bedarf es anhaltender und effektiver Anstrengungen zur Energieeinsparung.»

Wichtiger Baustein sei das ständige Monitoring zur Verbrauchsentwicklung der Bundesnetzagentur. Auch Düsterdiek vom Deutschen Städte- und Gemeindebund erklärte, man begrüße die geplante Verlängerung der Verordnung bis Mitte April. «Das unterstützen wir, weil wir immer noch in einer fragilen Situation sind.»

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Energiepreise: Netzagentur-Chef beklagt zu wenig Wettbewerb

Düsseldorf (dpa) – Der Präsident der Bundesnetzagentur, Klaus Müller, hat zu wenig Wettbewerb bei den Strom- und Gaspreisen für Haushaltskunden beklagt. In den Vergleichsportalen sehe er, dass es im Vergleich zu den letzten Jahren deutlich weniger Angebote gebe, sagte Müller bei einer Veranstaltung der Wirtschaftspublizistischen Vereinigung am Montagabend in Düsseldorf.

«Es gibt Stadtwerke, die sich nur noch auf ihr Versorgungsgebiet konzentrieren, die haben sich aus der bundesweiten Versorgung zurückgezogen», bemängelte er. «Es ist wichtig, darüber zu diskutieren, was können wir dazu tun, dass mehr Marktakteure, mehr Energieversorger auch jenseits ihres ureigenen Sprengels bundesweit Angebote machen und ich als Verbraucherin und Verbraucher hier eine Wahlmöglichkeit habe.» Weiterlesen

Erstmals mehr Strom in der EU aus Erneurbaren als aus Gas

Brüssel (dpa) – In der EU ist 2022 erstmals mehr Strom aus Wind und Sonne produziert worden als aus Gas. Laut einer Analyse der Denkfabrik Ember Climate kamen im vergangenen Jahr rund 22 Prozent der Elektrizität in der EU aus Solar- und Windkraft und damit anteilig so viel wie noch nie. 2021 waren es demnach etwa 19 Prozent. Aus Gas stammten hingegen fast 20 Prozent des EU-Strommixes – knapp ein Prozentpunkt weniger als 2021. Insgesamt kamen laut Ember Climate im vergangenen Jahr 623 Terawattstunden (TWh) aus Wind und Sonne.

Am meisten Wind- und Solarenergie erzeugte 2022 den Zahlen der Denkfabrik zufolge Deutschland – 126 Terawattstunden aus Wind und 59 Terawattstunden aus Sonne. Die Anteile an der Wind- und Solarenergie am deutschen Strommix waren verglichen mit anderen EU-Ländern jedoch geringer: Bei der Erzeugung aus Sonne sind die Niederlande mit 14 Prozent am gesamten Strommix Spitzenreiter, gefolgt von Griechenland und Ungarn (beide 13 Prozent). Deutschland gewinnt den Zahlen zufolge knapp 10 Prozent seines Stroms aus Sonne. Weiterlesen

Großflächiger Stromausfall im Harz

Halberstadt (dpa) – Ein großflächiger Stromausfall hat in der Nacht auf Montag im Landkreis Harz in Sachsen-Anhalt zehntausende Haushalte lahmgelegt. Die Störung war auch am Vormittag noch nicht komplett behoben.

In Halberstadt komme es punktuell weiter zu Stromausfällen, sagte ein Sprecher des Landkreises Harz der Deutschen Presse-Agentur am Montag. Die Störung solle laut dem Netzbetreiber im Laufe des Tages behoben werden, sagte er. Weiterlesen

Warum die Energiewende lahmt

Von Verena Schmitt-Roschmann und Christopher Hirsch, dpa

Berlin/Lubmin (dpa) – Die Dinger sind gigantisch. 138 Meter hoch, mit freiem Blick übers flache Land. Auf der einen Seite liegen die grünen Felder Richtung Brandenburg, auf der anderen Seite das Häusermosaik der Hauptstadt. «Pyro» nennen die Planer des Ingenieurbüros Teut das Gelände einer alten Feuerwerksfirma in Berlin-Pankow, wo sich ihre beiden Windräder drehen – zwei von insgesamt sechs auf Berliner Boden. Vier Jahre hat es gedauert, bis die Anlagen standen. Und nach Lage der Dinge war das noch ziemlich fix.

