Grenzüberschreitende Agrartagung in Sankt Vith am 22. April 2013

Sankt Vith. Die Bauernverbände wehren sich gegen die Ausgestaltung der anstehenden Agrarreform. Der Bauern- und Winzerverband Rheinland-Nassau, der Belgische Bauernverband und der Luxemburgische Bauernverband forderten in St. Vith in Ostbelgien die Politik auf, die Forderungen der Bauernfamilien endlich ernst zu nehmen. In einem Positionspapier forderten sie eine Agrarreform, die für die Bauernfamilien praxistauglich und zukunftsorientiert ist.

Vor rund 200 Bauern aus Belgien, Luxemburg und Deutschland stellten Vertreter des EU-Parlamentes, der EU-Kommission, des Bundeslandwirtschaftsministeriums und der regionalen Ministerien ihre politischen Ziele und den aktuellen Stand der Verhandlungen dar. Mit der Forderung für eine Unterstützung der aktuellen tier- und umweltfreundlichen sowie qualitätssichernden Landwirtschaft eröffnete der Präsident des Bauern- und Winzerverbandes Rheinland-Nassau, Leo Blum, die Veranstaltung.

Er machte deutlich, dass die Landwirte längst das von der EU angedachte Greening freiwillig durchführten, ja sogar verinnerlicht hätten. Die Herausnahme von landwirtschaftlichen Flächen aus der Produktion oder die Umsetzung von Auflagen, die nicht in die wirtschaftlichen Überlegungen der bäuerlichen Unternehmer und nicht in die betrieblichen Abläufe passen würden, seien strikt abzulehnen. Eine solche Politik mache angesichts der steigenden Weltbevölkerung und der steigenden Nachfrage nach Nahrungsmitteln und auch aufgrund der vorhandenen Produktionspotentiale für die Menschen in Deutschland und der Welt keinen Sinn.

Die anhaltende populistische Kritik an der Landwirtschaft gehe an der Realität vorbei: „Den Tieren ging es noch nie so gut wie heute. Die Bevölkerung möchte sich von der Atomkraft und der Kohle verabschieden. Wir tragen diesen Zielen längst Rechnung. Wir Landwirte produzieren Rapsöl und Bioenergie. Die Bevölkerung möchte qualitativ hochwertige und sichere Nahrungsmittel, das produzieren wir! Wir können diese sogar günstig erzeugen, weil wir Betriebsprämien erhalten. Ohne diese müssten die Preise wesentlich höher sein. Die Landwirtschaft, die die Europäische Union und auch die Bevölkerung möchte, gibt es längst. Weitere Auflagen sind Gängeleien, die wir nicht akzeptieren!“

„Ich werde mich weiterhin für eine starke 1. Säule einsetzen“, so die Europaabgeordnete Christa Klaß. Die zurzeit durchgeführten Trilog-Gespräche zwischen EU-Kommission, Parlament und Rat seien auch ein Ergebnis der scharfen Kritik des Parlamentes an den Vorschlägen der EU-Kommission. So lehne das Parlament die von der Kommission vorgeschlagenen verpflichtenden Greening-Maßnahmen ab. Selbst die Entwicklungsländer möchten, dass in Europa Nahrungsmittel produziert werden. Mit über 8.000 Änderungsvorschlägen habe das Europäische Parlament den Kommissionsbericht quasi „zerlegt“. Die 44 Abgeordneten des EU-Agrarausschusses drängten auf einen praxisgerechten Kompromiss.

Während die EU-Kommission sieben Prozent der Ackerflächen als ökologische Vorrangflächen vorgeschlagen habe, plane der Rat fünf Prozent und das EU-Parlament vorerst drei Prozent, mit einer anschließenden moderaten Steigerung. Klaß legte aber Wert darauf, bereits vorhandene Umweltmaßnahmen, wie z.B. FFH-Maßnahmen, Umweltprogramme sowie Renaturierungsmaßnahmen und Landschaftselemente anzurechnen. Dadurch würden die Regionen nicht bestraft werden, die bereits seit Jahren Umweltmaßnahmen durchführen. Sie werde sich als Abgeordnete auch für eine Verschiebung der Neuabgrenzung der benachteiligten Gebiete einsetzen. Sie selbst halte eine Neuabgrenzung nicht für notwendig, wenn sie aber vorgenommen würde, müsse sie sachgerecht und nicht voreilig angegangen werden. Ein gutes System ohne Not zu reformieren, sei allerdings scharf zu kritisieren.

