Superstreiktag legt Deutschland lahm

Von Matthias Arnold und Basil Wegener, dpa

Berlin (dpa) – Deutschland dürfte an diesem Montag in weiten Teilen ins Verkehrschaos stürzen. Mit einem doppelten Warnstreik wollen die Eisenbahn- und Verkehrsgewerkschaft (EVG) und Verdi den Verkehr weitgehend lahmlegen. Ausfälle und Verspätungen betreffen Millionen Reisende und Pendler – Überblick über eine beispiellose Eskalation:

Welche Bereiche werden betroffen sein?

Der öffentliche Verkehr in großem Umfang – und mit bestimmten Autobahnen auch Teile des Autoverkehrs. Die EVG bestreikt die Bahn, so dass der Betrieb im Fern-, Regional-, und S-Bahn-Verkehr stillsteht. «So gut wie kein Eisenbahnverkehr» werde möglich sein, sagt Bahn-Personalvorstand Martin Seiler. Bestreikt werden in großem Umfang die deutschen Flughäfen – laut Flughafenverband ADV können etwa 380.000 Geschäfts- und Privatreisende nicht abheben. Etwa am größten Airport in Frankfurt kommt der Passagierverkehr zum Erliegen. Stark eingeschränkt werden soll auch die Binnenschifffahrt.

Was ist im Nahverkehr geplant?

Hier soll in sieben Bundesländern so gut wie nichts mehr gehen – in Baden-Württemberg, Hessen, Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz, Sachsen und in Bayern. Bereits Anfang März hatte Verdi in diesen Ländern Busse, Bahnen, Straßenbahnen zum Stillstand gebracht.

Was kommt auf Autofahrerinnen und Autofahrer zu?

Geschlossene Tunnel – aber zunächst war noch nicht klar, wo genau. «Wir werden bestimmte Tunnel in den Blick nehmen», kündigte Verdi-Vize Christine Behle an. Diese würden geschlossen – die Durchfahrt sei faktisch dann unmöglich. Als Beispiel nannte Behle den Elbtunnel in Hamburg.

Wann beginnt der Großstreik genau?

In der Nacht auf Montag um 00.00 Uhr soll es losgehen – 24 Stunden soll der Ausstand andauern. EVG-Chef Martin Burkert empfahl Reisenden ausdrücklich, am Sonntag rechtzeitig am Ziel zu sein. Auf offener Strecke sollen Reisende aber nicht stranden. «Wir werden keinen Fahrgast aus dem Bus werfen», sagte Behle.

Was bedeutet der Streik für die Schifffahrt?

Schleusen auf wichtigen Wasserstraßen und etwa der Hamburger Hafen sollen bestreikt werden. Bestimmte Bereiche seien dann komplett blockiert, der Hamburger Hafen werde für große Schiffe teils nicht mehr erreichbar sein.

Gab es schon derartige Gemeinschaftsstreiks?

Ja, Anfang der 1990er Jahre. Damals wurden während eines sogar mehrwöchigen Streiks der Nah- und Fernverkehr sowie Flughäfen in ganz Deutschland gleichzeitig bestreikt. Dabei handelte es sich aber um einen regulären Arbeitskampf – nicht um Warnstreiks.

Sind koordinierte Warnstreiks aus zwei Tarifrunden ungewöhnlich?

«Das ist eine ungewöhnliche Sache», sagte der Tarifexperte Thorsten Schulten der Deutschen Presse-Agentur. Wenn zwei Gewerkschaften feststellten, dass sie parallel in ähnlichen Bereichen verhandeln, sei ein gemeinsames Vorgehen aber naheliegend. Ein großer Warnstreik zum Start einer Verhandlungsrunde signalisiere den Arbeitgebern: «Wir meinen es ernst, und die Beschäftigten stehen hinter uns.»

Bleibt ein Streiktag dieses Ausmaßes einmalig?

