Senioren bei Kaffeefahrt 10 Stunden lang festgehalten

Die Folge: gesundheitliche Probleme

 Kobern- Gondorf. „Kaffeefahrt“ – den Begriff kennt jeder (…aus der Ü 50-Generation), aber was sich am Mittwoch, 18. August 2010, in einem Landgasthof bei Kobern-Gondorf (Mosel) abspielte, ist doch als eher ungewöhnlich zu bezeichnen:

Ein Veranstalter aus Niedersachsen hatte mit entsprechender Promotion zwei Reisebusse mit Teilnehmern aus dem Raum Bitburg bzw. Hermeskeil füllen und zu einer Verkaufsveranstaltung an die Mosel locken können. Ab 05.00 Uhr morgens wurden die Teilnehmer eingesammelt und zu dem Landgasthof gebracht, wo die Werbeveranstaltung nach bisher vorliegenden Informationen gegen 08.30 Uhr begann. Die Veranstaltung zog sich über den kompletten Tag hin, angepriesen wurden u.a. Matratzen und Nahrungsergänzungsmittel. Gegen 18.30 Uhr meldete sich schließlich eine Teilnehmerin über Notruf bei der Polizei und schilderte, dass man „in einem Hotel festgehalten“ werde und mindestens ein Teilnehmer inzwischen gesundheitliche Probleme habe.

Eine zur Überprüfung entsandte Streifenbesatzung der Polizeiwache Brodenbach fand den Sachverhalt im Wesentlichen bestätigt vor. Zu dieser Zeit lief bereits (oder noch) eine Anschlussveranstaltung mit Werbeangeboten eines Reiseunternehmens. Für einen 84-Jährigen musste ein Notarzt hinzugezogen werden, der bei dem Senior stark erhöhten Blutdruck und Verdacht auf Hirnblutung diagnostizierte. Entgegen dem dringenden ärztlichen Rat wollte der Senior sich aber nicht in ein Krankenhaus einliefern lassen, sondern lieber auf eigenes Risiko die Heimreise antreten.

Der Veranstalter bzw. „Moderator“ war bei Eintreffen der Polizei nicht mehr vor Ort und konnte dementsprechend bisher nicht befragt werden. Die Polizei wird sich jetzt mit den zuständigen Stellen hinsichtlich des Vorliegens der erforderlichen gewerberechtlichen Genehmigungen in Verbindung setzen. Derzeit prüft die Polizei zudem, ob Art und Verlauf der Veranstaltung Anzeigen wegen Nötigung, Freiheitsberaubung, Körperverletzung oder Betrug nach sich ziehen könnten. Hierzu sind vor allem umfangreiche Befragungen der abgereisten Veranstaltungsteilnehmer erforderlich, so dass sich die Ermittlungen sicherlich noch einige Zeit hinziehen werden.

Losgelöst von diesem Einzelfall ist allerdings festzuhalten, dass solche Werbe / Verkaufsveranstaltungen nicht prinzipiell verboten oder rechtlich bedenklich sind – wenn man sich darüber im Klaren ist, worauf man sich einlässt! Die Polizeiliche Kriminalprävention gibt hierzu wichtige Informationen und Tipps:

"Trotz wiederholter Warnungen vor günstigen Kaffeefahrten fallen leider immer noch viele Senioren darauf herein und müssen erkennen, dass nicht die versprochenen Besichtigungen, sondern eine Werbeveranstaltung im Vordergrund steht. Dort werden sie oftmals von windigen Verkäufern geschickt unter Druck gesetzt und dazu gedrängt, Kaufverträge abzuschließen, die nicht selten ihr monatliches Einkommen übersteigen", sagt Prof. Dr. Wolf Hammann, Vorsitzender der Polizeilichen Kriminalprävention der Länder und des Bundes und Landespolizeipräsident von Baden-Württemberg.
Zudem versuchen unseriöse Verkäufer das Widerrufsrecht zu unterlaufen. Dieses erlaubt es, bei Kaffeefahrten oder ähnlichen Veranstaltungen geschlossene Kaufverträge binnen 14 Tage zu widerrufen. Windige Vertreter nehmen dann Bestellungen ohne Datumsangabe auf und können diese später rückdatieren – die Widerrufsfrist ist damit schnell verflogen. Daher ist es besonders wichtig auf das Datum und die Belehrung über das Rücktrittsrecht zu achten.