Zum 1. Februar greift ein neues Gesetz, das vor allem die Planung von Windkraftanlagen beschleunigen soll. Wieder eins, könnte man sagen – «Deutschland-Tempo» heißt nun das Mantra. Beim Ausbau der Erneuerbaren Energien ist ein Turbo tatsächlich dringend nötig, will man die ambitionierten Ziele für grünen Strom bis 2030 schaffen. Allein die Windkraft an Land soll sich von 58 Gigawatt im Jahr 2022 auf 115 Gigawatt bis 2030 verdoppeln. Das sind noch sieben Jahre.

Als leuchtendes Beispiel gilt der Aufbau der Flüssiggas-Terminals an der Küste seit Beginn des Ukraine-Kriegs. Geht doch, hieß es, als jetzt die ersten LNG-Landepunkte nach nur wenigen Monaten in Betrieb gingen. Jetzt bitte einfach dasselbe bei Wind und Solar. Aber ist das möglich? Was half bei LNG und was steht bei Erneuerbaren im Weg?

Doch, doch, im Grunde macht die Energiewende Spaß

Ingenieur Elias Brunken und Umweltplaner Daniel Deppe haben dazu einiges zu erzählen. Die beiden jungen Planer sind Überzeugungstäter in Sachen Ökostrom. Bei Teut arbeiten sie daran, in Berlin und Brandenburg Windräder ans Netz zu bekommen. Und sie versichern: doch, doch, im Grunde mache das wirklich großen Spaß mit der Energiewende. «Extrem, ich mache das richtig gerne», sagt Deppe. Nur: «Man muss schon Bock haben auf Diskutieren und ein dickes Fell.»

Also, mal angenommen man hat ein großes Grundstück in Brandenburg – oder anderswo, es ist ja nur ein Beispiel – und möchte ein Windrad bauen, was muss man tun? Brunken und Deppe holen tief Luft.

Windkraft geht natürlich sowieso nur im «Eignungsgebiet» beziehungsweise im «Vorranggebiet». Der Bund hat die Länder gerade gesetzlich verpflichtet, dafür schrittweise bis 2032 mindestens zwei Prozent ihrer Fläche auszuweisen. Aber obwohl diese Areale eigens für den Zweck gedacht sind, beginnt bei jedem Windrad die Prüfung neu. Ist der Standort weit genug weg von Wohnhäusern? Groß genug für eine 250 Meter hohe Anlage mit 85 Meter langen Rotorblättern? Alle Eigentums- und Nutzungsrechte geklärt? Dann kann es losgehen mit der Kartierung.

Eiswurf, Schall, Schattenwurf

Dabei werden Biotope, Fledermäuse, Brut- und Zugvögel gezählt, und da die Vögel zu unterschiedlichen Jahreszeiten vorbei schauen, dauert das logischerweise mindestens ein ganzes Jahr. Dann kommen die Gutachten. Standsicherheit, Brandschutz, Eiswurf, Schall, Schattenwurf. Das fließt alles in den Genehmigungsantrag. Derzeit sind das nach Angaben der Planer in der Regel vier Aktenordner und zwölf Daten-CDs, die an 16 verschiedene Stellen gehen – Landkreis, Naturschutzbehörde, Denkmalschutzbehörde und so weiter.

