Hermann Löher

Es gereicht der Eifel zur Ehre, dass sie in der Grauen erregenden Geschichte des europäischen Hexenwahns nicht nur auf der Seite der Hexenjäger prominent vertreten ist. Während sich der hochgelehrte Eifler Theologe und Weihbischof Dr. Peter Binsfeld zu einem Cheftheoretiker der Hexenjagd entwickelte, verfasste sein ungelehrter Landsmann, der Nordeifler Tuchhändler Hermann Löher, fast 100 Jahre später ein Werk, das zu den erstaunlichsten Zeugnissen gegen die Hexenprozesse zählt. Löhers über 600 Seiten umfassendes Buch mit dem Titel „Wemütige Klage der frommen Unschültigen“ war die mit letztem Herzblut zustande gebrachte Leistung eines hoch betagten Mannes, der nicht aus dem Leben scheiden wollte, ohne vorher mit dem von so vielen Menschen geteilten Irrsinn abgerechnet zu haben, dem im 16. und 17. Jahrhundert auch in der Eifel Tausende von Frauen und Männern geopfert wurden.

Hermann Löher wurde 1595 in Münstereifel als Sohn des Kaufmanns Gerhard Löher geboren. 1601 zog der Vater mit der Familie einige Kilometer ostwärts ins Erzstift Köln nach Rheinbach, wo er wenige Jahre später Bürgermeister wurde. Sein Erstgeborener Hermann erlernte in der Rheinbacher Schule lediglich die Grundfertigkeiten, die er als zukünftiger Kaufmann brauchte. Was die Gebildetensprache Latein anging, so bekannte Löher im Alter, dass er nur „hier und da ein lateinisch Wort ex usu von langen Jahren her mit lesen und hören aufgefangen“ habe. Als tüchtiger Tuchhändler kam er schon in jungen Jahren weit umher. 1631 wurde er jüngster Schöffe und gehörte damit zur Rheinbacher Oberschicht. Löhers Leben wurde dadurch nicht leichter – im Gegenteil. Gerade zu dieser Zeit erreichte die Hexenverfolgung auch diese Gemeinde. Jungschöffe Löher musste als Zeuge die Folterungen von verdächtigten Mitbürgern ansehen. Voller Empörung erinnerte er sich noch mehr als 40 Jahre später genau an den Prozess gegen die 60-jährige Tuchhändlerin und Bürgermeisterswitwe Böffgens, die auf Drängen des Hexenkommissars Dr. Franz Buirmann gegen das geltende Prozessrecht zu Tode gequält wurde. Bald wurde klar, dass der Jurist Buirmann mit Rheinbacher Bürgern zusammenarbeitete, die gezielt gegen Familien ihrer lokalen Oberschicht hetzten und prozessierten. Rheinbachs alter Bürgermeister Hilger Lirtz wurde 24 Stunden lang gemartert, andere Schöffen oder deren Ehefrauen wurden ebenso wie der kurfürstliche Vogt Dr. Schweigel wegen Hexerei verbrannt. Kein Wunder, dass die Angst vor Denunzierung auch Löhers große Familie erfasste. Kaufmann Löher hatte 1618 Kunigunde Frembgens geheiratet, eine Tochter des Schultheißen zu Flerzheim. Aus der Ehe gingen fünf Söhne hervor, die überwiegend studierten, sowie „3 schöne Döchter“, wie Hermann Löher später stolz notierte. 1636 verstärkte sich in Rheinbach das gefährliche Getuschel, dass der reiche Schöffe Löher und seine Frau mit dem Teufel im Bund seien. In höchster Not floh Löher mit seiner Familie und etwas Bargeld in die hexenprozessfreie Handelsmetropole Amsterdam.

Dort schlug sich der einst reiche Kaufmann fortan mit einem kleinen Textilladen durch. 1662 starb Löhers geliebte Frau, 1668 heiratete der 73-jährige Katholik Löher erneut. Seine zweite Frau, eine wesentlich jüngere verwitwete Rheinländerin, hatte anscheinend wenig Verständnis dafür, dass ihr Mann so viel Geld und Zeit für sein Buch investierte. Löher verarbeitete darin nicht nur eigene Erfahrungen mit Hexenprozessen, sondern griff zudem auf Erlebnisse von Bekannten und Freunden zurück. Mit enormem Eifer setzte sich der Eifler mit der ihm zur Verfügung stehenden Hexenliteratur auseinander, wobei er vom beispiellosen Reichtum an Büchern und Übersetzungen im europäischen Verlagszentrum Amsterdam profitierte. Löher hoffte, mit seinem Anklagebuch zum Ende der Hexenjagd beitragen zu können. Aber bei seinem Tod 1678 war von den 1000 Exemplaren keines verkauft worden, die Bücher landeten als Altpapier in einer Papiermühle. Nur zwei der Originalausgaben sind bis heute erhalten, aber sie erlauben Historikern wie dem Löher-Experten Thomas P. Becker folgendes Urteil: „Für uns heute hat dieses Buch allerdings einen enormen Wert. Nirgendwo auf der Welt existiert eine so detailreiche Schilderung der Atmosphäre und der Konflikte in einem Hexengericht“. 1998 gab Löhers Heimatstadt Münstereifel eine Faksimile-Ausgabe seines einzigartigen Werkes heraus – ein weiterer Beweis dafür, dass Hermann Löher nicht umsonst geschrieben hat.

Verfasser: Gregor Brand

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