"Am sichersten ist es aber, bei einer Werbeveranstaltung erst gar nichts zu kaufen oder zu unterschreiben", rät Prof. Dr. Hammann. Denn bei solchen Verkaufsveranstaltungen geht es nur ums schnelle Geschäft. Die als Schnäppchen gepriesenen Kochtöpfe, Badezusätze oder Trinkkuren sind nach polizeilicher Erfahrung häufig minderwertiger und teurer als im Fachhandel. Mit den folgenden Tipps der Polizei können sich ältere Menschen vor den Tricks der Verkäufer schützen:

• Es spricht nichts gegen eine Kaffeefahrt, aber fühlen Sie sich niemals zu einer Bestellung oder einem Kauf verpflichtet.
• Unterschreiben Sie nichts, was Sie nicht genau verstanden haben. Unterschriften sind nie „reine Formsache“.
• Beachten Sie bei Verträgen immer Datum und Unterschriften. Ein fehlendes oder falsches Datum erschwert die Durchsetzung Ihres Widerrufsrechts.
• Fordern Sie eine Vertragsdurchschrift, auf der Name und Anschrift des Vertragspartners deutlich lesbar sind.
• Wenn Sie vom Vertrag zurücktreten möchten: Schicken Sie einen schriftlichen Widerruf (Einschreiben mit Rückschein) binnen zwei Wochen nach Vertragsschluss an den Verkäufer.
• Das deutsche Widerrufsrecht gilt auch für Kaffeefahrten ins Ausland, wenn in Deutschland dafür geworben wurde und Busfahrt, Veranstaltung und Verkauf von einem deutschen Unternehmen durchgeführt wurden.

 Kaum zu glauben: Der Veranstalter wollte am folgenden Tag sein Unwesen weiter treiben. Donnerstags nach dem Vorfall im Landgasthof erreichte uns folgende Polizeimeldung:

 „Am Morgen des Donnerstag, 19.08.2010 sollte in dem gleichen Gasthof in Dreckenach die gleiche Veranstaltung mit den gleichen Moderatoren – aber zwei Bussen voller neuer Teilnehmer stattfinden.

Da dies Polizei und VG Untermosel im Vorfeld bekannt geworden war, wurde besagte Gaststätte kurz vor 09.00 Uhr heute Morgen überprüft. Tatsächlich waren die Busse bereits da und der Veranstaltungsraum entsprechend hergerichtet.

 Als Gesamtverantwortlicher gab sich ein 43-jähriger Mann aus Niedersachsen zu erkennen. Neben umfangreichem Verkaufssortiment sollten bei der Werbeveranstaltung ausweislich eines Programmflyers u.a. Restguthaben und -gewinne einer Firma HTF-Europazentrale übergeben werden, da diese Firma zum Jahresende abgewickelt werde. Da der Veranstalter nicht die gewerberechtlich vorgeschriebenen Dokumente vorlegen konnte, wurde die heutige Verkaufsveranstaltung von den Vertretern des Ordnungsamtes der VG Kobern-Gondorf unterbunden bzw. untersagt.  Gegen 09.30 Uhr traten die angereisten Teilnehmer daraufhin die vorzeitige Heimreise an.

 Zu der Veranstaltung sind die polizeilichen Ermittlungen angelaufen. Neben den bereits erwähnten gewerberechtlichen Verstößen haben sich bislang aber keine belastbaren Belege ergeben, die eine strafrechtliche Relevanz hätten. Allerdings konnten in der Kürze der Zeit auch erst wenige Teilnehmer befragt werden und auch die Hintergrundermittlungen zum Veranstalter und den Prospektversprechen stecken noch im Anfangsstadium der kriminalpolizeilichen Recherchen.

 Die Kripo Koblenz bittet daher eindringlich um Rückmeldungen der Teilnehmer zu den näheren Umständen des Veranstaltungsab- bzw. -verlaufs. Insbesondere diejenigen, bei denen sich gesundheitliche Probleme oder Beeinträchtigungen ergeben haben, melden sich bitte bei der Polizei – Tel.: 0261/103-1.“

 

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