Hoffnung und Trauer: Erschöpfte Helfer in der Türkei

Von Anne Pollmann , dpa

Kahramanmaras (dpa) – Uwe Enze sitzt vor den Trümmern eines Wohnhauses in der Stadt Kahramanmaras. Neben ihm liegt seine völlig erschöpfte Suchhündin Pia. Gleich geht es wieder los. Enze laufen Tränen über die Wangen, wenn er von den Erlebnissen der letzten Tage erzählt: «Wir sind alle eine große Menschenfamilie. Das sollten wir alle beherzigen», sagt er und legt sich die Hand auf Herz.

60 Überlebende hat die Hündin schon in den Trümmern gefunden. Die Freude dann sei unbeschreiblich. Und Tote? Er hat aufgehört zu zählen. Auch dafür fehlen Enze die Worte. Seit Tagen schwankt er zwischen «Verzweiflung, Hoffnung, Fassungslosigkeit».

Als Uwe Enze von dem Beben aus den Nachrichten hört, meldet sich der Hundetrainer umgehend als Freiwilliger beim türkischen Konsulat. Zwölf Stunden später sitzt er im Flieger. «Die Organisation vor Ort ist unbeschreiblich gut.» Für Schlaf ist seitdem kaum Zeit. Am Morgen wacht er mit eingefrorener Mütze in seinem Zelt auf. Enze ist einer von mehr als Hunderttausend Freiwilligen, die in die Erdbebenregion gereist sind.

Eine der Geretteten ist Fatma-Nur. Die zweieinhalbjährige hat 56 Stunden unter den Trümmern gelegen. Zwei Tage lang hätten sie um das kleine Mädchen gebangt, erzählt der Vater. Er und seine Frau hätten sich in zwei Stunden aus den Trümmern befreit, aber an die einzige Tochter, die Helfer später in den Trümmern unter ihrem Bett fanden, kamen sie ohne Hilfe nicht.

Waren es Helfer, die Fatma-Nur gerettet haben? Die Abgrenzung zwischen Helfern und Opfern verwischen vor Ort. Jeder, der kann, packt an. In den Trümmern stehen Väter, Mütter und Tanten von Getöteten und suchen weiter nach Angehörigen von Nachbarn, Freunden oder nach völlig Unbekannten.

Enze kann die «Solidarität, Herzlichkeit und Dankbarkeit» der Menschen vor Ort kaum fassen. «Das was wir von den Leuten empfangen, beeindruckt mich sehr.» In der Ahrtal-Katastrophe habe es auch viel Hilfe gegeben, aber hier in Kahramanmaras, das sei unbeschreiblich. «Die Leute hier fallen uns um den Hals.» Immer wieder würde ihnen auch Futter für die Hündin vorbeigebracht, ohne dass sie danach fragen.

Die Solidarität erlebt auch Tuncay Ilker. Der Koch aus Istanbul sitzt auf der Ladefläche eines großen Lkw im Zentrum der zerstörten Stadt und rührt in einem gigantischen Kessel Linsensuppe. Menschen hätten alles verloren und würden das wenige, was sie haben, noch mit allen teilen wollen.

Dass noch viele weitere unter den Trümmern verschüttet liegen, verrät der Geruch in der Luft der Stadt mit ehemals 800 000 Einwohnern. Wie viele von ihnen überlebt haben, keiner weiß es. Einige Helfer reisen bereits ab, andere kommen wieder oder reisen neu an. Turkish Airlines verabschiedeten am Sonntagabend deutsche Helfer mit Rosen am Flughafen in Istanbul, wie ein Sprecher berichtete. Jeder Tag in der Katastrophe birgt neue Herausforderungen, kleiner werden sie mitnichten.

Dass auch dann weiter geholfen wird, wenn es für viele Menschen in Deutschland in den Hintergrund rückt, dafür will der Bremer Morteza Eshghparast vom Verein Dunya sorgen. «Wir wollen langfristig unterstützen.» Auch ihm kommen die Tränen. Er habe selber mehrere Tote geborgen. «Aber wir müssen einen klaren Kopf behalten, damit wir helfen können.»

Auch nach unglaublichen sieben Tagen werden noch immer Überlebende gefunden. Dass einer irgendwann der letzte sein wird, ist unbestritten – auch dass die Schutthaufen dann irgendwann mit Maschinen abgebaggert werden. Was das für die Menschen bedeutet, die vor den Trümmerbergen zumindest auf den Fund der Körper ihrer Familien oder ihrer Freunde hoffen, ist kaum vorstellbar. Enze und Hündin Pia denken zumindest bisher noch nicht daran abzureisen.

