«Multitudes» – Feist veröffentlicht ein neues Album

Von Julia Kilian, dpa

Berlin (dpa) – Manchmal hinterlassen gerade die Momente, die man nicht mit der Handykamera festhalten kann, einen besonderen Eindruck. Man behält sie dann vielleicht mehr im Innersten. Als Sängerin Feist vor zwei Jahren im Hamburger Kulturzentrum Kampnagel auftrat, war das Szenario ziemlich ungewöhnlich. Die Musikerin hatte nach etlichen Jahren neue Musik angekündigt – aber erstmal nur für kleinere Konzerte, ohne Album.

Auf Hockern saßen die Menschen also um die Sängerin herum. Man durfte weder Fotos machen noch ihren Auftritt filmen. Die Lieder kannte man nicht, sie waren ja neu. Und anschließend ließ sich die Musik nirgendwo finden. Alle Google-Suchen vergeblich.

Es blieb einem nicht viel mehr, als den Moment im eigenen Gedächtnis festzuhalten und die Unsicherheit auszuhalten, ob man wohl eines der Lieder nochmal zu hören bekommt. Jetzt erscheint am Freitag (14. April) das neue Album «Multitudes», das den gleichen Titel trägt wie die Konzertreihe und darauf aufbaut.

Die Kanadierin Leslie Feist ist schon vor rund zwei Jahrzehnten bekanntgeworden. Mit «Let It Die» legte sie 2004 ein Album vor, das bis heute zeitlos geblieben ist. Später tauchte ihr Song «1234» vom Album «The Reminder» im Werbespot eines Technikgiganten auf. Mit «Metals» und «Pleasure» wurde die Musik dann komplexer. Man konnte sie seltener einfach so wegdudeln, sondern musste hinhören.

Ein Album der großen Themen

Auch «Multitudes» fordert einen beim Hören heraus, macht es einem dann aber bald leicht. Das Album erzählt von den großen Themen, die einen im Leben beschäftigen, von Verlust und Neuanfang. Die 47-Jährige hat das selbst in den zurückliegenden Jahren erlebt, mit dem Tod ihres Vaters und ihrer Rolle als Mutter.

Zwischen dem Verlust ihres Vaters und der «Ankunft» ihrer Tochter habe es diesen messerscharfen Moment im Erwachsensein gegeben, der unglaublich herausfordernd gewesen sei, sagte Feist im Interview mit «Variety». Darin erzählte sie auch, sie habe in ihren 30ern gedacht, jetzt sei sie erwachsen – und dann geschehe etwas und plötzlich stehe alles im Zusammenhang mit Trauer, Last, Angst und Selbstverlust. «Es stellt sich ein neues Verständnis von Zeit als endlich ein, Zeit als wertvoll, Zeit im Sinne von: Wie verbringen wir sie miteinander?»

Die Stimme nimmt gefangen

Das neue Album beginnt mit «In Lightning» scheppernd, wechselt dann aber schon im ersten Lied zwischendrin zu klareren Passagen. Immer ist es Feists Stimme, die so besonders ist, dass man sich davon gefangen nehmen lassen kann. Besonders schön erlebt man das bei «Forever Before» oder «The Redwing». Das Album klingt klarer und eingängiger als die zurückliegende Platte «Pleasure».

Mit übereinandergelegtem Gesang erinnert «Calling All the Gods» an eine Hymne. Das Lied «Love Who We Are Meant To» ist ein sehr erwachsenes Liebeslied. Und «Become the Earth» klingt wie eine Geisterbeschwörung. Darin heißt es: «Some people are gone / and the people who stay / will eventually go / in a matter of days.» Eine Erinnerung daran, dass sich alles verändert im Leben und niemand bleibt. Das neue Album von Feist kann einen tief berühren, wenn man das möchte. Dafür braucht es übrigens auch kein Handyfoto.

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Kampf gegen Dämonen: «72 Seasons» von Metallica

Von Britta Schultejans, dpa

Berlin (dpa) – Im Jahr 2019 versetzte ein Statement von Lars Ulrich, Kirk Hammett und Rob Trujillo die Fans von Metallica in Aufruhr. Die drei Musiker sagten damals die Tour der Band in Australien und Neuseeland ab und begründeten das damit, ihr Frontmann James Hetfield sei wieder auf Entzug.

Knapp vier Jahre danach kommt nun das neue Album der Metal-Giganten heraus, das eine kleine Ahnung davon gibt, wie es Hetfield, dessen Sucht vielen Fans eigentlich schon als überwunden galt, damals gegangen sein muss. «72 Seasons» erscheint an diesem Freitag (14. April) – und dokumentiert einen Kampf mit Dämonen.

