Das ganz besondere Gerichtsverfahren: Verfahrensfehler und Auffälligkeiten

Rechtsstreit Ulf Hangert/Erich Klassen:  wider das Verfassungsrecht

Trier / Bernkastel-Kues. Vor zwei Jahren wurde Erich Klassen, 40 Jahre lang untadeliger Mitarbeiter der Verbandsgemeindeverwaltung Bernkastel-Kues, unehrenhaft entlassen. Verbandsbürgermeister Ulf Hangert verdächtigte ihn, sich über illegale Rückbuchungen an VG-Geldern bereichert zu haben.  Handelte es sich zunächst um angebliche 1.510 Euro, wuchs der Betrag, den man als Schadensersatz von Klassen verlangt, im Laufe der Zeit auf fast 185.000 Euro an.Keiner der behaupteten Schäden ist bewiesen. Ans Tageslicht kam dagegen die über Jahre hinweg schlampige Buchführung der VG-Verwaltung: keine Spur von buchhalterischer  Genauigkeit bis hinauf zum Behördenchef. Schlüssel in den Händen vieler, verletztes Vier-Augen-Prinzip, fehlende Einzelbuchungen, ungenügende Kontrolle, leicht zu fälschende Paraphen statt wirklicher Unterschriften: Die Mängelliste ist lang. Ulf Hangert empfindet das Aufgreifen dieser Mängel als, Zitat aus der letzten VG-Ratssitzung, „unappetitlich“. Die Wortwahl des Bürgermeisters kommt aus der Küchensprache. Aber diese Suppe muss Hangert allein auslöffeln. Die Gemeindeordnung verpflichtet ihn dazu, seine Kassen in Ordnung zu halten.
Man stelle sich vor, welche Konsequenzen ein vergleichbares Chaos beim Finanzamt für jeden Privatmann hätte. Bleibt abzuwarten, ob, wann und wie die Kreisverwaltung als Aufsichtsbehörde den Bernkastler Behördenchef zur Verantwortung ziehen wird. Noch immer sieht Landrat Gregor Eibes keine Veranlassung dafür.

Derweil sind mehrere Verfahren anhängig. Anfang September 2013 wurde das erste Verfahren, die negative Feststellungsklage, ohne eigentliche Verhandlung beendet. Es war durch eine Widerklage, die die VG nur Stunden vor dem anberaumten Termin einreichte, hinfällig geworden. Die Kosten trägt die Verbandsgemeinde, weil sie den Prozess, wäre er an diesem Tag geführt worden, verloren hätte. Die Eifelzeitung berichtete darüber und über die Tatsache, dass die VG seit Mai 2012 zahlreiche Fristverlängerungen beantragt hatte, denen das Gericht ausnahmslos großzügig stattgab. Am Ende legte die VG dennoch nichts vor. Anfang Oktober 2013 verkündete Arbeitsrichterin Dr. Thum das Urteil in der Kündigungsschutzklage. Nach dreiwöchiger Bedenkzeit wies sie Klassens Klage ab. Dies ist nicht die einzige Verfahrensbesonderheit. Arbeitsprozesse, speziell Kündigungen, unterliegen üblicherweise dem Beschleunigungsgrundsatz. Das dient dem Schutz des Gekündigten: Möglichst rasch soll er sein Arbeitsverhältnis geklärt haben, eventuell ein neues beginnen können, steht und fällt doch die wirtschaftliche Existenz mit dem Arbeitsplatz. Neben der wirtschaftlichen Achterbahnfahrt folgen der ausgesprochenen Verdachtskündigung auch rufschädigende Konsequenzen.

