Lesen – eine Fähigkeit, die durch Training verbessert werden kann

Wittlich. „Wenn ich etwas lese, einen Satz oder so, dann fallen mir immer ganz viele Sachen dazu ein.“ „Lesen ist anstrengend und öde.“ Beides sind Aussagen zweier vierzehnjähriger Schüler, die zwei extremen Haltungen aufzeigen, die sich im Rahmen einer gelungenen oder misslungenen Lesebiografie entwickelt haben.

Ob Lesen als Genuss und Vergnügen oder aber als negativ besetzte Tätigkeit empfunden wird, entwickelt sich im Laufe der Grundschulzeit recht stabil, so dass es schwierig ist, gerade das negative Selbstbild  – „Ich kann nicht lesen. Ich bin ein schlechter Leser/ eine schlechte Leserin.“ – wieder aufzubrechen. Oft liegen hinter einer solchen negativen Bewertung des eigenen Lesevermögens eine Vielzahl an leidvollen Erfahrungen, die das Negativbild prägen. Diese Haltung wird oft in Sätzen wie  „Lesen, eine Mühe,  die es nicht lohnt aufzubringen, weil ich sowieso nicht verstehe, was ich lese.“ „Lesen: einfach demotivierend, weil ich ewig brauche, um ein paar Sätze zu lesen.“  sichtbar.
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Das müsse nicht so bleiben und gerade in der Orientierungsstufe sei seitens der Schule noch viel zum Positiven hin kompensierbar, da die Leseforschung, so Frau Zindler, gerade in den letzten fünf Jahren wirklich aufgeholt habe. Gute Instrumente, auch in der Diagnostik von grundlegenden Problemen, die den Leseprozess  behindern, könnten Leseexperten an die Hand gegeben werden, um Schülern in ihrem Lesenlernen zu unterstützen. Das größte Problem, das Fehlen einer angemessenen Lesegeschwindigkeit und Leseflüssigkeit, könne mit dem so genannten ‚Tandemlesen‘ erfolgreich verbessert werden. 15-minütiges  tägliches Training mit dieser Methode führe zu erheblichen Verbesserungen im Erfassen von komplexen Sätzen und Satz- bzw. Textkohärenzen.

Solange Kinder Schwierigkeiten im Beherrschen dieser grundlegenden Lesetechniken hätten, sei zu wenig, oft gar keine Energie mehr vorhanden, um den Inhalt des Gelesenen zu erfassen. Erst das souveräne Umgehen mit diesen basalen Kompetenzen mache frei, um den Textinhalt zu verstehen.

Viele Kinder beherrschten allerdings nach der Grundschulzeit die grundlegenden Lesetechniken wider Erwarten noch nicht. Weiterführende Schulen hätten somit die Verpflichtung, hier Unterstützung anzubieten, von deren Gelingen alle Fächer profitieren würden. Vielfach setzten allerdings die weiterführenden Schulen, ohne dies zu überprüfen, voraus, dass Schüler und Schülerinnen in den 5. Klassen fit seien in den grundlegenden Kompetenzen des Wort-, Satz- und Texterfassens. Dem sei  allerdings leider oft nicht so. Anja Zindler vom LBZ referierte zudem die ‚Phasen‘ des Lesenlernens, orientiert an Frau Prof. Christine Uni Köln:
 
1. Phase der frühkindlichen Lesesozialisation:  „WIR lesen zusammen und ICH lese mit.“

Die Kinder können selbst noch nicht lesen, sollten aber in Vorlese- und Erzählsituationen wichtige Erfahrungen mit schriftlichen Texten machen, begleitet von kompetenten Anderen (Eltern, ältere Geschwister …)
2. Phase: Phase des selbstständigen Lesenlernens ( 1. bis 6. Schuljahr)

Hier sollten – was eben nicht immer gelinge –  die elementaren Leseprozesse (Lesegeschwindigkeit, Lesegenauigkeit) automatisiert werden und der Übergang vom Lesenlernen zum ‚ Lernen mit Hilfe  des Lesens‘ ( learning to read / reading to learn) erfolgt sein durch das kompetente Erlernen schriftsprachlicher Konventionen und das selbstständige Lesen von Texten. Falls diese Phase erfolgreich durchlaufen werde, stellten sich – so Frau Zindler – Erfahrungen ‚lustvollen Lesens‘ ein, durch das Eintauchenkönnen in anregende Lesewelten. Auch bildeten sich erste Lesevorlieben, Genrepräferenzen aus. Gerade in dieser wichtige Phase des Lesenlernens bildeten sich lebensgeschichtliche Motivationen zum ‚lustvollen‘ privaten Lesen aus, die den Kern eines stabilen Lese-Selbstkonzeptes darstellten.

Deshalb sei gerade im Zeitfenster ‚Orientierungsstufe‘ bei den so genannten ‚struggling readers‘, den schwächeren Lesern, noch vieles an Hilfestellungen notwendig und auch möglich, um Korrekturen im Selbstkonzept vorzunehmen. Das Vermitteln von Lesestrategien gehöre zudem notwendig dazu. Frau Zindler erwähnte in diesem Zusammenhang u.a. das Ausgehen von ‚Verstehensinseln‘ beim Lesen  ( Was habe ich verstanden? Und nicht: Was habe ich nicht verstanden! ), auch verwies sie auf die gute Strategie des antizipierenden Lesens.  

Was können Eltern tun, um zum Lesen anzuregen?

Anja Zindler empfahl  – über das so genannte Tandemlesen bei Schwierigkeiten im Bereich der Leseflüssigkeit  hinaus – das Gespräch über Gelesenes in der Familie zu pflegen. Eltern sollten Interesse zeigen an dem, was ihre Kinder lesen.

Das müsse nicht nur das Gespräch über Buchinhalte sein, auch der Austausch über Lesestoffe aus Zeitschriften, Comics, E-Books, Artikeln aus dem Internet etc. seien sinnvoll. Wichtig sei in der beschriebenen 2. Phase zunehmend das Vorbild der Freunde und Freundinnen. Falls in diesem Kreis Lesen ‚cool‘ sei, präge dies auch das private Leseverhalten. Nichtsdestotrotz sei es für Kinder auch wichtig, die eigenen Eltern als lesende Vorbilder wahrnehmen zu können. 
 

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