Damit hätte man die Investitionen am Nürburgring finanzieren können

In der September-Ausgabe 1977 veröffentlichte die Fachzeitschrift DVP – Deutsche Verwaltungspraxis  – einen 9-seitigen Beitrag mit dem Titel „Der Länderfinanzausgleich in Theorie und Praxis“.

Autor war der Dozent für öffentliche Finanzwirtschaft Hans-Peter Stölben aus Daun, der von 1976 bis 1989 an der Fachhochschule für öffentliche Verwaltung Rheinland-Pfalz in Mayen und von 1994 bis 2004 an der Fachhochschule der Sächsischen Verwaltung in Meißen die Fächer „Finanzverfassungsrecht, Finanzausgleichsrecht und Kommunales Haushaltsrecht“ lehrte.

Anm. d. Red.: Der o.g. Beitrag, die ihm zugrunde liegenden Anlagen, Berechnungen und Unterlagen liegen der Redaktion vor.

Die Besonderheit dieses Beitrages war, dass Herr Stölben sich erstmals mit gravierenden Nachteilen des Landes Rheinland-Pfalz in diesem horizontalen Finanzausgleichssystem des Länderfinanzausgleichs auseinander setzte, die bis zu diesem Tage niemandem – also auch der damaligen Landesregierung – nicht aufgefallen waren.

Hier muss man wissen, dass der seinerzeitige Finanzausgleich unter den Ländern wie auch noch heute durch das Bundesfinanzministerium berechnet und vollzogen wurde und dazu insgesamt elf umfangreiche Anlagen gehörten. Auch zu erwähnen ist an dieser Stelle, dass Rheinland-Pfalz von den Anfängen der Bundesrepublik an bis heute ein ausgleichsberechtigtes Land, also eins vom „Stamme nimm“, geblieben ist. Die Geberländer werden als ausgleichspflichtig bezeichnet.

Das Bundesverfassungsgericht hat mit seiner Entscheidung vom 11. November 1999 das Gesetz über den Finanzausgleich zwischen dem Bund und den Ländern (FAG Bund-Länder) nach welchem der Länderfinanzausgleich vollzogen wird,  in wesentlichen Teilen für verfassungswidrig erklärt und den Bundesgesetzgeber aufgefordert, bis Ende 2004 ein neues Gesetz auf den Weg zu bringen. Dies ist über das „Maßstäbegesetz“ vom 9. September 2001 und das „FAG Bund-Länder“ vom 20. Dezember 2001 erfolgt. Dieses Gesetz trat am  1. Januar 2005 im Rahmen des sogenannten „Solidarpaktes II“ in Kraft. Wie die neuen Bundesländer zur Zeit des alten FAG‘s behandelt worden sind, ist hier nicht von Interesse.

Nach diesen wenigen Hintergrundinformationen zurück in das Jahr 1979 und den angesprochenen Benachteiligungen des Landes Rheinland-Pfalz. Was bis dahin in Rheinland-Pfalz völlig ignoriert worden ist bzw. überhaupt nicht bekannt war, war die Bedeutung der anzusetzenden Einwohnerzahlen der Gemeinden zur Ermittlung des Finanzbedarfs dieser Einwohner.

§ 9 Abs. 3 FAG Bund-Länder ging, was die Einwohnerwertung der Gemeinden angeht, davon aus, dass

die ersten 5.000 Einwohner einer Gemeinde mit 100 v.H.
die weiteren 15.000 Einwohner einer Gemeinde mit 110 v.H.
die weiteren 80.000 Einwohner einer Gemeinde mit 115 v.H.
die weiteren 400.000 Einwohner einer Gemeinde mit 120 v.H.
die weiteren 500.000 Einwohner einer Gemeinde mit 125 v.H.
die weiteren Einwohner einer Gemeinde mit 130 v.H.
zu werten waren.

Die Berechtigung zu einer solchen Bewertung wurde mit dem „Popitz-Brecht’schen-Gesetz“ begründet und fand sich niedergelegt in dem Buch „Der zukünftige Finanzausgleich zwischen Reich, Länder und Gemeinden“, das der legendäre preußische Finanzminister Johannes von Popitz 1929 herausgegeben hatte. Arnold Brecht selbst nannte die darin enthaltene These das „Gesetz der progressiven Parallelität von Ausgaben und Bevölkerungsmassierung“. Diese finanzwissenschaftliche These besagt, dass mit steigender Bevölkerungsdichte die öffentlichen Pro-Kopf-Ausgaben automatisch steigen. Diese These steht somit in engem Zusammenhang zum Begriff des „veredelten“ oder „kanalisierten“ Einwohners. Über die vorstehende Einwohnerstaffelung wurden also „künstliche“ Zusatzeinwohner geschaffen. Das Gesetz ging also davon aus, dass z.B. in größeren Städten die Ausgaben für die Infrastruktur pro Einwohner bis hin zu U-Bahnen, Theater pp. pro Kopf höher sind als auf dem flachen Lande.

