Anna Maria van Schurmann

Anna Maria van Schurmann
Anna Maria van Schurmann

Ihr niederländischer Nachname täuscht nicht: Anna Maria van Schurmann, vielleicht die  gelehrteste Frau des 17. Jahrhunderts, war die Tochter des aus Antwerpen stammenden Friedrich van Schurmann, der vor den blutigen Religionskriegen in seiner Heimat nach Köln geflüchtet war. Eine Eifler Adlige dagegen war seine Ehefrau Eva von Harff, die Mutter der 1607 in Köln geborenen Anna Maria. Die Familie von Harff beherrschte über Jahrhunderte vom Wasserschloss Dreiborn bei Schleiden aus eine jülische Unterherrschaft in der Nordeifel. Wenn die Eltern auch ihrer Herkunft nach verschieden waren, so verband sie doch die gemeinsame Religion – damals eine Frage von höchster Brisanz. Die Eltern waren Reformierte, was im katholischen Köln angesichts steigender religiöser Intoleranz immer mehr zu einem Problem wurde. Die Familie wich zunächst auf Schloss Dreiborn aus und zog dann in die Niederlande, wo sich Anna Maria nach dem Tod des Vaters (1623) mit der Mutter schließlich in Utrecht niederließ.
Anna Maria zeigte schon im Kleinkindalter höchste Begabung. Mit drei Jahren konnte sie in der Bibel lesen, und als ihre älteren Brüder in Latein unterrichtet wurden, lernte sie die Sprache mit seltener Leichtigkeit mit. Später beherrschte sie nicht nur die klassischen Bildungssprachen Latein und Griechisch, sondern auch zahlreiche weitere Sprachen: neben Hebräisch unter anderem auch Arabisch, Chaldäisch und Persisch. Lehrer in einigen neueren Sprachen war ihr Vater, der ihren Lerneifer nachhaltig unterstützte und von den geistigen Fähigkeiten seiner einzigen Tochter sehr überzeugt war. Deren besondere Fähigkeiten erstreckten sich nicht nur auf den gelehrten Bereich, sondern auch auf das Handwerkliche und Künstlerische, wie ihre Gemälde und Kupferstiche bezeugen. Vielleicht unter dem Eindruck dieser Vielzahl von Gott geschenkter Talente bat ihr tiefreligiöser Vater sie auf seinem Sterbebett, auf eine eigene Familie zu verzichten und stattdessen ihr Leben nur dem Glauben und den Wissenschaften zu widmen. Welche Gedanken ihren Vater dabei genau leiteten, ist angesichts des Mangels an biographischen Quellen nicht zu ermitteln, vermutlich spielten religiöse Überlegungen eine entscheidende Rolle Die meisten Informationen zu den frühen Jahren Anna Marias stammen aus ihrem Werk „Eukleria“, das sie in ihrem 67. Lebensjahr veröffentlichte. Anna Maria, die beim Tod ihres Vaters erst 13 war, sprach jedenfalls auch im Alter noch von ihrem Vater in Tönen höchster Liebe und Verehrung und hielt sich an seinen Rat.

Das phänomenale Wissen, das sich Anna Maria nach dem Tod des Vaters im Selbststudium und mit Hilfe von Privatlehrern aneignete und das sich auf nahezu alle damals bedeutsamen  Wissensgebiete erstreckte, blieb nicht verborgen. Zahlreiche gelehrte Männer und Frauen korrespondierten mit ihr. Obwohl sie keine akademische Ausbildung hatte, durfte sie Mitte der 1630er Jahre an ihrem Wohnort Utrecht das lateinische Festgedicht zur Eröffnung der Universität verfassen, womit ihre exzellenten Lateinkenntnisse ehrenvoll gewürdigt wurden. Anna Maria van Schurmann wurde in jenen Jahren zu einer Vorkämpferin für das Recht von  Frauen auf Universitätsausbildung. In viel beachteten Abhandlungen argumentierte sie unter Berufung auf religiöse Gründe für das Recht von Frauen auf eine wissenschaftliche Ausbildung und erreichte es, dass sie als erste Frau an der Universität Utrecht studieren durfte. Den Vorlesungen musste sie allerdings von einem abgetrennten Raum aus folgen, um die Studenten nicht abzulenken. Vermutlich ging es ihr bei diesem Studium mehr ums Prinzip als um tatsächlichen Wissenserwerb, denn an Kenntnissen stand sie den Professoren nicht nach. Europaweit breitete sich der Ruhm ihrer Gelehrsamkeit aus. Sie wurde von der  schwedischen Königin Christine ebenso besucht wie von anderen berühmten Zeitgenossen.

Angesichts ihrer Prominenz als gefeiertes „Wunder ihrer Zeit und Ruhm ihres Geschlechts“ muss es viele in hohem Maß irritiert haben, dass sich die große Gelehrte Mitte der 1660er Jahre innerlich von der Wissenschaft abwandte und sich mit höchster Intensität der Religion zuwandte. Im Jahr 1666, als sowohl unter Christen wie unter Juden Endzeiterwartungen einen Höhepunkt erreichten, nahm sie den umstrittenen französischen Mystiker und Pietisten Jean de Labadie (1610-1674) bei sich auf und schloss sich den Labadisten an. Dieser aus dem Calvinismus hervorgegangenen Gemeinschaft ging es um ein Leben nach urchristlichen Idealen. Wichtiger als Weltwissen waren ihnen Herzensfrömmigkeit und unmittelbares religiöses Erleben, was ihren Anhängern – gerade auch A.M. van Schurmann – den Ruf der Schwärmerei und Sektiererei einbrachte. Heute werden Schurmann und der Labadismus als wichtige Inspiration für den deutschen Pietismus angesehen, der von tiefgreifender Bedeutung für das deutsche Geistesleben wurde. Die zur Mystikerin gewandelte Universalgelehrte A. M. van Schurmann starb im Kreis ihrer Gemeinschaft 1678 in Friesland.
Verfasser: Gregor Brand

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