Leichter Anstieg der Arbeitslosigkeit im Saarland

Saarbrücken (dpa/lrs) – Im Saarland ist die Arbeitslosigkeit im Februar leicht gestiegen. Insgesamt waren 35.600 Menschen ohne Job, wie die Regionaldirektion der Agentur für Arbeit am Mittwoch mitteilte. Das waren 300 oder 0,8 Prozent mehr als im Vormonat Januar sowie 2600 sowie 7,7 Prozent mehr als im Vorjahresmonat. Nichtsdestotrotz sieht die Agentur eine starke Nachfrage nach Arbeitskräften, auch hätten Unternehmen zuletzt deutlich mehr Stellen gemeldet als noch im Januar. Die Arbeitslosenquote stieg von 6,7 Prozent im Januar auf nunmehr 6,8 Prozent. Im Februar des Vorjahres hatte sie noch bei 6,2 Prozent gelegen.

Etwas mehr Arbeitslose in Rheinland-Pfalz: Quote unverändert

Mainz (dpa/lrs) – Die Arbeitslosigkeit in Rheinland-Pfalz ist im Februar erneut gestiegen. Allerdings hält sich der Anstieg sehr in Grenzen und die Regionaldirektion der Agentur für Arbeit sieht eine wieder anziehende Nachfrage nach Arbeitskräften, wie sie am Mittwoch mitteilte. Insgesamt waren im Februar 110.600 Menschen in Rheinland-Pfalz arbeitslos, 600 oder 0,6 Prozent mehr als im Januar. Im Vergleich zum Vorjahresmonat lag das Plus bei 7500 Arbeitslosen oder 7,2 Prozent. Die Arbeitslosenquote lag damit im Februar 2023 bei 4,9 Prozent wie schon im Vormonat Januar. Vor einem Jahr waren es 4,6 Prozent gewesen.

Ukrainische Flugabwehr in der Schnellausbildung

Von Carsten Hoffmann, dpa

Berlin (dpa) – Die Ausbildung ukrainischer Soldaten am Flugabwehrsystem Patriot in Deutschland kommt nach Einschätzung der Luftwaffe zügig voran. Die Ukrainer seien hochmotiviert und oft schon im Einsatz erfahren, so dass es «schneller geht als erwartet», sagte der Kommandeur des deutschen Ausbildungsverbandes am Mittwoch. Der Lehrgang für etwa 70 Männer, die aus den Kämpfen nach Deutschland gebracht wurden, läuft etwa zwei Wochen an einem Bundeswehrstandort, der aus Sicherheitsgründen nicht genannt werden soll.

Patriot («Phased Array Tracking Radar to Intercept on Target») zählt zu den modernsten Flugabwehrsystemen der Welt. Damit können feindliche Flugzeuge, ballistische Raketen und Marschflugkörper bekämpft werden. Auf eine Entfernung von etwa 100 Kilometern und bis in Höhen von 30 Kilometern können die Abwehrraketen in einer gedachten Glocke um die Stellung Ziele treffen – abhängig vom eingesetzten Lenkflugkörper. Deutschland hatte sich zusammen mit den USA bereiterklärt, der Ukraine jeweils ein System der modernen Flugabwehr zur Verteidigung gegen russische Angriffe zu überlassen, die verstärkt auf die zivile Infrastruktur des Landes zielen.

Die Ukrainer werden in Deutschland in drei Aufgaben trainiert. Sie erlernen die Arbeit im Feuerleitstand, beim praktischen Betrieb der Startgeräte – wie die mobilen Abschussanlagen genannt werden – sowie in der Wartung und Instandsetzung des Waffensystems.

Ukrainer bringen Erfahrung mit

«Unsere Brigade ist eine Kampfbrigade und wir haben Erfahrung im Gefecht», sagte ein ukrainischer Offizier am Mittwoch auf dem Bundeswehrgelände. «Unser Verband hat bereits mehr als 200 Ziele abgeschossen», sagte er. Hauptwaffe ist demnach bisher das in Sowjetzeiten entwickelte Flugabwehrsystem S-300, dessen Fähigkeiten und Grenzen dem russischen Gegner genau bekannt sind. Patriot kann auch zur Abwehr von taktischen, ballistischen Raketen eingesetzt werden, was mit S-300 so nicht möglich ist.