In der Kommunalwissenschaft waren diese Thesen nicht unumstritten. So wird auch in dem Beitrag von Stölben aus 1979 daran erinnert, dass die These von den höheren Kosten der Verdichtung darauf überprüft werden müssten, ob eine größere Siedlungsdichte nicht auch umgekehrt zu relativ geringeren spezifischen Kosten für die Infrastruktur führen kann. Ferner bleibt zu fragen, ob es nicht infolge der geringeren Siedlungsdichte und der weitläufigen Siedlungsstruktur im ländlichen Raum ebenso höhere Kosten der „Verdünnung“ entgegen stehen (Beispiele: Wasserversorgung, Abwasserbeseitigung, Abfallbeseitigung, Waldbewirtschaftung).

Ohne diese wichtige Thematik weiter zu vertiefen, bleibt festzuhalten, dass genau aus diesen Gründen das Bundesverfassungsgericht 1999 unter anderem auch den besagten § 9 Abs. 3 FAG Bund-Länder für verfassungswidrig erklärt hat. Der Spieß wurde sogar leicht umgedreht. Der neue § 9 Abs. 3 sieht sogar vor, dass wegen der dünnen Besiedlung die Einwohnerzahlen der Länder Mecklenburg-Vorpommern, Brandenburg und Sachsen-Anhalt mit 105 v.H., 103 v.H. und 102 v.H. veredelt werden. Für die Stadtstaaten, die ja in einem Staat und Kommune sind, gelten besondere Regelungen (Stadtstaaten-Klausel).

Die massive Benachteiligung des Landes Rheinland-Pfalz war über das ursprüngliche „Brecht’sche Gesetz“ hinaus vielmehr in der Art und Weise begründet, wie die einzelnen Bundesländer um das Jahr 1970 herum an das Thema „Gemeindegebietsreform“ herangegangen sind. Es wurde nämlich jetzt ein echter „Territorialreform-Brecht“ daraus, was folgende Aussagen belegen:

1950 bestanden in der Bundesrepublik (alte Bundesländer) noch 23.500 Gemeinden, 1977 waren es noch 10.405 Gemeinden und nach Inkrafttreten der Bayrischen Gemeindereform zum 1. Mai 1978 noch ca. 8.500 Gemeinden. Von den insgesamt 12.007 Gemeinden der Bundesrepublik heute liegen 8.478 in den alten Bundesländern und davon nennt Rheinland-Pfalz stolze 2.306 Gemeinden sein eigen. Dies bedeutet, dass unser Bundesland mit ca. 4 Mio. Einwohnern weniger als 5 v.H. der Einwohner des Bundesgebietes zählt, aber ca. 20 v.H. aller Gemeinden rheinland-pfälzische Gemeinden sind. Bezogen auf die Altbundesländer beträgt der Anteil sogar mehr als 27 v.H.!!!

Ohne die Entwicklung im Nachhinein nochmals aufzukochen, muss diese Tatsache, wie nachstehende Übersicht belegt, damit verbunden werden, dass in allen übrigen Bundesländern die Gemeindegebietsreform um 1970 notfalls mit dem Gesetzesknüppel durchgezogen wurde, was z.B. dazu geführt hat, dass heute in Nordrhein-Westfalen (über 18 Mio. Einwohner) nur noch 396 Gemeinden übrig geblieben sind und davon ganze 7 unter 5.000 Einwohner liegen. Das benachbarte Saarland hat keine Gemeinde mehr unter 5.000 Einwohner. Unser damaliger Ministerpräsident Dr. Helmut Kohl hat eindeutig mehr auf die Quantität (viele Leute im Ehrenamt) als auf die Qualitäten (welche Aufgabenerfüllung rechtfertigt erst die Existenz einer selbständigen Gemeinde) kommunaler Selbstverwaltung und vor allem bis auf wenige Ausnahmen im Umfeld kreisfreier Städte auf die totale Freiwilligkeit im Zusammengehen von Gemeinden gesetzt. Eine Wertung dieses damaligen Handelns und der darauf resultierenden Ergebnisse kann zumindest an dieser Stelle nicht erfolgen, wäre aber im Zuge der anstehenden Kommunalreform durchaus diskussionsfähig.

