Salvian

Die Lebenszeit Salvians umfasst fast das gesamte fünfte Jahrhundert. Es war eine Epoche, in der es zwischen Rhein und Mittelmeer drunter und drüber ging wie selten zuvor und danach. Das römische Reich, das seit unvordenklichen Zeiten die Lebensweise bestimmt hatte, musste sich pausenloser Angriffe von Germanen und Hunnen erwehren. Im Jahr 410 wurde das fast ewig als unbesiegbar geltende Rom von den Westgoten eingenommen – ein Ereignis, das die Menschen als katastrophale Erschütterung ihres Weltbildes empfanden. In den Provinzen des im Sterben liegenden weströmischen Reiches sah es kaum besser aus. Das galt gerade für die ruhmreiche Römerstadt Trier, die im gleichen Jahr von Franken und anderen „Barbaren“ erobert und schwer zerstört wurde. Die Vertreibung der germanischen Eindringlinge verschaffte den Bewohnern nur noch kurze Atempausen. Bereits 413 waren wieder fränkische Krieger in der Stadt, sechs Jahre später erfolgte ein erneutes Niederbrennen und Plündern. Diese dritte Eroberung erlebte Salvian vermutlich als junger Mann mit eigenen Augen. 

Wo und wann Salvian genau geboren wurde, ist unbekannt. Der Namenszusatz „von Marseille“, mit dem er oft genannt wird, bezieht sich nicht auf seine Herkunft, sondern auf die Stadt, in der er die letzten Lebensjahrzehnte als heiligmäßiger Priester und Presbyter lebte. Salvian-Experten nehmen an, dass er um 400 im Raum zwischen Trier und Köln zur Welt kam. Das berechtigt durchaus, ihn als Eifler anzusehen, auch wenn es damals den Namen Eifel noch nicht gab und sich Salvian selbst als Gallier gesehen hat, passend zur Zugehörigkeit Triers und der angrenzenden Eifelgebiete zur römisch-gallischen Provinz Belgica. Aufgrund seines Bildungsniveaus bestehen kaum Zweifel daran, dass er zur romanischen Oberschicht gehörte. Wichtiger als die Frage nach der Herkunft war für Salvian allerdings die nach der Religion. Dass sich das Christentum noch keineswegs vollständig durchgesetzt hatte, erlebte er nicht zuletzt im familiären Umfeld. Seine Frau Palladia war bei der Heirat noch Heidin. Salvians Schwiegereltern Hypatius und Quieta waren von der Ehe  ihrer Tochter mit diesem Christen wenig begeistert. Die Enttäuschung steigerte sich zu Zorn, als der Schwiegersohn nach der Geburt der Tochter Auspiciola radikale asketische Ideale entwickelte, sich zu einem sexuell enthaltsamen Leben entschloss und „Aussteiger“ wurde: Salvian zog sich in eine Mönchsgemeinschaft auf einer Insel vor der französischen Mittelmeerküste zurück, Frau und Tochter lebten vermutlich in der Nähe in einer klösterlichen Frauengemeinschaft. Als seine Schwiegereltern später Christen wurden, hoffte Salvian, den jahrelang unterbrochenen Kontakt wieder herstellen zu können. Ein sehr emotionaler Brief, den er deswegen schrieb, zählt zu den bewegenden Dokumenten aus seinem Leben.

Historisch hoch bedeutsam ist Salvian als Historiograph. Sein Hauptwerk „Über die Herrschaft Gottes“ zählt zu den wenigen erhaltenen Schriften jener chaotischen Umbruchzeit. Salvian wollte seinen Zeitgenossen erklären, wie die Katastrophen der Zeit mit der christlichen Gottesvorstellung vereinbar waren. Krieg und Not deutete er als Strafe für sündigen und vor allem sexuell zügellosen Lebenswandel. Die Siege der Germanen führte er auch auf deren angeblich strengere Sittlichkeit zurück. Empört berichtete er beispielsweise, dass die Trierer sogar nach der Verwüstung ihrer Stadt durch die Franken von ihrem unsittlichen Lebenswandel nicht lassen wollten und beim Kaiser Geld für Pferderennen und Theater beantragten. Zu Recht sei die Stadt daher erneut von den Barbaren verwüstet worden. Salvian zeigte sich bei seinen Schilderungen als radikaler Gesellschaftskritiker, der die herrschenden politisch-sozialen Verhältnisse scharf angriff. Schonungslos und mit juristischem Sachverstand analysierte er die verheerenden Auswirkungen der drückenden Steuergesetzgebung und nahm dabei besonders die Ausbeutung durch die Oberschicht ins Visier. Bereits in einem früheren Werk hatte er – anonym – extreme Auffassungen vertreten: „Er wollte den Kommunismus der Mönche auf das ganze Volk ausdehnen“, kommentierte Anton Mayer, Herausgeber von Salvians Schriften, dessen revolutionäre Forderung, dass alle Menschen ihr Vermögen der Kirche übergeben und ihren Kindern nichts hinterlassen sollten.

Salvian starb nach dem Jahr 480 vermutlich in Marseille. Seine eifelmoselanische Heimat, die er nach seinem Weggang nicht mehr wiedersah, war inzwischen vollständig unter fränkische Herrschaft gekommen.

Verfasser: Gregor Brand

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