Das ist offen. Die Gewerkschaften zeigen sich äußerst entschlossen. «Wir können streiken», betonte Verdi-Chef Frank Werneke. Tarifexperte Schulten erwartet aber derzeit eher, dass der gemeinsame Streiktag «erst einmal eine punktuelle Aktion» bleibt, wie der Forscher des Instituts WSI der gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung sagt. Schließlich gebe es keine gemeinsame Planungsinstanz bei verschiedenen Gewerkschaften.

Warum gibt es den Superstreiktag?

Aus Sicht der Gewerkschaften zeigen die Arbeitgeber in mehreren Tarifrunden zu wenig Bewegung. Mit der Großaktion am Montag lassen sie pünktlich zur dritten Verhandlungsrunde für den öffentlichen Dienst die Muskeln spielen. Für die 2,5 Millionen Beschäftigte von Bund und Kommunen verlangen Verdi und der Beamtenbund dbb 10,5 Prozent mehr Einkommen, mindestens aber 500 Euro mehr im Monat. Die EVG kämpft derweil mit mehreren Unternehmen um mehr Geld – besonders im Blick: die Deutsche Bahn.

Wie reagieren die Arbeitgeber auf die Ankündigungen?

Mit heftiger Kritik. «Nicht ok» ist die massive Ankündigung für die Präsidentin der Vereinigung der kommunalen Arbeitgeberverbände (VKA), Karin Welge. Welge argumentiert, dass ein Ergebnis schließlich in der dritten Runde in Potsdam gefunden werden könne. Auch Bahn-Personalvorstand Seiler forderte «eine zügige Lösung» statt eines großen Warnstreiks.

Welche Szenarien gibt es?

Für den öffentlichen Dienst erinnert Tarifexperte Schulten an den Ablauf bei der Post: Hier hatten sich die Verdi-Mitglieder bereits per Urabstimmung für einen unbefristeten Streik ausgesprochen. Doch dann folgte kurzerhand eine weitere Verhandlungsrunde – und eine Einigung. So etwas sei auch beim öffentlichen Dienst denkbar. Falls es in Potsdam kommende Woche keine Einigung gibt, würde aber wohl zuerst der Versuch einer Schlichtung unternommen, meint Schulten.

Verkehrsstreik mit Auswirkungen auf Busse und Schifffahrt

Mainz (dpa/lrs) – Der für Montag geplante bundesweite Warnstreik der Eisenbahn- und Verkehrsgewerkschaft (EVG) sowie Verdi wird auch Auswirkungen auf den Verkehr in Rheinland-Pfalz haben. Im Verdi-Landesbezirk Rheinland-Pfalz-Saarland werden sich nach Gewerkschaftsangaben vom Donnerstag die Mitarbeiter der Betriebe SWK Kaiserslautern, Verkehrsbetriebe Pirmasens, Mainzer Verkehrsgesellschaft, KRN Kommunalverkehr Rhein-Nahe GmbH und RNV Ludwigshafen an dem Streik beteiligen.

Darüber hinaus wurden die Beschäftigten der DB Regio Bus Mitte an den Niederlassungen Ingelheim und Mainz, die Strecken für die Mainzer Verkehrsgesellschaft fahren, zum Solidaritätsstreik aufgerufen. Auch die Mitarbeitenden der Wasser-und Schifffahrtsverwaltungen Mosel-Saar-Lahn an den Standorten Trier und Koblenz sowie die Wasser- und Schifffahrtsverwaltung Oberrhein sollen den Angaben zufolge die Arbeit niederlegen. Das Saarland war von dem Verdi-Streikaufruf im ÖPNV nicht betroffen. Weiterlesen

Frankfurter Flughafen: Kein regulärer Verkehr am Montag

Frankfurt/Main (dpa) – Nach der Warnstreikankündigung von Gewerkschaften gibt es am kommenden Montag keinen regulären Passagierverkehr am Frankfurter Flughafen. «Alle Aufgaben, die einen vollumfänglichen Flugbetrieb ermöglichen», seien aufgrund des Warnstreiks ausgesetzt, teilte die Betreibergesellschaft Fraport mit. «Fraport bittet Passagiere daher dringend, von einer Anreise zum Flughafen abzusehen.» Auch Umsteigeverkehre könnten am größten deutschen Flughafen nicht stattfinden. Fraport zufolge waren an diesem Tag ursprünglich etwa 1170 Starts und Landungen mit insgesamt rund 160.000 Passagieren geplant. Weiterlesen

«Eine ungewöhnliche Sache» – Kommt jetzt der Superstreiktag?