Schon der Einstiegssong ist ein Kracher epischen Ausmaßes. Fast acht Minuten dauert der Titelsong «72 Seasons», in dem es vor allem um eins geht: «Wrath of man», um Zorn. Es geht um Traumatisierung und das Gefühl, von der Vergangenheit verfolgt zu werden.

Der Titel von Album und Opener bezieht sich «auf die ersten 72 Jahreszeiten». Die Band meint damit die ersten 18 Jahre im Leben eines Menschen. «Die ersten 18 Jahre, die unser wahres oder falsches Ich formen. Das Konzept, dass wir von unseren Eltern gesagt bekamen, «wer wir sind». Eine mögliche Einordnung, welche Persönlichkeiten wir in etwa sind», beschreibt Hetfield diese Zeit im Pressetext zum neuen Album.

«Ich denke, das Spannendste daran ist das kontinuierliche Studium dieser Glaubenssätze und wie sie unsere Wahrnehmung der Welt heute beeinflussen», sagt der 59-Jährige, der nach Medienberichten im vergangenen Jahr – nach rund 30 gemeinsamen Jahren – die Scheidung von seiner Ehefrau einreichte. Es gebe zwei Möglichkeiten, sagt Hetfield: «Gefangene der Kindheit» zu sein – oder sich von den «Fesseln, die wir tragen» zu befreien.

Eine ausweglos scheinende Schlacht

Die zwölf Songs des Albums zeigen diesen Befreiungskampf – lassen aber große Zweifel daran, dass er gut ausgeht. «History must burn» («Die Geschichte muss brennen») singt ein auf diesem Album ausnehmend stimmgewaltiger Hetfield in «You Must Burn». «I run – Still my shadows follow» («Ich renne, doch meine Schatten folgen noch»), heißt es in dem Song «Shadows Follow».

«Welcome to this life – Born into the fight» («Willkommen in diesem Leben – Hineingeboren in den Kampf») lautet eine Zeile in dem schon vorab veröffentlichten «Screaming Suicide» über dunkle Gedanken an Suizid.

«This rusted empire I own – Bleed as I rust on this throne» («Dieses verrostete Imperium, das ich besitze, blutet, während ich auf diesem Thron verroste») aus dem Song «Crown Of Barbed Wire» (Krone aus Stacheldraht) lässt sich auch als eine Auseinandersetzung Hetfields mit seiner Rolle als Thrash-Metal-König lesen, also dieser besonders schnellen Spielart des Metal.

«72 Seasons» erzählt nicht von einem erfolgreich abgeschlossenen Kampf, es nimmt den Hörer mit hinein in eine tobende und immer wieder ausweglos scheinende Schlacht. Der achte Song «Chasing Light» handelt zwar von der Jagd nach dem Licht, beginnt und endet aber desillusioniert mit dem Satz: «There’s no light» – Es gibt kein Licht.

Düster und schwer

Auch wenn die erste, schnelle und kraftvolle Single «Lux Æterna» (mit nur 3,22 Minuten Laufzeit der mit Abstand kürzeste Song auf dem Album) noch eine etwas andere Richtung vermuten ließ, ist das nach Angaben der Plattenfirma elfte Studio-Album der Metal-Giganten ein sehr schweres, düsteres Gesamtwerk geworden. Eins, das dem Hörer nicht nur wegen der vergleichsweise langen Dauer Zeit abverlangt und die Bereitschaft, einzutauchen in diese düsteren Gedanken voller Angst, Hass und Selbstzerstörung.

Es ist sicher keine Platte geworden, auf der sich Hit an Hit reiht, die Metal-Fans bei Festivals komplett mitsingen können wie beim legendären Black Album von 1991 (das mit «Enter Sandman» und «Nothing Else Matters»). Aber «72 Seasons» ist so persönlich und berührend geworden, so ehrlich und verletzlich, dass nicht nur die größten Metallica-Fans sich die Zeit nehmen und darauf einlassen sollten. Hetfields Einladung: «Meet the ghosts where I reside» («Triff die Geister dort wo ich lebe»).

Wer bis zum Schluss durchhält, wird belohnt mit dem epischen «Inamorata», dem womöglich stärksten, mit mehr als elf Minuten auch längsten Song des Albums, in dem Hetfield seinen Fans einen Hoffnungsschimmer schenkt und den Glauben an ein Überwinden des persönlichen Elends: «Misery – She’s not what I’m living for».

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