Tenxwind von Andernach Klosterreformerin aus Springiersbach

151_tenxwind_33_13Manche Gegensätze unserer Zeit haben ihre Entsprechung weit zurück in der Geschichte. Während das Pontifikat Benedikts XVI. äußerlich auch durch die Vorliebe dieses Papstes für die volle Entfaltung der Schönheit liturgischer Gewänder und Ästhetik geprägt wurde, pflegt sein Nachfolger Papst Franziskus ein schlichteres Auftreten. Eine ähnlich unterschiedliche Interpretation christlicher Lebensweise kommt bereits in einem Briefwechsel zweier bedeutender Frauen des Hochmittelalters zum Vorschein. In einem bemerkenswerten Schreiben des 12. Jahrhunderts wandte sich die Andernacher Klostervorsteherin Tenxwind (auch Texwind, Texwindis etc.) an die schon damals hochberühmte und für heilig gehaltene Hildegard von Bingen und stellte ihr kritische Fragen zum Auftreten der Schwestern in Hildegards Kloster. Tenxwind schrieb, ihr sei zu Ohren gekommen, dass sich die Jungfrauen in Hildegards Kloster an Festtagen beim Psalmengesang in ungewöhnlichem Prunk zeigten: Sie stünden mit losen Haaren in der Kirche, ihre glänzend weißen Seidenschleier reichten bis zum Boden. Auf dem Haupt trügen sie golddurchwirkte Kränze und ihre Finger seien mit goldenen Ringen geschmückt. Ein solches Auftreten kollidierte mit dem urchristlichen Ideal Tenxwinds ebenso wie die Tatsache, dass Hildegard nur Töchter aus Adelsfamilien in ihren Konvent aufnahm. Hatte sich nicht Jesus demgegenüber an die Niedriggestellten gewandt? Waren seine ersten Jünger nicht arme und bescheidene Fischer? Hildegard antwortete Tenxwind mit dem Hinweis auf die mystische Vermählung der Nonnen mit Christus, die sie als Bräute Christi durch ihre Festgewänder deutlich machten. Die Kritik an der elitären Auswahl der Schwestern konterte Hildegard mit der Gegenfrage: Wer halte denn die unterschiedlichsten Tiere – Ochsen, Esel, Schafe, Böcke – alle im gleichen Stall? Hildegard verteidigte den gottgegebenen Unterschied der Menschen und glaubte, dessen Missachtung führe nur zu Streit und Unruhe.
Man sieht: Hier prallten bei gleicher tiefer Frömmigkeit Welten aufeinander. Hildegard war sicherlich nicht überrascht von den Bedenken der keineswegs unbekannten Tenxwind. Deren Biographie war schon seit Jahrzehnten mit den christlichen Reformbemühungen verbunden, die im 12. Jahrhundert gewaltigen Zuspruch fanden und nicht mit Kritik an kirchlichem Machtmissbrauch und unchristlichem Lebenswandel sparten. Begonnen hatte der Lebensweg Tenxwinds, die man mit gutem Recht auch Tenxwind von Springiersbach nennen könnte, vermutlich Ende des 11. Jahrhunderts in der Südeifel im Umkreis des Kondelwalds. Dort lebten ihre Eltern, der pfalzgräfliche Ministeriale Ruker und dessen Ehefrau Benigna, von der man lange geglaubt hatte, dass sie dem Geschlecht der Herren von Daun entstammte; inzwischen wird diese Vermutung von Historikern stark in Zweifel gezogen. Ein Bruder von Tenxwind war der später als Abt berühmt gewordene Richard von Springiersbach. Als Kinder eines Ministerialen gehörten Tenxwind und Richard einem Stand an, dessen Aufstieg damals erst begann; aus Eifler Ministerialenfamilien gingen später bedeutende Adelsfamilien hervor. Als Ruker um das Jahr 1100 starb, erhielt die Witwe Benigna die Erlaubnis, sich auf ihrem Besitz Thermunt im Kondelwald ein kleine Klostergemeinschaft („cella“) zu errichten. Inspiriert von der leidenschaftlichen christlichen Erneuerungs- und Aufbruchstimmung jener Kreuzzugszeit wollte Benigna in einer Gemeinschaft von frommen Frauen und Männern leben, die sich dem strengen Ordensideal des heiligen Augustinus unterwarfen. Das bedeutete eine von Beten, Fasten, Enthaltsamkeit, Armut, körperlicher Arbeit und Schweigen geprägte Lebensweise. Mit pfalzgräflicher und erzbischöflicher Unterstützung ging aus der Initiative Benignas die Gründung des Kanonikerstifts Springiersbach hervor. Einige Jahre später wurde Richard zunächst Propst, dann Abt des Springiersbacher Konvent. Tenxwind leitete als Meisterin („magistra“) im gleichen Geist den angeschlossenen Frauenkonvent, der bewusst nicht nur für Frauen aus dem Adel offenstand. Um 1128 zog Tenxwind mit den Springiersbacher Schwestern nach Andernach, wo sie aus einer Klosterruine ein blühendes neues Kloster – die spätere Abtei St. Thomas – schufen. Diese Abwanderung an den Rhein kann als Ausdruck der Reformdynamik von Tenxwind und Richard gesehen werden, die auch andernorts zu kulturprägenden Tochtergründungen führte. Der Konventsvorsteherin Tenxwind gelang es, trotz – oder wegen – ihrer Ausrichtung an der sehr strengen augustinischen Ordensregel eine Gemeinschaft von Ordensschwestern aufzubauen, die sich als Teil der weithin ausstrahlenden Springiersbacher Reformbewegung verstand. Leider sind aus jener Zeit nur wenige Dokumente vorhanden. Der Briefwechsel zwischen Tenxwind und Hildegard lässt aber erahnen, dass die Eifler Klosterreformerin über viele Wege wirkte. Tenxwind verstarb vermutlich um 1153/54. Die Gründung der Eifelabtei Himmerod im Jahr 1134 durch den seelenverwandten Bernhard von Clairvaux hat sie jedenfalls noch erlebt – und sich sicherlich sehr darüber gefreut.
Verfasser: Gregor Brand

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