Die Tatsache, dass auch heute noch von den 2.306 Gemeinden im Land 2.179 unter der 5.000-Einwohner-Grenze liegen, hatte für das Land fatale Folgen im Länderfinanzausgleich, die nunmehr dargestellt werden:

Auf der Grundlage der unterschiedlich verlaufenden Gemeindegebietsreform in den einzelnen Ländern erreichte Nordrhein-Westfalen z.B. 1977 pro Einwohner eine Veredlung von 114,9 v.H. und wurde somit nicht mit seiner tatsächlichen Einwohnerzahl von damals = 17.049.000 (= 100 v.H.) sondern mit 19.581.400 (= 114,9 v.H.) gepunktet bzw. veredelt. Auf diesem Weg wurden damit über die tatsächliche Einwohnerzahl hinaus 2.532.400 künstliche Einwohner geschaffen. Während dessen betrug der Veredlungseffekt in Rheinland-Pfalz wegen der mehr als 2.100 Gemeinden unter 5.000 Einwohnern nur 105,4 v.H. Die Veredlung aller Altbundesländer lag bei durchschnittlich 110,8 v.H.

Eine von Herrn Stölben in seinem Beitrag durchgeführt detaillierte Berechnung, was dem Land an Geldern aus dem Länderfinanzausgleich dadurch verloren ging, ergab für das Jahr 1977 den stolzen Betrag von 56.000.000 DM, wenn man den durchschnittlichen Satz der Einwohnerveredlung zugrunde legte.

Der Beitrag in der „Deutschen Verwaltungspraxis“ wurde auch auf dem Dienstweg dem Innenministerium in Mainz zugeleitet. Was folgte war zunächst eine Einladung durch den damaligen Innenminister Böckmann und zwei weitere Gespräche mit Johann-Wilhelm Gaddum, dem wahrscheinlich besten Finanzminister, den das Land je hatte. In beiden Ministerien waren diese negativen Auswirkungen der Gemeindestruktur des Landes auf den Länderfinanzausgleich völlig unbekannt. Herr Stölben wurde sodann durch Minister Gaddum mit Professor Dr. Franz Klein, der die Landesvertretung beim Bund in Bonn leitete, in Verbindung gebracht. Als solcher koordinierte Professor Dr. Klein in der Zeit der sozial-liberalen Koalition die Finanzpolitik der unionsgeführten Bundesländer. Zuvor leitete er das Grundsatzreferat im Bundesfinanzministerium unter Franz-Josef Strauß. Professor Dr. Klein, ein ausgewiesener Verfassungsrechtler (Kommentar zum Grundgesetz: Maunz/Schmidt/Bleibtreu/Klein) und Experte im Steuerrecht (Kommentar zum Einkommensteuergesetz) wurde übrigens später zum Präsidenten des Bundesfinanzhofs in München, des höchsten Finanzgerichts der Bundesrepublik Deutschland berufen. Eine Aufgabe, die er 10 Jahre wahrgenommen hat. Zwischen Professor Dr. Klein und Herrn Stölben ergab sich in der Folge eine weitere Zusammenarbeit über das Thema „Rheinland-Pfalz und der Länderfinanzausgleich“ hinaus. So hat Professor Dr. Klein weitere Veröffentlichungen von Herrn Stölben im Entwurf gegengelesen und mit guten Ratschlägen begleitet. So konnte Professor Dr. Klein von Herrn Stölben, der damals auch Vorsitzender der Dauner CDU-Mittelstandsvereinigung war, zweimal zu Vorträgen nach Daun eingeladen werden.

Das Fazit der nun einsetzenden jahrelangen Bemühungen, die enormen Benachteiligungen des Landes im Länderfinanzausgleich abzumildern, endeten aber erst mit Wirkung zum 1. Januar 1987. In einer Gesetzesänderung mit einem zusätzlichen § 9 Abs. 4 FAG Bund-Länder (alte Fassung), wonach ab 1987 Rheinland-Pfalz nicht mehr mit den Einwohnern seiner Ortsgemeinden, sondern mit denen der Verbandsgemeinden gewertet wurde. So konnte in der Veredlung der Einwohner immerhin eine Quote von 108,5 v.H. gegenüber 105,4 v.H. bisher erreicht werden. Dies entsprach einer Verbesserung der Leistungen aus dem Länderfinanzausgleich von 33.500.000 DM jährlich. Diese Gelder flossen dem Land von 1987 bis 2004 (gleich 18 Jahre) jährlich zu und erreichten somit ein Gesamtvolumen von über 600.000.000 DM bzw. rund 300.000.000 Euro. Zusammen mit anderen Faktoren konnte das Land 1987 z.B. ca. 51.000.000 DM mehr vereinnahmen als 1986. Das jahrelange Bohren dicker Bretter hatte sich also gelohnt. Da diese Einnahmen aus dem Länderfinanzausgleich auch in die Verbundmasse des Kommunalen Finanzausgleichs geflossen sind, kam diese Neuregelung auch den Kommunalen Gebietskörperschaften im Land mit mehr als 125.000.000 DM zugute.

