Kein Weg zurück für Wirtschaft: Lieferketten im Dauerstress

Globalisierung
Von Marco Engemann, dpa-AFX, und Theresa Münch, dpa 

Davos (dpa) – Wenn sich hochrangige Politiker berufen fühlen, zum Schutz der freien und offenen Weltmärkte aufzurufen, dann muss es um die Globalisierung schlecht stehen.

Die wirtschaftliche und politische Elite diskutiert angesichts der Probleme mit Lieferungen aus Asien und wegen des Ukraine-Kriegs wieder über die Risiken zu großer Abhängigkeit von bestimmten Lieferanten. Erst waren Elektronikchips kaum zu bekommen. Derzeit schnellen die Energiepreise hoch, und schon bald droht eine Nahrungsmittelkrise.

Spitzenpolitiker wie Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck lassen auf dem Treffen des Weltwirtschaftsforums in Davos zwar keinen Zweifel daran, dass eine Abkehr von der Globalisierung keine Lösung der Probleme ist. Doch die Regeln müssten sich schon ändern, um widerstandsfähiger zu werden, sagt der Grünen-Politiker.

Deutsche Industrie leidet unter Situation

Die Invasion Russlands in der Ukraine hat die schon in den vergangenen Jahren offenkundigen Probleme rasant verschärft. Der deutschen Industrie fehlen Zulieferteile aus Osteuropa und das Eingreifen der Pekinger Führung in Sachen Corona-Bekämpfung wiegt schwer. Kein Wunder, dass sich die Unternehmen fragen, ob es so weitergehen kann.

«Wird die Welt künftig noch die gleiche sein für die Wirtschaft? Im Energiebereich auf keinen Fall», sagt Jean-Marc Ollagnier. Er ist der Europachef des Beratungsriesen Accenture. «Und auch bei Lebensmitteln – mit allem, was in den nächsten Monaten kommt – glaubt keiner daran, dass alles wieder so wird, wie es war.» Durch den Krieg habe die europäische Wirtschaft mindestens ein Jahr verloren.

«Aus China rollt auf uns in den kommenden sechs bis neun Monaten ebenfalls ein massives Problem zu wegen der Lockdowns und fehlender Industrieproduktion», sagt Ollagnier.

«Um ehrlich zu sein ist die Situation in China mit den Lockdowns derzeit die größte Herausforderung, weil sie eine riesige Auswirkung auf den Transport hat», sagt auch Andrea Fuder, Einkaufschefin beim schwedischen Lkw- und Baumaschinenhersteller Volvo. «Und das in einem System, das superfragil ist, weswegen jede Störung zu uns durchkommt.» In der Vergangenheit sei das immer durch Lagerbestände abgepuffert worden. Aber die sind im Moment niedrig. Auch bei Volvo fehlen Chips in der Produktion der Lastwagen.

Historische Lieferkrise

Die Lage ist für die Vorständin eine Art historische Lieferkrise. «Und ich hoffe wirklich, dass das nicht der neue Normalzustand ist», fügt die Managerin hinzu, die seit 30 Jahren in der Branche ist. In Deutschland baut das Unternehmen im niedersächsischen Hameln und nahe Trier Baumaschinen.

Im Moment sei die Lage noch einigermaßen ordentlich, sagt Volkswagen-Chef Herbert Diess im Gespräch mit dem US-Wirtschaftssender CNBC. Von Kundenseite sei die Nachfrage ordentlich, und viele Branchen in Deutschland hätten noch ein gut gefülltes Auftragsbuch. «Was mittelfristig passiert, da müssen wir wohl erstmal verdauen, was derzeit mit dem Krieg und mit den Lieferketten passiert», sagt aber auch der Chef von Europas größtem Autobauer. Die Probleme könnten aber auch den Umbau der Wirtschaft hin zu Digitalisierung und Klimawandel vorantreiben. 

Neue Debatte um Lieferketten

Also wo geht die Reise hin? Doch zu mehr Produktion vor Ort, hin zu weniger globalem Handel? Christina Raab, Accenture-Chefin für Deutschland, Österreich und die Schweiz, sieht in den Vorstandsetagen zumindest Überlegungen in diese Richtung. «In der Wirtschaft haben sich die Diskussionen rund um Lieferketten komplett gewandelt, weil niemand davon ausgeht, dass wir zu einer Art Vor-Corona-Zustand zurückkehren», sagt sie.

«Mittelfristig sehen sich viele Firmen an, ob sie nicht regionale Lieferketten und eine regionale Produktion, die in Krisen womöglich stabiler sein können, nicht wenigstens als Option in der Hinterhand haben sollten», sagt die Expertin. «Um wettbewerbsfähig zu sein, muss dann natürlich viel in Automatisierung investiert werden.» Das sei ohnehin angesichts knapper Arbeitskräfte nötig.

«Chefs von Unternehmen denken auch deshalb verstärkt über lokale Produktion für lokale Märkte nach, weil die Lieferketten der Container-Schifffahrt langsam sind, wie man heute sieht», sagt Raab.

Unternehmen prüften außerdem, wie sich dem Rohstoffmangel begegnen lasse. «Die sogenannte Zirkularität setzt auch genau da an: Wenn Rohstoffe knapp sind, hält man sie besser durch Recycling und neue Nutzung im Kreislauf.»

Volvo-Managerin Fuder sieht vor allem bei den Halbleitern die Konzentration der Branche in Asien als Problem. «Wir müssen lernen, monopolistische Zentralstrukturen für einige Schlüsseltechnologien zu verhindern.»