Silke Obst, Mitglied des Kabinetts von EU-Kommissar Dr. Dacian Cioloş, vertrat das verbindliche Greening der EU-Kommission als eine zukunftsorientierte Ökologisierung der Landwirtschaft sowie die Umsetzung der Kappung bzw. die Degression der Betriebsprämien als gerechte Maßnahmen. Auf Grund der Festlegung des europäischen Haushaltes auf ein Prozent des EU-Brutto-Nationaleinkommens müssten die Direktzahlungen um ca. fünf Prozent gekürzt werden. Die Staats- und Regierungschefs hätten sich darüber hinaus auf ein obligatorisches Greening geeinigt. Obst erläuterte das Ziel der Europäischen Kommission, den „aktiven Landwirt“ neu zu definieren.

Darüber hinaus solle eine Kleinlandwirte-Regelung eingeführt werden, die kleinere Betriebe vom Greening und von Cross Compliance-Kontrollen befreien würde. Kleinlandwirte erhielten dann eine Pauschalzahlung. Diese Regelung würde 33 Prozent aller Landwirte und drei Prozent aller Flächen in der EU betreffen. Das Parlament würde bei dieser Frage eine nationalstaatliche Entscheidung begrüßen, während der Rat sowie die Bundesregierung eine Kleinlandwirte-Regelung ablehnten. Obst machte deutlich, dass bei der Einführung des Greenings, Agrarumweltmaßnahmen sowie weitere vergleichbare Maßnahmen durchaus anerkannt werden könnten. Eine Doppelförderung von Maßnahmen der 1. und 2. Säule werde von der Kommission jedoch strikt abgelehnt.

Sie setze sich für einen Greening-Anteil von sieben Prozent ein, damit über die anerkannten Maßnahmen hinaus weitere Maßnahmen sichergestellt würden. Diese Argumentation wurde allerdings sowohl von den Bauernverbänden als auch vom Parlament und vom Rat nicht akzeptiert. Die Verluste in der 2. Säule würden mindestens 15 Prozent betragen. Dies sei enorm, bedauerte die rheinland-pfälzische Landwirtschaftsministerin Ulrike Höfken. Nun müsse sehr genau überlegt werden, welche Maßnahmen noch unterstützt werden könnten. Sie setze Hoffnung auf die innerdeutsche Prämienangleichung.

Da Rheinland-Pfalz bisher Schlusslicht bei den Betriebsprämien sei, könne diese Angleichung dem Prämienrückgang entgegenwirken. Die Bundesländer hätten sich einstimmig für die Einführung von Greening-Maßnahmen ausgesprochen. Diese Maßnahmen seien schließlich die Legitimation für die Direktzahlungen. Es seien die schlechter werdenden Wasser- und Bodenqualitäten, die europaweit verbessert werden müssten. Höfken erteilte der prämienbezogenen Junglandwirte-Förderung eine Absage. Gerechter sei es in ihren Augen die Investitionsförderung für Junglandwirte insgesamt attraktiv zu gestalten. Sie unterstütze den Vorschlag bzgl. einer Kleinlandwirte-Regelung der EU-Kommission. Zirka 6.000 bis 7.000 Betriebe in Rheinland-Pfalz würden so von der Bürokratie entlastet werden.

Im Rahmen der Marktordnungsprogramme müssten die Steillagen auch künftig gefördert werden. Es gelte die Pflanzrechte-Regelung solange wie möglich zu erhalten. Höfken erteilte dem „neoliberalen Quatsch“ eine Absage: „Die Deregulierung birgt große Gefahren.“ Da die Milchquote demnächst auslaufe, sollten die Erzeuger selbst das Angebot in ihren Händen behalten und so aktiv auf die Nachfragen reagieren können. Ansonsten werde es sehr schwierig, auch künftig eine Kostendeckung für die landwirtschaftlichen Produkte zu erzielen. „Den Bauern darf nicht zugemutet werden, unter dem Mindestlohn arbeiten zu müssen“. Er halte die Überführung von Ackerflächen in ökologische Vorrangflächen für unverhältnismäßig, so Dr. Dietrich Guth vom Bundeslandwirtschaftsministerium. Deutschland müsse eine wachsende Weltbevölkerung mit ernähren.

