Joseph Wolf

Für den berühmten englischen Tiermaler Edwin Landseer, Lieblingsmaler der britischen Königin Viktoria, war Joseph Wolf „der uneingeschränkt beste und kenntnisreichste Tiermaler, der je gelebt hat“. Der Experte David M. Lank bezeichnete den Eifler Bauernsohn Joseph Wolf als „das alles überragende Genie in der Tiermalerei des 19. Jahrhunderts“.

Mathias Wolf – erst später nannte er sich Joseph – wurde 1820 als ältester Sohn der Bauersleute Anton Wolf (1788–1859) und Elisabeth geb. Probstfeld (1792–1867) im heute zu Münstermaifeld gehörenden Dorf Mörz geboren. Seine schon im Vorschulalter erkennbar werdende übergroße Naturbegeisterung und Faszination an Wildtieren, gepaart mit außergewöhnlicher künstlerischer Begabung, irritierte im dörflichen Umfeld. Vater Wolf war davon wenig begeistert. Er fürchtete wohl, statt eines bodenständigen Hoferben einen zukünftigen brotlosen Künstler heranzuziehen, der lieber Krähen und Mäuse malte als zu pflügen und der sich mit den Dorfjungen prügelte, wenn diese ihn als Vogelnarren verspotteten. Wolf, bei dem sich Naturliebe mit Jagdleidenschaft verband, wollte sich mit seiner Besessenheit am Malen und Zeichnen keinem Hindernis beugen: „Pinsel zum Malen mit Aquarellfarben fertigte er aus Federkielen und den Schwanzhaaren selbstgefangener Steinmarder. Jeden Vogel, jedes Säugetier, dessen er habhaft werden konnte, malte er am Küchentisch oder, wenn der Vater es verbot, im Verborgenen“ (K. Schulze-Hagen). Der Eifler Bauernsohn besaß das absolute Auge: ein fotographisches Gedächtnis von seltener Leistungsfähigkeit. Widerwillig ließ Anton Wolf seinen 16-jährigen Sohn 1836 eine Ausbildung zum Lithographen machen. Drei Jahre lang erlernte der junge Mörzer in der Lithographischen Anstalt der Gebrüder Becker in Koblenz die erst wenige Jahrzehnte zuvor von Alois Senefelder erfundene Kunst des Steindrucks. Später erlangten die auf Wolfs genialen Entwürfen beruhenden Tierlithographien des gelernten Mörzer Steindruckers Weltruf. Als Wolf nach dieser Lehrzeit für zwei Jahre ins Heimatdorf zurückkehrte, war sein Vater versöhnlicher gestimmt. Zufrieden sah er, dass sein Sohn als Lithograph nützliche Druckwerke wie beispielsweise schöne Geschäfts- oder Frachtbriefe herstellen konnte. Nach zwei Jahren zog Wolf allerdings wieder in die Welt. Selbstbewusst bewarb er sich erfolgreich als Illustrator beim berühmten Frankfurter Forschungsreisenden Rüppel und kam durch ihn in Kontakt mit namhaften Zoologen. Wolf entwickelte sich zu einem Meisterpräparator und vertiefte sich neben der Kunst mit beispielloser Intensität in zoologische Studien. Der Zoologe und Paläontologe J. J. Kaup schrieb begeistert 1843 über das Genie des „blutjungen Rheinpreussen“ Wolf, dass es nur mit dem Edwin Landseers verglichen werden könne. Das war ein gewaltiges Lob, denn der oben erwähnte Landseer, mit dem Wolf später wie mit so vielen der zeitgenössischen britischen Künstler und Naturforscher befreundet war, galt als einer der besten Tiermaler überhaupt. Bis 1847 lebte und arbeitete Wolf vorwiegend in Darmstadt und wirkte an legendären Projekten der Tierdarstellung als hoch geschätzter Tierillustrator und Tiermaler mit. Im Revolutionsjahr 1848 folgte Wolf der Einladung von D. W. Mitchell, dem Sekretär der Zoological Society in London, und wanderte in die Hauptstadt des Empire aus. Für Mitchell war der erst 28-Jährige bereits ein Vogelmaler von internationalem Ruf und „das beste verfügbare Talent in ganz Europa“. In den folgenden Jahrzehnten illustrierte Joseph Wolf einige der großen zoologischen Werke des 19. Jahrhunderts und wurde für die Elite der britischen Zoologen zum gefragtesten Tierillustrator. So zeichnete er für Charles Darwin den Gesichtsausdruck von Primaten; als Darwin den Eifler in dessen Atelier, in dem dieser zutrauliche Singvögel und andere Tiere hielt, persönlich aufsuchte, musste sich der Vater der Evolutionslehre gefallen lassen, von einem Dompfaff am langen Bart gezupft zu werden. Wolf, der als einfühlsamer Leser der Tierseele galt, verstand sich als Zoologe und Künstler zugleich. Mit seiner einzigartigen Sachkenntnis, die sich bis auf winzige Details von Säugetieren, Reptilien und Vögeln erstreckte, gelang es ihm, Tiere artspezifisch in bis dahin nicht gekannter Präzision darzustellen.

Wolfs Wunsch, sein Leben im Eifler Elternhaus zu beenden, ging nicht in Erfüllung. Der Junggeselle starb 1899 in London, betrauert von Schülern und Freunden als genialer Künstler ebenso wie als liebenswürdiger Mensch.

Verfasser: Gregor Brand

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