Von Basil Wegener und Matthias Arnold, dpa

Berlin (dpa) – Pünktlich zum Start der nächsten Verhandlungsrunde im öffentlichen Dienst könnten die Warnstreiks im Verkehr in Deutschland einen neuen Höhepunkt erreichen. Seit Tagen gibt es Mutmaßungen über einen großangelegten Warnstreik, der den öffentlichen Verkehr am kommenden Montag (27. März) weitgehend lahmlegen könnte. Wie ist der Stand – was könnte auf die Fahrgäste zukommen?

EVG: «Streikgefahr ist real»

Die Eisenbahn- und Verkehrsgewerkschaft EVG sieht die Verantwortung für mögliche Warnstreiks im Bahnsektor bei der Deutschen Bahn. «Die Streikgefahr im Schienenverkehr ist real, und dafür trägt die Deutsche Bahn maßgeblich Verantwortung», teilte EVG-Verhandlungsführer Kristian Loroch am Donnerstag mit.

«Jedem war klar, dass wir aufgrund der Termindichte sehr diszipliniert verhandeln müssen», ergänzte EVG-Tarifvorständin Cosima Ingenschay. Diese Disziplin lasse die Bahn vermissen. Der Arbeitgeber nehme «billigend in Kauf, dass die Eisenbahnen bestreikt werden und glaubt, uns dafür die Schuld in die Schuhe schieben zu können, indem er meint, uns nun an den Verhandlungstisch zurückrufen zu können».

Welche Bereiche könnten betroffen sein?

Der öffentliche Verkehr in großem Umfang. So ist im Bereich der EVG der Fernverkehr auf der Schiene betroffen. Und Verdi kann den öffentlichen Personennahverkehr in mehreren Ländern bestreiken – aber nicht nur. Bereits Anfang März hatte die Gewerkschaft den öffentlichen Nahverkehr in sechs Bundesländern und einigen Städten weitgehend lahmgelegt – damals im Schulterschluss mit den Klimaaktivisten von Fridays for Future. Doch weil auch Kommunalbeschäftigte an Flughäfen im Ausstand waren, waren an mehreren Tagen auch jeweils Zehntausende Flugpassagiere betroffen. Und am Mittwoch war zudem der Hamburger Hafen streikbedingt für große Schiffe gesperrt worden.

Sind Warnstreiks aus zwei Tarifrunden ungewöhnlich?

«Das ist eine ungewöhnliche Sache», sagte der Tarifexperte Thorsten Schulten der Deutschen Presse-Agentur. Wenn zwei Gewerkschaften feststellten, dass sie parallel in ähnlichen Bereichen verhandeln, sei ein gemeinsames Vorgehen aber naheliegend. Ein großer Warnstreik zum Start einer Verhandlungsrunde signalisiere den Arbeitgebern: «Wir meinen es ernst, und die Beschäftigten stehen hinter uns.» Allerdings könnte ein möglicher gemeinsamer Streiktag «erst einmal eine punktuelle Aktion» sein, wie der Forscher des Instituts WSI der gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung sagt. Schließlich gebe es keine gemeinsame Planungsinstanz bei verschiedenen Gewerkschaften.

Wo stehen die Verhandlungen bei der Bahn?

Die EVG hatte Ende Februar die Verhandlungen mit der Deutschen Bahn und rund 50 weiteren Eisenbahn-Unternehmen begonnen. Ein erstes Angebot des bundeseigenen Konzerns hatte die Gewerkschaft vergangene Woche abgelehnt. Sie fordert mindestens 650 Euro mehr Lohn. Bei den höheren Entgelten strebt sie eine Steigerung um zwölf Prozent an bei einer Laufzeit des Tarifvertrags von zwölf Monaten. Die Bahn hatte unter anderem angeboten, die Löhne der rund 180.000 betroffenen Beschäftigten in zwei Schritten um insgesamt 5 Prozent anzuheben sowie Einmalzahlungen von zusammen 2500 Euro in Aussicht gestellt.

