World wide reading am TMG

Daun. „Die Wahrheit ist, dass mir auf Erden nicht zu helfen war“, schrieb Heinrich von Kleist am 21. November 1811 an seine Schwester Ulrike. Kurz nach Verfassen dieses Briefes tötete der Dichter zuerst seine Vertraute und Seelenverwandte Henriette Vogel und anschließend sich selbst am Ufer des Berliner Wannsees. Beide litten zu sehr, um weiter leben zu wollen: Henriette Vogel an ihrer unheilbaren Erkrankung und Heinrich Kleist an einer Welt, die seinen Vorstellungen nach zu eingeschränkt und eng war.

Am 21. November diesen Jahres wurde des zweihundertsten Todestages des bekannten deutschen Literaten an über 140 Orten auf der ganzen Welt mit Lesungen gedacht. Auch am Thomas-Morus-Gymnasium in Daun beteiligte man sich an diesem „world wide reading“. Mehrere Oberstufenschüler lasen in der zweiten Pause im Treppenhaus der Schule Texte von Kleist, die ganze Schulgemeinschaft war eingeladen, sich dem Werk des Dichters auf diese Weise zu nähern und Schüler aller Klassenstufen verfolgten den mehr halbstündigen Vortrag, der vom Geigenspiel zweier Schülerinnen eingeleitet wurde. Die Schüler hatten das Projekt im Deutschunterricht erarbeitet und auch eine Ausstellung über Kleists Leben und Wirken angefertigt. Gelesen wurden neben Textpassagen aus seinen bekannten Werken „Michael Kohlhaas“ und „Das Erdbeben von Chili“, neben einer szenischen Darstellung der „Penthesilea“, auch Briefe des Dichters an seine Schwester Ulrike von Kleist, zu der er eine sehr enge Beziehung pflegte, an seine Verlobte Wilhelmine von Zenge und seinen Freund Ernst von Pfuel.

Mehr noch als in den persönlichen Werken kommen in diesen Briefen die Lebenskrisen des Dichters zum Ausdruck, die sich am Leiden an den gesellschaftlichen Normen ebenso ausdrücken, wie dem Scheitern persönlicher Beziehungen. Wie bei vielen seiner Protagonisten fehlte Kleist die Möglichkeit, die Realität zu akzeptieren und sich ihr anzupassen. Auch die ständig wechselnde Lebenssituation Kleists war ein Ausdruck dieser Leiderfahrungen: Nach einer abgebrochenen Karriere im preußischen Militär studierte er Philosophie, Physik, Mathematik und Staatswissenschaft in seiner Geburtsstadt Frankfurt (Oder) und wechselte ständig seine Wohnsitze.

Kleists unerfülltes Streben nach Glück, das zu seinem Scheitern am Leben beitrug, lässt ihn auch für heutige Leser noch sehr aktuell erscheinen. Vor allem aus diesem Grund wird er bis heute als einer der größten deutschen Schriftsteller angesehen und wurde mit dem „Kleist Jahr 2011“ geehrt, dessen Höhepunkt das „world wide reading“ am 21. November  darstellte. Entstanden ist diese literarische Kunstform, die vor allem als Mittel des politischen Protests genutzt wird, vor fünf Jahren, als am 20. März 2006 zum dritten Jahrestag des Beginns des Irakkriegs das erste world wide reading stattfand. Seinen Abschluss finden wird das Kleist-Jahr am 29. Januar 2012, die Texte und Reflexionen des Dichters bleiben auch darüber hinaus sehr lesenswert und aktuell.
 

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