Schulze in Odessa: Wiederaufbau mitten im Krieg

Von Jörg Blank, Kay Nietfeld und Ulf Mauder, dpa

Odessa (dpa) – Entwicklungsministerin Svenja Schulze hat der Ukraine angesichts anhaltender russischer Angriffe auf die Infrastruktur zusätzliche 52 Millionen Euro für den Wiederaufbau zugesagt.

«Wir sind mitten im Krieg dabei, die Ukraine wiederaufzubauen zu einer freien, zu einer unabhängigen Ukraine», sagte die SPD-Politikerin am Donnerstag bei einem aus Sicherheitsgründen geheim gehaltenen Besuch in der südukrainischen Hafenstadt Odessa.

Die zusätzliche Millionenhilfe für die ukrainischen Kommunen soll in Wärmestuben, Generatoren, medizinische Versorgung und Verwaltungen fließen. 2022 hat das Entwicklungsministerium (BMZ) die Ukraine mit rund 600 Millionen Euro unterstützt. Schulze ist zum zweiten Mal seit dem Angriff Russlands am 24. Februar 2022 in der Ukraine. Ende Mai hatte sie die Hauptstadt Kiew besucht.

Zehn Stunden lang macht sich Schulze begleitet vom ukrainischen Vize-Premier- und Infrastrukturminister Olexander Kubrakow ein Bild vom Wiederaufbau mitten im Krieg. Am Freitag wollte sie in der Nachbarrepublik Moldau eine Gemeinde nahe der Grenze besuchen.

Im Strom-Umspannwerk: Schon zwei Mal teils zerstört

Zwei Mal schon seien Teile des Umspannwerks des Stromnetzbetreibers UkrEnergo zerstört worden, berichtet der Leiter der Station. Am 5. Dezember feuern die Russen demnach sieben Raketen auf das Werk. Vier werden abgefangen, drei treffen. Beim zweiten Angriff am 29. Dezember schlägt eine Rakete ein. Verletzt wird niemand – doch auf dem Gelände ist noch immer der zerstörte Transformator zu sehen, verbeult und verkohlt. Jetzt wird wieder aufgebaut.

Auch am 11. Dezember werden zwei wichtige Kraftwerke in der Region Odessa beschossen – 1,5 Millionen Menschen sind danach ohne Strom. Wie sich die Menschen helfen, ist überall zu sehen: Vor vielen Geschäften stehen Stromgeneratoren auf dem Bürgersteig. Mit mehr als 320 Millionen Euro unterstützt Deutschland die Ukraine nicht erst seit Kriegsbeginn im Rahmen der Energiepartnerschaft. Techniker werden ausgebildet, um das Stromnetz effizienter und kompatibel mit dem im übrigen Europa zu machen.

Wärmestuben nennen sie «Punkte der Unbeugsamkeit»

In Starokosatsche (frei übersetzt: «Dorf von Altkosaken») lässt sich Schulze von Bürgermeister Vadym Boyko eine Wärmestube zeigen. «Sie nennen das hier Punkt der Unbeugsamkeit», sagt sie anerkennend. Neben Wärme und Schlafplätzen gibt es Essen, Erste Hilfe oder auch mal eine Feier. Nachdem die russischen Attacken auf die Strom- und Wärmeversorgung begonnen haben, sind überall im Land solche Anlaufpunkte entstanden.

Die Versorgung mit Strom, Wärme und Wasser entscheide über die Widerstandskraft der ukrainischen Gesellschaft, sagt die Ministerin. «Darum braucht die Ukraine nicht nur Waffen, sondern auch zivile Unterstützung, um stark zu bleiben.» Deutschland hat der Gemeinde unter anderem sieben Stromgeneratoren, einen Operationstisch und vier medizinische Betten für das Krankenhaus geliefert.

30 Prozent der Einwohner von Starokosatsche haben keinen Strom. In der Nähe drehen sich die Rotorblätter von Windkraftanlagen, weitere sind im Bau. Auch Solarstrom wird genutzt – die Ukraine will unabhängiger von russischem Gas und Strom werden.

Gegen 10.15 Uhr gibt es Luftalarm, russische Kampfflugzeuge sind über Belarus geortet worden. Die Kinder gehen routiniert in den Luftschutzkeller – direkt unter der Aula. Schulze muss zum nächsten Termin, sie fährt in einem besonders geschützten Konvoi.