Die Jahre 1970 bis 1986 waren in diesem Zusammenhang für das Land Rheinland-Pfalz verlorene Jahre, weil offensichtlich im Rahmen der Gemeindegebietsreform 1970 niemand an diese negativen Auswirkungen im Länderfinanzausgleich überhaupt gedacht hatte.

Schlussbemerkung:

1995 gab es sodann im Freistaat Sachsen im Zuge der Sächsischen Gemeindegebietsreform einen Schriftwechsel und eine längere Unterredung zwischen Herrn Stölben und dem damaligen Sächsischen Finanzminister und späteren Ministerpräsident Professor Dr. Georg Milbradt. Milbradt selbst Dozent für öffentliche Finanzwirtschaft, wusste allerdings um die Zusammenhänge zwischen Länderfinanzausgleich und Gemeindegrößen. Dies wurde bei der Sächsischen Gemeindegebietsreform sodann auch berücksichtigt. So hat Sachsen seine 779 Gemeinden in 1998 auf 545 Gemeinden in 1999 reduziert. Probeberechnungen, die dem vorangegangen waren, ergaben für Sachsen jährliche Zusatzmittel von über 50.000.000 DM jährlich. Die Anzahl sächsischer Gemeinden beträgt übrigens heute in einem Bundesland, das einwohnermäßig fast gleich groß mit Rheinland-Pfalz ist, 488.

Hätte das Land Rheinland-Pfalz die Gemeindegebietsreform von 1970 mit ähnlichen Ergebnissen wie die übrigen Bundesländer durchgeführt oder von Anfang an durchgesetzt, dass anstelle der Ortsgemeinden die Verbandsgemeinden mit ihren Einwohnerzahlen gewichtet worden wären, hätte man für die Infrastrukturverbesserung im Land weitere Mittel in dreistelliger Mio.-Euro-Höhe vereinnahmen können, was für das Land und seine Kommunen ein Segen gewesen wäre.

Anmerkungen der Redaktion:

Der Verfasser (66 J.) war von 1975 bis 1989 Dozent an der Fachhochschule für öffentliche Verwaltung Rheinland-Pfalz in Mayen und von 1994 bis 2004 an der Fachhochschule der Sächsischen Verwaltung in Meißen mit den Fächern Finanzverfassungsrecht, Finanzausgleichsrecht und Haushaltsrecht. Hierzu kamen nach der Wiedervereinigung zum Teil sehr umfassende Lehraufträge an der Kommunalakademie Brandenburg in Potsdam sowie an den Kommunalen Studieninstituten Dresden, Leipzig, Magdeburg und Wandlitz sowie an den Verwaltungs- und Wirtschaftsakademien Dresden und Leipzig und weiterer Bildungsträger. An den beiden Dresdener Instituten ist er heute noch tätig. In den ersten Jahren nach Wiedervereinigung waren Auftraggeber auch das Bundesinnenministerium, die Konrad-Adenauer-Stiftung sowie Berufsakademie und -bildungswerk des Deutschen Beamtenbundes. Herr Stölben ist Begründer und Mitherausgeber der Lose-Blatt-Vorschriftensammlung „Kommunales Finanzwesen Rheinland-Pfalz“ (1984), einem Standardwerk für Ausbildung und Praxis.

Der 40-seitige Beitrag über den damals neu gestalteten Kommunalen Finanzausgleich in Rheinland-Pfalz im Buch „Staats- und Verwaltungsrecht Rheinland-Pfalz“ (1986) stammt aus seiner Feder. Allein in den Jahren 1998 bis 2004 sind mehr als 50 Beiträge zu Themen der öffentlichen Finanzwirtschaft in Fachzeitschriften erschienen. Den Finanzausgleich im Freistaat Sachsen konnte Herr Stölben dank einer langjährigen Verbindung mit dem damaligen Referatsleiter im Sächsischen Staatsministerium der Finanzen Dr. Aelig begleiten und mit Vorschlägen ein wenig mitgestalten. Allein hierzu liegen eine Reihe von Veröffentlichungen vor. Als letztes von vier Fachbüchern ist Anfang 2008 „Das neue Kommunale Haushalts- und Rechnungswesen (Kommunale Doppik)für den Freistaat Sachsen“ erschienen. Erst kürzlich wurde Herr Stölben in den gemeinsamen Prüfungsausschuss der Kommunalen Studieninstitute Dresden und Chemnitz zur Abnahme der Prüfung des „Kommunalen Bilanzbuchhalters“ berufen.

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