Der ukrainische Soldat war zuletzt in der Region seiner Heimatstadt Dnipro eingesetzt, wo Mitte Januar nur 800 Meter von seinem Haus eine russische Rakete verheerend in einem bewohnten Hochhaus eingeschlagen war, wie er schildert. Für die ukrainische Luftabwehr sind dies schwarze Stunden, «ein komplexes, dunkles Gefühl» wenn der Angreifer die Abwehr überwinde, sagt der 40-Jährige. Es sei dann klar, dass Menschen sterben oder Infrastruktur zerstört werde. Es müsse aber kein menschliches Versagen im Spiel sein. Vielfach komme die Luftabwehr technisch an Grenzen.

Die Ukrainer lernen in Deutschland sechs Tage in der Woche. Auf dem Gelände laufen die Waffensysteme im Übungsbetrieb. Lastwagen mit angebautem Kran heben zur Übung schwankende Wassereimer, Generatoren laufen, Hydraulikpumpen surren. In einige Wochen lernen die Männer, Frauen sind nicht darunter, was für Bundeswehrsoldaten sonst auf Monate angelegt ist. «Die Motivation ist hoch, weil jeder weiß, worum es geht», sagt ein deutscher Offizier.

«Gamechanger» in der Abwehr

«Patriot ist das stärkste System zur Abwehr taktischer, ballistischer Raketen. Dafür ist das System optimiert», sagt der Ausbildungsleiter. Ein anderer Offizier spricht von einem «gamechanger» – einer Waffe, die die Regeln auf dem Gefechtsfeld zu Gunsten der Ukrainer verändert – weil sie weiter und schneller schießt als bisher vorhandene Systeme. Die Bundeswehr selbst hat 12 Patriot-Systeme, davon sind 3 in Polen im Einsatz und 2 in der Slowakei. Mehrere werden derzeit von der Industrie modernisiert. Es handelt sich um ein knappes Gut. Im Kalten Krieg hatte die Bundeswehr selbst noch 36 der Systeme.

Die Startstationen sind auf große, vierachsige MAN-Lastwagen montiert. Sie bestehen aus bis zu vier Kanistern. Das sind lange Kisten, in denen die Raketen stecken. Zum System gehören auch der Feuerleitstand, das Radar und ein großer Generator – von den Soldaten als «Dreigestirn» bezeichnet. Das System stuft Flugobjekte am Himmel in die Kategorien Freund und Feind ein. Im Bedrohungsfall feuern Soldaten im Leitstand die Lenkflugkörper ab, um die Objekte der Angreifer unschädlich zu machen. Überwacht werden können nach früheren Angaben gleichzeitig bis zu 50 mögliche Ziele, aktiv bekämpft bis zu fünf.

Die Patriot-Raketen wirken im Verbund mit anderen Systemen. Vereinfacht kann man sagen, dass ein wie von Deutschland bereitgestelltes System für den Schutz einer mittelgroßen Stadt ausreicht. Sobald die mobile Anlage an ihrem Zielort ist, kann binnen Minuten Einsatzbereitschaft hergestellt werden. Auf dem «Marsch» zum Einsatzort ist sie allerdings auch besonders verwundbar.

Weiterlesen

Mehr Geld für Azubis: Erstmals im Schnitt über 1000 Euro

Berlin (dpa) – Die Einkommen von Azubis sind nach einer Auswertung des Bundesinstituts für Berufsbildung (BIBB) im vergangenen Jahr deutlich gestiegen. Im Schnitt lagen die Ausbildungsvergütungen über alle Ausbildungsjahre in tarifgebundenen Betrieben demnach erstmals über 1000 Euro. Azubis im Westen kamen zum Stichtag 1. Oktober auf durchschnittlich 1029 Euro, im Osten auf 1012 Euro.

Insgesamt stiegen die Vergütungen um 4,2 Prozent, nach 2,5 Prozent im Vorjahr. Wegen der hohen Inflation hätten die Auszubildenden aber trotz des höheren Anstiegs Reallohnverluste hinnehmen müssen, hieß es weiter. Die jährlich vom BIBB erhobenen Zahlen werden an diesem Mittwoch veröffentlicht. Sie lagen der Deutschen Presse-Agentur vorab vor. Weiterlesen

70 Ukrainer für Flugabwehr-Ausbildung in Deutschland

Berlin (dpa) – Ukrainische Soldaten sind für eine Ausbildung am Flugabwehrraketensystem Patriot in Deutschland eingetroffen. Die Gruppe sei bereits am Dienstag gelandet und sollte an diesem Donnerstag mit dem Training beginnen, wurde der Deutschen Presse-Agentur aus Sicherheitskreisen in Berlin erklärt. Insgesamt handele sich um eine Gruppe aus etwa 70 Ukrainern.