Darüber hinaus gebe es weitere wichtige gesellschaftliche Aufgaben, wie die Erzeugung erneuerbarer Energien und der Erhalt flächendeckender Landwirtschaft. Die Exporterstattungen seien mittlerweile reduziert worden. Die Direktzahlungen seien in Deutschland entkoppelt, während Frankreich, Spanien, Italien wieder verstärkt gekoppelte Direktzahlungen einführen wollten. Der Rat habe dies aber abschmettern können. Deutschland müsse sieben Prozent seines Budgets in die Aufstockung anderer nationaler Direktzahlungen abgeben. Guth machte deutlich, dass der Ausbau von Marktordnungs-Maßnahmen zu einer Verringerung der Direktzahlungen führen würde. Es sei daher wohl zu überlegen, welche Marktordnungs-Maßnahmen künftig zu präferieren seien und wie hoch eine eventuelle Eingriffsschwelle gelegt werden müsse.

In der anschließenden Diskussion sprachen sich die Landwirte gegen überzogene Greening-Forderungen aus. Während Höfken darauf hinwies, dass die Steuerzahler im Gegenzug zu den finanziellen Leistungen auch ökologische Maßnahmen erwarten würden, erklärte Klaß, dass Deutschland schon Vorleistungen erbracht hätte, über die in anderen Staaten nur gestaunt werden könne. Daher müssten die Greening-Maßnahmen differenziert werden. Den deutschen Landwirten gleiche Greening-Auflagen zumuten zu wollen wie in anderen, vor allem südeuropäischen Staaten, sei auf Grund ihrer Vorleistungen ungerecht.

Der Ministerpräsident der Deutschsprachigen Gemeinschaft in Belgien Karl-Heinz Lampertz verdeutlichte, was er von der Landwirtschaft erwarte: Die Versorgung mit qualitativ hochwertigen Produkten in räumlicher Nähe. Die Landwirtschaft sei Grundlage der politischen Integration in Europa. Die römischen Verträge hätten hierfür den Grundstein gelegt. Er sei von Entscheidungsträgern irritiert, die auf bewährte Regelungen immer wieder neue Anforderungen „drauf satteln“ möchten. Dieser Profilierungssucht müsse auch einmal Einhalt geboten werden.

Der Direktor des Wirtschaftsdienstes des Luxemburgischen Landwirtschaftsministeriums Pierre Treinen sprach sich dafür aus, dass das Greening so einfach wie möglich durchgeführt werden müsse. Die Einführung einer Kleinlandwirte-Regelung sollte jeder Staat selbst verantwortlich umsetzen können. Diese Regelung werde Luxemburg nicht einführen, da sie letztendlich keine administrative Vereinfachung mit sich bringe. In Luxemburg gebe es bereits eine Junglandwirte-Förderung, die über die 1. Säule finanziert werde. Die Luxemburgische Regierung wolle diese fortführen. In Luxemburg werde jeder Euro aus Brüssel mit 3 Euro aus der Luxemburgischen Staatskasse co-finanziert.
Der Vorsitzende des Verbandes der deutschsprachigen Landwirte in Belgien, Raymond Geiben lehnte Direktzahlungen an Nichtlandwirte strikt ab. Durch die geplante Handelbarkeit der Prämienrechte bestehe die Gefahr, dass Gelder aus der Landwirtschaft abließen könnten. Er forderte daher die Politiker auf, die Prämienrechte weiterhin an die Flächen zu binden. Die Handelbarkeit müsse so strukturiert werden, dass die Grundeigentümer davon nicht profitierten. Geiben hält die Diskussion um die Finanzierung des Greenings für falsch. Das Greening müsse aus Umwelttöpfen und nicht aus dem Agrarbudget finanziert werden.

Geiben: „Seit Jahren wird die Bewirtschaftung der landwirtschaftlichen Flächen extensiver, weniger Dünge- und Pflanzenschutzmittel werden ausgebracht. Dennoch diskreditieren uns viele Politiker und Medienvertreter als industrielle Bauern. Auch die artgerechte Tierhaltung wird nicht anerkannt“. Obwohl die Landwirte Naturschützer seien, dürften sie ihre Betriebe den marktwirtschaftlichen Anforderungen künftig nicht mehr anpassen. Ein Unternehmer, der seinen Betrieb umstellen möchte, müsse auch das Recht haben, Grünland umzubrechen. Die Belgischen Bauern sprechen außerdem sich für Interventionsmöglichkeiten in Krisenzeiten aus. Diese Marktordnung solle dafür Sorge tragen, dass ein Milchpreis nicht ins Bodenlose falle. Der Interventionspreis müsse an die Kostenentwicklung gekoppelt werden.

