Kein richtiges Parlament

Am Sonntag, den 26. Mai 2019, sind die Bürgerinnen und Bürger unseres Bundeslandes aufgefordert, durch ihre Stimmabgabe über die Zusammensetzung der kommunalen Gremien in den Orts- und Verbandsgemeinden sowie im Kreistag für die kommenden fünf Jahre zu entscheiden. Die Wahlbeteiligung wird dabei voraussichtlich über den z.T. mickrigen Quoten liegen, wie sie bei Bundestags- oder Landtagswahlen beschämenderweise oft zu verzeichnen sind. Immerhin kennt der kommunalpolitisch Interessierte die meisten Kandidatinnen und Kandidaten, weiß wofür sie sich engagieren, kennt ihre Stärken und Schwächen und hat bei der Stimmabgabe das einigermaßen sichere Gefühl, die Richtigen anzukreuzen. Zudem gibt es die Möglichkeit, aus den vorgegebenen Listen der Parteien und Wählergruppen gezielt Personen auszuwählen und somit auf die Zusammensetzung dieser kommunalen Gremien erheblichen Einfluss auszuüben.

Ganz anders aber sieht es dagegen bei der Europawahl aus. Eine Wahl in dem beschriebenen Sinne ist das wohl eher nicht. Weil eine längst überfällige Wahlrechtsreform in allen EU-Mitgliedsländern immer noch nicht durchgeführt und keine prozentuale Hürde für den Einzug ins Europaparlament errichtet worden ist, können neben den größeren Parteien sich selbst kleinste Parteien und Splittergruppen (Die Partei des Satirikers Sonneborn, die Tierschutzpartei, die Partei für die Familie, die Freien Wähler, NPD, ÖDP, Piraten usw.), deren europapolitisches Gewicht mit dem einer Hühnerfeder zu vergleichen ist, bei einem Stimmenanteil von mindestens 0,6 Prozent sich Hoffnungen machen, für die nächsten fünf Jahre wieder ein wohldotiertes Mandat zu ergattern und zudem opulente finanzielle Förderung zu erhalten.

Kein Wunder, dass der Wahlzettel zum Europaparlament immer länger wird. Hinzu kommt die unverzeihliche Praxis der größeren Parteien, nicht immer – um es vorsichtig zu formulieren – ihre profiliertesten und fähigsten Köpfe nach Europa schicken. Die allermeisten Damen und Herren, die uns auf den Plakaten entgegenlächeln, sind gänzlich unbekannt, und gründen ihren Anspruch, Deutschland im Europaparlament zu vertreten, ausschließlich auf parteipolitische Meriten. Dementsprechend dünn und dümmlich sind dann auch die Kampagnen-Slogans der Parteien: „Europa ist die Antwort“, „Zusammenhalt“, „Macht Europa stark“, „Kommt, wir bauen das neue Europa“ „Rechte ärgern“, „Brüssel, geht’s noch“ usw. usw. Da ist keine Rede von wichtigen Themen, die für Europa in den nächsten Jahren entscheidend sind, wie etwa eine gemeinsame Asylpolitik, Schutz der Außengrenzen, gemeinsame Verteidigungspolitik, die Auswirkungen des Brexit, Sicherung des Euro, Verhältnis zu Russland, USA und China und die Überwindung des Sozialgefälles innerhalb der EU.

Vielleicht liegt diese schwache Personalpolitik und Programmatik im Zusammenhang mit der Europawahl aber auch darin begründet, dass das Europaparlament gar kein richtiges Parlament ist. Die wichtigen europäischen Entscheidungen werden im Zusammenspiel zwischen Europarat, der Kommission und den jeweiligen nationalen Regierungen getroffen, das Parlament kann seine Kommentare und Empfehlungen dazu abgeben, ein Initiativrecht hat es nicht. Rechnet man noch die Absurdität hinzu, dass die Briten, die doch spätestens bis zum Herbst die EU verlassen wollen, bei der Wahl dennoch teilnehmen und vermutlich mit einer stattlichen Anzahl von erklärten Europa-Gegnern auch aus anderen Ländern in Brüssel und Straßburg zumindest die Anfänge der nächsten Sitzungen unheilvoll beeinflussen werden, so wird deutlich, welchen Stellenwert die Wahlen zum Europaparlament bei den Parteien haben, die im deutschen Bundestag vertreten sind.

Horst Becker, Arzfeld

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