Christian Dieden

Weingutsbesitzer und Politiker aus Ürzig147_dieden_28_13

Als im Juli 1893 der 82-jährige Zentrumsabgeordnete Christian Dieden als ältestes Mitglied der stärksten Fraktion geschäftsordnungsgemäß die konstituierende Sitzung des neugewählten Reichstags als Alterspräsident eröffnete, hätte man darin einen Akt von symbolischer Bedeutung sehen können: ein prägnantes Zeichen für die schwindende Bedeutung des „alten Preußen“ und die aufstrebende Macht von Parteien, die – wie Zentrum und SPD – noch zwanzig Jahre zuvor vielen Angehörigen der preußischen Elite als „Reichsfeinde“ gegolten hatten.  Vier Jahre vor Dieden war noch der konservative Helmuth Graf von Moltke (1800–1891) Alterspräsident gewesen – jener schon damals legendäre Generalfeldmarschall, unter dessen militärischer Führung Preußen die Kriege gegen Österreich und Frankreich gewonnen hatte und der zusammen mit seinen Freunden Kaiser Wilhelm I. und Otto von Bismarck das norddeutsch-protestantische Preußen exemplarisch verkörperte. Der erzkatholische Moselaner Dieden kam demgegenüber politisch und kulturell aus einem ganz anderen Milieu. Seine 1870 gegründete Zentrumspartei verstand sich als Interessenvertretung der deutschen Katholiken und stand lange in schärfster Opposition zur Politik des Reichskanzlers und preußischen Ministerpräsidenten Otto von Bismarck. In den ersten Jahren nach der Reichsgründung 1871 bekämpfte Bismarck diese katholische Opposition aufs Heftigste. Während des sogenannten „Kulturkampfs“  sah er im politischen Katholizismus –  für den die Zentrumspartei stand – den innenpolitischen Hauptgegner. 1874, als dieser Machtkampf voll entbrannte und der Trierer Bischof Matthias Eberhard ebenso wie andere Geistliche im Bistum Trier verhaftet sowie kirchliche Vermögenswerte beschlagnahmt wurden, wählte der Wahlkreis Wittlich-Bernkastel den Ürziger erstmals in den Deutschen Reichstag. Mehrfach wiedergewählt, blieb Dieden Reichstagsabgeordneter bis 1898.

Dieden war 1874 bei seiner Erstwahl in den Reichstag bereits kein junger Politiker mehr. Geboren im Dezember 1810 in Ürzig als Sohn der Eheleute Anton Dieden und Anna Margaretha Mack hätte er sich aus Altersgründen eigentlich schon zur Ruhe setzen können. Als „Rentner“ wurde er jedoch erst 1877 im „Deutschen Parlaments-Almanach“ von Georg Hirth bezeichnet, wohingegen er 1874 dort als Kaufmann, Weingutsbesitzer und „Weinzüchter“ aufgeführt ist. Dieden hatte einst das Gymnasium in Trier besucht, verließ es aber nicht, um wie die Mehrzahl seiner Mitschüler Theologie zu studieren, sondern bildete sich als Kaufmann aus. Reisen führten ihn nach Holland, Belgien und Italien.

Wieder in seinem Heimatdorf Ürzig konzentrierte er sich erfolgreich auf das Produkt, das seinen Heimatort weltberühmt gemacht hat: den Wein. Obwohl Dieden sich schon in jungen Jahren stark für Politik interessiert und viele revolutionäre Forderungen des Jahres 1848 unterstützt hatte, wurden besondere politische Aktivitäten von ihm erst in den fünfziger Jahren vermeldet. 1854/55 war er Mitglied des preußischen Abgeordnetenhauses, 1860/61 ebenfalls; von 1873 bis 1898 schickten ihn die Wähler des Wahlkreises Wittlich-Bernkastel immer aufs Neue als Abgeordneten in dieses höchste parlamentarische Gremium des Landes Preußen. Der  bodenständige Weingutsbesitzer wurde in den 1860er Jahren zudem Ortsvorsteher seines Heimatorts, nach Ablauf der 12-jährigen Amtszeit aber nicht mehr bestätigt „wegen ultramontaner Gesinnung“; mit anderen Worten: Dieden stand während der Kulturkampfzeit eindeutig auf Seiten des Papstes und gegen Bismarck. Christian Dieden, der keine akademische Bildung vorweisen konnte, zählte sicher nicht zu den tonangebenden Reichstagsabgeordneten. Er war kein Jurist, brachte jedoch seine reichen praktischen Erfahrungen in die Kommission zur Schaffung des BGB ein. Ansonsten war er allein schon aufgrund seiner Herkunft ein ungewöhnliches Reichstagsmitglied:  Dieden war nicht bloß unter den Abgeordneten der Rheinprovinz der einzige Eifler, sondern lange wohl auch der einzige gebürtige Eifler Volksvertreter in Berlin überhaupt; 1896 kam dann sein Parteifreund und Eifler Landsmann, der Bitburger Quirin Peter Wallenborn, hinzu. In Berlin erfreute Dieden Politikerkollegen mit Moselwein, nicht zuletzt auch den Weinkenner Bismarck, mit dessen Politik sich der Ürziger nach Ende des Kulturkampfs zunehmend besser anfreundete.

Christian Dieden hatte 1843 die Ürzigerin Catharina Nicolay geheiratet; die Ehe blieb kinderlos. Sein nicht unbeträchtliches Immobilien- und Kapitalvermögen  vermachte der heimatverbundene Katholik seiner Heimatgemeinde mit der Auflage, ein Krankenhaus mit Schwesternniederlassung, verbunden mit Kindergarten und Handarbeitsschule, zu errichten. Das Vorhaben ließ sich nicht in der von Dieden erhofften Weise umsetzen, aber mit dem Ürziger Altenzentrum St. Josef wird bis heute ein Herzensanliegen Diedens erfüllt. Christian Dieden starb im Dezember 1898, nur wenige Monate nach dem „eisernen Kanzler“ Fürst Otto von Bismarck.

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