Nikolaus Elscheidt

Kein Bild ist bekannt, dass uns zeigt, wie der Bildhauer Nikolaus Elscheidt  ausgesehen hat. Wie bei vielen Meistern des Mittelalters, die für ihn das große Vorbild waren, tritt seine eigene Person hinter die von ihm geschaffenen Werke zurück. Es gibt allerdings eine Beschreibung seines Förderers, des Domvikars und berühmten Kunstsammlers Alexander Schnütgen, die uns einen Eindruck von diesem geheimnisumwitterten Künstler vermittelt: „Der Eifeler Jüngling mit seinen dunklen Augen und noch schwärzerem struppigen Vollbart machte, trotz seiner Gutmütigkeit, einen etwas unheimlichen Eindruck.“ Ähnlich dunkel wie sein Aussehen bleibt bis heute in mancherlei Hinsicht die Biographie des Künstlers, obwohl sich bedeutende Kunsthistoriker wie Peter Bloch und Anton von Euw intensiv mit Elscheidt befassten. Erst vor zwei Jahrzehnten konnte geklärt werden, dass Nikolaus Elscheidt – der Name wurde zu seinen Lebzeiten fast immer „Ellscheid“ geschrieben – 1835 in Niederscheidweiler geboren worden war. Vorher hatte man vermutet, er sei Manderscheider gewesen, und es war sogar spekuliert worden, er stamme aus der Schweiz. In Wirklichkeit war sein Vater der Eifler Tagelöhner Richard Elscheid, der später in Köln als Schuhmacher arbeitete. Die in Ulmen geborene Mutter des Bildhauers wird beim Geburtseintrag ihres Sohnes Nikolaus als Barbara Reichard genannt, in anderen Dokumenten heißt sie Reichling oder Reigeling. Die väterlichen Großeltern Elscheidts sind vermutlich auf der Hasborner beziehungsweise der Ulmener Mühle verstorben – hier bietet sich für Genealogen noch ein weites Forschungsfeld. Wahrscheinlich war die Familie des Bildhauers mit den Ellscheids verwandt, die in dem untergegangenen Dorf Allscheid bei Steiningen lebten. Die letzten bitterarmen Bewohner dieses Ortes hatten ihre Häuser im 19. Jahrhundert verkauft und waren nach Nordamerika ausgewandert.

Auch wenn über die Jugend von Elscheidt fast nichts bekannt ist, kann man davon ausgehen, dass Nikolaus zusammen mit seinem jüngeren Bruder Peter in ärmlichen Verhältnissen aufwuchs. Als Erwachsener lebte und arbeitete er überwiegend in Köln, aber trotz seiner herausragenden Fähigkeiten als Holzschnitzer kam er auch dort nicht zu Wohlstand. Der Junggeselle blieb „in gedrückten Verhältnissen“ und musste fast jährlich die Wohnung wechseln, ehe er 1874 durch Herzinfarkt  verstarb. Dabei bot Köln ihm noch am ehesten ein Wirkungsfeld für seine Kunst. Elscheidts Werke werden der katholischen Neugotik zugerechnet, also jener Kunstrichtung, die im 19. Jahrhundert ihre Blütezeit hatte und deren Anliegen es war, Geist und Meisterschaft der mittelalterlichen Gotik wiederzubeleben. Köln mit seinen Domarbeiten war das produktive Zentrum der Neugotik, ehe diese Kunstrichtung gegen Ende des 19. Jahrhunderts immer heftiger bekämpft wurde und die Schöpfer ihrer Werke fast in Vergessenheit gerieten.

Elscheidt gelang es wie kaum einem anderen, sich sowohl handwerklich als auch spirituell den alten Meistern anzunähern. Das führte dazu, dass sich die Fachleute bei manchen Arbeiten nicht einig sind, ob sie von Elscheidt oder aus dem Mittelalter stammen; teilweise konnte diese Frage erst durch die Altersbestimmung des Holzes geklärt werden. Solche Meisterschaft brachte Elscheidt bisweilen in den Verdacht der Fälschung, aber das konnte in keinem Fall nachgewiesen werden. Mag die Versuchung gelegentlich auch groß gewesen sein, so spricht doch schon seine tiefe Frömmigkeit dagegen, dass er ihr nachgegeben hat. Elscheidts künstlerisches Spektrum reichte von kleineren Holzfiguren wie etwa einer 40 cm hohen Madonnenfigur, die er 1868 der Aachener Dombau-lotterie überließ, bis zu wuchtigen Werken wie der Kreuzigungsgruppe, die heute in der Kirche St. Sebastian in Bonn-Poppelsdorf steht. Elscheidt hat mit diesem Werk aus Pappelholz eine 1215 entstandene und kunsthistorisch hoch bedeutsame Kreuzigungsgruppe in freier Gestaltung nachgebildet. Das von ihm gestaltete Kruzifix wiegt fünf, die Figuren von Johannes und Maria jeweils vier Zentner. Ursprünglich für eine Kölner Kirche geschaffen, konnte das Kunstwerk 1942 knapp vor einem Bombenangriff gerettet werden. Wie andere Elscheidt-Arbeiten dokumentiert es, dass man in seiner Eifler Heimat zu Recht stolz auf diesen Künstler sein kann, der nicht nur für den Kunsthistoriker Fritz Wille der „vielleicht Begabteste unter den Neugotikern“ war.


Verfasser: Gregor Brand

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