Die Bundesregierung will der Ukraine in Absprache mit den USA ein ganzes Patriot-System zur Abwehr russischer Angriffen mit Drohnen, Raketen oder Flugzeugen überlassen. Dazu gehören üblicherweise ein Feuerleitstand, ein Radargerät, ein Stromerzeuger sowie sechs oder mehr der auf Lastwagen aufgebauten Startgeräte. Weiterlesen

Lehre bei Abiturienten immer beliebter

Gütersloh (dpa) – Junge Menschen mit Hauptschulabschluss tun sich einer Studie zufolge immer schwerer, einen Ausbildungsplatz zu bekommen. Gleichzeitig stieg in den vergangenen Jahren der Anteil der Abiturienten, die eine Ausbildung anfingen, deutlich, wie aus einer veröffentlichten Studie des Forschungsinstituts für Bildungs- und Sozialökonomie für die Bertelsmann-Stiftung hervorgeht.

Von einer mangelnden Attraktivität der Berufsausbildung für Abiturienten und Abiturientinnen könne keine Rede sein, sagte Studienautor Dieter Dohmen laut Mitteilung.

Zwischen 2011 und 2021 verringerte sich der Anteil der Jugendlichen, die mit Hauptschulabschluss eine Lehre anfingen, demnach um ein Fünftel. Für junge Menschen ohne Schulabschluss spitzte sich die ohnehin schwierige Situation zuletzt zu: Die Übergangsquote lag der Studie zufolge 2021 bei 30 Prozent. In den vergangenen 15 Jahren war sie um die 35 Prozent geschwankt. Der Anteil der Abiturienten, die sich für eine Lehre entschieden, stieg dagegen von 35 auf 47,4 Prozent. Weiterlesen

Immer mehr Abiturienten entscheiden sich für die Lehre

Gütersloh (dpa) – Junge Menschen mit Hauptschulabschluss tun sich einer Studie zufolge immer schwerer, einen Ausbildungsplatz zu bekommen. Gleichzeitig stieg in den vergangenen Jahren der Anteil der Abiturienten, die eine Ausbildung anfingen, deutlich an, wie aus einer veröffentlichten, vom FiBS Forschungsinstitut für Bildungs- und Sozialökonomie im Auftrag der Bertelsmann Stiftung erstellten Studie hervorgeht.

«Von einer mangelnden Attraktivität der Berufsausbildung für Abiturient:innen kann keine Rede sein», wird Studienautor Dieter Dohmen in einer Mitteilung der Stiftung zitiert. Weiterlesen

Ausbildung: «Eklatanter Bewerbermangel» im Handwerk

Berlin (dpa) – Viele Handwerksbetriebe suchen händeringend nach Azubis. Es gebe einen «eklatanten Bewerbermangel», heißt es in einer Umfrage des Zentralverbands des Deutschen Handwerks zur Ausbildungssituation. Der neue Handwerkspräsident Jörg Dittrich sagte der Deutschen Presse-Agentur, die Handwerksbetriebe hätten weiter einen großen Ausbildungswillen. «Doch es fehlen die Bewerberinnen und Bewerber für die offenen Lehrstellen.»

Dabei seien die Berufschancen derzeit so gut wie kaum jemals zuvor. «Für alle Modernisierungsaufgaben der Zukunft werden qualifizierte Fach- und Führungskräfte im Handwerk gebraucht», so Dittrich. Weiterlesen

Mit Smartphone auf der Baustelle: Die Handwerk-Influencerin

Von Ann-Marie Utz, dpa

Schlangen (dpa) – Die Arbeitsschuhe sitzen, der Gürtel hält die staubige Hose fest um die schmale Taille von Sandra Hunke. Sie ist Anlagenmechanikerin für Sanitär-, Heiz- und Klimatechnik. Doch zu ihren normalen Arbeitsutensilien gehören nicht nur Zange und Blechschere, sondern auch Smartphone und Kamera.

Denn die 30-Jährige ist eine der erfolgreichsten Influencerinnen fürs Handwerk in Deutschland. Fast täglich nimmt sie ihre rund 120.000 Follower auf Instagram mit in ihren Lebensalltag, der von staubigen Baustellen in Nordrhein-Westfalen bis zum Laufsteg nach Hongkong reicht.

