Wilhelm Gier

Als nach dem Rücktritt von Papst Benedikt XVI. die Spekulationen über seinen Nachfolger einsetzten, wurden auch Kardinäle aus Afrika und Asien als chancenreiche Kandidaten genannt – eine historisch gesehen recht neue Entwicklung. Noch vor 100 Jahren wäre es geradezu unvorstellbar gewesen, dass ein Ghanaer wie Peter Turkson Kardinal oder gar Papstkandidat geworden wäre. Dass sich dies inzwischen anders verhält, ist nicht zuletzt auch eine Folge des Wirkens der Steyler Missionare (SVD), die seit ihrer Gründung gegen Ende des 19. Jahrhunderts nicht nur zur weltweiten Ausbreitung des katholischen Glaubens beitrugen, sondern sich auch für die Gleichberechtigung nichteuropäischer Laien und Priester einsetzten. Als um 1930 in den USA über die Einbeziehung von afroamerikanischen Geistlichen gestritten wurde, schrieb Pater Wilhelm Gier: “Priester ist Priester, ob weiß oder schwarz oder gelb, das macht wenig Unterschied, in Afrika arbeiten die Weißen Väter mit ihren schwarzen Priestern zusammen, in China unsere Patres mit gelben Mitbrüdern, warum sollte es in den USA nicht ebenso gehen?“.

Der Eifler Wilhelm Gier war zu diesem Zeitpunkt eine der wichtigsten Persönlichkeiten katholischer Mission. Im September 1920 hatte das Generalkapitel des Ordens ihn für zwölf Jahre zum Generalsuperior – also Oberhaupt – der Steyler Missionare gewählt. Er wurde damit Nachfolger von Nikolaus Blum, der als gebürtiger Lammersdorfer ebenfalls ein Kind der Eifel war. Während der Amtszeit Wilhelm Giers verdoppelte sich die Zahl der weltweit tätigen Ordensmitglieder auf mehr als 3.500, der Wirkungsraum erweiterte sich auf 12 Missionsgebiete. Unter Giers tatkräftiger Führung verlegte die Leitung des Ordens ihren Sitz vom holländischen Ort Steyl nach Rom und organisierte fortan ihre weltweite Missionsarbeit vom römischen Collegio del Verbo Divino aus. Begonnen hatte der Lebensweg des charismatischen Generalsuperiors in Kronenburg, wo Wilhelm Gier an Weihnachten 1867 als zweites von fünf Kindern der Bauernfamilie von Peter Gier und dessen Ehefrau Catharina Maus zur Welt gekommen war. Ebenso wie über dieses „Weihnachtsgeschenk“ dürften sich die Eltern darüber gefreut haben, dass ihr intelligenter Sohn, der schon als Junge Missionar werden wollte, 1880 im Missionshaus des Priesters und Ordensgründers Arnold Janssen in Steyl (Holland) aufgenommen wurde. 1884 schloss der Eifler dort die Lateinschule erfolgreich ab, nach einer Zusatzausbildung durfte er als 19-Jähriger in Steyl Theologie studieren. Hatte sich sein Leben bis dahin zwischen Nordeifel und Holland abgespielt, so begann im Herbst 1889 ein weiter ausgreifender Lebensabschnitt.

Der Kleinbauernsohn studierte zwei Jahre Theologie in Rom, promovierte dort und wurde im Juli 1891 im Stephansdom der damaligen Weltmetropole Wien zum Priester geweiht. Sicherlich ein äußerst eindrucksvolles Erlebnis für ihn, auch wenn Wilhelm Giers Heimatpfarrkirche in Kronenburg mit ihrem spätgotischen Innenraum und ihrer ungewöhnlichen Konstruktion als Einstützkirche zu den kirchenbaulichen Juwelen der Eifel gehört. Nach der Priesterweihe blieb Dr. Gier viele Jahre im Habsburgerreich. Er unterrichtete ab 1889 im Priesterseminar in Mödling bei Wien und wurde dort vier Jahre später als Präfekt verantwortlich für die Ausbildung der Theologiestudenten. 1898 übernahm er die Leitung des Klerikernoviziats: „In den 16 Jahren seiner Amtsführung als Novizenmeister wird er für etwa 500 junge Männer auf dem Weg zum Priester- und Missionarsberuf zur prägenden Ausbildergestalt“ (Prof. Dr. Paul B. Steffen). 1912 schickte Generalsuperior Blum seinen Eifler Landsmann zu einer Visitationsreise nach Südamerika. Sowohl dieser einjährige Aufenthalt in Lateinamerika als auch eine mehrjährige Visitationstour (1921–1924) unter anderem nach China, Japan, die USA und Neuguinea vermittelten Pater Gier eine Weltkenntnis, von der nicht nur sein Orden profitierte, sondern auch zahlreiche Menschen, die ihn um Rat und Hilfe baten. Bis zu seiner Ernennung als Generalsuperior war Wilhelm Gier hauptsächlich von Österreich aus tätig, zumal er 1917 zum Provinzialoberen der Steyler Ostprovinz ernannt worden war. Dr. Gier erlebte die erfreuliche Ausdehnung seines Ordens in Ostmitteleuropa, war aber auch mit den Schrecknissen der Kriegs- und Nachkriegsjahre konfrontiert. In diese Zeit fiel Pater Giers wichtigste Veröffentlichung: „Wie lernt man gut beten?“ Das umfangreiche Buch wurde mit über 50 000 deutschen Exemplaren sowie Übersetzungen in Weltsprachen wie Englisch, Spanisch und Chinesisch ein internationaler Bestseller.

Nach seiner Zeit als Generalsuperior verbrachte Pater Gier die letzten Lebensjahrzehnte als Exerzitienmeister und geistlicher Begleiter in Steyl, wo er 1951 verstarb. Prägnant fasste sein Biograph Fritz Bornemann die „gottnahe“ Persönlichkeit Pater Giers so zusammen: „Ein Menschen- und Herzenskenner wie wenige. Er war liebenswürdig und bescheiden, demütig.“

Verfasser: Gregor Brand

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