Das sieht naturgemäß auch Intel-Chef Pat Gelsinger so. Die westlichen Volkswirtschaften müssten ihre Versorgung wieder selbst sichern können. Das gelte auch für die Chipbranche. Der US-Gigant stellt auch selbst in eigenen Fabriken Halbleiter her und lässt nicht wie viele aus der Branche nur in Asien fertigen. In Magdeburg will der Konzern mit staatlicher Förderung viele Milliarden in neue Werke stecken. Statt wie bisher überwiegend aus Asien sollen Chips künftig zur Hälfte aus westlichen Ländern kommen.

Nur um den Kirchturm herum Teile zu beziehen, sei aber nicht die Lösung, sagt Fuder. Das hätte auch unerwünschte Effekte auf Schwellen- und Entwicklungsländer. Europa habe ohnehin kaum Rohstoffe, sei also auf Zulieferungen angewiesen. Besser werden müsse die Wirtschaft unter anderem bei Recycling und der Weiternutzung von Materialien.

 

 

 

Nato-Generalsekretär: Freiheit ist wichtiger als Freihandel

Davos (dpa) – Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg hat beim Weltwirtschaftsforum in Davos dafür geworben, die Handelsbeziehungen zu China und anderen autoritär geführten Ländern auf den Prüfstand zu stellen.

«Der Krieg in der Ukraine zeigt, wie wirtschaftliche Beziehungen zu autoritären Regimen Schwachstellen schaffen können», sagte er am Dienstag. Als Beispiel nannte er die Abhängigkeit von Rohstoffen und Energie sowie die ausländische Kontrolle über kritische Infrastruktur wie den Mobilfunkstandard 5G und den Export von Technologien für künstliche Intelligenz. Weiterlesen

Notenbankchef: EZB peilt keine großen Zinsschritte an

Davos (dpa) – Die Europäische Zentralbank (EZB) steuert nach Darstellung von Frankreichs Notenbankchef auf eher graduelle Zinsanhebungen zu.

Eine Erhöhung um 0,5 Prozentpunkte sei zum jetzigen Zeitpunkt nicht Konsens im EZB-Rat, sagte der französische Notenbanker Francois Villeroy de Gallhau am Dienstag auf dem Weltwirtschaftsforum in Davos dem Nachrichtensender Bloomberg TV. Das spricht für Zinsschritte um 0,25 Punkte. Weiterlesen

Habeck appelliert: “Verbrauch von Lebensmitteln reduzieren”

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«Wir werden, wenn wir keine andere Lösung finden, im nächsten Jahr einen großen Mangel an der weltweiten Kalorienversorgung haben», sagt der Wirtschaftsminister am Rande der Jahrestagung des Weltwirtschaftsforums in Davos in der Schweiz. Diese Nahrungsmittelkrise werde spezifisch Regionen treffen, die nicht zu den reichsten oder stabilsten gehörten. «Und wenn wir darauf so antworten, dass jedes Land sich nur um sich selber kümmert, also seine eigenen Vorräte aufstockt, dann wird diese Krise eskalieren», warnt der Grünen-Politiker. Weiterlesen

Selenskyj fordert noch schärfere Sanktionen gegen Russland

Davos (dpa) – In der Auftaktrede zur Jahrestagung des Weltwirtschaftsforums (WEF) hat der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj «maximal wirksame Sanktionen» gegen Russland gefordert.

Nötig sei etwa ein Embargo für russische Energieträger, sagte Selenskyj in seiner Rede, die als Videoansprache im schweizerischen Davos gezeigt wurde. Drei Monate nach Beginn des russischen Angriffskriegs bedankte sich der 44-Jährige auch für die internationale Unterstützung. «Die Welt glaubt an die Ukraine», sagte er. Nach der Rede erhoben sich viele Zuhörer und applaudierten. Weiterlesen

Weltwirtschaftsforum: Oxfam fordert mehr Steuern für Reiche

Davos (dpa) – Seit Beginn der Corona-Pandemie sind die Reichsten der Welt der Organisation Oxfam zufolge noch reicher geworden. Das Vermögen von Milliardären sei um 42 Prozent gewachsen.

Gleichzeitig sei weltweit mehr als eine Viertelmilliarde Menschen gefährdet, in diesem Jahr in extreme Armut abzurutschen. Zu diesem Ergebnis kommt die Organisation in ihrem Bericht zu den Profiteuren der globalen Krisen, den sie zur Jahrestagung des Weltwirtschaftsforums (WEF) in Davos vorstellt.

In dem Schweizer Alpenort treffen sich von Montag an fast 2500 Teilnehmer aus Politik, Wirtschaft und Gesellschaft, um über Lösungen für internationale Probleme zu diskutieren. Dabei geht es immer auch um die Balance zwischen wirtschaftlichem Profit und sozialer Gerechtigkeit. Die Tagung steht in diesem Jahr unter dem Motto «Geschichte an einem Wendepunkt: Regierungspolitik und Geschäftsstrategien». Weiterlesen

IWF senkt globale Konjunkturprognose

Weltwirtschaft
Von Jürgen Bätz, dpa 

Washington (dpa) – Die globale wirtschaftliche Erholung von der Corona-Krise gerät ins Stocken – und die Preise für Verbraucher steigen weiter. Angesichts eines schwächeren erwarteten Wachstums in China und den USA hat der Internationale Währungsfonds (IWF) seine Prognose zur Entwicklung der Weltwirtschaft etwas nach unten korrigiert.

Die globale Wirtschaft soll 2022 um 4,4 Prozent wachsen – 0,5 Prozentpunkte weniger als noch bei der letzten Prognose im Oktober angenommen, wie der IWF mitteilte.  Weiterlesen

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