Fachkräftemangel in vielen Branchen

Hunke möchte das Handwerk nach eigenen Angaben für junge Menschen attraktiv machen und es transparent zeigen. Aktuell fehlt der Branche der Nachwuchs, vor allem fehlen Frauen. Laut Bundesinstitut für Berufsbildung (BIBB) ist die Zahl der unbesetzten Ausbildungsstellen 2022 nun im dritten Jahr in Folge gestiegen und erreichte mit 68.900 erneut einen Höchststand.

Gründe liegen laut dem Institut neben der «generellen Attraktivität» der Berufsausbildung in der demografischen Entwicklung. Verwiesen wird auf sinkende Schulabgängerzahlen. Probleme, junge Leute zu finden, hatten auch im vergangenen Jahr vor allem Unternehmen im Handwerk und im Baugewerbe, während Bewerber für kaufmännische oder Medienberufe auf der anderen Seite auch erfolglos blieben.

Sandra Hunke ist mit dem Handwerksberuf aufgewachsen, ihr Vater arbeitet als Fliesenleger. Als Teenie habe sie oft längere Zeit im Bad verbracht, «und eines Tages, als ich mir die Haare gemacht habe, dachte ich mir: Wie geil wäre es eigentlich, wenn du so ein Bad bauen könntest». Mit Social Media sei es bereits während der Ausbildung vor mittlerweile elf Jahren losgegangen, «da ich immer belächelt worden bin, dass eine Frau gar nicht auf dem Bau arbeiten kann». Mit den Vorurteilen möchte sie jetzt aufräumen. «Ich kann Werbung fürs Handwerk machen, ich kann mich aber auch im Bikini zeigen.»

«Anpacken, aber trotzdem Frau sein können»

Heute arbeitet die 30-Jährige neben der Baustelle auch in ihrer eigenen Werkstatt direkt angrenzend an ihr Haus, das sie mit ihrem Mann bewohnt und selbst renoviert hat. Ihre Eltern winken vom Garten nebenan, ein Traktor fährt vorbei – Blitzlichtgewitter und schicke Abendgalas bleiben für die Influencerin im Alltag aus. «Ich möchte den Frauen da draußen zeigen, dass sie mit anpacken können, Handwerkerin, aber trotzdem Frau sein können. Du darfst rosa lieben, aber trotzdem darfst du auf der Baustelle ernst genommen werden.» Auch Eltern möchte Hunke Mut machen, umzudenken.

Bis 1994 war es aufgrund des Beschäftigungsverbots für Frauen im Bauhauptgewerbe in Deutschland noch verboten, auf der Baustelle mitzuarbeiten. Deshalb sind laut Handwerk-NRW-Geschäftsführer Hennecke einige Berufe auch noch von männlichen Arbeitswelten dominiert. Laut Hennecke sind Frauen eher in frauentypischen Ausbildungsberufen wie im Friseurhandwerk, in Gesundheitsberufen oder als Fachverkäuferinnen zu finden.

Nur wenig Frauen im Handwerk

Einer Erhebung des BIBB zufolge wurden 2009 noch 242.000 neue Ausbildungsverträge mit Frauen abgeschlossen, 2021 waren es nur noch rund 171.000. Im Handwerk lag der Anteil der mit Frauen geschlossenen Verträge laut Berufsbildungsbericht bei nur 18 Prozent.

Neben Hunke gibt es noch viele andere Influencerinnen, die ihren Handwerksalltag auf Social Media teilen: Julia Schäfer zum Beispiel. Sie ist Maurermeisterin aus Baden-Württemberg und hat knapp eine halbe Millionen Follower auf Instagram. Oder Karolin Röhring aus Nordrhein-Westfalen, die ihre Arbeit als Metallbauerin auf Instagram teilt. «Social Media hat in meinen Augen enorm an Einfluss gewonnen, gerade im Bereich der Nachwuchsförderung», erklärt sie. Denn Social Media sei für junge Leute die erste Anlaufstelle, wenn sie anfingen, sich für etwas zu interessieren wie beispielsweise einen Beruf.

Nahbarkeit und schnelle Kontaktaufnahme sprächen für das Medium. Dies bestätigt auch Hunke. «Das Handwerk muss digitaler werden, es müssen sich viel mehr Firmen trauen, einen Instagram- oder TikTok-Account zu machen. Es ist Arbeit, aber nur so erreichen wir die jungen Menschen», sagt sie. «Am erfolgreichsten sind solche Maßnahmen dann, wenn authentische Persönlichkeiten ihre Berufe und die damit verbundene Sinnstiftung vermitteln – witzig, kurz, direkt», erklärt auch Hennecke. So wie Sandra Hunke.

