Dauertiefpreise treffen Bauernfamilien hart

Unerträgliche Situation auf den landwirtschaftlichen Betrieben

Sellerich. Der Präsident des Bauern- und Winzerverbandes Rheinland-Nassau, Michael Horper, kritisierte in einer Pressekonferenz des Verbandes auf dem landwirtschaftlichen Betrieb der Familie Steils in Sellerich scharf das Verhalten des Lebensmitteleinzelhandels: „Es gibt Teile unserer Wirtschaft, die nicht in der Lage sind, ihrer gesellschaftlichen Verantwortung gerecht zu werden.

Dazu zählen vor allem die bedeutendsten Unternehmen des Lebensmitteleinzelhandels! Diese benehmen sich wie „Raubtierkapitalisten“ und vernichten die Erzeuger sowie Verarbeiter landwirtschaftlicher Produkte. Die soziale Marktwirtschaft wird mit Füßen getreten.“ Horper verdeutlichte, dass es den Landwirten wirtschaftlich durchaus besser gehen könnte, wenn der Lebensmitteleinzelhandel die weltwirtschaftlich angespannte Situation auf den Agrarmärkten nicht noch zusätzlich durch eigenes Tun verschärfen würde.

Mit den Plakaten wie „Tierwohl statt Tiefstpreise“ protestierten die Schweine- und Milchbauern auch während der Pressekonferenz gegen das Verhalten der Discounter. Sie kritisierten vehement, dass Aldi, Lidl, Edeka, Rewe und Co. mit der 4 Cent pro Kilogramm-Unterstützung der „Initiative Tierwohl“ so tun, als ob ihnen die bäuerlichen Betriebe und Tiere am Herzen lägen, mit ihrer Tiefpreispolitik aber die Bauernfamilien in den Ruin treiben. Mit Sprüchen wie „Wir lieben Lebensmittel“ wollten sie vertuschen, dass sie mit dem Wohl der Lebensmittelerzeuger überhaupt nichts im Sinn hätten. Mit ihren Plakaten und Transparenten werden sich Bauern aus der ganzen EU bei einer großen berufsständischen Demonstration anlässlich des Agrarrates am 7. September in Brüssel für Entlastungsmaßnahmen in den verschiedenen Tierhaltungsbereichen einsetzen und Unterstützungsmöglichkeiten seitens der Politik einfordern.
„Die Bauern weisen zu Recht darauf hin, dass sie über das normale Maß hinaus tagtäglich arbeiten, mit den Wetterkapriolen zurechtkommen müssen und dann auch noch für gute Qualität schlecht bezahlt werden“, so Horper. Das erste Halbjahr dieses Jahres habe sich für die Schweinemäster und Sauenhalter enttäuschend entwickelt. Gegenüber dem Vorjahr hätten die Erzeuger deutlich weniger erlöst. In Anbetracht der bisherigen geringen Gewinnspanne sei diese Entwicklung eine Katastrophe. Seit Sommer letzten Jahres habe das russische Embargo für tierische Produkte aus Europa zu weiteren Einbußen in den Veredlungsbetrieben geführt. Im Juli habe sich die Situation noch einmal deutlich verschärft. Die Preise für Schweinefleisch befänden sich mittlerweile auf einem 12-Jahrestief. Da helfe es auch gar nichts, wenn die Preise im Futtermittelbereich weitgehend konstant blieben.

Die deutsche Milch gehe fast zur Hälfte in den Export. Der hohe Exportanteil zeige, dass die deutschen Molkereien bereits heute einen intensiven Handel mit Milchprodukten betreiben würden: „Die Landwirtschaft erlöst jeden vierten Euro über den Export. Bei den nachgelagerten Bereichen, wie der Ernährungsindustrie und der Landtechnikindustrie sind die Erlösanteile sogar noch höher“, so Horper. Wirtschaftliche Entwicklungen in Exportmärkten wirkten sich demzufolge selbstverständlich auf den heimischen Markt aus. Das Russland-Embargo treffe daher die europäischen Milcherzeuger hart. Die augenblicklich gesperrten Milch-Exportmengen drängten nun zusätzlich auf den EU-Binnenmarkt und erhöhten den Preisdruck. Aber auch der Export nach China sei eingebrochen. Gegenüber dem Vorjahreszeitraum seien insgesamt 40 Prozent weniger Milch- und Milchprodukte dorthin exportiert worden. Gleichzeitig habe sich das globale Milchaufkommen im ersten Halbjahr erhöht. So liege das Rohstoffangebot der vier bedeutendsten Exporteure von Milchprodukten auf dem Weltmarkt, USA, EU, Australien und Neuseeland sogar über dem Vorjahreszeitraum.
In dieser schwierigen Situation würden nun die zusätzlich höheren steuerlichen Belastungen, aufgrund der Gewinne von 2013/14, die deutschen Bauernfamilien zusätzlich hart treffen. Horper: „Diese fiskalischen Forderungen kommen nun zu einem absolut ungünstigen Zeitpunkt. Darüber hinaus müssen einzelne Betriebe hohe Strafzahlungen wegen der Nichteinhaltung der einzelbetrieblichen Milchquote hinnehmen.“ Präsident Horper fordert daher die Bundesregierung auf, die Normalisierung der Handelsbeziehung mit Russland zu forcieren. Außerdem seien Anstrengungen zu unternehmen, um alternative Märkte außerhalb der EU zu erschließen. Um Liquiditätsengpässen begegnen zu können, müsse sichergestellt werden, dass die diesjährigen Betriebsprämien schon zum 1. November ausgezahlt würden. Auch ein zusätzliches Liquiditätsprogramm von Bund und Ländern müsse aufgelegt werden.

Der Interventionspreis und die Interventionsmengen für Milch müssten zeitlich befristet deutlich angehoben werden. Dies würde zu einer Entspannung auf dem Milchmarkt führen. Horper forderte die staatliche Verwaltung auf, die Betriebsleiter bezüglich der zu erwartenden Liquiditätsengpässe fachlich zu unterstützen. Außerdem werde er Gespräche mit dem Lebensmitteleinzelhandel führen. Schließlich helfe eine Preisspirale nach unten niemandem – auch nicht dem Handel. Ein Verdrängungswettbewerb dürfe nicht auf dem Rücken der Bauern stattfinden.
Entlastungen bei den Sozialversicherungsbeiträgen und die Einführung eines steuerlichen Risikoausgleichs seien weitere wichtige Maßnahmen, um die Liquidität der landwirtschaftlichen Betriebe zu verbessern. Da der Lebensmitteleinzelhandel nicht einsichtig sei, forderte er schnelle und effiziente Maßnahmen der Bundesregierung gegen die Preispolitik der Einzelhandelsunternehmen. Hier sei auch das Kartellamt gefordert. Außerdem müssten die Abzüge im Milchbereich an die Bauern zurückfließen, forderte Präsident Horper. Als Zeichen des Protestes verteilten die anwesenden Bauern während der Pressekonferenz kostenlos Bratwürste und Milch an die Teilnehmer der Konferenz. Mit diesem stummen Protest brachten sie die geringe Wertschätzung der landwirtschaftlichen Erzeugnisse durch die Gesellschaft und des Lebensmitteleinzelhandels zum Ausdruck.

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