Nicolaus Cusanus

„Ich würde ihn (den Moselaner Cusanus) für einen ausgesprochenen Eifeler Typ halten. Besehen Sie nur einmal sein Bild und lesen Sie einmal seine Briefe.“ Der Mann, der dem Philosophen Maurice de Gandillac diese Auskunft gab, musste es eigentlich wissen: Theologieprofessor Josef Koch kannte als Sohn Münstereifels nicht nur die Eifler, sondern als einer der renommiertesten Cusanus-Experten auch den deutschen Meisterdenker des 15. Jahrhunderts sehr gut. Koch wusste, welche Eigenschaften die Zeitgenossen des 1401 in Kues geborenen Kardinals diesem nachsagten: Der hochgewachsene Cusanus galt als energisch und bisweilen grob, prinzipienstreng und diszipliniert, zugleich aber auch als persönlich bedürfnislos und bescheiden. Mit diesen Charakterzügen machte er sich nicht nur Freunde. In einer Zeit, in der gerade auch die Kirchenfürsten Pomp und Luxus schätzten, wurden seine Klagen gegen Korruption und Verschwendung und sein Eintreten für Reformen oft nicht gern gehört. Andere störten sich an seinem Ernst und an der Sorgfalt, mit der sich selbst um Details seiner Amtsführung kümmerte. Seinem langjährigen Freund Papst Pius II., der selbst ein namhafter Intellektueller war, schrieb Cusanus einmal, Schönrednerei sei ihm fremd und Schmeichelei verhasst. Die Verbindung tiefer Religiosität mit seinem schlicht-geradlinigen Wesen veranlasste manche, ihn trotz seiner – durchaus auch kaufmännischen – Weltklugheit als „Heiligen“ zu betrachten.
Ob man nun einige dieser Wesenszüge als typisch eiflerisch ansieht oder nicht: Fest steht, dass Nikolaus von Kues mit seinem denkerischen Werk der ganzen Menschheit gehört. Weltweit gilt er nicht nur als einer der großen Philosophen, sondern auch als jemand, der sich auf so unterschiedlichen Gebieten wie Mathematik, Kosmologie, Geographie,  Medizin und Rechtsgeschichte mit brillanten Ideen den Ruf eines Universalgenies erworben hat. Der Philosoph und Cusanus-Experte Beierwaltes hält den Eifelmoselaner für einen „Mit-Gründer moderner Naturwissenschaft, wenn nicht gar der Technik“. Ernst Cassirer, berühmter Philosoph des 20. Jahrhunderts, sah in Cusanus den wesentlichen Vordenker der Renaissance und einen der Väter des neuzeitlichen Denkens überhaupt. Der geistige Horizont des Kuesers, der im „Hauptberuf“ als Priester, päpstlicher Legat, Bischof und schließlich Kardinal arbeitete, war von seltener Weite. Cusanus gelangen nicht nur grandiose rechtshistorische Entdeckungen, er war auch der Erste, der die Bedeutung des Pulses für die medizinische Diagnose erkannte und – noch vor der Erfindung der ersten Uhren im heutigen Sinn – eine Methode zu dessen Messung konzipierte. Noch vor Kopernikus dachte er sich Erde und Weltall als in ständiger Bewegung begriffen. Er reflektierte nicht nur originell über christliche Theologie und Politik, sondern auch über das Verhältnis zu anderen Religionen, insbesondere dem Islam. 
Die Muttersprache dieses Ausnahmedenkers war Moselfränkisch und sein eigentlicher Familienname „Krebs“ (beziehungsweise dialektgeprägte Abweichungen dieses Namens). Nikolaus war eines von vier Kindern des wohlhabenden Moselschiffers Johann Cryfftz und dessen Ehefrau Katharina (geb. Römer). Sein jüngerer Bruder Johannes wurde ebenfalls Priester; da die beiden Schwestern in ihren Ehen kinderlos blieben, starb die Familie aus. Gleichwohl dürfte es im Eifel-Mosel-Raum viele Menschen geben, die mit Cusanus verwandt sind, denn in den Seitenlinien scheint er eine große Verwandtschaft gehabt zu haben. Als 15-Jähriger begann Nikolaus sein Studium in Heidelberg, wechselte aber schon bald an die Universität Padua, eine der angesehensten Bildungsstätten seiner Zeit. In Italien schloss der Moselaner zahlreiche Freundschaften mit historisch bedeutsamen Persönlichkeiten. Sein weiterer Lebensweg führte den promovierten Kirchenrechtler zwischen deutschen und italienischen Gebieten hin und her. Eine wichtige Abweichung von dieser Lebensbahn bildete eine ihn tief prägende Reise nach Konstantinopel. Trotz seines von großer Aktivität erfüllten Lebens ließ der schon zu Lebzeiten berühmte Denker und Kirchenfürst die Verbindung in seine Heimat nie verloren gehen. Als er 1464 in Italien starb und dort bestattet wurde, wurde sein Herz seinem letzten Wunsch gemäß nach Kues gebracht und hier in dem von ihm errichteten Hospital, das seine kulturgeschichtlich unglaublich wertvolle Bibliothek bewahrt, beigesetzt.

 Verfasser: Gregor Brand
 

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