Weiterlesen

DGB-Vorsitzende fordert mehr Anreize für Azubis

Mainz (dpa/lrs) – Günstige ÖPNV-Tickets, Ausbildungsgarantien und Wohnheimplätze: Junge Menschen in Rheinland-Pfalz brauchen mehr Anreize für ihre Berufsausbildung, fordert Susanne Wingertszahn, Landesvorsitzende des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB) Rheinland-Pfalz/Saarland. Ein Anreiz könnte das 365-Euro-Ticket für junge Menschen sein, das es bereits in den Nachbarbundesländern Saarland und Hessen gibt. «Studierende haben ein Studententicket, Azubis haben nichts. Gerade günstiger ÖPNV ist ein großer Anreiz für Leute, auch eine Ausbildung zu machen.»

Wann das von der Landesregierung angestrebte 365-Euro-Ticket für Schülerinnen und Schüler, Azubis und Freiwilligendienstleistende kommt, ist allerdings noch unklar. Das Thema sei mit der Einführung des 9-Euro-Tickets im vergangenen Sommer nicht mehr ausreichend diskutiert worden, sagte Wingertszahn im Redaktionsgespräch der Deutschen Presse-Agentur. «Es gibt ja eigentlich kein Argument, was dagegen spricht.» Statt langer Anreise könnten laut Wingertszahn auch günstige Azubi-Wohnheime vor Ort Abhilfe schaffen. «Man kann Wohnheime für Studierende und Auszubildende ja auch gemeinsam denken.» Weiterlesen

Quälerei und Spitzentanz: Ballettszene kämpft um ihren Ruf

Von Christiane Oelrich, dpa

Basel (dpa) – Hach, wie im Märchen: Wenn im Nussknacker-Ballett die Klara anmutig durchs Schneegestöber tanzt oder in Schwanensee die Ballerinas mit Feder-Tutu über die Bühne gleiten. In der Schweiz haben in diesem Jahr aber neue Enthüllungen ein schockierendes Licht auf die teils skandalösen Ausbildungsmethoden geworfen.

Angststörungen, Magersucht, seelische Grausamkeit: Was Schülerinnen der beiden Schweizer Ausbildungsstätten für Profitänzerinnen und -tänzer in Zürich und Basel in diesem Jahr berichtet haben, lässt den Atem stocken: Eine berichtete, sie sei bei einem Gewicht von kaum mehr als 40 Kilogramm als «tanzender Hamburger» beschimpft worden. Eine andere wurde mit 15 heruntergemacht, weil ihre Bewegungen nicht sexy genug gewesen seien. Manche tanzten demnach unter Schmerzen.

Skandale häuften sich

An der Tanzakademie Zürich läuft eine Untersuchung. Das zweiköpfige Leitungsteam, das zu DDR-Zeiten an der Staatlichen Ballettschule in Berlin ausgebildet worden war, wurde beurlaubt. Die Ballettschule Theater Basel hat die Schulleiterin freigestellt. Sie schließt nun auch den ganzen Profi-Ausbildungsbereich, weil sie mit ihrem ramponierten Ruf keine öffentlichen Gelder mehr bekommt.

Das waren keine Einzelfälle: An der Wiener Ballettakademie gab es 2019 einen ähnlichen Skandal, 2020 machte die Staatliche Ballett- und Artistikschule Berlin mit Übergriffen Schlagzeilen.

Pädagogik und Körperbild als Baustellen

«Erstaunlich ist, dass wir es alle in der klassischen Tanzausbildung so lange hingenommen haben», sagt Anna Beke, Dozentin für Tanzgeschichte an der Ballett-Akademie in München, der Deutschen Presse-Agentur. «Es ist fünf vor zwölf, es muss etwas passieren, sonst wird das Vertrauen in diese Kunstform womöglich noch weiter erschüttert.» Baustellen sind sowohl die fragwürdige Pädagogik mancher Lehrer als auch das Körperbild, das jungen Mädchen und dem Publikum als Schönheitsideal für eine Ballerina vermittelt wird.

Zwischen Glanz und Qual: Die Balletszene

«Wir können nicht mehr so unterrichten wie vor 10, 20 oder 100 Jahren», sagt die Präsidentin des schweizerischen Tanzverbandes Danse Suisse, Kathleen McNurney. «Früher gab es Meister und Lehrlinge, es war völlig normal, dass ein Startänzer später Lehrer wird, auch ohne pädagogische Ausbildung – aber das geht nicht mehr.»

