Leonard Ennen

Als am 3. März 2009 das Gebäude des Historischen Archivs der Stadt Köln zusammenfiel und der Einsturz nicht nur zwei Menschen in den Tod riss, sondern auch etwa 90 Prozent des Archivguts verschüttete, erregte dieses dramatische Ereignis weltweit Aufsehen. Nicht ohne Grund: Das Kölner Stadtarchiv bewahrt als größtes deutsches Kommunalarchiv einen solchen Schatz an historischen Zeugnissen, dass die – glücklicherweise letztlich ausgebliebene – Auslöschung dieses Geschichtsgedächtnisses eine Katastrophe der Weltkultur gewesen wäre. Die Geschichte dieses Kölner Stadtarchivs ist eng verbunden mit dem Wirken des Eiflers Leonard Ennen, seinem ersten und langjährigen (1857–1880) hauptamtlichen Leiter.

Wie ein seltsamer Zufall mutet es an, dass die Katastrophe von 2009 fast auf den Geburtstag des ersten Stadtarchivleiters gefallen wäre. Leonard Ennen erblickte am 5. März 1820 in Schleiden das Licht der Welt, also in jener Eifelgemeinde, die auch den eminenten Humanisten Johannes Sturm hervorgebracht hatte – der auf den Tag genau 420 Jahre vor dem Einsturz des Stadtarchivs gestorben war. Leonards Eltern Hubert Ennen und Katharina geb. Grothausen entstammten Familien des deutsch-belgischen Grenzraums und hatten 1813 in St. Vith geheiratet. Obwohl sie als Ackersleute in bescheidenen Verhältnissen lebten, wurden zwei ihrer Söhne Akademiker – außer Leonard auch sein Bruder Joseph, später Pfarrer in der Nordeifel. Nach dem Abitur hatte Leonard Ennen in Münster und Bonn Theologie und Philosophie studiert und war nach dem Besuch des Kölner Priesterseminars zum Priester geweiht worden. Dem 25-jährigen Bauernsohn wurde 1845 eine Kaplans- und Lehrerstelle in Königswinter zugewiesen, die er für 12 Jahre innehatte. Ennens Hauptinteresse galt jedoch weder Theologie noch Pädagogik, sondern der Geschichte. Noch nicht dreißigjährig veröffentlichte er die „Geschichte der Reformation im Bereich der alten Erzdiözese Köln“ (1847). In den folgenden Jahrzehnten verschaffte sich der bienenfleißige Schleidener mit seinen historischen Arbeiten einen Ruf als herausragender Kenner mittelrheinischer, vor allem Kölner, Geschichte. Gleichwohl hatte es der gelernte Theologe nicht leicht, sich das Ansehen der Berufshistoriker zu erwerben. Obwohl Ennen auch den philosophischen Doktortitel erwarb, hielt es der Historiker H. Keussen (1862–1943), einer der Nachfolger Ennens als Leiter des Stadtarchivs, für nötig, darauf hinzuweisen, dass Ennen „von Hause aus kein Historiker“ gewesen sei und ihm trotz aller Verdienste wissenschaftliche Schulung und geschichtliche Methode fremd gewesen seien. Bei solcher Kritik wird leicht übersehen, dass sich die Auffassungen über die richtige wissenschaftliche Methode in beständigem Fluss befinden und es daher problematisch ist, frühere Forschergenerationen an Maßstäben späterer Zeiten zu messen. Nach Ennens Tod wurde bemängelt, dass er die Archivalien nicht entsprechend ihrer Herkunft (Provenienzprinzip), sondern aufgrund ihres thematischen Zusammenhangs (Pertinenzprinzip) geordnet habe. Diese Kritik war teilweise ein Nachhall der Kontroversen, die Ennen schon zu Lebzeiten umgeben hatten. Bereits seine 1857 durch den eifelstämmigen Kölner Oberbürgermeister Stupp (1793–1870) erfolgte Berufung zum hauptamtlichen Archivleiter und zudem zum Verwalter der Stadtbibliothek war gegen lebhaften Widerstand aus dem Stadtrat erfolgt, der den Priester Ennen für zu katholisch ausgerichtet hielt. Dabei spielte vermutlich eine Rolle, dass der politisch engagierte Schleidener 1856–1858 als Mitglied der Katholischen Fraktion Angeordneter im preußischen Abgeordnetenhaus war. Später mussten seine Kritiker zugeben, dass von katholischer Einseitigkeit beim Archivleiter Ennen keine Rede sein konnte. Ironischerweise glaubten manche nun sogar, bei ihm deutliche protestantische Sympathien erkennen zu können. Fest steht jedenfalls, dass Ennen sich im Gegensatz zu namhaften katholischen Gelehrten und vielen Geistlichen auch nach dem Ersten Vatikanischen Konzil (1869/70) nicht von Rom lossagte.

Betrachtet man die Lebensleistung des 1880 verstorbenen Ennen mit seinen rund 400 Publikationen, so erscheint das „Plädoyer für Leonard Ennen“ (1998) durch den Historiker und Archivar Toni Diederich ebenso gerechtfertigt wie der Nachruf auf ihn durch den damaligen Oberbürgermeister Becker. Der „rote Becker“ würdigte den Historikerarchivar Ennen wegen seiner Verdienste um die Stadt Köln als „gewissenhaften Hüter und rastlosen Forscher ihrer Urkunden“.

Verfasser: Gregor Brand

Aktuelle Ausgabe kostenfrei als E-Paper lesen
Eifelzeitung E-Paper Aktuelle Ausgabe kostenfrei als E-Paper lesen