Für die Bearbeitung brauchen die Behörden, wenn alles glatt läuft, etwa ein bis eineinhalb Jahre, so erzählen es Brunken und Deppe. Geht es um mehrere Windräder, ist meist eine Umweltverträglichkeitsprüfung nötig. Ist das der Fall, zieht sich das Verfahren nach Daten der Fachagentur Wind im Schnitt 24 Monate. Die Genehmigung ist für die Planer dann ein großes Ding. In ihrem Besprechungsraum im Keller stehen zur Feier Sektflaschen bereit, jeweils eine mit dem Kürzel der Anlage. Im Moment warten da MÜRIII, NKD1 und NKD2.

Negativrekord: 18 Jahre

Aber damit ist noch nicht Schluss. Nun folgt erstmal die Ausschreibung. Windkraftanbieter bewerben sich um Mengen im Rahmen der Ausbauziele und müssen dabei einen von der Bundesnetzagentur vorgegebenen Preisdeckel einhalten. Es gewinnt der Bewerber mit dem niedrigsten Preis. Ist auch diese Hürde genommen, wird das Windrad bestellt. Lieferzeit ist nach Angaben der Ingenieure im Moment rund 18 Monate, Materialmangel und hohe Stahlpreise schlagen auch hier durch.

Läuft also wirklich alles wie am Schnürchen, sind schon mehr als vier Jahre ins Land gegangen, bevor sich der erste Tieflader mit den Riesenflügeln zum Bauplatz der neuen Windmühle in Gang setzt – auch das natürlich nicht ohne Genehmigung. Voraussetzung ist, dass niemand Einspruch erhebt, niemand klagt, die Behörde nicht überlastet ist und sich das vor Jahren ersonnene Projekt zum Zeitpunkt x noch rechnet. Statistisch dauert der Bau einer Windkraftanlage heute im Schnitt fünf bis sieben Jahre. Der Negativrekord liegt bei 18 Jahren.

Der Kanzler dreht den Gashahn auf

Und bei LNG, dem seit Beginn des Ukraine-Kriegs so begehrten und aus aller Welt importierten Flüssiggas? Als Bundeskanzler Olaf Scholz Mitte Januar symbolisch den Gashahn am Flüssigerdgas-Terminal in Lubmin an der Ostsee aufdrehte, war seit dem ersten Antrag des Unternehmens Deutsche Regas gerade mal ein halbes Jahr vergangen. «Das ist Rekordtempo», sagt Jan Bonhage von der Kanzlei Hengeler Mueller, die das Projekt betreut. Normalerweise hätte man gern auch mit zwei bis fünf Jahren rechnen können.

Zustande kam das neue «Deutschland-Tempo» unter dem Druck der Gaskrise und des Horrorszenarios, dass Millionen Bürger im Winter in eiskalten Wohnungen frieren müssten. Auch hier gab es ein eigenes Beschleunigungsgesetz, das LNGG. Aber was genau befeuerte den Turbo? Bonhage hält fünf Punkte für entscheidend.

Fünf Punkte für den Planungsturbo

Als erstes nennt der Fachanwalt die Festlegung, dass ein überragendes öffentliches Interesse an den Terminals bestehe. «Das darf man nicht unterschätzen», sagt der Fachmann. Das spiele eine wichtige Rolle, wenn eine Behörde so oder anders entscheiden könne und Interessen abzuwägen habe. Das «überragende öffentliche Interesse» steht inzwischen auch im Erneuerbare-Energien-Gesetz, die Auslegung auf Landesebene ist aber nach Angaben der Planer nicht überall eindeutig.

Zweiter Punkt laut Bonhage: verkürzte Fristen etwa bei der öffentlichen Beteiligung. Statt ein Monat Auslegung der Pläne und ein Monat Einwendungsfrist gilt hier jeweils eine Woche. Der dritte Faktor ist für den Fachmann der Verzicht auf eine Umweltverträglichkeitsprüfung. Umwelt- und Naturschutzrecht seien trotzdem einzuhalten, versichert er. Nur falle ein langwieriges zusätzliches Verfahren weg.

