Johann Adam Schall von Bell

Kein Europäer erreichte in der bis 1911 dauernden mehrtausendjährigen Geschichte des chinesischen Kaiserreichs größeren Einfluss am Kaiserhof als der 1592 geborene Jesuit Johann Adam Schall von Bell. Grundlage für diese in der Geschichte westlich-chinesischer Kulturbegegnung so wichtige Stellung waren dessen brillante Leistungen als Astronom und Wissensvermittler. Auf den eifelstämmigen Missionar geht der bis 1911 offiziell geltende und heute noch traditionell benutzte chinesische Kalender zurück.

Die Familie Schall von Bell war ursprünglich aus dem Kölner Patriziat hervorgegangen, hatte dann in viele Eifler Adelsfamilien eingeheiratet und besaß im 16. Jahrhundert die im heutigen Meckenheim gelegene Wasserburg Lüftelberg. Ob Johann Adam auf dieser Burg oder aber in Köln geboren wurde, ist nicht sicher. Er war ein Sohn aus der vierten Ehe des Heinrich Degenhardt Schall von Bell; seine Mutter Maria Scheiffart von Merode entstammte wie ihr Mann Eifler Adelsgeschlechtern. Johann Adam besuchte das jesuitische Kölner Dreikönigsgymnasium, danach das Collegium Germanicum in Rom, wo er neben Theologie auch Mathematik und Astronomie studierte. Die Erforschung des Kosmos war seit jeher von besonderer, meist sogar religiöser Bedeutung und gerade in der Zeit des jungen Schall von Bell gab es kaum ein wichtigeres und dynamischeres Forschungsgebiet. Der damalige Gelehrtenstreit um das Verhältnis der Erde zur Sonne und anderen Himmelskörpern erhitzte die Gemüter. Namen wie Kopernikus, Kepler und Galilei standen im Mittelpunkt der Diskussionen, und das erst wenige Jahre vor Johann Adams Studienzeit erfundene Fernrohr trieb das Rad des Erkenntnisfortschritts noch rasanter an. Welch gründliche Kenntnisse sich der kurkölnische Student erworben hatte, wurde erst richtig deutlich, als er nach Eintritt in den Jesuitenorden (1611) und Priesterweihe (1617) mit anderen Jesuiten als Missionar in das Reich der Mitte aufbrach, das auch damals zu den Machtzentren der Erde zählte. In nur wenigen Jahren gelang es dem Rheinländer, sich als Astronom höchste Anerkennung in China zu erwerben – eine phantastische Leistung, denn die Chinesen betrieben Mathematik und Astronomie auf höchstem Niveau. Schall von Bell erlernte Chinesisch in Wort und Schrift derart gut, dass er wissenschaftliche Abhandlungen in dieser Sprache veröffentlichen konnte; am Ende seines Lebens enthielt sein Staunen erregendes Gesamtwerk von 14 Quartbänden rund 150 Schriften in Chinesisch, zudem wichtige Übersetzungen in diese damals noch fremdartiger anmutende Sprache. Schall von Bell wurde Oberster des Kalenderamts, schließlich sogar oberster Astronom in Peking überhaupt. Von dieser von einheimischen Gelehrten argwöhnisch verfolgten einflussreichen Position aus erarbeitete Schall von Bell zusammen mit dem Jesuiten Giacomo Rho im Auftrag des letzten Mingkaisers Chongzhen (1611–1644) den dann jahrhundertelang geltenden und für die chinesische Kultur so zentralen Kalender.

Schall von Bells Wirken fiel in eine dramatische Phase der chinesischen Geschichte. Während in Europa der Dreißigjährige Krieg tobte, wurde auch das asiatische Großreich von Krieg, Wirtschaftskrisen und Bauernaufständen erschüttert. Die alte Ming-Dynastie musste im Jahr 1644 zuerst Rebellen, dann den Herrschern der neuen Qing-Dynastie weichen. Da es auch den neuen Mandschu-Herrschern extrem wichtig war, dass alle Aktionen mit den Gesetzen des Himmels übereinstimmten, legten auch sie höchsten Wert auf erstklassige Astronomen. In dieser Hinsicht führte kein Weg mehr an Pater Schall von Bell vorbei, nachdem sich 1644 dessen Berechnungen zu einer Sonnenfinsternis denen aller sonstigen Experten an Präzision überlegen gezeigt hatten. Dass sich Schall von Bell auch nach dem Regimewechsel am Kaiserhof führend behaupten konnte, lag nicht zuletzt an seiner Freundschaft zum sehr jungen ersten Mandschu-Kaiser Shunzhi (1638–1661), der den Deutschen „Mafa“ (Großvater) nannte und als Lehrer verehrte. 

Nach Shunzhis wurde die Lage des fremdgläubigen Ausländers am Kaiserhof immer kritischer. Durch Schlaganfall und Alter geschwächt, wurde Schall von Bell verhaftet und am 15. April 1665 zu Zerstückelung bei lebendigem Leib verurteilt. Am Tag darauf erschütterten Erdbeben und Stürme die Hauptstadt, was Kaiser Kangxi als Götterzeichen ansah und den Jesuitenpater, der Tausende Chinesen getauft hatte, vor dem Märtyrertod bewahrte. Der bis heute in China bekannte Himmelsforscher starb 1666 an Mariä Himmelfahrt.

Verfasser: Gregor Brand

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