Marc Fisch, Vorsitzender der Luxemburgischen Bauernzentrale stellte fest, dass der Nominalwert der Lebensmittel dem Wert von vor 25 Jahren entspreche. Um einem weiteren und nicht gewollten Strukturwandel vorzubeugen, müssten daher die Direktzahlungen auf dem bisherigen Niveau erhalten bleiben. Die Direktzahlungen seien schließlich ein Ausgleich für die Leistungen der Bauernfamilien und für die niedrigen Lebensmittelpreise und keine Almosen. Der Luxemburgische Bauernverband lehne, so Fisch, das Greening mit Bausch und Bogen ab: „Die Produktionspotenziale in Europa müssen erhalten bleiben! Weder dürfen Flächen herausgenommen, noch weitere Agrarumweltmaßnahmen eingeführt werden. Eine Ökologisierung der Landwirtschaft fand ja bereits statt“. Fisch begrüßte, dass dem reinen Stilllegungsvorschlag der EU-Kommission, der Rat mit dem Vorschlag folge, nun Eiweißpflanzen als mögliche Greening-Pflanzen zuzulassen.

Er ermahnte die Politik, die Finanzmittel der 2. Säule den aktiven landwirtschaftlichen Unternehmen zukommen zu lassen. Es bestehe die Gefahr, dass zu viele Finanzmittel in andere Bereiche abfließen könnten. Das Geld müsse dazu beitragen, junge und motivierte Menschen in der Landwirtschaft zu halten. Auflagen, Verbote, bürokratische Hürden müssten endlich vom Tisch. Vielmehr müssten positive Entwicklungen wie Investitionen sowie die Eigenverantwortung der Betriebsleiter gefördert werden. Die Freiheit der ausgebildeten Unternehmer müsse im Vordergrund des politischen Handelns stehen. Dies würde sich schließlich positiv auf die Umwelt auswirken, wie dies in den vergangenen Jahren auch geschehen sei. Sein Verband wehre sich daher auch gegen die Neuausgestaltung der Kulisse für benachteiligte Gebiete. Verlässlichkeit sei ein wichtiger Aspekt und die Grundlage nachhaltigen Handelns.

Vizepräsident Michael Horper betonte, dass – vor dem Hintergrund der Montanunion und der Gründung der EWG im Jahr 1957 – die Kohle- und Stahlindustrie aus Deutschland seitdem nahezu verschwunden sei. Dies wäre vor Jahrzenten undenkbar gewesen. Die Landwirtschaft habe sich hingegen behauptet. Sie sei die europäische Klammer und die Basis für Frieden und Einheit in den letzten 50 Jahren gewesen. Die Diskussion über Koppelung, Greening, Konvergenz einige die Bauernverbände der Großregion von Eifel und Ardennen. Er rief die Politik auf, den Landwirten endlich zu vertrauen: „Wir, die Meister, Techniker und Ingenieure wissen doch am besten wie wir mit unseren Böden und Tieren umgehen“.

Er kritisierte scharf die Aussage von Silke Obst, öffentliches Geld für immer weitere öffentliche Leistungen einzusetzen. Welche weiteren Forderungen seien dann im Jahr 2020 zu erwarten? Mit jedem weiteren bürokratischen Monstrum werde man weitere Menschen von ihren Betrieben jagen: „Der Boden ist unser Eigentum. Wenn wir mit öffentlichem Geld nur noch Leistungen zu erbringen haben, die die Politik uns vorschreibt, bewegen wir uns Schritt für Schritt in Richtung einer sozialistischen Planwirtschaft. Europa muss sich ernsthaft überlegen, ob das, was sie den Landwirten vorschreibt auch künftig noch zu vertreten ist“.

Die Veranstaltung in St. Vith hat die landwirtschaftlichen Verbände der Region solidarisiert und den Politikern nahegebracht, dass die Vorschläge der EU in weiten Teilen Westeuropas von den Bauernfamilien nicht akzeptiert wird. Das Positionspapier der drei Verbände wird den regionalen Abgeordneten des EU-Parlamentes wie auch den jeweiligen regionalen und nationalen Regierungen zugesandt.
 

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