Spilno heißt: Gemeinsam. Ein Platz für Kinder

Luftalarm, Stunden im Schutzraum – das gehe an keinem Kind spurlos vorbei, sagt Letizia Dell’Assin vom UN-Kinderhilfswerk Unicef, als Schulze sich ein Hilfszentrum anschaut. Mehr als 100 «Spilno»-Orte für Kinder hat Unicef geschaffen. Auf deutsch heißt Spilno: Zusammen. Dort gibt es Bildung, Gesundheit, psychologische und medizinische Hilfe für traumatisierte Kinder.

Schulze schaut den Mädchen und Jungen beim Bemalen kleiner Holzherzen zu. Sie hat Jojos, Buntstifte und Fingerfarben dabei. Seit 2014, dem Jahr der Annexion der Krim durch die Russen, unterstützt das BMZ Unicef bei dem Programm. Ende 2022 wurde die Zusammenarbeit um 35 Millionen Euro aufgestockt. «Es gibt die materiellen Schäden, die man an den Kraftwerken oder den Gebäuden sieht», sagt Schulze. «Aber nicht weniger wichtig sind die seelischen Schäden, gerade bei den Kindern.»

Stockende Schwarzmeer-Getreide-Initiative

Im riesigen Getreidehafen von Tschornomorsk ist nur eine Handvoll Schiffe zu sehen. An einem Kai wird Getreide auf einen Frachter verladen, es soll in die Türkei transportiert werden. Von hier aus werden tausende Tonnen Weizen, Mais und andere Nahrungsmittel im Rahmen der 2022 unter türkischer Vermittlung beschlossenen Schwarzmeer-Getreide-Initiative exportiert.

Vor dem Angriff war die Ukraine neben Russland einer der größten Getreideexporteure der Welt. Doch wegen des Krieges ist der Hafen nur zu 30 Prozent ausgelastet, klagt ein Mitarbeiter der Hafenbehörde. Weil es Verzögerungen bei den Kontrollen der Schiffe auf Waffen durch Russland gibt, das der Schwarzmeer-Initiative nach langen Verhandlungen zugestimmt hatte, würden sich 80 Getreidefrachter im Bosporus stauen. Das Abkommen muss im März erneut verlängert werden – offen, ob Moskau dem zustimmt.

Weiterlesen

Krieg gegen die Ukraine: So ist die Lage

Kiew (dpa) – Nach den gezielten russischen Angriffen auf das ukrainische Stromnetz ist die Lage in der Hafenstadt Odessa sowie auch in anderen Regionen nach Einschätzung von Präsident Wolodymyr Selenskyj schwierig. Trotz fortwährend schwerer Kämpfe bleibt der Frontverlauf unverändert. Dies soll nach den Worten des ukrainischen Verteidigungsministers mit einer Gegenoffensive geändert werden, sobald der Boden gefroren genug ist, um Rad- und Kettenfahrzeuge zu tragen.

Selenskyj: Tun alles, um Lage zu entspannen

Die Bemühungen, das schwer beschädigte Stromnetz in und um Odessa zu reparieren, dauern an. Teilweise gebe es wieder eine Versorgung. «Im Moment ist es in Odessa und in anderen Städten und Regionen des Gebiets gelungen, teils die Lieferungen wieder aufzunehmen. Wir tun alles, um unter diesen Bedingungen nach den russischen Treffern das Maximum herauszuholen», sagte Selenskyj. «Aber im Moment ist die Region Odessa noch weiter unter den Gebieten, in denen es die meisten Abschaltungen gibt.»

Russische Truppen hatten Odessa in der Nacht zum Samstag mit einer Welle iranischer Kampfdrohnen angegriffen und dabei für einen Ausfall der Stromversorgung der Stadt sowie des gesamten Umlandes gesorgt. Der Stromausfall, der mehrere Hunderttausend Menschen betrifft, kann nach offizieller Darstellung nur mühsam behoben werden. Der regionale Stromversorger teilte mit, dass die Reparaturen zwei bis drei Monate dauern könnten. Weiterlesen

Ukraine-Krieg: Ankunft von Getreide-Schiff verzögert sich

Istanbul (dpa) – Erstmals seit Beginn des russischen Angriffskrieges gegen die Ukraine hat wieder ein Schiff mit Getreide den Hafen von Odessa verlassen. Nachdem der Start für 7.30 Uhr MESZ angekündigt worden war, brach das Frachtschiff «Razoni» am Morgen um 8.18 Uhr MESZ über das Schwarze Meer in Richtung Libanon auf. Es hat nach offiziellen Angaben rund 26.000 Tonnen Mais geladen.