Eine Generation erhebt ihre Stimme

Und wieso werden skandalöse Ausbildungsmethoden erst jetzt infrage gestellt? «Das ist ein Generationenphänomen», sagt David Russo, Tänzer, Choreograph und Dozent an der Ballett-Akademie in München. Die Schieflage bestehe seit Langem. «Aber der gesellschaftliche Diskurs war noch nicht so weit entwickelt. Unsere Studierenden heute sind Millennials, das ist die Fridays-for-Future-Generation, das sind Menschen, die eine Meinung haben und sie auch äußern.»

«Sportliche Höchstleistungen gehen auch ohne Drill», betont er. Die Ballett-Akademie habe inzwischen ein pädagogisches Konzept, das die Gesundheit der Tänzerinnen und Tänzer in den Mittelpunkt stelle. Um dringend nötige Veränderungen ging es im November auch auf dem Symposium «Tanzausbildung im Wandel» in München.

Fortschrittliche Tanzakademien bieten Ernährungsberatung und Physiotherapie an und haben Vertrauenspersonen, an die sich Studierende bei Problemen wenden können. «Gesunderhaltung des Körpers ist bei uns jetzt fast ein größeres Thema als die Ausbildung», sagt Martina Räther, amtierende Schulleiterin der Staatlichen Ballett- und Artistikschule Berlin. Die Schule hat ein Kinderschutzkonzept und will noch in diesem Schuljahr einen Verhaltenskodex beschließen.

Bleibt das Idealbild der Ballerina, die schwerelos über die Bühne schwebt. Mit dieser Vorstellung setzen sich Schülerinnen auch selbst unter Druck, die jeden Tag stundenlang in einem Raum voller Spiegel – und Konkurrentinnen – üben.

Die Frage des Körperbilds

«Bodyshaming ist unbestreitbar ein Problem. Normalgewicht als zu dick zu betrachten, das geht nicht. Aber es ist immer eine Gratwanderung», sagt Räther. «Wie schlank muss ich sein? Wir müssen die Schülerinnen ja auch so ausbilden, dass sie später eine Anstellung bekommen.» Auch die Balletthäuser müssten andere Körperformen akzeptieren. Einig sind sich alle: «Auch mit ein paar Kilogramm mehr, mit Hüfte und Busen, kann eine Ballerina genauso schwerelos aussehen», sagt McNurney. Es sei nur eine Frage der Tanztechnik.

Die österreichische Choreographin Florentina Holzinger hat sich mit der harschen Tanzausbildung 2019 in ihrem Ballett «Tanz» befasst. Da sieht eine Ballettstunde auf der Bühne wie eine Horrorshow aus, mit nackten Tänzerinnen auf Spitzenschuhen, die zeigen, wie sie sich auf Höchstleistung trimmen. Holzinger setzte auch eine echte Selbstverletzung mit Fleischerhaken in Szene. «Mir ging es darum, zu zeigen, wie man die Kontrolle über seinen Körper zelebrieren kann, auch das Gewaltmoment, ohne ihm ausgeliefert zu sein», sagt Holzinger. Sie spaltet gerade an der Volksbühne in Berlin mit ihrer feministischen Show «Ophelia’s Got Talent» die Gemüter.

Klassisches Ballett mit männlichem Blick entwickelt

In Holzingers Shows haben Frauen das Zepter in der Hand. Das klassische Ballett sei im 19. Jahrhundert mit männlichem Blick entwickelt worden. «Wie kann man Frauenkörper inszenieren, um diesen Blick zu befriedigen? Das kann man fast mit Pornografie vergleichen.»

Überholte Bilder infrage stellen will auch Disney mit seinem Zeichentrick-Kurzfilm «Reflect». Er handelt von der kleinen Bianca, die tanzen will, aber deutlich mehr wiegt als die typische Ballerina. Zunächst unglücklich über ihren Körper befreit sie sich von ihrer Scham und stürzt sich dann begeistert in den Spitzentanz.

Für mehr Diversität setzen sich alle ein. «Es müssen bei Schwanensee nicht alle Schwäne genau gleich aussehen», sagt Holzinger. Das Publikum habe bislang gewisse Erwartungen, wie eine Ballerina auszusehen habe, sagt Räther. «Da muss sich auch etwas tun.»

Weiterlesen

Aktuelle Ausgabe kostenfrei als E-Paper lesen
Eifelzeitung E-Paper Aktuelle Ausgabe kostenfrei als E-Paper lesen