Wie ist der Verhandlungsstand im öffentlichen Dienst?

Die Blicke richten sich nach Potsdam. In angespannter Lage beginnt hier am Montag die auf drei Tage angesetzte dritte Verhandlungsrunde für die 2,5 Millionen Beschäftigte von Bund und Kommunen. Verdi und der Beamtenbund dbb fordern 10,5 Prozent mehr Einkommen, mindestens aber 500 Euro mehr im Monat. Die Arbeitgeber bieten bisher aber nur 5 Prozent in zwei Schritten und Einmalzahlungen in Höhe von insgesamt 2500 Euro – für die Gewerkschaften «eine Zumutung», wie sie sagen.

Wie eskalationsbereit zeigen sich die Gewerkschaften?

Verdi-Chef Frank Werneke scheint seine Gewerkschaft durch die vielen Aktionen der vergangenen Wochen geradezu beflügelt zu sehen – auch Kitas, Kliniken und viele andere Bereiche waren betroffen. «Der Frühling naht, und es kann sein, dass wir uns dann hier noch einmal wiedersehen müssen», sagte er etwa in Köln auf einer von vielen Kundgebungen. Bereits zuvor hatte er Spekulationen über ein mögliches Scheitern angestellt. dbb-Chef Ulrich Silberbach sagte am Mittwoch bei einer Kundgebung in Berlin: «Vor allem die Komplettverweigerung der Kommunen, einen Mindestbetrag auch nur in Erwägung zu ziehen, steht dabei jeder Annäherung im Weg.» Wie der Tarifexperte Schulten erläutert, hat die Friedenspflicht bereits mit dem Auslaufen des bisherigen Tarifvertrags geendet. Rechtlich stehe Warnstreiks auch während der Verhandlungen nichts im Weg. Auch die EVG betonte zuletzt immer wieder ihre Bereitschaft zum Warnstreik als «letztes Mittel».

Welche Szenarien gibt es?

Im öffentlichen Dienst kommen die hohe Inflation, die schwierige Personalgewinnung, aber auch die angespannte Haushaltslage vieler Kommunen zusammen – Tarifexperte Schulten sagt: «Es ist ein sehr zugespitzter Verteilungskonflikt». Er erinnert an den Ablauf bei der Post: Hier hatten sich die Verdi-Mitglieder bereits per Urabstimmung für einen unbefristeten Streik ausgesprochen. Doch dann folgte kurzerhand eine weitere Verhandlungsrunde – und eine Einigung. So etwas sei auch beim öffentlichen Dienst denkbar. Falls es in Potsdam kommende Woche keine Einigung gibt, würde aber wohl zuerst der Versuch einer Schlichtung unternommen, meint Schulten.

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Verbraucherschützer pochen auf Zuschüsse für Reparaturen

Brüssel (dpa) – Verbraucherschützer fordern mehr Unterstützung vom Staat für Reparaturen von Geräten wie Kaffeemaschinen und Handys. Die Einführung eines bundesweiten Reparaturbonus für alle Elektronikgeräte würde nicht nur helfen, Berge von Elektroschrott zu reduzieren, teilte der Verbraucherzentrale Bundesverband (vzbv) der Deutschen Presse-Agentur mit. Ressourcen und Klima würden geschützt und Bürgerinnen und Bürger in Zeiten steigender Preise entlastet.

Im März 2022 hatte Bundesumweltministerin Steffi Lemke (Grüne) angekündigt: «Wir werden wichtige Schritte raus aus der Wegwerfgesellschaft gehen zum Beispiel durch ein Recht auf Reparatur.» Gestützt werden solle dies etwa durch ein Förderprogramm Reparieren statt Wegwerfen.