Durch die große Aufmerksamkeit, die sein Fall inzwischen in der Öffentlichkeit erfährt, verkehrt sich diese Entwicklung für Erich Klassen gerade ins Gegenteil. Ihm begegnen zunehmend echtes Interesse, Anteilnahme und Mitgefühl. Auch, nachdem Dr. Thum ihm 700 Tage nach der Verdachtskündigung  deren Rechtmäßigkeit bescheinigte. Eine Einschätzung der Verteidigung zu diesem Urteil finden Interessierte auf der Facebook-Seite der Kanzlei Dr. Bastgen Rechtsanwältinnen. Die Berufung ging umgehend ans Landesarbeitsgericht.
Die nächste Besonderheit: Neben Dr. Thum befassten sich im Lauf von 24 Monaten alle Trierer Richterkollegen mit dem Fall. Direktorin Uta Lenz, Dr. Christian-Armand Houben, Melanie Riske: Ihre Namen finden sich alle in den Akten. Frau Riske telefonierte außerhalb der Verhandlung mit der Staatsanwaltschaft. Wozu? Welche Fragen stellte sie? Sie forderte die Ermittlungsakte an, wählte allein bestimmte Teile der Akte aus und reichte sie an einen von ihr beauftragten Gutachter durch. Dabei versäumte sie, die Anwälte anzuhören, bevor sie eigenmächtig diese Unterlagen zusammenstellte: Kassenbelege, deren Echtheit und inhaltliche Richtigkeit sie nicht überprüft hatte, die Aussage einer Zeugin der Kassenfirma, die im Termin nicht gehört worden war, Vermerke von Polizei und Kassenfirma, zu denen die Anwälte keine Stellungnahme hatten abgeben können. Zur richterlichen Aufgabe Frau Riskes hätte es auch gehört, sorgfältig alle streitigen von den unstreitigen Sachverhalten zu trennen, bevor der Gutachter die Papiere beurteilt. So aber ließ sie Teile des Sachverhalts vom Gutachter aufarbeiten. Partiell hat also in diesem Verfahren der Gutachter den Job der Richterin erledigt.   Generell gilt im Gerichtssaal der Beibringungsgrundsatz, das heißt, Beweise werden von den Anwälten vorgelegt und vorgetragen. Erst auf Rüge haben Klassens Anwälte vom Gericht mitgeteilt bekommen, welche Teile der Strafakte dem Gutachter übersandt wurden.

Erich Klassen erfuhr im Januar 2013, welche Papiere der Gutachter erhalten hatte, womit ihm jede Möglichkeit genommen war, bei der Beweisaufnahme mitzuwirken. Er hätte unter anderem darauf hinweisen können, dass das begutachtete Kassensystem nicht sichergestellt worden war, sondern noch lange nach seinem Rauswurf in Betrieb blieb.

In der ersten Güteverhandlung hatte  die Verbandsgemeinde noch vollmundig erklärt, die Kasse sei sofort sichergestellt worden: ein falscher Sachvortrag. Den Befangenheitsantrag, den die Kanzlei Dr. Bastgen gegen Frau Riske stellte, wies Richterkollege Alexander Houben ab. Abgewiesen wurden auch die nach diesem Faux pas eingereichte Anhörungsrüge sowie der Befangenheitsantrag gegen den Gutachter, dieser noch von Riske selbst.

Auf 37 langen Seiten begründet Dr. Thum, warum sie die Kündigungsschutzklage Klassens letztendlich abweist. Dies erweckt den Anschein großer Sorgfalt. Beim Studium des Richterspruchs „im Namen des Volkes“ fallen auch inhaltlich diverse Besonderheiten ins Auge. Trotz Ablehnung betont Dr. Thum: „Wobei hier erneut darauf hingewiesen werden soll, dass es sich auch nach Ansicht der Kammer nur um einen Verdacht handelt, nicht um eine sichere Annahme der Täterschaft.“

Die junge Richterin hatte sich drei Wochen Zeit gelassen, bevor sie ihr Urteil verkündete: eine übliche Praxis bei Zivilverfahren, rechtlich zulässig, aber selten beim Arbeitsgericht. Als Begründung nannte Dr. Thum die besondere Sorgfalt, mit der sie und ihre ehrenamtlichen Richter die Akten noch einmal durcharbeiten wollten. Ob ihnen dies gelungen ist, wird der laufende Tatbestandsberichtigungsantrag zeigen, die nächste Besonderheit dieses Rechtsstreits. Dr. Margit Bastgen erinnert sich an genau zwei Tatbestandsberichtigungen in ihrer 34-jährigen Anwaltspraxis. Beide musste sie in den vergangenen 12 Monaten stellen, beide beim Arbeitsgericht Trier. Ihr Fazit zum Prozess: „Viele Ersterlebnisse.“

Interessant ist für unsere Leser sicher auch, dass Uta Lenz Ende 2012 versucht hat, die negative Feststellungsklage vom Mai 2012 gar nicht erst zu verhandeln. Begründung: Man wolle die  staatsanwaltschaftliche Entscheidung abwarten. Mit dieser rechtswidrigen Entscheidung hat die Verbandsgemeinde Zeit gewonnen. Das Landesarbeitsgericht griff ein. Sehr wohl habe das Trierer Arbeitsgericht in erster Instanz zu verhandeln, ob der VG überhaupt ein Schaden entstanden sei. Diese alles entscheidende Frage ist auch 750 Tage nach der Kündigung nicht beantwortet.

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