Wir dürfen den Boden der Aufklärung nicht verlieren

Eifel-Literatur-Festival 2018, Ranga Yogeshwar liest in Bitburg. Foto: Harald Tittel

Ranga Yogeshwar wirft beim Eifel-Literatur-Festival einen Blick in unsere digitale Zukunft

Rund 800 Menschen sind zum Eifel-Literatur-Festival nach Bitburg gekommen, um einen Mann zu erleben, der sich durch so fundierte wie unterhaltsame Wissensvermittlung den Status eines Medien-Stars erworben hat, Ranga Yogeshwar. Der Luxemburger Physiker, Wissenschaftsjournalist, Autor und Moderator von Fernsehsendungen wie „Quarks & Co.“ oder „Die große Show der Naturwunder“ sprach über ein Thema, das uns alle bewegt, die Zukunft.

Applaus braust durch die ausverkaufte Stadthalle Bitburg, als Ranga Yogeshwar Saal und Bühne betritt. Kein Wunder, der 58jährige ist dank seiner Medienpräsenz nicht nur populär, er ist auch ein Sympathieträger. Freundlich und natürlich sein Auftreten, offen der Blick in die Menge, stellt er augenblicklich einen Draht zu seinen Zuhörerinnen und Zuhörern her. Und sie hören ihm interessiert zu, weil er über etwas spricht, dem sich niemand entziehen kann, den Wandel unserer Welt. Ihn hat er in seinem Bestseller „Nächste Ausfahrt Zukunft“ unter die Lupe genommen. Zum Auftakt liest er das erste Kapitel, eine Alltagsgeschichte, in der sich wohl die meisten im Publikum wiederfinden: Yogeshwar will sich in der heimischen Küche eine Tasse Kaffee aus dem schicken Vollautomaten ziehen, aber der funktioniert nicht. Wahrscheinlich ist der Mikroprozessor kaputt, und das Gerät muss eingeschickt werden. Bleibt ihm also nur, sich einen Kaffee per Hand aufzubrühen. Dabei findet er eine schon fast vergessene Erfahrung wieder, selbst beteiligt, ja Herr über einen Zubereitungsprozess zu sein, der mit sinnlichem Erleben einhergeht.

Hinter der humorvoll geschilderten Geschichte steht eine ernste Erkenntnis: Die Übertechnisierung unseres Alltags nimmt uns unsere Autarkie. Der Automat degradiert den Verbraucher zum Knöpfchendrücker, kommandiert und erpresst ihn. Mit diesem Beispiel veranschaulicht Yogeshwar, für was er seine Leser sensibilisieren will: Bewusstsein für und verantwortlichen Umgang mit einem Fortschritt, dessen Rasanz so noch nie dagewesen ist. Ein organisches Wachstum von Zukunft aus Vergangenheit, mit Zeit zur Anpassung, gebe es nicht mehr, sagt er. Vielmehr herrsche ein disruptiver Wandel vor, eine schlagartige Verdrängung bewährter und erfolgreicher Entwicklungen durch Innovationen. Das gelte besonders im Bereich der Digitalisierung, die unsere Vorstellung von Zukunft am stärksten präge. Yogeshwar zeigt Bilder von 1983 aus einem Rechenzentrum, in dem er gearbeitet hat, Räume mit riesigen „Supercomputern“ und erklärt, dass deren Leistung heute bereits täglich für jedermann und –frau verfügbar ist, im handlichen Smartphone. Der Vormarsch von künstlicher Intelligenz und Vernetzung berge Risiken und schaffe gesellschaftliche Veränderungen, warnt der Autor und führt die Informationsübermittlung an. Alle, die ein gedrucktes Produkt läsen, teilten die gleichen Informationen.

„Im Netzwerk jedoch werden wir nach unseren Vorlieben gefüttert, jeder hat eine andere Wahrheit“. Das begünstige die Verbreitung von Fake-News und damit die Diskrepanz zwischen Fakt und Vorstellung. Besondere Gefahr berge die Lernfähigkeit der Computer. Als griffiges Beispiel dafür liest Yogeshwar zunächst vor, wie er auf einem Klangkunstfestival 1979 die Begeisterung über eine synthetisch erzeugte Stimme mit dem Einwand dämpfte: „Aber sie atmet nicht“. Dann lässt er die aktuelle Tonaufnahme eines Dialogs ablaufen, in der vermeintlich zwei Menschen einen Termin vereinbaren, aber einer von ihnen ist eine virtuelle Sprachassistentin, die verblüffend echt wirkt. Es folgt ein Versuch mit dem Publikum. Es soll in Hörbeispielen einschätzen, ob Klaviermusik von Menschen oder Computern gemacht ist. Weil keine Unterscheidung möglich ist, bleibt als Ergebnis eine große Verunsicherung zurück. Täuschungen dieser Art werden zunehmen, warnt Yogeshwar und: „Wenn wir nicht aufpassen, werden uns die digitalen Produkte eine Norm aufdrängen“.

Doch damit nicht genug der bedrohlichen Zukunftsaussichten. Er berichtet über die Entwicklung von „Schnüffel-Software“ auf elektronischen Readern, die den Leser genau scannt und aus seinen Regungen sowohl personalisierte Umformungen der Lektüre wie auch Analysen seines Gesundheitszustandes generiert. Yogeshwar gestaltet den Abend mit einem Mix aus Lesepassagen, Erzählungen, Ton- und Bildaufnahmen abwechslungsreich. Und er fesselt, weil er immer wieder eigene biografische und wissenschaftliche Erfahrungen einbringt. Das macht ihn authentisch und überzeugend. Er leistet Aufklärung und Sensibilisierung und hinterlässt Denkanstöße. Kritische, wie die Frage: „Wollen wir eine Zukunft, in der der freie Wille nicht mehr da ist, da durch Datensammlung  jeder unserer Schritte manipuliert und gelenkt werden kann?“ Und ermutigende wie den Appell, offen für jede neue Erkenntnis zu sein, und im Wandel die Chance der Gestaltung zu begreifen.

Anke Emmerling

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