«Ein Jahr ist es nun her, dass das Aktionsprogramm “Reparieren statt Wegwerfen” von der Bundesregierung angekündigt wurde», kritisierte Ramona Pop, vzbv-Vorständin. Konkrete Vorhaben lägen bislang nicht vor, heißt es zudem vom Bundesverband. Pop sieht aber eine Chance darin, dass die EU-Kommission nun selbst einen Vorschlag für ein Recht auf Reparatur vorstellen will. Dieser soll an diesem Mittwoch präsentiert werden. Weiterlesen

EU-Kommission plant Regeln für grüne Werbeversprechen

Brüssel (dpa) – Geplante Regeln zu grünen Werbeversprechen sollten Verbraucherschützern zufolge für sämtliche Produkte gelten. Die EU-Kommission will an diesem Mittwoch ein Gesetz gegen sogenanntes Greenwashing vorstellen. Dadurch sollen etwa Verbraucher besser erkennen können, ob ein klimafreundlich vermarktetes Produkt tatsächlich dem Klima und der Umwelt weniger oder nicht schadet.

«Wichtig ist, dass die Regeln für alle Produktgruppen gelten – vom Babybrei bis zur Waschlotion. Verbraucher- und Umweltschutz muss von allen Herstellern ernstgenommen werden», sagte die Chefin des Verbraucherzentrale Bundesverbands (vzbv), Ramona Pop, der Deutschen Presse-Agentur. Weiterlesen

Diesel-Abgastechnik: EuGH verkündet wichtiges Urteil

Luxemburg/Karlsruhe (dpa) – Siebeneinhalb Jahre nach Auffliegen des VW-Abgasskandals scheint es still geworden zu sein um den Diesel. Aber die Ruhe könnte trügerisch sein: An den deutschen Gerichten liegen seit Monaten viele Tausende Verfahren auf Eis – weil alle gespannt auf ein Urteil des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) warten. Heute wird es in Luxemburg verkündet.

Was bisher geschah

Eigentlich sind viele Fragen zu den Ansprüchen betroffener Autofahrer längst höchstrichterlich geklärt. Dem Grundsatz-Urteil des Bundesgerichtshofs (BGH) aus dem Mai 2020 folgten zahlreiche Entscheidungen aus Karlsruhe zu allen möglichen Einzelaspekten.

Dreh- und Angelpunkt ist immer die Annahme, dass Diesel-Kläger dann Anspruch auf Schadenersatz haben, wenn sie vom Hersteller der Autos bewusst und gewollt auf sittenwidrige Weise getäuscht wurden. Weiterlesen

Alkoholfreier Wein zunehmend gefragt

Von Ira Schaible und Volker Danisch, dpa

Düsseldorf/Mainz (dpa) – Bouquet- und Aromarebsorten eignen sich nach Einschätzung des Kellermeisters von Kolonne Null besonders für Weine ohne Alkohol. «Nur aus gutem Wein kann alkoholfreier werden», ist Felix Fischer von dem Berliner Unternehmen überzeugt. Seit mehr als vier Jahren entalkoholisiert es ausgewählte Weine aus Europa und forscht in einem eigenen Labor am Geschmack. Immer mehr Weingüter, Winzergenossenschaften und Handelskellereien bieten entalkoholisierte Weine an, wie Ernst Büscher vom Deutschen Weininstitut berichtet.

So oft wie prickelnde alkoholfreie Schaumweine werden sie aber noch nicht ausgeschenkt. Der Anteil von Riesling, Rosé oder Cuvées ohne Prozente lag 2022 nach Büschers Schätzungen noch bei unter einem Prozent am gesamtdeutschen Weinkonsum. «Allerdings mit wachsender Tendenz, wie nahezu alle Anbieter berichten.» Im Lebensmitteleinzelhandel habe der Absatzzuwachs 2022 bei etwa 18 Prozent gelegen. Absolute Zahlen dazu gibt es aber nicht.

«No and Low Alcohol» im Trend

Eine Prognose vom Marktforschungsinstitut IWSR lasse aber immerhin ein jährliches Wachstum von sieben Prozent erwarten, sagt Michael Degen von der Düsseldorfer Messe GmbH, Veranstalter der international führenden Weinfachmesse ProWein. «No and Low Alcohol» sei ein wichtiger Trend. «Man kommt da überhaupt nicht mehr dran vorbei.» Ein gestiegenes Gesundheitsbewusstsein und ein verändertes Konsumverhalten der jungen Generation haben die Messe-Veranstalter als Treiber des Trends ausgemacht.

