Rechtswissenschaftler sieht mehrere Verfassungsverstöße beim NRW-Etat

Die Haushaltsberatungen im vergangenen Jahr waren ein Zick-Zack-Kurs für die Regierung und das Parlament. Auf dem chaotischen Weg ist aus Sicht der Opposition die Verfassung auf der Strecke geblieben.

Der Bielefelder Rechtswissenschaftler Simon Kempny sieht gleich mehrere Verfassungsverstöße bei der Aufstellung des nordrhein-westfälischen Haushalts im vergangenen Jahr. Ausnahmen von der im Grundgesetz verankerten Schuldenbremse müssten ehrlich abgewogen und dokumentiert werden, mahnte der Prozessbevollmächtigte von SPD und FDP am Montag in Düsseldorf. Das sei im schwarz-grünen Haushaltsaufstellungsverfahren 2022 nicht erkennbar.

Die beiden Oppositionsfraktionen klagen vor dem Münsteraner Verfassungsgerichtshof in drei Punkten gegen das Aufstellungsverfahren für den Landesetat. Kern ist das «Sondervermögen» zur Bewältigung der Folgen des Ukraine-Kriegs, für das das Haushaltsgesetz 2023 Kreditermächtigungen in Höhe von bis zu fünf Milliarden Euro freigibt.

«Das ist ein Topf für neue Schulden», erklärte Kempny den Begriff. Auch sei das Budgetrecht des Landtags verletzt worden, als die Landesregierung im vergangenen Herbst «ohne erkennbaren Bedarf» 4,15 Milliarden Euro an neuen Schulden aufgenommen habe, obwohl zu dem Zeitpunkt nicht einmal das milliardenschwere Corona-Sondervermögen vollständig in Anspruch genommen werden musste. Die Verfassung erlaube keine kreditfinanzierte Rücklage, bloß um im nächsten Jahr einen bequemen Finanzpuffer zu haben, mahnte der Rechtsprofessor.

Das neue Sondervermögen war aus seiner Sicht eine «Erfindung», als nach vehementer Kritik vom Landesrechnungshof und anderen Sachverständigen klar wurde, dass das übrig gebliebene Geld aus dem Corona-Rettungsschirm nicht für andere Haushaltszwecke umzubuchen ist. Der Finanzminister habe es aber versäumt, hinreichend darzulegen, warum eine Notsituation vorliege, die keine Alternative zur Umgehung der Schuldenbremse zulasse.

SPD-Fraktionschef Thomas Kutschaty (SPD) sprach von den «chaotischsten Haushaltsberatungen, die das Parlament ertragen musste». Nach intensiver Prüfung des Hin und Her in der schwarz-grünen Haushaltspolitik in den Monaten Oktober bis Dezember 2022 habe sich die Opposition nun entschlossen, anzugreifen. Die Klageschrift sei fertig und werde unverzüglich eingereicht.

Die Klage vor dem Verfassungsgerichtshof werde nicht im Eilverfahren geführt, weil eine sorgfältige Prüfung in der Hauptsache erforderlich sei, erklärte Kempny. «Für Nordrhein-Westfalen ist das Neuland.»

Mehrere Hilfsmaßnahmen sind mit den Millionen aus dem Sondervermögen bereits auf den Weg gebracht worden. Angesichts der Verfassungsklage werde sich der Landtag die Bewilligung weiterer Tranchen sicher nicht leicht machen, meinte der Hochschulprofessor für öffentliches Recht. Bis zur höchstrichterlichen Entscheidung sei allerdings auch nicht auszuschließen, «dass der Verfassungsbruch weiter vertieft wird».

FDP-Fraktionschef Henning Höne warf der CDU/Grünen-Koalition «schlechtes Regierungshandwerk mit der Brechstange» vor. Mit ihrer chaotischen Haushaltsaufstellung habe sich Schwarz-Grün disqualifiziert. Tatsächlich hätte es im vergangenen Jahr genügend Überschüsse gegeben, um mit Einsparungen an anderer Stelle ohne neue Schulden frühe Hilfen in Gang zu bringen, sagte der Freidemokrat.

Einige der nun aus dem Sondervermögen finanzierten Aufgaben seien ohnehin überfällig und hätten gar keinen akuten Krisenbezug, bemängelte er. Dies gelte etwa für die Notstromversorgung von Behörden oder die Verbesserung des Katastrophenschutzes. Schwarz-Grün sei es einfach darum gegangen, bequem Ankündigungen aus ihrem Koalitionsvertrag zu finanzieren.

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