Punkt vier: Wenn Gegner des Projekts Widerspruch erheben oder klagen, hat das keine aufschiebende Wirkung. «Also wenn Sie die Genehmigung bekommen, dürfen Sie sofort loslegen», erklärt Bonhage. Fünftens erleichtere das Gesetz den vorzeitigen Beginn von Bauvorbereitung oder eines Testbetriebs.

«Beschlüsse reichen für die Ziele nicht aus»

Dieser Fünf-Punkte-Katalog entspricht ziemlich genau dem, was sich auch Windkraftplaner wünschen. Aber die Realität ist davon ein Stück entfernt. «Die bisher von der Ampel-Koalition beschlossenen Maßnahmen gehen zwar in die richtige Richtung», sagt Simon Müller, Deutschland-Direktor der Denkfabrik Agora Energiewende. «Aber sie reichen selbst in der Summe nicht aus, um die Verfahren in dem Maße zu beschleunigen, wie es für die 2030-Zielerreichung notwendig ist.»

Das zum 1. Februar kommende Beschleunigungsgesetz ist aus Müllers Sicht nur ein kleiner Schritt. Damit würden Planungsverfahren «etwas weniger anfällig gegen Klagen», sagt der Experte. Größere Erwartungen hat er an eine EU-Notverordnung vom Dezember: «Sie sagt im Wesentlichen: Liegt für die Fläche eines Windparks eine strategische Umweltverträglichkeitsprüfung vor, auch mit Blick auf den Artenschutz, dann muss sie nicht mehr zusätzlich für jedes einzelne Windrad wiederholt werden. Das hat Potenzial für eine erhebliche Beschleunigung.»

Außerdem könnte man aus Müllers Sicht, ähnlich wie bei LNG-Terminals, Projekte vorläufig genehmigen und dann bereits mit dem Bau beginnen. Oder Betreiber könnten sogar – wie im Fall des US-Autoherstellers Tesla in Brandenburg – auf eigenes Risiko ohne Genehmigung loslegen. Wird die dann doch nicht erteilt, könnte ein Risikofonds den Ausfall absichern, schlägt Müller vor. Für schnellere Verfahren brauche man zudem mehr Personal und Digitalisierung bei Genehmigungsbehörden.

Umweltschützer haben Bedenken

Vielen Natur- und Umweltschützern ist so viel Beschleunigung nicht geheuer. So fordert etwa die Deutsche Umwelthilfe die Rücknahme des LNG-Gesetzes. Sie kritisiert, dass Bürgerbeteiligung und Klagerechte zu stark beschnitten würden und der Umweltschutz zu kurz komme. LNG- wie auch Windkraftplaner halten dagegen, die immer detaillierteren Vorgaben seien einfach zu langwierig. Bei Windrädern solle nicht der Schutz jedes einzelnen Vogels Ziel sein, sondern der Erhalt der Art.

Unterm Strich geht es, wie fast immer, um eine Konkurrenz der Interessen, oder freundlicher gesagt: um eine Abwägung. Und bei LNG flutschte es auch deshalb, weil es politisch zur obersten Priorität erklärt wurde und das allen Beteiligten klar war. Ein am LNG-Terminal Lubmin Beteiligter – die Deutsche Regas – berichtet, dass sich Verantwortliche wöchentlich in großer Runde getroffen hätten. E-Mails vom Amt kamen plötzlich auch außerhalb der üblichen Bürozeiten.

Windkraftplaner Brunken sieht das genauso: «Der größte Unterschied zum LNG ist der politische und auch gesellschaftliche Wille, das umzusetzen. Der gefühlte Handlungsdruck war an dieser Stelle einfach viel größer.» Absehbar braucht es aus seiner Sicht denselben politischen Eifer bei der Energiewende – sonst bleibe sie Illusion.

«Wenn jetzt alle Rädchen ineinandergreifen, erreichen wir das Ziel», sagt Agora-Fachmann Müller über die anvisierten 115 Gigawatt Windkraft bis 2030. «Aber das erfordert Mut, Konsequenz und umfassende Maßnahmen, die in dieser Form noch fehlen.»

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