«Neben den Jüngeren fragen auch viele Frauen nach alkoholfreiem Wein», berichtet Verkaufsleiter Wilhelm Keicher von der Genossenschaftskellerei Heilbronn. Frauen greifen auch nach einer repräsentativen Umfrage des Marktforschungsinstituts Nielsen aus dem Jahr 2020 lieber zu alkoholfreiem Wein als Männer (60 bis 66 Prozent).

Dazu kommen «Leute, die gerne was Weiniges trinken, aber wo der Arzt gesagt hat, es wäre gut, wenn sie keinen Wein mehr trinken würden», sagt Keicher. Zwischen 80.000 bis 100.000 Flaschen mit alkoholfreiem Wein verkaufe die Einzelgenossenschaft im Jahr, sechs bis acht Prozent der gesamten Produktion.

«Riesling ist einer der Bestseller», sagt Firmenmitbegründer und CEO Philipp Rößle von Kolonne Null. Ungefähr 700.000 Flaschen verkaufen die Berliner nach eigenen Angaben inzwischen – doppelt so viel wie zu Beginn. «Der Mangel an einem vernünftigen alkoholfreien Essensbegleiter», hat Rößle, der eigentlich aus der Kunst kommt, auf die Geschäftsidee gebracht.

«Alkoholfreie Weine werden zum Teil sehr rational gekauft», berichtet Marian Kopp, Geschäftsführer der Genossenschaft Lauffener Weingärtner. «Man will mittrinken bei einer Tischgesellschaft, aber keinen Alkohol.» Oft sei alkoholfreier Wein aber noch eine große Enttäuschung. «Wir lernen gerade wie die Bier-Branche gelernt hat, die uns 40 Jahre voraus ist», sagt Kopp. «Wir sind jetzt da, wo die Enttäuschung rapide abnimmt.»

Unterschied zu Traubensaft

«Viele Menschen, die beim Weingenuss auf den Alkohol verzichten möchten, glauben, dass man stattdessen Traubensaft trinken könnte», sagt Büscher. «Doch der beinhaltet nur die fruchtigen Aromen aus den Trauben.» Ihm fehle der «weinige» Geschmack, der erst durch die Gärung entstehe.

Entalkoholisierter Wein schmecke dank neuer Technologien und Prozessoptimierungen viel besser als noch vor einigen Jahren, sagt Büscher. «So geschieht die Entalkoholisierung der Weine mittlerweile sehr aromaschonend bei relativ niedrigen Temperaturen von unter 30 Grad Celsius durch Vakuumdestillation oder auch in einer Schleuderkegelkolonne.»

Die deutschen Hersteller seien bei der Herstellung international führend. Etwa 15 Prozent des Volumens des Weins gingen bei der Entalkoholisierung verloren sagt Büscher auch mit Blick auf die Preise.

Für den Geschmack sei es wichtig, auf aromastarke Rebsorten und gute Qualitäten zu achten, damit möglichst viel Aromastoffe in das Fass und die Flasche übergehen könnten, sagt Büscher. So lasse sich der fehlende Alkoholanteil im Wein ein Stück ausgleichen. «Denn Alkohol ist ein Geschmacksträger, wie das Fett im Essen.»

Es wird viel probiert

«Die Branche möchte mit dem Endprodukt so nah wie möglich an den Wein ran», sagt Büscher. Um das Aroma das Ausgangsprodukts noch besser zu treffen, wird viel probiert. Dazu gehört auch der Zusatz von fruchtigen Aromen, Vanille oder Verjus – ein saurer Saft aus ausgepressten unreifen Trauben. «Mit Fruchtwein hat das nichts zu tun», betont Büscher. «Es ist ja 99,9 Prozent Wein.»