Ankunft in Istanbul verzögert sich

Die unter der Flagge des westafrikanischen Landes Sierra Leone fahrende «Razoni» wird nach türkischen Angaben später in Istanbul eintreffen als zunächst erwartet. Man rechne mit der Ankunft erst in der Nacht zu Mittwoch, teilte das Verteidigungsministerium mit. Zunächst hatte Minister Hulusi Akar von einer Ankunft am Dienstagnachmittag (14.00 Uhr) gesprochen. Man werde das Schiff voraussichtlich am Mittwochmorgen inspizieren, hieß es nun. Das Ministerium machte keine Angaben zum Grund der Verzögerung.

Nach ukrainischen Angaben warten bereits 16 weitere Schiffe in den Häfen am Schwarzen Meer darauf, ablegen zu können. Weiterlesen

Ukraine-Krieg: So ist die Lage

Kiew (dpa) – Nach folgenschwerem Beschuss in der Südukraine hat Präsident Wolodymyr Selenksyj Russland mit Konsequenzen gedroht. In seiner nächtlichen Videoansprache berichtete er zudem von russischen Truppenverlegungen in besetzte südliche Gebiete, die Kiew derzeit zurückzuerobern versucht.

In der Schwarzmeer-Region Odessa schlugen nach ukrainischer Darstellung mehrere russische Raketen ein. Am Vorabend des 159. Kriegstags wurde zwischenzeitlich fast in der gesamten Ukraine Luftalarm ausgelöst. Weiterlesen

Krieg gegen die Ukraine: So ist die Lage

Kiew/Moskau (dpa) – Einen Tag nach den international verurteilten Raketeneinschlägen in der Hafenstadt Odessa hat Russland den Angriff eingeräumt und mit der Zerstörung von US-Waffen begründet. Die Raketen seien auf ein Schiffsreparaturwerk abgefeuert worden, teilte das Verteidigungsministerium in Moskau mit.

In dem Dock seien ein ukrainisches Kriegsschiff und ein Lager mit von den USA gelieferten «Harpoon»-Raketen zerstört worden, hieß es. Ungeachtet der Angriffe begannen Vorbereitungen zur Ausfuhr von Getreide aus Odessa. Russland ist vor fünf Monaten in die Ukraine einmarschiert.

Der Angriff am Samstagmorgen hatte international Entsetzen ausgelöst, weil Russland erst am Vortag in Istanbul eine Vereinbarung über die Ausfuhr von ukrainischem Getreide auch aus diesem Hafen in Odessa unterzeichnet hatte. Die Vereinbarung hat weiter ihre Gültigkeit. Weiterlesen

Selenskyj: Raketen auf Odessa sind «russische Barbarei»

Kiew (dpa) – Einen Tag nach der Vereinbarung über die Ausfuhr von ukrainischem Getreide über das Schwarze Meer hat Russland nach Angaben aus Kiew den Hafen von Odessa mit Raketen beschossen. «Gestern wurde der Export über den Seeweg vereinbart, und heute greifen die Russen den Hafen von Odessa an», teilte der Chef des ukrainischen Präsidentenbüros, Andrij Jermak, mit. Russland bombardiere die Hafenstadt.

Nach ukrainischen Militärangaben wurden zwei russische Raketen von der Luftabwehr abgefangen, zwei weitere seien im Handelshafen eingeschlagen, hieß es. Weiterlesen

Russland: Raketen auf Treibstofflager bei Odessa gefeuert

Moskau (dpa) – Russland hat nach eigenen Angaben Ziele nahe der ukrainischen Hafenstadt Odessa am Schwarzen Meer angegriffen.

Von Schiffen und Flugzeugen aus seien Raketen auf eine Ölraffinerie und drei Treibstofflager abgefeuert worden, teilte das Verteidigungsministerium in Moskau mit. Der Stadtrat der Metropole mit etwa einer Million Einwohnern hatte zuvor schon von Bränden im Stadtgebiet berichtet. Weiterlesen

Pentagon beobachtet schwindende Moral russischer Soldaten

Washington (dpa) – Das russische Militär greift in der Ukraine nach Angaben der US-Regierung vermehrt zivile Einrichtungen an. «Wir haben eine Zunahme der Angriffe auf zivile Infrastruktur und zivile Ziele festgestellt», sagte ein hoher US-Verteidigungsbeamter am Donnerstag.

Gleichzeitig beobachte man stellenweise schwindende Moral bei den russischen Soldaten. «Wir haben keinen Einblick in jede Einheit und jeden Standort. Aber wir haben sicherlich anekdotische Hinweise darauf, dass die Moral in einigen Einheiten nicht hoch ist», sagte der Beamte. Weiterlesen

Aktuelle Ausgabe kostenfrei als E-Paper lesen
Eifelzeitung E-Paper Aktuelle Ausgabe kostenfrei als E-Paper lesen