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Ein Land im Schock – Bangen und Flehen in der Türkei

Von Anne Pollmann, dpa

Kayseri (dpa) – Es gibt sie, die Geschichten von Rettungen nach etlichen Stunden unter Trümmern nach den verheerenden Erdbeben in der Türkei und Syrien. Eine davon ist die von Serap Ela. Die mit einem Schlafanzug bekleidete Fünfjährige wird von Helfern in Hatay aus den Trümmern gezogen, wie Videos von vor Ort zeigen.

Doch für andere kommt jede Hilfe zu spät, für Tausende. Etliche Menschen in der Katastrophenregion warten seit Tagen auf Hilfe. Viele wissen genau, wo ihre Angehörigen, Freunde oder Nachbarn in den Trümmern vergraben sind, können teilweise sogar mit ihnen telefonieren oder ihre Stimmen hören.

Auf Twitter wird millionenfach der Hashtag #SESVAR geteilt (gemeint ist: «Wir hören Stimmen»). Menschen teilen Standorte und flehen um Hilfe. Doch ohne das nötige technische Gerät hilft das alles nichts.

Große Hilfsbereitschaft im ganzen Land

Auf dem Weg in die zerstörten Gebiete sieht man derweil Helfer auf den Rastplätzen, häufig mit voll beladenen Autos. Einer sagt, er habe sich aus Ankara auf den Weg gemacht. Er packt Windeln in seinen Transporter, der bereits bis unters Dach voll gepackt ist. Auf den Straßen sind etliche Lkw unterwegs, oft mit Schildern, auf denen steht: «In Solidarität mit den Erdbebengebieten».

Betroffene klagen unterdessen über fehlende oder nur schleppende Hilfe bei der Bergung Verschütteter. Der türkische Oppositionsführer warf Präsident Recep Tayyip Erdogan persönlich Versagen vor. «Wenn jemand hauptverantwortlich für diesen Verlauf ist, dann ist es Erdogan», sagte Kemal Kilicdaroglu, Chef der größten Oppositionspartei CHP. Erdogan habe es versäumt, das Land in seiner 20-jährigen Regierungszeit auf solch ein Beben vorzubereiten.

Vielerorts wird unter anderem Pfusch am Bau als ein Grund für die vielen eingestürzten Häuser diskutiert. An der türkischen Börse stiegen besonders die Aktien von Zementunternehmen, Tausende Häuser müssen ersetzt werden.

Erdogan reiste in die Erdbebengebiete im Südosten des Landes. Er sei in der Provinz Kahramanmaras und auf dem Weg zu einer für die Erdbebenopfer errichteten Zeltstadt, teilte das Präsidialamt am Mittwochmittag mit. Erdogan wollte auch die Provinz Hatay besuchen. Beide Gebiete sind stark von den Beben getroffen, die Zentren vieler Städte sind massiv zerstört.

Massive Schäden an der Infrastruktur

Jesco Weickert von der Welthungerhilfe hat das Erdbeben im türkischen Gaziantep erlebt. Ihm und seinem Team stecke die Erfahrung noch in den Knochen. Auch wenn Gaziantep nicht so stark wie andere Regionen betroffen sei, sei an Alltag derzeit kaum zu denken. Viele der Kollegen seien schockiert, schliefen in Autos und trauten sich nicht mehr in ihre Häuser. Der Strom falle immer wieder aus und Gas gebe es nicht.

«Der Schaden an der Infrastruktur ist auch hier massiv. Ich weiß nicht, wie lang es dauern wird, bis man das alles wieder instand setzt», so Weickert. Die Leute seien fertig, wollten aber doch alle helfen, wo es nötig sei.

Die Regierung bezeichnete die Beben als eine der schlimmsten Katastrophen der vergangenen Jahrzehnte und kündigte an, alle verfügbaren Mittel zu mobilisieren. Mindestens 7000 Menschen wurden allein in der Türkei getötet, es gibt offiziell mehr als 40 000 Verletzte. Es werden Hunderte, wenn nicht Tausende weitere unter den Trümmern vermutet. 2270 Tote wurden aus Syrien gemeldet.

Auch die beiden Deutschen Bernd Horch und Peter Laake haben das Beben in Gaziantep miterlebt. «Es hat erst mal gedauert, bis ich verstanden habe, was gerade passiert», erzählt Horch. «Man denkt, man träumt. Das war schlimm. Und irgendwann realisiert man: Das war ein richtig dickes Ding.»

Die beiden Kollegen haben das Erdbeben unbeschadet überstanden und sich nun in einem Hotel in der Stadt Kayseri in Sicherheit gebracht, etwa 250 Kilometer vom Epizentrum des ersten Bebens entfernt.

Sie waren beruflich in Gaziantep und während des Bebens in einem Hotel untergebracht. Laake hätte eigentlich bis Mitte März in der Türkei bleiben sollen. Das ist nun erst einmal abgesagt. Beide warten nun auf ihre Heimreise nach Deutschland.

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