Eduard Böcking

Bis an sein Lebensende vergaß Goethe nicht, wie er sich am Allerheiligenabend 1792 nach einem bedrohlichen Moselunwetter in Trarbach mit Boot und Begleitern ans Ufer retten konnte und bei einem jungen Kaufmannsehepaar  „Henne mit Reis“ und „köstlichsten Moselwein“ zur Stärkung bekam, ehe die Reise im Morgengrauen, beschenkt mit zwei Barchentmatratzen zur besseren Bequemlichkeit im Boot, weiter ging. Goethes Gastgeber waren Ludwig Böcking und dessen Ehefrau Dorothea (geb. Nießen), die 1802 Eltern von Eduard Böcking wurden, einem der großen deutschen Gelehrten des 19. Jahrhunderts. Was Goethe nicht wissen konnte: Bei diesen Böckings handelte es sich um Angehörige einer moselländischen Familie, die ungewöhnlich viele ökonomisch und intellektuell sehr erfolgreiche Persönlichkeiten hervorbrachte.

Eduard, sechstes von acht Kindern, besuchte die Elementarschule, dann die höhere Schule in Trarbach. 1816 wechselte er aufs Gymnasium nach Kaiserslautern. Im Herbst 1818 schloss er die Gymnasialzeit als Schulbester ab. Im folgenden Jahr nahm der Siebzehnjährige das Jurastudium in Heidelberg auf, wechselte ein Jahr später nach Bonn und bald darauf nach Berlin, um dort lehrende Geistesriesen wie Hegel, Schleiermacher oder den Juristen F. C. von Savigny kennenzulernen. Auf Savignys Rat hin wechselte der brillante Jurastudent nach Göttingen, wo er bereits 1822 den juristischen Doktortitel erwarb. Spätestens zu diesem Zeitpunkt war es Böckings Ziel, Rechtsgelehrter zu werden. Drei Jahre lang vertiefte er sich in seinem wohlhabenden Elternhaus an der Mosel in gelehrte Studien. Als er sich mit 24 Jahren an der Universität Berlin habilitierte, hatte er sich nicht nur intensiv mit dem römisch-rechtlichen Begriff des „mancipium“ befasst, sondern gleichsam nebenher auch mit der lateinischen Mosella-Dichtung von Ausonius. Der zeitlebens von seiner Moselheimat begeisterte Böcking veröffentlichte 1828 seine eigene Mosella-Übersetzung und kommentierte den Text von Ausonius mit einer Sachkunde, die ihm seitens der Philologen hohen Respekt einbrachte. Nach fünfjährigem Wirken in Berlin, zuerst als Privatdozent, dann als außerordentlicher Professor, wechselte Böcking im Januar 1830 an die Universität Bonn, wo er nun für 40 Jahre – ab 1835 als Ordinarius – verschiedene Rechtsgebiete lehrte. Böcking, für den das römische Recht zentraler Bestandteil der europäischen Kultur war, entwickelte sich, ausgestattet mit phänomenaler Arbeitskraft und Intelligenz, zum einem der bedeutendsten deutschen Rechtswissenschaftler seiner Zeit.

Aus den Schilderungen mancher seiner Studenten, zu denen auch Karl Marx oder die berühmten Historiker Theodor Mommsen und Heinrich von Treitschke gehörten, ergibt sich das Bild eines eigenwilligen Professors, der trotz gelegentlicher Launenhaftigkeit von vielen geradezu verehrt wurde. Berühmt und gefürchtet zugleich waren Böckings wissenschaftliche Akribie und Gründlichkeit. Seine Exaktheit bewährte sich nicht nur bei seinen juristischen Veröffentlichungen, sondern auch bei den Studien auf anderen Gebieten. Nach dem Tod seines engen Freundes, des Dichters und Denkers A. W. Schlegel, gab Böcking dessen Werke in 12 Bänden heraus und systematisierte Schlegels Nachlass. Ein weiteres bedeutendes Publikationsprojekt Böckings waren die Schriften des Humanisten Ulrich von Hutten, der von Böcking aufs Höchste geschätzt wurde. In politischer Hinsicht war der von vielen Eifler Familien abstammende Böcking ein kämpferischer Liberaler, der nach der Revolution von 1848/49 ebenso wie sein Bruder Adolph Carl, Abgeordneter der Paulskirche, zeitweise auf deutliche Distanz zur preußischen Monarchie ging.

Der hoch angesehene und wohlhabende Professor Böcking blieb nicht von persönlichen Schicksalsschlägen verschont. Nicht lange nach der Geburt ihres fünften Kindes verstarb seine erst 27-jährige Frau, die Postmeisterstochter Thusnelda Corsica, nach zehn glücklichen Ehejahren. Der in die USA ausgewanderte Sohn Dr. Max Böcking kam bei einem Unfall drei Jahre vor dem Vater ums Leben. Dass sich ein weiterer Sohn, der ebenfalls emigrierte Ornithologe Dr. Adolph Böcking, mit 66 Jahren in Texas erschoss, erlebte Professor Böcking nicht mehr, da der große Jurist 1870 an einer Lungenentzündung verstorben war. Schon 20 Jahre vorher hatte Eduard Böcking wehmütig das „seit Jahren immer schärfer sich regende Gefühl eigner Krankhaftigkeit“ erwähnt, das ihn jedoch nicht abhielt, bis zum Tod unermüdlich tätig zu sein. 

Verfasser: Gregor Brand

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