Limone lässt sich beim alkoholfreien Riesling mit Rivaner der Lauffener Weingärtner schmecken. Die Manufaktur Jörg Geiger aus dem baden-württembergischen Schlat setzt auch auf Blüten und Kräuter. Probiert werden auch aufwendige Verfahren, bei denen das Aroma des destillierten Alkohols zurückgewonnen und dem entalkoholisierten Wein zugesetzt wird, wie Büscher berichtet.

Rechtlich muss der Wein «entalkoholisiert» heißen, denn er darf noch maximal 0,5 Volumenprozent haben. In diesem Jahr wurde er ins Weingesetz aufgenommen. Die Weine, denen nach dem Entzug des Alkohols Aromen zugesetzt werden, fallen nicht darunter. Sie heißen etwa alkoholfreies Mischgetränk auf der Basis entalkoholisierten Weins oder entalkoholisiertes aromatisiertes weinhaltiges Getränk.

Gefragt seien Weine ohne oder mit wenig Alkohol vor allem zu besonderen Anlässen, außer Haus, zu einem guten Essen und bei Tagungen, heißt es in der Branche. «Meine Prognose ist, dass in fünf bis zehn Jahren jedes Weingut, so wie es heute einen Secco oder Sekt hat, dann einen alkoholfreien Wein im Sortiment hat», sagt Büscher.

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EU-Energieverbrauch muss bis 2030 um 11,7 Prozent sinken

Brüssel (dpa) – Die EU muss bis 2030 mindestens 11,7 Prozent weniger Energie verbrauchen. Darauf einigten sich Unterhändler des Europaparlaments und der EU-Staaten in Brüssel, wie der Rat der Mitgliedstaaten mitteilte. Referenzwert ist demnach eine Vorhersage von 2020.

Den Angaben zufolge muss jedes EU-Land zu den Einsparzielen beitragen. Anhand einer bestimmten Formel sollen die nationalen Beiträge berechnet werden. Die einzelnen Länder können davon jedoch bis zu 2,5 Prozent abweichen. Sollten die nationalen Beiträge zusammengenommen nicht ausreichen, kann die EU-Kommission einzelne Länder dazu auffordern, mehr zu tun. Weiterlesen

Inflationsrate verharrt im Februar bei 8,7 Prozent

Wiesbaden (dpa) – Die Teuerungsrate in Deutschland hält sich knapp unter der Neun-Prozent-Marke. Im Februar 2023 lagen die Verbraucherpreise wie schon im Januar um 8,7 Prozent über dem Niveau des Vorjahresmonats. Das Statistische Bundesamt bestätigte vorläufige Berechnungen. Von Januar auf Februar des laufenden Jahres stiegen die Verbraucherpreise nach Angaben der Wiesbadener Statistiker um 0,8 Prozent. Angeschoben wird die Inflation seit Monaten von gestiegenen Energie- und Lebensmittelpreisen. Höhere Teuerungsraten schmälern die Kaufkraft von Verbraucherinnen und Verbrauchern, sie können sich für einen Euro dann weniger leisten.

Umfrage: Verbraucher schränken sich weltweit ein

Düsseldorf (dpa) – Die hohe Inflation sorgt nach einer aktuellen Umfrage weltweit dafür, dass Menschen den Gürtel enger schnallen. Bei einer Umfrage in 25 Ländern hätten mehr als zwei Drittel (69 Prozent) der Befragten angegeben, dass sie ihre nicht-essenziellen Ausgaben eingeschränkt hätten, berichtete am Freitag die Unternehmensberatung PwC. 15 Prozent gaben an, überhaupt kein Geld mehr für nicht wirklich benötigte Produkte auszugeben.

In Deutschland änderte sich das Kaufverhalten der Umfrage zufolge ebenfalls stark, allerdings nicht ganz so gravierend wie im Durchschnitt der 25 Länder. Hier gab gut jede zweite befragte Person (54 Prozent) an, den Gürtel enger zu schnallen. Jeder Fünfte (19 Prozent) hat nach eigener Aussage den Kauf nicht-essenzieller Produkte sogar ganz eingestellt. Weiterlesen

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