Wilhelm Haw

In das Jahr 1818 fielen in Trier zwei Ereignisse, deren teils regionalhistorische, teils weltgeschichtliche Bedeutung sich erst später herausstellte: Im Mai jenes Jahres wurde dem Anwalt Heinrich Marx der später so berühmte Sohn Karl geboren, im August wählte der Trierer Stadtrat den gebürtigen Eifler Advokaten Wilhelm Haw zum Oberbürgermeister. Als Karl Marx 1835 sein Abitur machte, war Haw, der die Familie Marx gut kannte, immer noch an der Spitze der Moselmetropole. Somit spielte sich die gesamte Jugendzeit von Marx unter Trierer Perspektive in der Ära Haw ab.

Wilhelm Haw wurde 1783 in Daun als Sohn des kurtrierischen Hofrates Christoph Haw und dessen Frau Theresia (geb. Lippe) geboren. Christoph Haw war als wichtiger Beamter des Kurfürsten fest in der Ordnung der Feudalzeit verwurzelt, wohingegen sein Sohn Wilhelm grundlegend beeinflusst wurde von der Entwicklung im revolutionären Frankreich, zu dem die Eifel und Trier seit 1794 gehörten. Der Hofratssohn studierte zunächst in Paris Jurisprudenz, ehe er sich 1804 in Trier als Anwalt niederließ. Als unter Napoleon in Trier zahlreiche enteignete Liegenschaften von Kirche und Adel versteigert wurden, agierte Haw als Vertreter für einen der größten Erwerber, den sehr reichen Weinhändler M. J. Hayn. Bald machte auch Haws juristische Karriere bemerkenswerte Fortschritte. 1810 wurde der erst 27-jährige Haw Generalsekretär der Hohen Polizei in Holland, zwei Jahre später Generalkommissar der Polizei in Herzogenbosch und schließlich sogar 1814 Präfekt eines französischen Departements. Obwohl schon damals klar zu erkennen war, dass der Dauner kein besonderer Freund der siegreichen Preußen war, ließ er sich nach Ende der Herrschaft Napoleons dauerhaft in dem nun preußischen Trier nieder. Aufgrund seiner Wohlhabenheit und seiner Qualifikationen war Haw, an dem der preußische Regierungspräsident noch 1832 „einige Hinneigung zum Franzosentum“ bemängelte, bald ein hoch respektiertes Mitglied des Trierer Bürgertums. Materiell und sozial gefestigt wurde diese Stellung 1819 durch seine Heirat mit Elisabeth Franziska Nell (1785–1849), der Tochter des Großkaufmanns Philipp Christoph von Nell, der als reichster Trierer seiner Zeit galt.

Die rund 20-jährige Amtszeit Haws war geprägt vom Spannungsverhältnis zwischen Haw und seinen preußischen Vorgesetzten. Haw mahnte wiederholt eine stärkere finanzielle Unterstützung der Trierer Bevölkerung, nicht zuletzt der Armen, an und lehnte viele Maßnahmen des preußischen Staates ab. Er wusste sich darin einig mit den Trierern, für die nach dem Trierer Original „Fischers Maathes“ (1822–1879) galt: „Eich maachen alles met, wenn et nuren gient de Preißen gieht“.

Die preußische Regierung verdächtigte Haw, revolutionärer Demokrat und damit Feind der Monarchie zu sein. Bestätigt sah sie sich durch den sogenannten „Casinovorfall“ vom 25. Januar 1834. Bei diesem Gründungsfest der preußenkritischen Trierer Casinogesellschaft, an dem auch der Vater von Karl Marx teilnahm, ehrten die Teilnehmer die Trikolore, sangen die Marseillaise und tranken auf die Pressefreiheit. Haw wurde zu einer Disziplinarstrafe von 50 Talern verurteilt und man entzog ihm die Leitung der städtischen Polizei. Als er 1838 seinen Sohn zur Ausbildung nach Brüssel brachte, wurde Haw bespitzelt; für den preußischen Gesandten gehörte er zur Klasse „der gefährlichsten Männer in der Rheinprovinz“. 1839 kam es zwischen dem Trierer Stadtrat und Haw einerseits und der preußischen Regierung andererseits zur Zuspitzung des jahrelangen Konflikts. Auf Regierungsdruck gab der beliebte Oberbürgermeister sein Amt auf. Politisch blieb Haw jedoch weiter aktiv, unter anderem vertrat der 1842 geadelte Eifler den Wahlkreis Daun-Prüm-Bitburg 1852/53 im preußischen Abgeordnetenhaus, wo er zu den Mitgründern der katholischen Fraktion zählte. Bemerkenswert ist, dass sich Haw in Trier führend sowohl in katholischen Vereinigungen als auch bei den Freimaurern engagierte.

Neben seiner dienstlichen Tätigkeit prägte Haw auch als Privatmann das Trierer Leben seiner Zeit. 1823 erbaute er sich auf seinem umfangreichen Privatbesitz die herrschaftliche Villa Weißhaus sowie das Drachenhaus, ließ aber die herrliche Umgebung, zu der auch der spätere Unistandort Schneidershof gehörte, den Trierern frei zugänglich. Als Wilhelm von Haw 1862 starb, fand er seine letzte Ruhestätte auf dem Hauptfriedhof, wo bis heute ein eindrucksvolles Grabmal an den populären Großbürger erinnert.

Verfasser: Gregor Brand

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